Therapien im Gespräch

Paracetamol in aller Munde

Über welche Analgetika im Jahr 2016 diskutiert wurde

rr | Mit Schmerzmitteln verhält es sich schwierig: Entweder sie wirken gut und haben relativ viele Nebenwirkungen, oder sie sind gut verträglich, dafür aber nicht ausreichend wirksam. Paracetamol scheint für letztere Behauptung zum Paradebeispiel zu werden.

Wegen seiner guten Verträglichkeit gilt Paracetamol als ungekrönter Liebling unter den nicht-opioiden Analgetika. Es besteht weder eine Gefahr für Blutungen noch für Ulcera, und auch das Herz wird nicht unnötig belastet. Was kann man sich mehr wünschen? Zum Beispiel eine effektive Analgesie. Der Preis für die gute Verträglichkeit von Paracetamol ist eine schwache, wenn nicht sogar fehlende Wirksamkeit. Seit ein paar Jahren häufen sich Studienergebnisse, die die Sinnhaftigkeit einer Paracetamol-Gabe in einigen Indikationen infrage stellen – gut verträglich hin oder her. 2016 deckte eine Netzwerk-Metaanalyse die Wirkungslosigkeit von Paracetamol bei Arthrose-bedingten Schmerzen auf: Selbst in Dosen bis zu 4000 mg pro Tag, also in maximal zulässiger Dosierung, war Paracetamol Placebo nicht signifikant überlegen (DAZ 13, S. 18). Diese Meldung schaffte es sogar in die Publikumspresse. Therapeuten und Anwender sind enttäuscht, Experten allerdings nicht überrascht: Prof. Dr. Burkhard Hinz, Institut für Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Rostock, erinnerte in diesem Zusammenhang an die vergleichsweise schwache Hemmung der Cyclooxygenase 2 (COX-2), die für die Synthese entzündungsfördernder Prostaglandine verantwortlich ist. Im Vergleich zu Diclo­fenac liegen die Plasmakonzentrationen von Paracetamol, die für eine halbmaximale COX-2-Hemmung notwendig sind, immerhin 478-fach höher. So überraschte es denn auch nicht, dass Diclofenac (150 mg/Tag) in der Netzwerkanalyse als Sieger aus dem Ranking bei Arthrose-bedingten Schmerzen hervorging.

Foto: A_Bruno – Fotolia.com
Wo keine Wirkung, da keine Nebenwirkungen? Das wegen seiner guten Verträglichkeit beliebte Paracetamol steht seit Jahren in der Kritik, in einigen Indikationen nicht ausreichend wirksam zu sein. Eine ausbleibende oder nachlassende Schmerzhemmung erhöht die Gefahr, dass Anwender die Dosis steigern und in lebertoxische Bereiche gelangen. Derzeit wird intensiv nach Prädiktoren für einen Paracet­amol-assoziierten Leberschaden gesucht (DAZ 28, S. 36).

Alle Jahre wieder steht Paracetamol zudem wegen der Auswirkungen seiner Einnahme während der Schwangerschaft am Pranger. Eine prospektive Kohortenstudie mit 7796 Schwangeren ergab in diesem Jahr, dass das Risiko für Verhaltensstörungen und Hyperaktivität bei Kindern erhöht war, deren Mütter während der Schwangerschaft Paracetamol eingenommen hatten (DAZ 34, S. 20). Prof. Dr. Christof Schaefer vom Pharmakovigilanz-Zentrum Embryonaltoxikologie an der Berliner Charité beruhigte die Gemüter: Die Daten wurden auf der Grundlage von Fragebögen erhoben, ohne Angaben zu Dosis und Dauer der Therapie zu machen. Zudem verloren die Ergebnisse ihre Signifikanz, wenn auf potenziell einfluss­nehmende Co-Variablen wie Alter der Mutter, Rauchen und Alkohol adjustiert wurde. Paracetamol ist durchaus kein harmloses Lifestyle-Mittel, bleibt aber weiterhin Mittel der Wahl bei Schmerzen während einer Schwangerschaft.

Katzen sollten definitiv die Pfoten von Paracetamol lassen: Wegen einer Gendeletion der UDP-Glukuronyltransferase können sie Paracetamol nicht verstoffwechseln. Bereits eine halbe Tablette kann für eine ausgewachsene Katze tödlich sein (DAZ 25, S. 50).

Ambroxol gegen Schmerzen

Sechs bis acht Prozent der europäischen Bevölkerung leiden Studien zufolge unter neuropathischen Schmerzen. Typische Analgetika wie NSAR, Paracetamol und Metamizol sind in dieser Indikation nur wenig wirksam. Zur Behandlung kommen Antikonvulsiva (z. B. Gabapentin, Carbamazepin), Antidepressiva (z. B. Amitriptylin, Duloxetin) und langwirksame Opioide infrage. Bei peripheren neuropathischen Schmerzen sind topische Behandlungsansätze eine vielversprechende Option, die jedoch oft nicht hinreichend bekannt ist. Neben Capsaicin, Ketamin und Lidocain kommt auch das Sekretolytikum Ambroxol in 20%-iger Formulierung zur kutanen Anwendung ins Gespräch. Ähnlich wie ein Lokalanästhetikum hemmt Ambroxol Natriumkanäle – allerdings sogar etwa 40-fach stärker als Lidocain. Darüberhinaus ist seine Toxizität vergleichsweise gering. In Fallserien wurde über die erfolgreiche Behandlung von sowohl neuropathischen als auch schweren nozizeptiven Schmerzen berichtet (DAZ 32, S. 46).

