Arzneimittel und Therapie

Späte Menopause gut für die Psyche?

Lange Reproduktionsphase wird mit einem geringeren Depressionsrisiko assoziiert

Je später die Menopause und je länger die reproduktive Phase ist, umso niedriger ist das Risiko für eine spätere Depression. Vor allem schwere Depressionen sind seltener. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine Metaanalyse auf Basis eines systematischen Reviews, die 14 Beobachtungsstudien mit knapp 70.000 Frauen auswertete. Besonders eklatant ist das Risiko bei einer Menopause vor dem 40. Lebensjahr (prämature Menopause). Doch die Studie hat zahlreiche Limitationen.
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Endogenen Estrogenen wird ein neuroprotektiver und antidepressiver Effekt nachgesagt. Doch macht es mit Blick auf das Depressionsrisiko im späteren Leben einen Unterschied, ob eine Frau die Menopause mit 44 oder mit 52 Jahren erlebt? Bislang war nicht untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen der Estrogen-Exposition im Verlauf des Lebens und dem Auftreten von Depressionen in der Postmenopause gibt. Diese Frage war Gegenstand eines systematischen Reviews samt Metaanalyse. Untersucht wurde, ob das Risiko einer postmenopausalen Depression vom Zeitpunkt der Menopause oder der Dauer der reproduktiven Phase abhängt [1].

Beobachtungsstudien mit knapp 70.000 Frauen ausgewertet

Nach einer im Januar 2015 durchgeführten MEDLINE-Analyse, die einschlägige Begriffe wie Klimakterium, Depression, Menopause und Stimmungsschwankungen kombinierte, wurden mehr als 12.000 Artikel gefunden. Den strengen Kriterien, die die Reviewer an den Tag legten, hielten 14 Beobachtungsstudien mit insgesamt 67.714 Frauen stand, davon zehn Querschnittstudien und vier Kohortenstudien. Jede Studie wurde von zwei Experten unabhängig voneinander ausgewertet und die Studienqualität anhand der Newcastle-Ottawa-Skala beurteilt. Als Marker für die endogene Estrogen-Exposition wurden der Zeitpunkt der Menopause und die Dauer der reproduktiven Phase (Zeitpunkt der Menopause minus Zeitpunkt der Menarche) herangezogen. Die Diagnose „Depression“ musste entweder klinisch festgestellt oder anhand eines validierten Fragebogens mit definiertem Cut-off-Wert bestimmt worden sein. Zudem mussten die Daten adjustiert sein nach Alter, Hormonersatztherapie (HRT), Bildungsniveau, Rauchen, BMI, prämenopausaler Depression, Familienstand und Parität. Von den 14 eingeschlossenen Studien waren alle auswertbar hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen dem Auftreten einer Depression und dem Zeitpunkt der Menopause, fünf der Studien auch zur Korrelation mit der Dauer der reproduktiven Phase. Die größte Untersuchung, die 62% der ausgewerteten Studienteilnehmerinnen einbrachte, war in beiden Auswertungen vertreten.

Je später die Menopause, je niedriger das Risiko

Von 67.434 Frauen, die mit Blick auf den Zeitpunkt der Menopause ausgewertet wurden, entwickelten 8565 eine postmenopausale Depression. Von 54.715 Studienteilnehmerinnen, die mit Blick auf die Dauer der reproduk­tiven Phase ausgewertet wurden, entwickelten 6591 eine postmenopausale Depression. Dabei bestand eine inverse Assoziation zwischen dem Auftreten einer Depression in der Postmenopause und dem Zeitpunkt der Menopause: Je später die Menopause war, umso niedriger war das Risiko (OR 0,98; p = 0,37). Das galt auch für Frauen, die prämenopausal unter einer Depression gelitten hatten, sowie bei HRT-Nutzerinnen. Auch wenn der Zeitpunkt der Menopause, wie in einigen Studien, als ein Jahr nach der letzten Menstruation definiert wurde, änderte sich am Ergebnis nichts (OR 0,96; p = 0,75). Vor allem schwere Depressionen scheinen häufiger aufzutreten (OR 0,95; p = 0,75). Besonders hoch war die Depressionsrate bei Frauen mit prämaturer Menopause, die anhand von vier Studien (n = 3033) ausgewertet werden konnten. Bei ihnen kommt es bereits vor dem 40. Lebensjahr zu einem Erlöschen der Eierstockfunktion. Sie hatten ein doppelt so hohes Risiko für eine postmenopausale Depression als Frauen, bei denen die Menopause später auftrat (OR 0,49; p = 0,09). Ähnlich waren die Ergebnisse zum Zusammenhang postmenopausaler Depressionen und Dauer der reproduktiven Phase (OR 0,98; p = 0,57), sprich je länger die Fertilitätsphase, umso niedriger das Depressionsrisiko. Auch wenn jeweils die größte Studie aus der Auswertung ausgenommen wurde, wurden vergleichbare Ergebnisse erzielt.

