Arzneimittel und Therapie

Weniger Schlaganfälle durch Folsäure

Erfolg vom Ausgangswert der Folsäure-Konzentration abhängig

Bisher gibt es nur wenige Untersuchungen zum Nutzen einer Supplementation von Folsäure zur Reduktion des Schlaganfallrisikos. Eine neue Studie belegt nun den präventiven Effekt der additiven Gabe von Folsäure bei der Behandlung von Patienten mit Bluthochdruck – siehe Kasten Seite 25. Wir baten Prof. Dr. Martin Smollich um eine Bewertung, was diese Ergebnisse für die Praxis bedeuten.

Der Zusammenhang zwischen Folsäure-Aufnahme und kardiovaskulärem Risiko ist in den vergangenen Jahren häufig untersucht worden. Meist handelte es sich bei den Studien, die eine präventive Wirkung von Folsäure hinsichtlich Schlaganfall und kardiovaskulären Erkrankungen nahelegten, lediglich um epidemiologische Beobachtungsstudien [1]. Die Ergebnisse der randomisiert-kontrollierten Studien blieben dagegen widersprüchlich und aufgrund methodischer Mängel häufig wenig überzeugend [2]. Häufigste Schwäche der bisherigen Interventionsstudien war, dass sie in Ländern mit guter nutritiver Folsäure-Versorgung durchgeführt wurden, was die Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse einschränkte. Dies ist in der nun von Hou et al. publizierten Studie nicht der Fall: Sie wurde in China durchgeführt, wo der Folsäure-Mangel weit verbreitet ist und der Schlaganfall zu den häufigsten Todesursachen gehört. Die Ein- und Ausschlusskriterien waren plausibel, und die Serum-Folat-Konzentrationen der Teilnehmer waren ebenso bekannt wie ihr MTHFR-Genotyp (Methyltetra­hydrofolatreduktase) – der entsprechende Polymorphismus ist die häufigste Ursache für den nicht-nutritiven, „angeborenen“ Folsäure-Mangel. Die Ergebnisse bestätigen nicht nur die bisherigen Vermutungen aus epidemiologischen Beobachtungen hinsichtlich der kardiovaskulär-präventiven Wirkung einer ausreichenden Folsäure-Zufuhr. Vielmehr könnten sie auch einen Schlüssel dazu liefern, weshalb die bisherigen Interventionsstudien widersprüchliche Ergebnisse lieferten: Denn die Risikoreduktion für einen Schlaganfall war bei jenen Hypertonie-Patienten besonders deutlich, die die niedrigsten Folat-Serumkonzentrationen oder eine MTHFR-Mutation aufwiesen. Damit konnte erstmals überzeugend gezeigt werden, dass die Schlaganfall-präventive Wirkung von Folsäure maßgeblich von den Ausgangswerten der Folsäure-Konzentration abhängig ist.

Studienergebnisse sind auf Deutschland übertragbar

Besonders spannend ist die Frage, inwieweit sich die Ergebnisse auf die Verhältnisse in Deutschland übertragen lassen. Die nutritive Folsäure-Aufnahme – und folglich auch die Folat-Konzentration im Serum – ist weltweit sehr unterschiedlich: In den USA liegt die mittlere Folat-Serumkonzentration dank der gesetzlich vorgeschriebenen Folsäure-Anreicherung von Mehl bei ca. 30 nmol/l, in Deutschland dagegen aufgrund der fehlenden Lebensmittelanreicherung bei 16 nmol/l [3, 4].

Foto: Africa Studio – fotolia.com

Mehl und Cerealien werden bereits in vielen Ländern mit Folsäure angereichert, in Deutschland ist man noch nicht so weit. Besonders Hypertoniker könnten von dieser effektiven und effizienten Schlaganfallprävention profitieren.

Noch gravierender wird die Diskrepanz bei älteren Menschen, bei denen der Hauptrisikofaktor für einen Schlaganfall – die Hypertonie – eine hohe Prävalenz besitzt: Das mittlere Serum-Folat der über 60-Jährigen liegt in Deutschland bei 14 nmol/l, in den USA jedoch bei 39 nmol/l [5, 6]. Ursache ist die in Deutschland unzureichende Folsäure-Aufnahme mit der Nahrung; so erreichen 79% der Männer und 86% der Frauen nicht die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfohlene Zufuhrmenge an Folat-Äquivalenten [7]. Und genau das macht die Studienergebnisse so interessant: Aufgrund des auch in China weit verbreiteten Folsäure-Mangels zeigten die Studienteilnehmer relativ niedrige basale Folat-Serumkonzen­trationen, weshalb die Ergebnisse plausibel auf Deutschland übertragbar sind: Die mediane Folat-Serumkonzentration lag zu Beginn der Studie bei 18 nmol/l (was ungefähr dem deutschen Median für die über 60-Jährigen entspricht) und stieg in der Enalapril-plus-Folsäure-Gruppe im Studienverlauf auf 45 nmol/l an.

