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„Die sind glibberig wie Austern!“

Eine Migräne-Patientin mit einer Abneigung gegen Schmelztabletten

Ausgezeichnete Beratung, das ist das Pfund, mit dem jede Apotheke wuchern kann. Ausgezeichnete Beratung ist aber immer auch Teamarbeit. Deshalb haben wir in der DAZ für Sie und Ihr Team die Rubrik „Top beraten!“. Dort können Sie zusammen mit Ihrem Team spannende Fälle aus Ihrer Apotheke und Ihre Lösung vorstellen, zum Beispiel zur Beratung im Rahmen der Selbstmedikation, zum Medikationsmanagement, zu Pharmazeutischen Bedenken, zu Rezepturproblemen, zu Retaxfragen, zu Abrechnungsproblemen und allen anderen kniffligen Fragen.

Eine Laufkundin (43) möchte ein Rezept über Zolmitriptan Filmtabletten in der Apotheke einlösen. Verordnet sind zwölf Filmtabletten eines gängigen Generikums, das Rezept wurde vom Arzt ohne Aut-idem-Kreuz ausgestellt. Auffällig sind das hektische Verhalten der Patientin und die angespannte, gereizte Art der Kommunikation. Im Gespräch kommt der Grund für dieses Verhalten zutage: bei der Patientin bahnt sich ein Migräneanfall an und sie möchte daher schnellstmöglich versorgt werden – ohne viele Worte oder intensive Beratung, da sie das Arzneimittel bereits gut kenne und vertrage. Beim Einscannen des Rezeptes meldet die Apotheken-EDV einen einzigen Rabattartikel: es handelt sich – abweichend von der verordneten Darreichungsform – um Schmelztabletten. Angesprochen auf diese Darreichungsform kontert sie mit kühlen Worten: „Schmelztabletten schmecken glibberig wie Austern, davon muss ich mich übergeben!“

Fakten-Check:

Geschlecht: weiblich

Alter: 43 Jahre

Problembeschreibung: akuter Migräneanfall, angespannte Stimmung, gereizte Lage

Arzneimittel: Zolmitriptan 2,5 mg Filmtabletten, Bisoprolol 5 mg zur Vorbeugung

aktuelle Verordnung: Zolmitriptan 2,5 Generikum ohne Aut-idem-Kreuz

Die Problematik

Viele arzneimittelbezogene Probleme sind die Folge einer Verkettung suboptimaler Voraussetzungen im Medikationsprozess.

Substitutionsregeln. Die teils locker gefassten regulatorischen Vorgaben zur Substitution durch den Gemeinsamen Bundesausschuss bilden die Grundlage für eine potenziell inadäquate Substitution. Eine Einstufung von Schmelz- und Filmtabletten als austauschbar, birgt das Risiko, eine ungeeignete Darreichungsform zu erhalten.

Zu knappes Krankenkassenportfolio. Solange einige Krankenkassen aus ökonomischen Erwägungen nur eine der als austauschbar geltenden Darreichungsformen eines Wirkstoffs unter Vertrag nehmen, ist das Auftreten von arzneimittelbezogenen Problemen wahrscheinlicher als bei breiter aufgestellten Rabattsortimenten.

Nicht gesetztes Aut-idem-Kreuz. Eine inadäquate Versorgung ist auch die Folge einer Arzneimittelverordnung ohne Aut-idem-Kreuz. Auf diesem Wege ließen sich viele Probleme sehr leicht verhindern. Ärztinnen und Ärzte können jedoch nur Sachverhalte berücksichtigen, von denen sie bereits Kenntnis haben oder die ihnen mitgeteilt werden. In diesem Fall war dem verordnenden Arzt weder bekannt, dass eine Substitution mit Wechsel der Darreichungsform möglich ist, noch, dass dieser Wechsel in der Vorgeschichte bei der ­Migränepatientin zu Schwierigkeiten geführt hatte.

Informationsmangel. Arzneimittel werden nicht immer an den Patienten selbst abgegeben, sondern an Angehörige oder Pflegedienste. Wenn der Rezeptüberbringer nicht informiert ist, steht im Moment der Abgabe die wesentliche Information nicht zur Verfügung und kann somit nicht berücksichtigt werden.

