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Kongresse

Darm, Leber, Pankreas und etwas Politik

Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts im Mittelpunkt des „Winter-Pharmacon“

Stimmungsvoll eingeleitet von einem jungen steirischen Quartett hatte BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer am Sonntag, dem 17. Januar, die Teilnehmer zum zweiten Mal in Schladming ­begrüßt. Das moderne Kongress­zentrum, erst 2011 im Vorfeld der Skiweltmeisterschaft 2013 erbaut, beherbergte neben den Vorträgen auch eine kleine Ausstellung mit Apothekendienstleistern wie Rechenzentren, Softwarehäusern oder Geräteherstellern. | SCHLADMING (jb/wes)
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In seiner Eröffnungsrede sprach Kiefer auch über die aktuellen Entwicklungen in der deutschen Gesundheitspolitik. Neben dem E-Health-Gesetz und dem bisher nicht von Erfolg gekrönten Ansinnen nach Beteiligung der Apotheker bei der Erstellung des neuen Medikationsplans, dem immer wieder konfliktträchtigen Verhältnis zu den (haus-)ärztlichen Kollegen und der Änderung der Bundes-Apothekerordnung ohne Beteiligung der Apothekerschaft erwähnte Kiefer auch die vom Deutschen Apothekertag bereits 2014 geforderte Nutzenbewertung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel – die er zumindest in Form einer „OTC-Ampel“ ablehnt (s. auch „Kiefer erteilt ‚OTC-Ampel‘ eine Absage“, DAZ 2016 Nr. 3, S. 11 und in dieser DAZ-Ausgabe „Keine OTC-Ampel, aber eine Datensammlung auf S. 11).

Same Procedure ...

Wie bereits in den vergangenen zwei Jahren wurde die traditionelle „Berufspolitische Veranstaltung“ des Pharmacon auch 2016 wieder als Podiumsdiskussion veranstaltet. Es diskutierten, ebenfalls wie in den letzten beiden Jahren, BAK-Präsident Kiefer, der (inzwischen) ehemalige Präsident des Schweizer Apothekerverbands PharmaSuisse, Dominique Jordan und der Präsident der Österreichischen Apothekerkammer, Max Wellan – erstmals komplettiert vom Präsidenten der ­Apothekerkammer Südtirol/Bozen, Dr. ­Maximin Liebl.

Und erneut ging es viel um das Medikationsmanagement (für das in Österreich bereits 1000 von 6000 Apothekern die Fortbildung absolviert haben und für das in der Schweiz mit dem Polymedikationscheck bereits die Grundlage gelegt ist), um die Konflikte mit der Ärzteschaft (von der man sich nicht erpressen lassen dürfe, bzw. die doch dem Apothekerberuf nicht seine Zukunft vorschreiben könne, so Jordan) sowie neue Kompetenzen (impfen, diagnostizieren, verschreiben in der Schweiz) bzw. schon länger bestehende Befugnisse (Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne Rezept aufgrund des Notfallparagrafen in ­Österreich). Mit dem Ausbleiben der langersehnten Honorarerhöhung in dieser Legislaturperiode schienen sich die deutschen Kongressbesucher bereits abgefunden zu haben – Nachfragen aus dem Publikum gab es zu diesem Thema nicht. Dafür wurde wieder einmal deutlich, wie emotional das Thema Retaxationen und generell das Verhältnis zu den Krankenkassen inzwischen ist. Als Kiefer – der das aktuelle Gebaren der Kassen als „versorgungsfeindlich“ bezeichnete und von einer „Misstrauenskultur“ sprach – seiner Hoffnung auf eine baldige Verbesserung der Situation durch die Schiedsstelle Ausdruck verlieh, erntete er ein resigniertes „Schlimmer kann sie ja auch nicht werden“ aus dem Publikum. Ein ausführlicher Bericht über die Diskussion ist in der Apotheker Zeitung dieser Woche erschienen (AZ 2016, Nr. 4, S. 1 „Neue Rolle für die Apotheker gesucht“) .

Wie immer stand aber die wissenschaftliche Fortbildung im Mittelpunkt des Pharmacons. Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes waren dieses Jahr das Thema. Sie gehören – vor allem wenn man die Krebserkrankungen und Infektionen der entsprechenden Organe einbezieht – zu den meistgestellten Diagnosen in deutschen Krankenhäusern, lediglich Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden häufiger diagnostiziert. Dieser Umstand, auf den der Apotheker des Freiburger Uniklinikums, PD Dr. Martin Hug, zum Abschluss des Kongresses hinwies, zeigt eindrucksvoll die Bedeutung des diesjährigen Kongress-Schwerpunkts – auch wenn die Beschwerden des Gastro-Intestinal-Traktes oft nur eine Nebendiagnose darstellen und deutlich seltener tödlich enden als kardiovaskuläre Erkrankungen.

