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Aus der Hochschule
Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft
Institut für Geschichte der Pharmazie in Marburg feierte 50. Geburtstag
Der Geschäftsführende Direktor Prof. Dr. Christoph Friedrich zeigte gleich zu Beginn, dass er die erste Geige spielt – und zwar nicht nur in seinem Institut, sondern auch in seinem MePHisto-Streichquartett, das gekonnt Variationen zu „Happy Birthday“ darbot. In seiner Begrüßung erinnerte Friedrich daran, dass das Institut seine Gründung der Initiative des bedeutenden Pharmaziehistorikers Prof. Dr. Rudolf Schmitz verdankte. Erfreulich sei, dass der Fachbereich das Konzept für die Zukunft des Instituts, nach dem dieses in enger Verzahnung mit den experimentellen pharmazeutischen Fächern weitergeführt werden soll, unterstützt. Das Institut könne einen echten Beitrag zur Arzneimittelentwicklung leisten, Pharmaziehistoriker könnten aufgrund ihrer Kenntnisse der alten pharmazeutischen Quellen und Literatur in Verbindung mit pharmazeutisch-pharmakologischen Fachkenntnissen der modernen Arzneimittelforschung Impulse geben. Friedrich verwies in diesem Zusammenhang auf den diesjährigen Medizinnobelpreis für die Entdeckung von Artemisinin als Malariamittel: Hier habe auch das Studium alter Quellen eine Rolle gespielt.
Auf spezielle Aspekte machten die Grußwortredner aufmerksam: Die Präsidentin der Philipps-Universität, Prof. Dr. Katharina Krause, sagte, historische Wissenschaften lehrten, dass man auf die Dinge in der Welt eine andere Sicht haben könne, als man heute habe. Als Kunsthistorikerin sieht sie die Apotheker in einer „weltverbindenden Rolle“, da Maler wie Albrecht Dürer ihre Pigmente beim Apotheker kauften. Der Dekan des Fachbereichs, Prof. Dr. Michael Keusgen, verwies u. a. darauf, dass man in Pharmaziegeschichte neben dem Beruf und in allen Altersgruppen promovieren kann. Der Vorsitzende der Landesgruppe Hessen der DGGP, Dr. Peter Graepel, erinnerte daran, dass kurz vor der Jahrhundertwende eine Schließung des Instituts gedroht hatte; er hoffe, dass beim nächsten Wechsel des Direktors „uns dieses Trauma erspart“ werde.
Wirkungen ins Ausland
Der Schweizer Pharmazie- und Medizinhistoriker Prof. Dr. François Ledermann erinnerte in seinem Vortrag „Das Institut für Geschichte der Pharmazie der Universität Marburg im Spiegel einer internationalen Betrachtung“ an die vor 30 Jahren unterzeichnete Erklärung von Granada, in der eine Verbreitung und Festigung des Faches „Geschichte der Pharmazie“ an den Universitäten Europas verlangt wurde. Seinerzeit waren nur Deutschland und die iberische Halbinsel Bastionen der akademischen Pharmaziegeschichte, aber nach der Wende besserte sich die Situation auch in Staaten des ehemaligen Ostblocks. Anhand der französischen „Revue d‘Histoire de la Pharmacie“, der amerikanischen „Pharmacy in History“ und der „Communications“ der Internationalen Akademie für Geschichte der Pharmazie zeigte Ledermann auf, welchen Niederschlag die Aktivitäten des Marburger Instituts in der internationalen Fachpresse fanden. Mehrfach erwähnt wurden hier neben den Professoren Schmitz und Friedrich weitere prägende Professoren wie Fritz Kraft, Peter Dilg und Wolf-Dieter Müller-Jahncke. Auch das Standardwerk „Geschichte der Pharmazie“ von Rudolf Schmitz, dessen zweiter Band posthum von Friedrich und Müller-Jahncke herausgegeben wurde, fand mit 13 bzw. 19 Rezensionen in ausländischen Fachzeitschriften rege internationale Beachtung.