Folgekosten. Isoliert betrachtet spart die Substitution Geld, insgesamt können jedoch Folgekosten auftreten: Um sich nach dem durch die Schmelztabletten ausgelösten Erbrechen behelfen zu können, muss die Patientin zusätzlich auf das teurere Triptan-Nasenspray zurückgreifen. Dies kann im vorliegenden Fall durch die Abgabe des verträglichen Arzneimittels vermieden werden.

Die Lösung

Patienten zu Beginn eines akuten Migräneanfalls leiden massiv und sind meist nicht in der Lage für einen Austausch über Fakten, Gründe, Sachzwänge, allgemeine Gleichwertigkeiten von Darreichungsformen und Auffassungen irgendwelcher Institutionen des Gesundheitswesens. Auch der mögliche Ärger über das viel zu knapp gefasste Rabattportfolio der Krankenkasse bringt einem im Moment der Versorgung nicht weiter – weder vor, noch hinter dem Beratungstisch. Es geht einzig und allein um die zügige Versorgung mit einem wirksamen, adäquaten Arzneimittel in der bewährten Darreichungsform. Ein wesentlicher Vorteil in der geschilderten Situation besteht darin, dass die Abholende auch gleichzeitig die betroffene Person ist. Im Moment der Abgabe steht somit die wichtige Information über ein in der Vergangenheit aufgetretenes arzneimittelbezogenes Problem zur Verfügung, und das erneute Auftreten kann leicht verhindert werden.

In einer solchen Situation hat es sich bewährt, die Probleme nicht rhetorisch zu vertiefen (die Apotheke sollte nicht als Teil des Problems auftreten), sondern mit Verständnis auf das Gesagte zu reagieren. Die Situation lässt sich durch die unkomplizierte Abgabe des einzig geeigneten Arzneimittels leicht entschärfen. Allein der Satz „Schmelztabletten schmecken glibberig wie Austern, davon muss ich mich übergeben!“ liefert ausreichend Argumente. Dieser individuellen Erfahrung kann nicht widersprochen werden, die Schilderung der Patientin ist ein offener Hinweis auf die Grenzen der Substitutionsvorgaben und deren individuelle Auswirkungen. Dazu kommt in diesem Fall die Interaktion einer vermeidbaren unerwünschten Arzneimittelwirkung (emetogene Eigenschaft) mit einem vorliegenden Symptom der zu behandelnden Erkrankung (Übelkeit und Brechreiz als Symptome der Migräne). Zu einer schnellen Genesung gehört auch die Vermeidung unnötiger Stresssituationen. Dies ist zudem wichtig, um das gebotene Vertrauensverhältnis Arzt-Patient-Apotheke nicht unnötig zu belasten. Wünschenswert wäre auch die nachgelagerte Kommunikation zwischen der Apotheke und der Arztpraxis, um das Wiederauftreten der problematischen Situation zu verhindern.

Bemerkenswert:

Unverträglichkeit des generisch substituierten Arzneimittels: Schmelztabletten erzeugen Übelkeit.

Risiken der Umstellung. Iatrogenes Erbrechen verhindert die Wirkung des Triptans.

Folgekosten. Einsatz des Triptan-haltigen Nasensprays nach dem Erbrechen nötig, da die Arzneimittelgabe über den Magen infolge des Erbrechens unmöglich ist.

Inadäquate Selbstmedikation. Ausweichbewegung hin zum vermehrten Einsatz von OTC-Kopfschmerztabletten.

Negative Auswirkung auf die Therapietreue.

Gestörtes Vertrauensverhältnis zur Arztpraxis, Krankenkasse und Apotheke.

Schwieriges Beratungsgespräch auch für die psychisch angespannte Patientin; unzumutbare Situationen auf beiden Seiten des HV-Tisches.

Was wäre, wenn ...

… „Sumatriptan T“ verordnet ist und eine mögliche Substitution von der Apotheken-EDV angezeigt wird?