Begonnen hatte die einwöchige Fortbildungsveranstaltung mit im wahrsten Sinne des Wortes spannenden Einblicken. Der Hamburger Privatdozent Dr. Siegbert Faiss aus Hamburg zeigte anhand eindrucksvoller Videos und Fotos die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten auf, die die moderne Endoskopie in der Gastroenterologie bietet. Die verschiedenen Verfahren, die zum Teil mit bildgebenden ­Methoden wie Ultraschall kombiniert werden, sind aus der Gastroenterologie nicht mehr wegzudenken, beispielsweise bei der Früherkennung und Therapie des Kolonkarzinoms. Das bestätigte auch Prof. Dr. Ferdinand Riemann, Ludwigshafen, der aufzeigte, welche Rolle endoskopische Methoden bei der Vorsorge wie bei der Behandlung von Polypen und Adenomen spielen. Er warb sehr dafür, die Angebote zur Darmkrebsvorsorge wahrzunehmen und appellierte an die Apotheker, als niedrigschwelliger Ansprechpartner im Gesundheitswesen, die infrage kommenden Patienten ab 55 Jahren auf diese Angebote hinzuweisen. Werden Polypen rechtzeitig erkannt und entfernt, bevor sich ein Tumor entwickelt, bestehen laut Riemann gute Chancen, dass dem Patient ein chirurgischer Eingriff erspart bleibt und ­Polypen minimalinvasiv entfernt werden können.

Macrogole bei Verstopfung erste Wahl

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Macrogole sind für die medikamentöse Therapie der Obstipation das Mittel der Wahl. Sie können bei Erwachsenen, Senioren, Schwangeren und Kindern ab zwei Jahren eingesetzt werden. Dass der Dauergebrauch von Laxanzien die Verstopfung verschlimmert, ist bei sachgemäßer Anwendung ein Mythos.

Apothekerin Dr. Hiltrud von der Gathen

Beratungstipps für die Apotheke

Nicht weniger anschaulich – wenn auch nicht mehr im wörtlichen Sinne – waren die Vorträge zu klassisch pharmazeutischen Beratungsthemen. So räumte Apothekerin Dr. Hildtrud von der Gathen mit Mythen und Legenden zu Obstipation und Laxanzien auf und gab hilfreiche Tipps, wie Verstopfung in Abhängigkeit von Lebenssituation und -alter begegnet werden kann (s. Kasten „Macrogole bei Verstopfung erste Wahl“). Dem gegenteiligen Problem widmete sich dann Prof. Dr. Thomas Weinke, Potsdam, der die Behandlung des Durchfalls als eine „weltweite Herausforderung“ betrachtet. Neben wichtigen Erregern der infektiösen Darmerkrankungen, dem Stellenwert von Hygiene und Antibiotikatherapie war ein Schwerpunkt seines Vortrags die Behandlung und Prophylaxe der Reisediarrhö (s. Kasten „Antibiotika werden bei Reisediarrhö überschätzt“).

Viele Patienten behandeln ihre Magen-Darm-Beschwerden selbst, oft mit pflanzlichen Wirkstoffen. Prof. Dr. Robert Fürst, Frankfurt/M., gab konkrete Empfehlungen zum Einsatz von Phytopharmaka und fasste die Drogen und Extrakte, für die eine klinische Evidenz verfügbar sind, zusammen. Für ihn ist eine evidenzbasierte Empfehlung nur in einigen wenigen, in der Tabelle zusammengefassten Fällen möglich.

Tab. 1: Magen-Darm-Beschwerden, bei denen nach Prof. Dr. Robert Fürst eine evidenzbasierte Empfehlung von Phytopharmaka möglich ist.
Indikation
Droge/Extrakt
Präparat
Übelkeit, Erbrechen
Ingwerwurzelstock-Pulver
z.B. Zintona®
Reizmagen/funktionelle Dyspepsie
Pfefferminzöl-Kümmelöl-Kombination
STW-5
Carmenthin® (früher Enteroplant®)
Iberogast®
Alkoholischer Leberschaden
Mariendistelfrüchte-Trockenextrakt
Legalon®
Dyspepsie/funktionelle Störung der ableitenden Gallenwege
Artischockenblätter-Trockenextrakt
Hepar-SL®
Reizdarmsyndrom
Flohsamenschalen
STW-5
Pfefferminzöl
z. B. Mucofalk®
Iberogast®
z. B. Medacalm®
Colitis ulcerosa, Remissionserhalt
Flohsamenschalen
Myrrhepulver, Kaffeekohlepulver, Kamillenblüten-Trockenextrakt
Myrrhinil®