Mysterium Metamizol

Bereits seit 1922 ist Metamizol auf dem Markt. Der Mechanismus der schmerzstillenden Wirkung ist jedoch noch immer nicht endgültig geklärt. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) appellierte schon vor sieben Jahren, auf die strenge Indikationsstellung zu achten. Zu den zugelassenen Einsatzgebieten zählen unter anderem Koliken, Tumorschmerzen und akute oder chronische Schmerzen, soweit andere therapeutische Maßnahmen nicht indiziert sind. Also ist Metamizol alles in allem eher etwas für den speziellen Fall. Die stetig steigenden Verordnungszahlen deuten jedoch darauf hin, dass Metamizol auf dem besten Weg ist, ein universelles Schmerzmittel zu werden (DAZ 30, S. 32). So traf es Ärzte, Apotheker und vor allem Anwender besonders hart, als der Generika-Hersteller Zentiva in diesem Sommer sein Novaminsulfon Lichtenstein nicht liefern konnte und auch bei Austauschpräparaten Ebbe im Lager herrschte.

Der Grund, warum man Metamizol nicht blind vertrauen sollte, ist das unberechenbare Risiko für das Auftreten einer Agranulozytose, die mit einer hohen Letalität einhergeht. Prof. Dr. Thomas Herdegen gibt in seinem Pharmako-logisch! Update zum Thema Schmerz allerdings zu bedenken, dass die Inzidenz einer (gemeldeten) Agranulozytose deutlich geringer gestiegen ist als die Verordnungen und die Zahl der Todesfälle zudem seit mehreren Jahren konstant geblieben ist (DAZ 48, S. 47). Angesichts des kardiovaskulären Risikos von nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR), das man bereit ist zu akzeptieren, stellt Herdegen sogar die Frage, ob es nicht Zeit für einen OTC-Switch von Metamizol wäre.

A propos kardiovaskuläres Risiko

Nebenwirkungen von NSAR am Herzen sind vor allem durch eine verminderte glomeruläre Filtration mit Vorlasterhöhung sowie eine Einschränkung der koronaren Durchblutung begründet. Durch die COX-Hemmung werden zwar einerseits weniger Prostaglandine gebildet, die eine Entzündungsreaktion verstärken, andererseits auch weniger Prostaglandine, die die Blutgefäße an Herz und Nieren erweitern. Spätestens seit der Marktrücknahme von Rofecoxib im Jahr 2004 brachte man besonders den selektiven COX-2-Hemmern Misstrauen entgegen. Aber auch Diclofenac darf mittlerweile nicht mehr bei Herzinsuffizienz ab NYHA II oder einer koronaren Herzkrankheit verordnet werden. Heute weiß man, dass die selektive oder präferenzielle COX-2-Inhibition per se mit keinem höheren kardialen Risiko als die unselektive COX-Hemmung einhergeht. Das Risiko ist dosis­abhängig, sinkt allerdings entgegen der allgemeinen Erwartung mit der Einnahmedauer. Am höchsten ist es in den ersten Wochen nach einem kardialen Ereignis und sinkt nach etwa zwölf Wochen dauerhafter Einnahme. Im Zuge weiterer Risikominimierungsmaßnahmen wurde die Firma Pfizer zur Durchführung einer Langzeitstudie verpflichtet, in der das kardiovaskuläre Risiko von Celecoxib evaluiert werden sollte. 2016 wurden die Ergebnisse der sogenannten PRECISION-Studie veröffentlicht: Danach waren sowohl die Gesamtmortalität als auch die Zahl kardiovaskulärer Ereignisse unter Celecoxib seltener als unter Naproxen und Ibuprofen. Folgt man dem Ergebnis, ist Celecoxib vom Verdacht, das kardiovaskuläre Risiko zu erhöhen, freizusprechen, die kardiovaskuläre Sicherheit von Naproxen muss dagegen hinterfragt werden. Herdegen hält die Studie jedoch für unpräzise und in ihrer Aussagekraft nutzlos. Er begründet dies unter anderem mit den auffallend hohen Abbruchraten, der fehlenden Dosis-Äquivalenz und der Auswahl der Studienteilnehmer, von denen die meisten nur ein niedriges kardiovaskuläres Risiko hatten.

Sein Fazit: Das kardiovaskuläre Risiko ist kein Gruppeneffekt der COX-Hemmer oder der Coxibe, sondern eine individuelle Eigenschaft eines einzelnen Wirkstoffs. COX-Hemmer sind nach wie vor die einzigen antiinflammatorischen Analgetika mit hoher Effizienz (DAZ 48, S. 47). |


Tschüss Locabiosol!

Das Fusafungin-haltige Halsspray Locabiosol® ist seit Ende Mai 2016 nicht mehr verkehrs­fähig. Aufgrund eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses, hauptsächlich wegen schwerer allergischer Reaktionen, wurde die Zulassung widerrufen.

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