Aus der Hochschule

Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft

Institut für Geschichte der Pharmazie in Marburg feierte 50. Geburtstag

Vor 50 Jahren wurde in Marburg das bislang einzige Institut für Pharmaziegeschichte im deutschsprachigen Raum gegründet. Grund genug, zu feiern und einen Blick in die Vergangenheit und in die Zukunft zu werfen – was bei einer Festveranstaltung in der Alten Aula der Philipps-Universität ausgiebig geschah.
Fotos: Gerlach-Riehl/FB Pharmazie

Gastgeber und prominente Gäste der Tagung (v.l.): Prof. François Ledermann, Prof. Sabine Anagnostou, Prof. Michael Keusgen, Prof. Christoph Friedrich, Prof. Katharina Krause, Dr. Ulrike Enke, Prof. Florian Steger, Prof. Christa Kletter.

Der Geschäftsführende Direktor Prof. Dr. Christoph Friedrich zeigte gleich zu Beginn, dass er die erste Geige spielt – und zwar nicht nur in seinem Institut, sondern auch in seinem MePHisto-Streichquartett, das gekonnt Variationen zu „Happy Birthday“ darbot. In seiner Begrüßung erinnerte Friedrich daran, dass das Institut seine Gründung der Initiative des bedeutenden Pharmaziehistorikers Prof. Dr. Rudolf Schmitz verdankte. Erfreulich sei, dass der Fachbereich das Konzept für die Zukunft des Instituts, nach dem dieses in enger Verzahnung mit den experimentellen pharmazeutischen Fächern weitergeführt werden soll, unterstützt. Das Institut könne einen echten Beitrag zur Arzneimittelentwicklung leisten, Pharmaziehistoriker könnten aufgrund ihrer Kenntnisse der alten pharmazeutischen Quellen und Literatur in Verbindung mit pharmazeutisch-pharmakologischen Fachkenntnissen der modernen Arzneimittelforschung Impulse geben. Friedrich verwies in diesem Zusammenhang auf den diesjährigen Medizinnobelpreis für die Ent­deckung von Artemisinin als Malaria­mittel: Hier habe auch das Studium alter Quellen eine Rolle gespielt.

Auf spezielle Aspekte machten die Grußwortredner aufmerksam: Die Präsidentin der Philipps-Universität, Prof. Dr. Katharina Krause, sagte, historische Wissenschaften lehrten, dass man auf die Dinge in der Welt eine andere Sicht haben könne, als man heute habe. Als Kunsthistorikerin sieht sie die Apotheker in einer „weltverbindenden Rolle“, da Maler wie Albrecht Dürer ihre Pigmente beim Apotheker kauften. Der Dekan des Fachbereichs, Prof. Dr. Michael Keusgen, verwies u. a. darauf, dass man in Pharmaziegeschichte neben dem Beruf und in ­allen Altersgruppen promovieren kann. Der Vorsitzende der Landesgruppe Hessen der DGGP, Dr. Peter Graepel, erinnerte daran, dass kurz vor der Jahrhundertwende eine Schließung des Instituts gedroht hatte; er hoffe, dass beim nächsten Wechsel des Direktors „uns dieses Trauma erspart“ werde.

Prof. Dr. Christoph Friedrich, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Geschichte der Pharmazie der Philipps-Universität Marburg.

Wirkungen ins Ausland

Der Schweizer Pharmazie- und ­Medizinhistoriker Prof. Dr. François Ledermann erinnerte in seinem Vortrag „Das Institut für Geschichte der Pharmazie der Universität Marburg im Spiegel einer internationalen Betrachtung“ an die vor 30 Jahren unterzeichnete Erklärung von Granada, in der eine Verbreitung und Festigung des Faches „Geschichte der Pharmazie“ an den Universitäten Europas verlangt wurde. Seinerzeit waren nur Deutschland und die iberische Halbinsel Bastionen der akademischen Pharmaziegeschichte, aber nach der Wende besserte sich die Situation auch in Staaten des ehemaligen Ostblocks. Anhand der französischen „Revue d‘Histoire de la Pharmacie“, der amerikanischen „Pharmacy in History“ und der „Communications“ der Internationalen Akademie für Geschichte der Pharmazie zeigte Ledermann auf, welchen Niederschlag die Aktivitäten des Marburger Instituts in der internationalen Fachpresse fanden. Mehrfach erwähnt wurden hier neben den Professoren Schmitz und Friedrich weitere prägende Professoren wie Fritz Kraft, Peter Dilg und Wolf-Dieter Müller-Jahncke. Auch das Standardwerk „Geschichte der Pharmazie“ von Rudolf Schmitz, dessen zweiter Band posthum von Friedrich und Müller-Jahncke herausgegeben wurde, fand mit 13 bzw. 19 Rezensionen in ausländischen Fachzeitschriften rege internationale Beachtung.

