DAZ aktuell

Neue Bedrohung für freie Berufe

Fremdbesitz an Tierarztpraxen hat begonnen

tmb | Zu den Grundpfeilern der Freiberuflichkeit gehört die Eigenverantwortung. Eine Konsequenz ist das Fremdbesitzverbot. Wenn dieses Prinzip in einem anderen Bereich des Gesundheitswesens aufgegeben wird, verdient dies auch die Aufmerksamkeit der Apotheker. Denn die Folgen können alle freien Berufe treffen. Eine neue Baustelle auf diesem großen Problemfeld ist der beginnende Fremdbesitz bei Tierarztpraxen. Dieser ist in einigen Bundesländern erlaubt und ausländische Ketten sollen bereits Praxen gekauft haben.
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Wem gehört die Praxis? Anders als bei Apotheken gibt es bei deutschen Tierarztpraxen kein bundesweites Fremdbesitzverbot. Ausländische Investoren haben das Potenzial, das hierin für sie liegt, offenbar bereits erkannt.

Im Titelbeitrag der Tierärztezeitschrift „VetImpulse“ vom 15. Januar prognostiziert die Autorin Petra Oehler für 2016 große Veränderungen für die Tierärzte, weil ausländische Unternehmen sich in Deutschland „in großem Stil“ einkaufen würden. Seit knapp einem Jahr würden schwedische Investoren „bisher noch unauffällig und leise“ deutsche Kliniken und Praxen aufkaufen. Das Interesse konzentriere sich auf große Praxen und Kliniken für Kleintiere, weil diese mehr Gewinne versprechen würden als der Nutztierbereich, der gegen eine einflussreiche Landwirtschaftslobby bestehen müsse. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis auch Investoren aus anderen Ländern zugreifen, denn in vielen Ländern seien „Tierarztketten“ selbstverständlich, heißt es in „VetImpulse“. Als Interessenten für den Aufbau deutscher Tierarztketten nennt Oehler die schwedischen Unternehmen AniCura und Evidensia.

Zwei Player aus Schweden

Nach Angaben auf seiner Internetseite verfügt AniCura über 2000 Mitarbeiter in 100 Einrichtungen, von denen acht in Deutschland und Österreich liegen (Stand 23.12.2015), aber die Suchfunktion zeigt die deutschen und österreichischen Standorte nicht an. Immerhin verfügt das schwedische Unternehmen bereits über eine deutschsprachige Internetseite (www.anicura.com/de). Demnach gehört das 2011 entstandene Unternehmen einigen Mitarbeitern, einem Stockholmer Tierkrankenhaus, das als Stiftung arbeitet, und den beiden Finanzinvestoren Fidelio Capital und Nordic Capital.

Evidensia hat keine deutsche Internetseite für das Publikum, wendet sich aber mit einer deutschsprachigen Seite an Tierärzte und ihre Mitarbeiter und bietet Fortbildungen auch in Deutschland an. Nach Angaben auf www.evidensia.se wurde das Unternehmen 2012 gegründet und gehört zahlreichen Mitarbeitern, zwei Stiftungen und dem Finanzinvestor EQT. Dort heißt es, das Unternehmen sei auch in Deutschland und der Schweiz vertreten, aber diese Standorte werden nicht angezeigt.

Gemäß „VetImpulse“ ist in Schweden schon mehr als die Hälfte der Praxen im Fremdbesitz, obwohl diese Entwicklung erst vor fünf Jahren begonnen habe. Als erstes europäisches Land habe Großbritannien 1999 branchenfremde Investoren in Tierarztpraxen zugelassen. Aus diesen Ländern berichtet Oehler, junge Tierärzte würden die Ketten als Arbeitgeber wegen der guten Arbeitsbedingungen und der Fortbildungsangebote schätzen. Problematisch seien jedoch die niedrigen Gehälter, wenn Ketten den Markt beherrschen. Außerdem steuere die Zentrale die Angebote der Praxen und Spezialisten würden außerhalb der Ketten nur noch schwer Überweisungen erhalten.

Regularien in Deutschland

Doch welche Regeln bestehen zum Fremdbesitz an deutschen Tierarztpraxen? Während die Berufszulassung zum Bundesrecht gehört, ist die tierärztliche Berufsausübung in den Heilberufekammergesetzen der Länder geregelt. Nur sofern dort Regelungen bestehen, können diese in den Berufsordnungen der Kammern präzisiert werden. Die entscheidenden Fragen sind dabei jeweils, ob sich Nicht-Tierärzte an einer Praxis beteiligen dürfen und ob sie dann die Kapitalmehrheit erwerben dürfen. Dies ist in verschiedenen Bundesländern unterschiedlich geregelt. Nach Angaben des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte (bpt) gibt es in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland keine Beschränkungen für den Betrieb von ­Praxen als GmbH und keine Einschränkungen für Nicht-Tierärzte. Dort sind Ketten also zulässig. Dagegen bestünden in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Regeln in den Heilberufekammergesetzen und teilweise in den Berufsordnungen, nach denen die Mehrheit der Kapitalanteile bei Tierärzten liegen muss und ein tierärztlicher Geschäftsführer bestellt werden muss. Das sollte den Einfluss durch Berufsfremde immerhin begrenzen.

