Arzneimittel und Therapie

Keine Lösung in Sicht

Ein Kommentar von Prof. Dr. med. Fritz Poustka

Prof. Dr. med. Fritz Poustka, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugend­alters, Frankfurt/Main

Verschiedene Arzneimittel, die während der Schwangerschaft den Müttern eingenommen werden, stehen im Verdacht, das Risiko für eine Autismus-Spektrum-Störung beim Kind zu erhöhen. Dazu gehören Antiepileptika [1], Paracetamol [2], Antiasthmatika wie β2-adrenerge Agonisten, sowie Pesti­zide, die im Haushalt angewendet werden wie Imidacloprid [3]. Die Arbeitsgruppe um Castro hat herausgefunden, dass die Behandlung mit Antidepressiva vor der Schwangerschaft mit einer verstärkten Einnahme von Antidepressiva während der Schwangerschaft einhergeht, um nur einige neuere Ergebnisse anzuführen [4]. Aber auch Krankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2 [5] werden mit einer erhöhten Häufigkeit von Autismus-Spek­trum-Störungen in Verbindung gebracht.

Niedrigere Prävalenzrate

Die neue Registerstudie von Boukhris und Kollegen (siehe nebenstehenden Bericht) wurde von King in einem Editorial kommentiert. Zunächst fällt auf, dass die unter pränataler Antidepressiva-Exposition erhöhte Autismus-Prävalenz mit 0,7% niedriger liegt als die meisten Angaben der letzten epidemiologischen Untersuchungen, die von einer Prävalenz von 1% und mehr ausgehen (1,46% aus elf US-Regionen, Daten von 2012 [6]).

Zwei Gründe können für die nied­rigere Prävalenzrate ausschlaggebend sein: Zum einen wurden zu früh geborene Kinder, bei denen per se von einem erhöhten Autismus-Risiko ausgegangen wird, von der Analyse ausgeschlossen. Zum anderen ist diese Registerstudie eher an unteren Sozialschichten orientiert mit einem mutmaßlich höheren Anteil von Kindern mit intellektuellen Beeinträchtigungen. Die erhöhte Rate an Autismus-Spektrum-Störungen nach Antidepressiva-Einwirkung wurde in dieser Studie nur für höher begabte Kinder festgestellt und nicht bei intellektuell behinderten Kindern. Es gibt dafür keine plausible Erklärung. In Deutschland zeigte eine Registerstudie ebenfalls eine niedrigere Prävalenz als epidemiologische Untersuchungen [7]. Registerstudien können nur auf fremde Angaben zugreifen, es fehlen daher Daten zur Überprüfung der Validität der Daten – im Gegensatz zu epidemiologischen Erhebungen.

Eine weitere Limitation der Studie von Boukhris ist, dass keine Komorbiditäten in die Auswertung einbezogen wurden, die häufig zusammen mit einer Autismus-Spek­trum-Störung auftreten, darunter Sozialphobie, Störungen der Aktivität und der Aufmerksamkeit.

SSRI derzeit alternativlos

Ferner erhöht die Einwirkung von mütterlicher Depression an sich ebenfalls die Autismus-Rate der Kinder, sodass ein Verzicht auf Antidepressiva in diesem Zusammenhang schwierig zu bewerten ist. Da selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) anscheinend insbesondere die Autismus-Rate signifikant erhöhen, würde dies dafür sprechen, keine Medikation aus dieser Stoffklasse oder einer anderen Substanz mit agonistischer serotonerger Wirkung bei Depressionen während der Schwangerschaft zu verwenden. Allerdings sind laut Informationen des Pharmakovigilanz- und Beratungszen­trums für Embryonaltoxikologie an der Charité (www.embryotox.de) Citalopram und Sertralin Mittel der Wahl bei Depressionen und Angststörungen in der Schwangerschaft. Besser erprobte Alternativen stehen derzeit nicht zur Verfügung.

Quelle

[1] Wood AG et al. Prospective assessment of autism traits in children exposed to antiepileptic drugs during pregnancy. Epilepsia 2015;56(7):1047-1055

[2] Liew Z et al. Maternal use of acetaminophen during pregnancy and risk of autism spectrum disorders in childhood: A Danish national birth cohort study. Autism Res 2015; doi: 10.1002/aur.1591

[3] Keil AP et al. Autism spectrum disorder, flea and tick medication, and adjustments for exposure misclassification: the CHARGE (CHildhood Autism Risks from Genetics and Environment) case-control study. Environ Health 2014;13(1):3

[4] Castro VM et al. Absence of evidence for increase in risk for autism or attention-deficit hyperactivity disorder following antidepressant exposure during pregnancy: a replication study. Transl Psychiatry 2016;6:e708

[5] Xiang AH et al. Association of maternal diabetes with autism in offspring. JAMA 2015;313(14):1425-1434

[6] Christensen DL et al. Prevalence and Characteristics of Autism Spectrum Disorder Among Children Aged 8 Years – Autism and Developmental Disabilities Monitoring Network, 11 Sites, United States, 2012. MMWR Surveill Summ 2016;65(3):1-23

[7] Bölte S et al. Trends in autism spectrum disorder referrals. Epidemiology 2008;19(3):519-520

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