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Aus den Ländern
Kammerfortbildung stillt Bildungshunger
Zum 44. Frühjahrskongress der LAK Baden-Württemberg
Der Frühjahrskongress ist eine feste Größe in der Fortbildungslandschaft Baden-Württembergs und fand in diesem Jahr vor ausgebuchten Reihen statt. Dr. Günther Hanke, Präsident der Apothekerkammer Baden-Württemberg, und Dr. Matthias Fellhauer, wissenschaftlicher Leiter der Veranstaltung (siehe Foto), zeigten sich hocherfreut angesichts des großen und stetig wachsenden Interesses.
Bei Hals-, Nasen-, Ohrenerkrankungen stellt sich die Frage nach mit Evidenz belegten Therapiemöglichkeiten – die Referenten gaben Antwort.
Was tun bei …
… oberen Atemwegsinfekten?
Für die Behandlung von viralen Rhinosinusitiden spielt es meist keine Rolle, welches Virus die Beschwerden ausgelöst hat, erklärte Prof. Dr. Ludger Klimek, Facharzt für HNO-Heilkunde in Wiesbaden. In der Regel verlaufen grippale Infekte selbstlimitierend, die Behandlung ist rein symptomatisch.
Nasenspülungen können empfohlen werden, vorzugsweise in Kombination mit abschwellend wirkenden Sympathomimetika. Bei Beteiligung der Nasennebenhöhlen sollte systemischen Dekongestiva der Vorzug vor lokalen Präparaten gegeben werden; die beste Datenlage hat Pseudoephedrin.
Der Einsatz von nicht-steroidalen Antiphlogistika führt zu einer schnellen Verbesserung von Abgeschlagenheit und Erkältungsschmerzen, bleibt dagegen ohne Wirkung auf Nasensymptome. Als Phytopharmaka kommen standardisierte Präparate mit Myrtol und Cineol infrage. Widersprüchliche Daten existieren zu Echinacea, sodass hier keine Empfehlung gegeben wird.
Virustatika wie Zanamivir und Oseltamivir sind bei banalen Erkältungskrankheiten nicht indiziert, Antibiotika nur in seltenen Fällen. Es gilt die Fünf-/Zehn-Tages-Regel: Akute virale Rhinosinusitiden dauern weniger als zehn Tage. Unter Beteiligung von Bakterien nimmt die Schwere der Symptomatik nach fünf Tagen zu, und die Beschwerden halten länger als zehn Tage an; die Grenze der Selbstmedikation ist dann erreicht.
… Tinnitus?
Beschwerden am Ohr sind mit einem hohen Leidensdruck verbunden. Die Patienten haben Angst vor Hörverlust, Schlaganfall oder akustischen Halluzinationen. Dr. Petra Brüggemann, Leitende Psychologin am Tinnituszentrum der Charité, mahnte eindringlich, diese Patienten besonders behutsam zu beraten und Ängste ernst zu nehmen. Bei Tinnitus sollte auch an organische Erkrankungen (z. B. Allergie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen) und Nebenwirkungen von Arzneistoffen (z. B. Chloroquin) als Ursachen gedacht werden. Ebenso können Veränderungen an Halswirbeln oder Kiefergelenken für akustische Beschwerden verantwortlich sein.
Bei Tinnitus existiert derzeit keine medikamentöse Therapie, deren Wirksamkeit mit Evidenz belegt ist. In der Akutbehandlung werden durchblutungsfördernde Maßnahmen, Calciumantagonisten, Glutamatantagonisten und Glucocorticoide versucht. Off label kommen beispielsweise Antiarrhythmika, Antidepressiva und Muskelrelaxanzien zum Einsatz.
In der Beratung sollte man auf das Anliegen des Patienten hören. Auch ohne Evidenz können Ginkgo-Präparate mitgegeben werden, allerdings mit dem Hinweis auf die schlechte Datenlage, um die Erwartungen zu zügeln.
Oft bleibt nur die Habituation, also das Lernen, mit dem Tinnitus zu leben; dieser Prozess braucht Zeit und kann durch multimodale Therapieansätze unterstützt werden.
… Erkrankungen des Rachens?