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Wurden Depressionen bisher in psychogene Depressionen, endogene Depressionen und somatogene Depressionen eingeteilt, so hat die aktuelle Forschung die Konzepte zum Großteil widerlegen können. Heute geht man von einem multifaktoriellen Krankheitskonzept aus und orientiert sich an der exakten Beschreibung der Symptome, dem Schweregrad und dem Verlauf der Erkrankung. Zur Pharmakotherapie der unipolaren Depression werden hauptsächlich Antidepressiva eingesetzt. Der Beratungsbedarf ist bei dieser Wirkstoffklasse und Erkrankung bei den Betroffenen und Angehörigen sehr groß. Mehr dazu finden Sie in dem Pharmakotherapie-Beitrag von Kristina Friedland und Olaf Rose in DAZ 2016, Nr. 27, S. 34 oder online unter

www.deutsche-apotheker-zeitung.de → Pharmazie → Klinische Pharmazie-POP → Pharmakotherapie

„Potenziell protektiver Effekt“

Die Metaanalyse legt nach Ansicht der Autoren nahe, dass es einen inversen Zusammenhang zwischen der Exposition mit endogenen Estrogenen – festgemacht am Zeitpunkt der Menopause und der Dauer der reproduktiven Periode – und dem Risiko für eine Depression in der Menopause gibt. Je länger die Exposition ist, umso günstiger. Es bestehe ein „potenziell protektiver Effekt“, so die Autoren der Studie. Umgekehrt erhöht eine kürzere Expositionsdauer das Risiko für eine spätere Depression. Sollte sich dieses Ergebnis auch in prospektiven Studien zeigen, wäre das klinisch relevant. Nach Meinung der Autoren könnten Frauen mit einem erhöhten Risiko für eine Depression identifiziert und entsprechend betreut werden, etwa durch ein psychiatrisches Monitoring und/oder eine Estrogen-basierte Therapie. Nach Einschätzung der Autoren sollte in einem weiteren Schritt geklärt werden, ob Frauen mit früher Menopause von einer präventiven Hormonersatztherapie im Hinblick auf spätere Depressionen profitieren. Bekannt ist, dass exogene Estrogene perimenopausale Depressionen günstig beeinflussen können – nicht dagegen postmenopausale Depressionen. Das spreche für ein „window of opportunity“ während der Perimenopause, in dem sich Estrogene wirksam gegen Depressionen einsetzen ließen. Gleichzeitig räumten die Autoren auch Limitationen der Metaanalyse ein. So wurden etwa in den einzelnen Studien verschiedene Methoden zur Definition „Depression“ herangezogen. Auch andere Ereignisse, die die Dauer der Estrogen-Exposition beeinflussen, wie Schwangerschaft und Stillzeit oder auch die Einnahme oraler Kontrazeptiva, wurden ebenso wenig berücksichtigt wie psychologische Parameter. |



„Depressionen ein endokrinologisches Problem? Dagegen sträube ich mich!“

Dr. Andrea Hocke, Leiterin der Klinik für Gynäkologische Psychosomatik am Zen­trum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde, Universitätsklinikum Bonn

Die Gruppe um Georgkais sieht nach der Datenauswertung von knapp 70.000 Frauen in der Menopause einen Zusammenhang zwischen der Dauer der reproduktiven Phase und dem Risiko schwerer Depressionen in der Postmenopause: Das Risiko ist umso größer, je kürzer die reproduktive Phase ist. Das legt den Schluss nahe, dass die Hormonkonstellation eine entscheidende Rolle spielt. Doch Dr. Andrea Hocke, Leiterin der Klinik für Gynäkologische Psychosomatik des Universitätsklinikums in Bonn, sträubt sich gegen diese Erklärung. Warum, das erläutert sie im Gespräch mit DAZ-Autorin Dr. Beate Fessler.