Auch der in der Studie erfasste Polymorphismus des MTHFR-Gens ist in Deutschland mit 10% aller Menschen in relevantem Ausmaß verbreitet; dieser Personenkreis benötigt bereits per se eine erhöhte Folsäure-Zufuhr, um negative gesundheitliche Folgen zu vermeiden, erst recht bei einer gleichzeitig vorliegenden Hypertonie [8].

Die aktuelle Studie von Hou et al. scheint nun einen grundlegenden Zusammenhang der Folsäure-Supplementation zu bestätigen, der bisher nur aus der Prävention von Neuralrohrdefekten bekannt war: Die kardiovaskulär-präventiven Effekte einer Folsäure-Supplementation sind umso stärker ausgeprägt, je niedriger die Folat-­Serumkonzentration vor Beginn der Supplementation war. Und wie wir aus epidemiologischen Untersuchungen wissen, ist diese Folat-Serum­konzentration bei deutschen Patienten in der Regel sehr niedrig. Vermutlich wäre der präventive Effekt der Folsäure-Supplementation noch deutlicher ausgefallen, wenn nicht lediglich 70% der Studienteilnehmer eine ausreichende Therapieadhärenz gezeigt hätten und wenn es nicht auch in der Kontroll-Gruppe zu einem geringen Anstieg der Folsäure-Aufnahme gekommen wäre. Auch die Tatsache, dass die Studie aus ethischen Gründen vorzeitig beendet werden musste, um den Enalapril-mono-Patienten nicht den präventiven Folsäure-Effekt vorzuenthalten, deutet darauf hin, dass die Studie noch nicht einmal die voll ausgeprägte präventive Wirkung der Folsäure-Supplementation zeigt, wie sie nach längerer Einnahme zu erwarten ist.

Supplementierte Folsäure als Lebensretter

Zur Primärprävention von Schlaganfällen empfehlen Experten auch, die diätetische Einnahme von Folsäure zu erhöhen und z. B. Lebensmittel hiermit anzureichern. Die präventive Wirksamkeit einer Folsäure-Supplementierung während der Therapie von Hypertonikern untersuchten chinesische Wissenschaftler nun in einer randomisierten, doppelblinden Studie (China Stroke Primary Prevention Trial; CSPPT) [1].

  • Teilnehmer: 20.702 Hypertoniker ohne Herz- oder Hirninfarkt-­Historie
  • Medikation: Enalapril (10 mg) allein bzw. eine Fixkombination aus Enalapril (10 mg) und Folsäure (0,8 mg)
  • Beobachtungszeit: 4,5 Jahre (Median)

Zuvor erfolgte eine Genotypisierung der Probanden bezüglich des MTHFR C677T Gens, dessen Variationen (CC, CT und TT) die persönlichen Folsäure-Spiegel beeinflussen können, da das Enzym Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR) eine wesentliche Rolle im Homocystein-Stoffwechsel spielt.

Insgesamt ereignete sich bei 282 Patienten (2,7%) unter der Kombinationstherapie ein Hirninfarkt, gegenüber 355 Schlaganfällen (3,4%) in der Kontroll-Gruppe. Durch die Zufuhr von Folsäure konnte eine relative Risikoreduktion von 21% erreicht werden. Ebenso reduzierten sich die Raten an Herz­ischämien (2,2% vs. 2,8%) und allgemeinen kardiovaskulären Ereignissen (3,1% vs. 3,9%) signifikant, wobei die Nebenwirkungsraten unverändert blieben.

Die Autoren heben hervor, dass die persönlichen Folsäure-Spiegel zu Studienbeginn sowie die jeweiligen MTHFR-­Genotypen die bestimmenden Faktoren für die Wirksamkeit der Folsäure-Supplementierung in der Hirninfarkt-Prävention darstellen. Tatsächlich ergaben sich evidente Schwankungen in den individuellen Folsäure-Basiskonzentrationen, wobei die Analyse der Ergebnisse darauf hindeutet, dass der Folsäure-Zusatz umso effektiver ist, je niedriger die persönlichen Basisspiegel sind, und Personen mit TT-Genotyp vermutlich höhere Folsäure-Mengen benötigen, um eventuelle Mängel zu kompensieren.