Die häufigsten Ursachen für Halsschmerzen sind virale und bakterielle Infektionen. Selten nimmt eine Pharyngitis einen komplizierten Verlauf. Christine Bender-Leitzig ist Apothekerin in Wiesloch und orientierte sich bei ihren Beratungstipps an der sich derzeit in Überarbeitung befindlichen Leitlinie. Bei einer akuten viralen Pharyngitis sind systemische Analgetika indiziert. Ibuprofen hat dabei das beste Nutzen-Risiko-Verhältnis. Lokale Analgetika, beispielsweise Ambroxol oder Lidocain, werden in der aktualisierten Leitlinie wahrscheinlich ebenfalls zu Therapieoptionen der ersten Wahl. Keine Empfehlung wird es mehr für lokale Antiseptika und lokale Antibiotika geben. Eine Antibiose ist nur bei bakterieller Pharyngitis mit Erregernachweis indiziert. Als Mittel der ersten Wahl gelten Penicilline und Cephalosporine. Einseitige Beschwerden können ein Hinweis auf ein Pharynx- oder Larynxkarzinom sein und bedürfen der ärztlichen Abklärung.
Bei einer akuten Laryngitis hilft nur die konsequente Schonung der Stimme. Heiserkeit kann auch eine unerwünschte Arzneimittelwirkung sein, beispielsweise von Arzneimitteln, die mit einem reduzierten Speichelfluss einhergehen.
… HNO-Infektionen bei Kindern?
Vor dem Hintergrund steigender Resistenzraten müssen Antibiotika sparsam und rational eingesetzt werden. Prof. Dr. Johannes Hübner vom Universitätsklinikum München sprach sich klar für das Credo „je weniger, desto besser“ aus. Ein Beispiel für die Folgen eines frühen Antibiotika-Gebrauchs ist der eindeutig belegte Zusammenhang zwischen Antibiotika-Gabe im Kindesalter und dem späteren Auftreten von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen.
Antibiotika sollten grundsätzlich nicht zur „Abschirmung“ gegeben werden, sondern nur nach einem Erregernachweis. Penicilline (Amoxicillin) sind in den meisten Fällen von HNO-Infektionen bei Kindern ausreichend wirksam. Dennoch werden häufig die breiter wirksamen Cephalosporine verordnet, obwohl die Gefahr der Resistenzbildung größer ist. Das gleiche Problem gilt für Azithromycin. Die Canadian Pediatric Society empfiehlt Azithromycin nicht bei akuter Pharyngitis und Otitis media.
Der Nutzen einer Antibiose bei HNO-Erkrankungen ist insgesamt als gering einzustufen: Die Dauer der Symptomatik kann zwar um 18 bis 24 Stunden verkürzt werden, dagegen ist die Verhinderung von Folgekomplikationen (z. B. rheumatisches Fieber) nicht erwiesen.
… Zahnschmerzen?
Mit Prof. Dr. Rainer Hahn, Tübingen, war das erste Mal ein Zahnmediziner als Redner zu Gast beim Schwarzwälder Frühjahrskongress. Zahnschmerzen sind nur selten ein Fall für die Selbstmedikation: Angezeigt sind dreimal täglich 600 mg Ibuprofen. Apothekenpflichtige Analgetika sind in der Regel zu niedrig dosiert.
Zur Basisprophylaxe von Karies wird das zweimal tägliche Zähneputzen mit einer fluoridhaltigen Zahncreme empfohlen. Fluorid ist bei der Zahnreinigung entscheidend: Es fängt Calcium aus dem Speichel und bindet es an der Zahnoberfläche. Auf diese Weise wird der Zahn gegen Demineralisationsprozesse bei Säureeinwirkung geschützt. In Kinderzahnpasten liegt der Fluoridgehalt bei 500 ppm; die Gabe von Fluorid-Tabletten ist obsolet.
Die mit einer bakteriell bedingten Entzündung einhergehende Parodontitis wird nicht durch mangelhaftes Zähneputzen verursacht, sondern ist eine Überreaktion des Immunsystems, bei der sich Bindegewebe und Knochen irreversibel zurückbilden. Sie betrifft jeden Zweiten über 40 Jahre und kann auch die Folge einer Allgemeinerkrankung sein (z. B. Diabetes). Erforderlich ist eine ursachengerichtete Parodontalbehandlung; die Gabe von Antibiotika ist in dieser Indikation obsolet.
Die Kirsche auf der Torte
Zum Abschluss der Veranstaltung nahm der Experimentalphysiker Prof. Dr. Metin Tolan, Technische Universität Dortmund, Verfolgungsjagden und Wodka-Martinis in James-Bond-Filmen unter die Lupe und erläuterte, unter welchen Bedingungen es dem Agenten (un)möglich war, ein Propeller-Flugzeug im freien Fall zu besteigen.
Wer weiterhin Appetit auf Fortbildung hat: Am 2. Juli findet die 3. Freiburger Sommerakademie zum Thema „Metabolisches Syndrom“ statt. Weitere Seminarangebote finden Sie auf der Website der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg und auf DAZ.online. |
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