Der eingangs erwähnte Freiburger Krankenhausapotheker Hug sprach über die „Supportivtherapie bei gastrointestinalen Erkrankungen“ und gab viele praktische Tipps – von der Rezepturherstellung von antiseptischen Lösungen zur Behandlung von Mukositis bis zur Arzneimitteltherapie des Chemotherapie-induzierten Erbrechens, von Beratungstipps bei Durchfall und bis zum Laxanzien-Einsatz bei Verstopfung während einer Zytostatika- oder Strahlentherapie.

Antibiotika werden bei Reisediarrhö überschätzt

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Bei Reisediarrhö kann bei Bedarf eine symptomatische Behandlung mit Loperamid sinnvoll sein. Bei blutigen Durchfällen und Fieber sind Motilitätshemmer allerdings kontraindiziert. Dann haben Antibiotika ihre Berechtigung. Ansonsten wird ihr Stellenwert bei der Reisediarrhö überschätzt. Gar nicht eingesetzt werden sollten Kohle, Tannin und andere Adstringenzien.

Prof. Dr. Thomas Weinke

Noch pharmazeutischer wurde es dann bei Prof. Dr. Werner Weitschies. Der Vortrag des Greifswalder Techno­logen war zwar mit „Der Gastrointestinaltrakt als Ort der Arzneimittel­applikation“ überschrieben und er sprach auch darüber, wie zum Beispiel die Nahrungsaufnahme die Resorption von Arzneistoffen verlangsamen kann. Einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Redezeit verwandte er allerdings auf den „Trend zur Schmelztablette“ und die von vielen Herstellern behauptete Aufnahme des Arzneistoffs durch die Mundschleimhaut. Laut Weitschies werden jedoch nur eine Handvoll Wirkstoffe tatsächlich so resorbiert (z. B. Glyceroltrinitrat, Midazolam, Fentanyl, Buprenorphin, Selegilin, Asenapin und Desmopressin). Alle anderen Wirkstoffe, die in Schmelztabletten ­angeboten werden, werden laut Weitschies nach Verschlucken eben doch aus dem Dünndarm resorbiert. Durch die in der Werbung als großer Vorteil angepriesene Einnahme dieser Tabletten ohne Wasser, könne sich der Wirkeintritt jedoch erheblich verzögern. Weitschies empfiehlt deswegen auch bei Schmelztabletten, die sich im Mund auflösen, immer die Einnahme mit einem großen Glas Wasser. Das Wasser verkürze die Verweildauer im Magen enorm und führe so zu einer schnelleren Resorption aus dem Darm.

Der Chefapotheker der Universität Tübingen, Prof. Dr. Hans-Peter Lipp, wagte sich in seinem Vortrag noch tiefer in pharmazeutisch-wissenschaftliches Territorium vor und stellte die für den Arzneistoff-Metabolismus so wichtigen Cytochrom-P-450-Enzyme der Leber vor. Ohne fundierte Kenntnisse der Pharmakokinetik sei keine Einordnung der (möglichen) Interaktionen und keine Dosisanpassung möglich, so Lipp (s. auch Kasten „Interaktion des Jahres“).

Interaktion des Jahres

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Die gleichzeitige Gabe von Amlodipin und Simvastatin führt zu stark erhöhten Simvastatin-Plasmaspiegeln. Diese Interaktion wird häufig übersehen. Bei einer Therapie mit 10 mg Amlodipin, sollte die Simvastatin-Dosis 20 mg nicht überschreiten. „Das ist für mich die Interaktion des Jahres 2015.“

Prof. Dr. Hans-Peter Lipp

Auch bei Themen, die nicht primär Apothekersache sind, gelang es zumindest einigen Referenten, einen pharmazeutischen Bezug herzustellen. So stellte Prof. Dr. Gerd Bendas, Bonn, in seinem Vortrag über die „Pharmakotherapie der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen“ zwar klar, dass die Therapie selbst Sache des Arztes ist. Er sieht aber eine wichtige Rolle der Apotheker in der Supportivtherapie, bei Ernährungsfragen oder bei der Reiseberatung (s. Kasten „NSAR sind bei CED tabu“).