DAZ: Depressionen gelten als typische Begleiterscheinung der Wechseljahre. Ist das tatsächlich so?

Hocke: Da streiten sich die Gemüter. Aktuelle Daten von Frau Professor Kerstin Weidner von der Dresdner Universitätsklinik für Psychotherapie und Psychosomatik sprechen eher dafür, dass es nicht so ist. Sie konnte mittels einer Befragung von Frauen zwischen 14 und 92 Jahren anhand der „Menopause Rating Scale“ zeigen, dass lediglich Hitzewallungen typische Beschwerden im Klimakterium sind. Psychische Störungen, darunter auch Depressionen, waren in allen Lebensabschnitten etwa gleich häufig. Es gab keinen Peak während der Wechseljahre. Auch ich sehe in meiner täglichen Arbeit mit den Patientinnen keinen Anstieg an Depressionen peri- oder postmenopausal.

DAZ: In der aktuellen, hochrangig publizierten Studie wird ein Zusammenhang zwischen der Dauer der reproduktiven Phase einer Frau und dem Risiko für eine spätere Depression gezeigt: Je länger die Estrogen-Produktion, umso geringer ist die Gefahr. Halten Sie das für abwegig?

Hocke: Wenn man der Studie folgt, handelt es sich beim Risiko für eine Depression im Wesentlichen um ein endokrinologisches Problem. Dagegen sträube ich mich aufgrund anderer Daten und auch aufgrund meiner langjährigen Erfahrungen. Es handelt sich eher um ein sehr komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren, das letztlich in einer Depression münden kann. Es ist sicher nicht von der Hand zu weisen, dass hormonelle Veränderungen bei der Entwicklung einer Depression eine Rolle spielen können, gerade bei einem sehr frühen Eintritt der Menopause vor dem 35. Lebensjahr. Ganz wesentlich tragen aber auch psychosoziale Belastungen zur Entwicklung bei. Diese psychologischen Parameter wurden bei der Auswertung überhaupt nicht berücksichtigt, wie die Autoren selbst einräumen. Gleiches gilt auch für Zusammenhänge mit früheren Schwangerschaften, Stillzeit oder auch begleitende Erkrankungen. Die Aussagekraft der Studie ist daher aus meiner Sicht deutlich eingeschränkt.

DAZ: Estrogene gegen Depressionen sind damit also auch ein „No-go“?

Hocke: So würde ich das nicht formulieren. Gerade Frauen mit früher Menopause, die eine depressive Symptomatik entwickeln, können von einer Estrogen-Therapie profitieren. So kann auch der Einsatz einer rein lokalen Estrogen-Therapie bei Trockenheit der Scheide viel Linderung bringen und somit auch die Psyche wieder stabilisieren. Ich würde aber auch den Einsatz eines Antidepressivums, insbesondere Venlafaxin, in Erwägung ziehen, zumal die Hormonersatztherapie durchaus kritisch gesehen werden muss. Hier sollte man ein offenes Gespräch mit der Patientin führen und sie in die Entscheidungsfindung mit einbeziehen. Aber auch nicht medikamentöse Verfahren wie etwa psychotherapeutische Verfahren oder das Er­lernen von Entspannungsmethoden haben ihren Platz. Gute Erfahrungen mache ich, wenn die Patientin ermutigt wird, sich mit dem Thema Selbstfürsorge und Achtsamkeit auseinanderzusetzen.

DAZ: In der Diskussion ihrer Studienergebnisse regen die Autoren an, Frauen mit einem erhöhten Risiko für eine Depression engmaschig zu überwachen. Was halten Sie davon?

Hocke: Ein prophylaktisches Screening würde ich nicht befürworten. Denn wo soll man da auch angesichts der Häufigkeit von Depressionen in den verschiedenen Lebensphasen und der komplexen Ursachen einer Depression die Grenze ziehen? Das ist aus meiner Sicht sehr theoretisch. Das offene Gespräch mit der Patientin und das gemeinsame Überlegen, wie man Belastungen mit ihren vielfältigen Ursachen lindern kann, erscheinen mir für Frauen in dieser Phase der Veränderung deutlich hilfreicher.

DAZ: Frau Dr. Hocke, herzlichen Dank für das Gespräch!

Quelle

Georgakis KM et al. Association of Age at Menopause and Duration of Reproductive Period With Depression After Menopause: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Psychiatry 2016;73(2):139-149

Apothekerin Dr. Beate Fessler

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