In der EDV werden mögliche Substitute nur auf Basis des identischen Wirkstoffs, dessen Gehalts und als austauschbar angesehener Darreichungsformen in der gegebenen Packungsgröße angezeigt, sowie unter Berücksichtigung der minimal geforderten Indikationsüberschneidungen. Eine Prüfung auf die therapeutische Eignung kann nur in der Klinik, Arztpraxis und der Apotheke durchgeführt werden. Das „T“ steht nicht für eine herkömmliche „Tablette“, sondern für sogenannte „Turbo-Tabletten“. Formulierungen dieser Art enthalten keine Lactose, die Tabletten besonders stabil macht. Stattdessen enthält diese Rezeptur zusätzlich die Sprengmittel Calciumhydrogenphosphat und Natriumhydrogencarbonat für einen beschleunigten Zerfall. Von der beschleunigten Freisetzung können einzelne Patienten profitieren, ebenso ist die Lactose-freie Formulierung geeignet für Lactose-intolerante Patienten. Andererseits können empfindliche Patienten die Zugabe von Sprengmittel nicht immer vertragen. So sollte hier das Augenmerk bei einer Folgeverordnung auf der Verträglichkeit liegen. Wurden die T-Tabletten nicht gut vertragen, kann begründet auf die normale Formulierung zurückgegriffen werden. Andere Patienten hingegen schildern mit der T-Formulierung eine bessere Wirkung. Diese Gründe werden im Beratungsgespräch berücksichtigt und können mithilfe der Sonderziffer 6 individuell gelöst werden. Begründung ist zum Beipiel die Unverträglichkeit des Rabattartikels wegen enthaltener Hilfsstoffe oder die Abgabe der einzig verträglichen bzw. besser wirksamen Sorte.

… Olanzapin-Schmelztabletten einer Firma verordnet sind, aber ein Austausch gegen Filmtabletten eines anderen Herstellers zu prüfen ist?

Einige Krankenkassen haben nur eine einzige Sorte von Olanzapin-Schmelztabletten im Rabattportfolio. Daher kann die Substitution im Einzelfall schwierig sein, denn nicht jeder Patient kann wirksam/verträglich mit Filmtabletten therapiert werden. In der Arztpraxis sind die teils weitreichenden Unterschiede potenzieller Austauschartikel nicht immer bekannt oder im Moment der Verordnung präsent. Einen Austausch, der zu Problemen führen könnte, gilt es zu frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren. Zwei Wege stehen der versorgenden Apotheke zur Verfügung: Zum einen Rücksprache mit der Arztpraxis. In diesem Gespräch wird die Lage kompakt erörtert. Im Zentrum steht die Auswirkung der Substitution auf die Darreichungsform und somit auf den Patienten (Unverträglichkeit, Wirksamkeit, Therapietreue). Sollte diese Argumentation nicht ausreichend wirken, kann auf die Gefahr der verfehlbaren Therapieziele (ein wesentliches Hauptinteresse der Ärzte) eingegangen werden. Ob ein Aut-idem-Kreuz gesetzt wird, hängt stark vom Problembewusstsein, der Offenheit und der Bereitschaft der Arztpraxis ab. Zum anderen kann, primär oder sollte kein Kreuz gesetzt werden, auf die Sonderziffer Nummer 6 zurückgegriffen werden.

… auf dem Rezept Schmelztabletten verordnet sind mit der Dosierungsangabe „½ Tablette zur Nacht“?

Auf den ersten Blick erscheint diese Dosierung irritierend, da hygroskopische Schmelztabletten nicht halbierbar sind. Dosierungsungenauigkeiten wären ebenso die Folge wie eine zu entsorgende zweite Hälfte, da hygroskopische Schmelztabletten unter Zutritt von Luftfeuchtigkeit nicht lagerstabil sind. Bei genauererer Betrachtung kann erkannt werden, dass es neben hygroskopischen auch nicht-hygroskopische Schmelztabletten im Handel gibt (vgl. beispielsweise Zyprexa velotab® vs. Olanzapin Zentiva® Schmelztabletten), welche laut Fachinformation bzw. Aussage des Herstellers halbierbar sind. Patientenberichten zufolge schmelzen diese Tabletten jedoch wesentlich langsamer als hygroskopische Tabletten auf der Zunge. Dies kann auf Psychiatrie-Patienten irritierend wirken und sich somit negativ auf die Adhärenz auswirken. Zudem gilt der Grundsatz, dass Tabletten nur halbiert werden sollen, wenn die benötigte Wirkstärke nicht im Handel erhältlich ist. Bei Olanzapin kommt dies nur bei Zwischenstärken (z. B. 12,5 mg) infrage, da alle anderen Dosierungen auch ohne Halbierung realisierbar sind durch die Auswahl eines geeigneten Fertigarzneimittels in passender Stärke und Darreichungsform. |


Autor

Christian Schulz,

Apotheker aus Hiddenhausen; Medicum-Apotheke Lemgo, Glocken-Apotheke, Bad Salzuflen

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