NSAR sind bei CED tabu

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Der Apotheker kann und sollte nicht direkt in die Therapie und die Anwendung der TNF-alpha-Inhibitoren eingreifen. Dennoch gibt es auch bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) viele Themen mit hoher Beratungsrelevanz. So ist beispielsweise in der Selbstmedikation besondere Vorsicht geboten, NSAR sind bei diesen Patienten tabu.

Prof. Dr. Gerd Bendas

Auch Prof. Dr. Joachim Labenz betonte in seinem Vortrag über „Entstehung und Pharmakotherapie der Leberzirrhose“ die Bedeutung der Betreuung in der Apotheke. So könne beispielsweise die Klage eines Zirrhotikers bzw. eines Angehörigen über nachlassende kognitive Leistungsfähigkeit („Jetzt hat er sich auch noch das Hirn weggesoffen“) ein erster, unbedingt ernstzunehmender Hinweis auf eine beginnende hepatische Enzephalopathie sein, eine häufige Komplikation bei der Leberzirrhose.

Mit der „Mikrobiom-Darm-Gehirn-Achse“ und Nahrungsmittelunverträglichkeiten standen auch zwei brandaktuelle Themen auf der Agenda, die derzeit sowohl in der Fachwelt als auch in der Öffentlichkeit heiß diskutiert werden. Der Grazer Pharmakologe Prof. Dr. Peter Holzer erläuterte anschaulich die aktuellen Erkenntnisse darüber, wie das Darm-Mikrobiom (Holzer: „Bis vor Kurzem hieß das einfach Darmflora“) auf das ZNS einwirkt. Die Hinweise darauf, dass das Mikrobiom Entstehung und Verlauf von psychischen Erkrankungen beeinflusst, nehmen stark zu. Da die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms nicht statisch ist, sondern beispielsweise durch die Ernährung beeinflusst werden kann, könnten sich hier interessante therapeutische und präventive Ansätze ergeben.

Prof. Dr. Martin Smollich, Rheine, der regelmäßig in der DAZ über ernährungswissenschaftliche Themen schreibt, widmete sich den Nahrungsmittelunverträglichkeiten, insbesondere der Lactoseintoleranz, der Fructose-Malabsorption (s. Kasten „Bei Fruchtzucker-Unverträglichkeit nicht auf Obst verzichten“) und der Histamin­unverträglichkeit.

Bei Fruchtzucker-Unverträglichkeit nicht auf Obst verzichten

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Patienten mit einer Fructose-Malabsorption müssen nicht vollständig auf Fructose verzichten, denn sie vertragen in der Regel kleine Mengen Fruchtzucker beschwerdefrei. Ein vollständiger Verzicht auf Obst ist also nicht nur unnötig, sondern ernährungsphysiologisch auch bedenklich. Viel wichtiger als die absolute aufgenommene Fructose-Menge sind Qualität und Zusammensetzung der Mahlzeiten. So wird Fructose beispielsweise besser resorbiert, wenn sie mit Glucose kombiniert eingenommen wird – am besten im Verhältnis 1 : 1 wie in der Saccharose.

Prof. Dr. Martin Smollich

Mehr und jüngere Teilnehmer

Sehr zufrieden zeigten sich die Veranstalter mit der Entwicklung der Teilnehmerzahl. Nach dem Umzug aus der Schweiz nach Österreich waren im vergangenen Jahr bereits rund 700 Apothekerinnen, Apotheker und Pharmaziestudierende zum „Winter-Pharmacon“ gekommen. In diesem Jahr stieg die Zahl nach Angaben der Werbe- und Vertriebsgesellschaft deutscher Apotheker (WuV) um rund fünf Prozent auf 740 Teilnehmer.

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Lesung aus Goethes Faust, Hüttenparty, Nachtrodeln (hier die DAZ-Redaktion in Action) und ein klassisches Konzert: das Rahmenprogramm bot für jeden Geschmack etwas.

BAK-Präsident Kiefer freute sich besonders, dass das Durchschnittsalter der Teilnehmer erneut gesunken sei – und das liege nicht alleine an mehreren Gruppen Pharmaziestudierender, die dank Unterstützung ihrer Universitäten und von Sponsoren nach Schladming kommen konnten.

Die nächste Pharmacon-Fortildungswoche findet vom 22. bis 27. Mai 2016 in Meran, der nächste „Winter-Pharmacon“ vom 15. bis 20. Januar 2017 wieder in Schladming statt. |

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