Altes Wissen neu entdecken

Prof. Dr. Sabine Anagnostou, die in Marburg promovierte und habilitierte Direktorin der Firma ALIPS, die auf der Basis von historischen Arzneimittelmonografien neue Arzneimittel entwickelt, sprach über das Thema „Historische Potenziale ­nutzen – Pharmaziegeschichte in der modernen Drug Discovery“. Sie zeigte, welche Quellen als Forschungsgrundlage dienen könnten und wo es noch „schlummernde Schätze“ zu entdecken gebe. In Europa war die „Materia medica“ des Dioskurides ungefähr 1500 Jahre lang die zentrale Referenz für Heilpflanzen. Im arabisch-islamischen Raum spielten die Werke des Arztes und Naturforschers Rhazes eine vergleichbare Rolle; schon im Mittelalter fanden sie Eingang in die lateinische Fachliteratur. In der frühen Neuzeit sind als wichtige Quellen u. a. Kräuterbücher, Pharmakopöen, Rezeptsammlungen und seit dem 17. Jahrhundert auch Dissertationen zu nennen.

Während im 19. Jahrhundert die zunehmende Produktion chemisch definierter Substanzen zu einem „Niedergang“ der Arzneipflanzen führte, ist mittlerweile ein neues Interesse an Pflanzen als Wirkstofflieferanten erwacht. Die kritisch-rationale Auswertung historischer Quellen sei daher, so Anagnostou, eine Chance sowohl für die Pharmaziegeschichte als auch für die Drug Discovery. Sie nannte als Beispiele Weihrauch sowie Pflanzen zur Wundbehandlung aus der mittelalter­lichen arabischen Heilkunde.

Auftragsstudien in der DDR

Mit den „Arzneimittelstudien west­licher Pharmaunternehmen in der DDR“ beschäftigte sich Prof. Dr. Florian ­Steger, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seine Arbeitsgruppe ging insbesondere der Frage nach, ­inwieweit klinische Arzneiprüfungen normgerecht durchgeführt wurden. Neben den behördlichen Quellen wertete sie vor allem Studien- und Patientenunterlagen aus. Zwischen 1983 und 1990 wurden 163 Arzneimittel aus dem Westen in der DDR geprüft, wobei die DDR oft nur eines von mehreren Teilnehmerländern war. Motive der DDR-Behörden waren neben wirtschaftlichen Interessen u. a. auch die Einführung neuer Therapien. Am Beispiel des Wachstumshormons Saizen® (Somatropin) konnte Steger darlegen, dass die Einverständniserklärungen der Eltern der behandelten Kinder sowohl dem DDR-Recht als auch den Anforderungen der westlichen Auftraggeber entsprachen. Allerdings wurden den DDR-Bürgern teilweise In­formationen vorenthalten, die sie womöglich in Sorge versetzt hätten. Insgesamt seien, so Steger, bei den bisher analysierten Einzelfallstudien keine systematischen Normverstöße nachweisbar.

Nachlass von Emil von Behring

Ein gemeinsames DFG-Projekt der Marburger Medizinhistoriker und des Instituts für Pharmaziegeschichte stellte Dr. Ulrike Enke in ihrem Vortrag „Fieberkurven und Labornotizen“ vor: die Digitalisierung des Behring-Nachlasses. Emil von Behring, der ­später Professor in Marburg war, hatte 1890 zusammen mit Shibasaburo Kitasato ein Antitoxin gegen Diphtherie entwickelt und damit weltweiten Ruhm und großen Reichtum erlangt. Behring starb 1917, sein Nachlass in Form von knapp 100 Archivkartons mit Laboraufzeichnungen, privaten ­Tagebüchern, Briefen usw. wurde den Behringwerken vermacht, wo er jahrzehntelang lagerte. Nun wurde er nicht nur geordnet, sondern auch digitalisiert und ist auf der Homepage der Philipps-Universität zugänglich. Enke schrieb zu jedem Dokument ein Regest – eine Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte – und erfasste dabei Personen, Daten und Institutionen. Eine originelle Fundstelle aus der Abteilung „Kuriosa“ präsentierte sie zum Schluss: Der „Schutzverband gegen Übergriffe der Abstinenzbewegung“ zitierte Behring folgendermaßen: „Mir war es immer sehr auffallend, wie sehr die Alkoholkonsumenten an körperlicher Leistungsfähigkeit, geistiger Frische, allgemeiner Menschenfreundlichkeit und guter Laune den Abstinenten überlegen waren!“ |

Dr. Christine Ahlheim


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