Altes Wissen neu entdecken
Prof. Dr. Sabine Anagnostou, die in Marburg promovierte und habilitierte Direktorin der Firma ALIPS, die auf der Basis von historischen Arzneimittelmonografien neue Arzneimittel entwickelt, sprach über das Thema „Historische Potenziale nutzen – Pharmaziegeschichte in der modernen Drug Discovery“. Sie zeigte, welche Quellen als Forschungsgrundlage dienen könnten und wo es noch „schlummernde Schätze“ zu entdecken gebe. In Europa war die „Materia medica“ des Dioskurides ungefähr 1500 Jahre lang die zentrale Referenz für Heilpflanzen. Im arabisch-islamischen Raum spielten die Werke des Arztes und Naturforschers Rhazes eine vergleichbare Rolle; schon im Mittelalter fanden sie Eingang in die lateinische Fachliteratur. In der frühen Neuzeit sind als wichtige Quellen u. a. Kräuterbücher, Pharmakopöen, Rezeptsammlungen und seit dem 17. Jahrhundert auch Dissertationen zu nennen.
Während im 19. Jahrhundert die zunehmende Produktion chemisch definierter Substanzen zu einem „Niedergang“ der Arzneipflanzen führte, ist mittlerweile ein neues Interesse an Pflanzen als Wirkstofflieferanten erwacht. Die kritisch-rationale Auswertung historischer Quellen sei daher, so Anagnostou, eine Chance sowohl für die Pharmaziegeschichte als auch für die Drug Discovery. Sie nannte als Beispiele Weihrauch sowie Pflanzen zur Wundbehandlung aus der mittelalterlichen arabischen Heilkunde.
Auftragsstudien in der DDR
Mit den „Arzneimittelstudien westlicher Pharmaunternehmen in der DDR“ beschäftigte sich Prof. Dr. Florian Steger, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seine Arbeitsgruppe ging insbesondere der Frage nach, inwieweit klinische Arzneiprüfungen normgerecht durchgeführt wurden. Neben den behördlichen Quellen wertete sie vor allem Studien- und Patientenunterlagen aus. Zwischen 1983 und 1990 wurden 163 Arzneimittel aus dem Westen in der DDR geprüft, wobei die DDR oft nur eines von mehreren Teilnehmerländern war. Motive der DDR-Behörden waren neben wirtschaftlichen Interessen u. a. auch die Einführung neuer Therapien. Am Beispiel des Wachstumshormons Saizen® (Somatropin) konnte Steger darlegen, dass die Einverständniserklärungen der Eltern der behandelten Kinder sowohl dem DDR-Recht als auch den Anforderungen der westlichen Auftraggeber entsprachen. Allerdings wurden den DDR-Bürgern teilweise Informationen vorenthalten, die sie womöglich in Sorge versetzt hätten. Insgesamt seien, so Steger, bei den bisher analysierten Einzelfallstudien keine systematischen Normverstöße nachweisbar.
Nachlass von Emil von Behring
Ein gemeinsames DFG-Projekt der Marburger Medizinhistoriker und des Instituts für Pharmaziegeschichte stellte Dr. Ulrike Enke in ihrem Vortrag „Fieberkurven und Labornotizen“ vor: die Digitalisierung des Behring-Nachlasses. Emil von Behring, der später Professor in Marburg war, hatte 1890 zusammen mit Shibasaburo Kitasato ein Antitoxin gegen Diphtherie entwickelt und damit weltweiten Ruhm und großen Reichtum erlangt. Behring starb 1917, sein Nachlass in Form von knapp 100 Archivkartons mit Laboraufzeichnungen, privaten Tagebüchern, Briefen usw. wurde den Behringwerken vermacht, wo er jahrzehntelang lagerte. Nun wurde er nicht nur geordnet, sondern auch digitalisiert und ist auf der Homepage der Philipps-Universität zugänglich. Enke schrieb zu jedem Dokument ein Regest – eine Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte – und erfasste dabei Personen, Daten und Institutionen. Eine originelle Fundstelle aus der Abteilung „Kuriosa“ präsentierte sie zum Schluss: Der „Schutzverband gegen Übergriffe der Abstinenzbewegung“ zitierte Behring folgendermaßen: „Mir war es immer sehr auffallend, wie sehr die Alkoholkonsumenten an körperlicher Leistungsfähigkeit, geistiger Frische, allgemeiner Menschenfreundlichkeit und guter Laune den Abstinenten überlegen waren!“ |
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