Anders als bei Apotheken stellt sich allerdings bei Tierarztpraxen die Frage, wie die Kammern diese Vorschriften überhaupt überwachen können. Denn Betriebserlaubnisse müssen nicht erteilt und Verträge über Praxisverkäufe bei keiner Institution vorgelegt werden. Die Kammern sind formal nicht für die Praxen, sondern nur für die Tierärzte zuständig. Die Entwicklung zum Fremdbesitz wirft damit zugleich Fragen zu den Aufgaben und Einflussmöglichkeiten der Kammern auf.

Da Fremdbesitz an Tierarztpraxen zumindest in einigen Bundesländern uneingeschränkt zulässig ist, erstaunt, dass im Beitrag der „VetImpulse“ von deutschen Investoren keine Rede ist. Offenbar nutzen einige deutsche Tierärzte die Rechtsform der GmbH, aber es gibt bisher zumindest keine deutschen Ketten, die durch ihr Marketing in Erscheinung treten. Stattdessen gibt es mit „Smart Vet“ eine Kooperation selbstständiger Tierärzte, ähnlich wie bei Apotheken.

Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die tierärztliche Gebührenordnung. Bereits in der Ausgabe der „VetImpulse“ vom 15. Dezember 2015 beschrieb Oehler diese als „Dorn im Auge der EU“. Die EU betrachte solche Preisvorgaben als Hindernisse für die Dienstleistungsfreiheit. Die EU-Kommission habe daher Vertragsverletzungsverfahren gegen die Gebührenordnungen der deutschen Steuerberater und Architekten und der österreichischen Tierärzte eingeleitet. Langfristig sieht Oehler damit auch die Gebührenordnung der deutschen Tierärzte wanken. Nach Einschätzung von Kennern des Marktes könnte dies wiederum Tierarztketten über Dumpingpreise für Standardleistungen den Markteintritt erleichtern.

Berufspolitische Konsequenzen

In dem Beitrag in der „VetImpulse“ wird allerdings nicht über berufspolitisches Engagement gegen die Zulassung von Fremdbesitz berichtet, sondern es wird nur der politische Druck beklagt, unter dem die Vorschriften immer mehr aufgeweicht würden. Fremdbesitz würde in immer mehr Bundesländern zugelassen, weil ein Vertragsverletzungsverfahren der EU befürchtet werde. Denn Fremdbesitzverbote gelten in der EU als Marktbeschränkungen im Dienstleistungssektor und damit als Verstöße gegen die „Dienstleistungsrichtlinie“ der EU.

Heiko Färber, Geschäftsführer des bpt, erläuterte dazu gegenüber der DAZ, dass Tierärzte in der EU nicht zum Gesundheitsbereich, sondern zu den Dienstleistern gehören würden. Um die Tierärzte stärker für das Thema zu sensibilisieren, macht der bpt die Frage „Übernehmen jetzt Finanzinvestoren die deutschen Tierarztpraxen?“ demnächst zum Gegenstand einer berufspolitischen Diskussion (siehe Kasten). Gegenüber der DAZ äußerte sich Färber besorgt über die drohenden Folgen für alle freien Berufe. Auch wenn die Deregulierung bei Tierärzten auf dem Druck der EU beruhe, könnte dieser auf nationaler Ebene eine politische Stimmung gegen die Freiberuflichkeit stärken, fürchtet Färber. Dies würde dann mittelbar auch andere Berufe wie die Apotheker treffen.

Veranstaltungshinweis

Berufspolitische Veranstaltung des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte (bpt) während der bpt-Fortbildung in Bielefeld: „Segen oder Fluch: Übernehmen jetzt Finanzinvestoren die deutschen Tierarztpraxen?“, Podiumsdiskussion.

Bielefeld, Stadthalle, Willy-Brandt-Platz 1

Samstag, 27. Februar 2016, ca. 17.45 Uhr

Dauer ca. 1,5 Stunden, freier Zutritt zur berufspolitischen Veranstaltung, weitere Informationen unter www.tieraerzteverband.de/fortbildung/bielefeld/2016/berufspolitik.php

Folgen für den Arzneimittelmarkt

Dies ist einer der Gründe, weshalb Apotheker die Entwicklung bei Tierärzten aufmerksam verfolgen sollten. Ein weiterer Grund ist der Zugang, den in- und ausländische Finanzinvestoren über die Tierärzte zum Arzneimittelmarkt auf der Endverbraucherebene erhalten. So könnten Konzerne trotz des bestehenden Fremdbesitzverbots für Apotheken in einem kleinen Marktsegment zu Konkurrenten für Apotheken werden. Bei Tierarzneimitteln werden die Wettbewerber der Apotheken daher künftig wohl nicht mehr nur Tierärzte als freie Heilberufler, sondern auch internationale Konzerne mit entsprechenden Marketingstrategien sein. Gegen solche Wettbewerber dürften Apotheken im Preiskampf bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht bestehen können.

In Verbindung mit dem in Deutschland geltenden tierärztlichen Dispensierrecht dürfte das auch bedeuten, dass in den Kettenzentralen entschieden wird, von welchem Hersteller Tierarztketten substituierbare Arzneimittel einkaufen. Damit wäre auch der Wettbewerb unter den Tierarzneimittelherstellern betroffen, insbesondere in dem großen Markt für Tierimpfstoffe. Auch wenn dies derzeit noch Spekulation ist, drängt sich der Gedanke auf, dass Finanzinvestoren ihre Anteile an Tierarztketten, wenn diese erst einmal etabliert sind, an Arzneimittelhersteller verkaufen könnten. Dann käme zur horizontalen auch die vertikale Konzentration. |

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