Eine generelle Genotypisierung der Bevölkerung erschient aber nicht kosten-effektiv, so die Autoren eines Kommentars im JAMA [2]. Eher sollten weitere Maßnahmen zur direkten Supplementierung bzw. zur besseren diätetischen Verfügbarkeit von Folsäure gefördert werden, um eventuelle Mängel zu beheben, denn die adäquate Versorgung mit Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten ist aufgrund finanzieller Aspekte nicht für alle Patienten weltweit garantiert.

Quelle

[1] Huo Y, Li J, Qin X et al. Efficacy of Folic Acid Therapy in Primary Prevention of Stroke Among Adults With Hypertension in China: The CSPPT Randomized Clinical Trial. JAMA. online 15. März 2015. doi:10.1001/jama.2015.2274

[2] Stampfer M, Willett W. Folate Supplements for Stroke Prevention: Targeted Trial Trumps the Rest. JAMA. online 15. März 2015. doi:10.1001/jama.2015.1961

Apotheker Dr. André Said

Fazit: Bei Bedarf Folsäure zuführen

Das Studienergebnis einer reduzierten Schlaganfallhäufigkeit bei hypertensiven Patienten durch Folsäure-Supplementation lässt sich auf deutsche Verhältnisse übertragen, da auch hier der Folsäure-Mangel ähnlich ausgeprägt ist wie beim Studienkollektiv – und der niedrige Folsäure-Ausgangswert scheint ein maßgeblicher Faktor für die Risikoreduktion durch eine Folsäure-­Supplementation zu sein.

Die naheliegendste Schlussfolgerung wäre, bei Hypertonie-Patienten die Folat-Serumkonzentration zu bestimmen und dann gegebenenfalls mit einer gezielten Supplementation zu beginnen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Fachgesellschaften zu einer entsprechenden Empfehlung entschließen.

Lebensmittel mit Folsäure anreichern?

Doch selbst diese Konsequenz wäre gesundheitspolitisch zu kurz gedacht: Vielmehr wäre es dringend erforderlich, dass diese Studienergebnisse eine zielführende Diskussion um die Folsäure-Anreicherung von Lebensmitteln auch in Deutschland auslösen würden. Davon würden nicht nur Patienten mit Hypertonie, sondern vermutlich auch normotensive Menschen und insbesondere auch Schwangere und Kinder (Stichwort Neuralrohrdefekte!) profitieren.

Diese Folsäure-Anreicherung von Lebensmitteln ist mittlerweile in über 50 Ländern weltweit etabliert, wodurch nicht nur das kardiovaskuläre Risiko, sondern vor allem auch die Häufigkeit von Neuralrohrdefekten erheblich gesenkt werden konnte. Diese Maßnahme wird von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) seit Jahren gefordert und vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) eindeutig befürwortet, ohne dass eine Umsetzung erfolgt. Bis auf Weiteres kann daher nicht nur Hypertonikern, sondern auch normotensiven Menschen der Rat gegeben werden: Lassen Sie Ihre Folat-Serumkonzentration bestimmen und supplementieren Sie Folsäure bei Bedarf. |

Quelle

[1] Bazzano LA et al. Dietary Intake of Folate and Risk of Stroke in US Men and Women. NHANES I Epidemiologic Follow-Up Study. Stroke 2002;33:1183-1189

[2] Wang X et al. Efficacy of folic acid supplementation in stroke prevention: a meta-analysis Lancet 2007;369:1876-1882

[3] McLean E et al Review of the magnitude of folate and vitamin B12 deficiencies worldwide. Food Nutr Bull 2008;29:38-51

[4] Pfeiffer CM et al. Biochemical indicators of B vitamin status in the US population after folic acid fortification: Results from the National Health and Nutrition Examination Survey 1999–2000. Am J Clin Nutr 2005;82:442-450

[5] Mason JB et al. A temporal association between folic acid fortification and an increase in colorectal cancer rates may be illuminating important biological principles: a hypothesis Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 2007;16:1325-1329

[6] Obeid R et al. Vitamin B12 status in the elderly as judged by available biochemical markers. Clin Chem 2004;50:238-241

[7] Max Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel. Nationale Verzehrsstudie II. Ergebnisbericht Teil 2. Karlsruhe 2008

[8] Weißenborn A, Przyrembel H (Hrsg.) Folsäureversorgung der deutschen Bevölkerung. BfR-Wissenschaft 01/2005

Prof. Dr. Martin Smollich Studiengangsleiter des Studiengangs Clinical Nutrition/Ernährungsmanagement an der Mathias Hochschule Rheine Frankenburgstraße 3148431 Rheinem.smollich@mhrheine.de

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