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Zukunftskongress
Auf der Suche nach der Zukunft
Bericht vom 8. Zukunftskongress öffentliche Apotheke
Was sich in Zukunft nicht ändern dürfe, machte Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, den 400 Kongressteilnehmern deutlich: Der Apothekerberuf muss ein freiberuflicher und unabhängiger Heilberuf bleiben, das Fremd- und Mehrbesitzverbot, der einheitliche Arzneimittelabgabepreis und die einheitlichen Vertragsbeziehungen zu den Krankenkassen müssen erhalten bleiben, „denn anders ist die patientenorientierte Arzneimittelversorgung nicht darstellbar“. Nicht locker lassen dürfe man bei den Forderungen zum Apothekenhonorar: „Eine Anpassung ist mehr als legitim.“ Änderungen bei der BtM-Gebühr und den Rezepturpreisen seien überfällig. Preis stellte heraus, dass die Apotheken nicht der Kostentreiber im Gesundheitswesen seien, im Gegenteil: „Die Apotheken arbeiten effektiv und wirtschaftlich, sie verhelfen den Krankenkassen letztlich zu Einsparungen von über sechs Milliarden Euro. „Die Apotheken sparen mehr als doppelt so viel wie sie dem System kosten“, rechnete Preis vor. Wie leistungsfähig das heilberufliche Apothekensystem sei, habe u. a. die gelungene Umstellung bei der „Pille danach“ gezeigt.
Zu den laufenden Retaxverhandlungen zwischen dem Deutschen Apothekerverband und dem GKV-Spitzenverband appellierte Preis an die Politik: Sollten die Verhandlungen vor der Schiedsstelle scheitern, dann sei die Politik gefordert, Schaden abzuwenden.
Zukunftspreis öffentliche Apotheke
Der Apothekerverband verlieh zum dritten Mal den „Zukunftspreis öffentliche Apotheke“. Ausgezeichnet wurden innovative Apothekenprojekte und -initiativen. Die Preisträger:
1. Preis: Andreas Binninger für seinen Gesundheitsblog Qgenic – der Apotheker als unabhängiger Gesundheitsexperte im Netz.
2. Preis: Gabriele Neumann für die Initiative „Aachener Learning Community zum innovativen Einsatz in der Medikamentenversorgung“.
3. Preis: Dirk Vongehr für die multimedial vernetzte Apotheke.
3. Preis: Jutta Doebel für eine sektorenübergreifende Netzwerkbildung und die Erftstädter Gesundheitstage.
Videoporträts der Preisträger finden sich auf Youtube unter dem Link https://www.youtube.com/channel/UCowKeP9OiKGhaP4wJKV7w
Zukunftsfunktionen des Apothekers
Barbara Steffens, Gesundheitsministerin von Nordrhein-Westfalen, will den Rückgang der Apothekenzahlen differenziert sehen: Vor allem in städtischen Regionen gebe es noch eine hohe Apothekendichte, „nicht alle Apotheken sind notwendig“. Aber im ländlichen Raum müsse man sehr wohl überlegen, wo und welche Apotheken versorgungsrelevant seien. Bisweilen ist die Apotheke für Patienten die erste Anlaufstelle statt des ärztlichen Notdienstes. „Wir brauchen hier eine Versorgungsplanung“, so Steffens, „wir müssen alle Akteure zusammenbringen.“
Nach Auffassung von Steffens haben die Apotheker noch lange nicht die Rahmenbedingungen für eine zukunftsfeste Rolle. So müsse man die Funktionen, die Apotheken übernehmen könnten, neu überdenken, sie sollten zum Beispiel mehr Verantwortung übernehmen: „Der Versandhandel und Pick-up-Stationen sind jedenfalls keine Alternativen.“ Denn die Patientenberatung kann nur „face to face“ stattfinden, „das kann der Versandhandel nicht“.
Als wichtiges Zukunftsthema für die Apotheke sieht die Gesundheitsministerin die Arzneimitteltherapiesicherheit. Viele Patienten bekämen zu viele Arzneimittel verordnet. Apotheken könnten über AMTS-Maßnahmen dazu beitragen, dass den Patienten weniger verordnet werde, was allerdings nicht zulasten der Apotheken gehen dürfte. Es sei besser, wenn die Krankenkassen einen fairen Preis für weniger Arzneimittel bezahlten als dass sie versuchten, über Abschläge und Nullretaxationen als Kostendrückmechanismus, der illegitim sei, die Kosten zu drücken. Instrumente wie Nullretax, so die Ministerin, dienten nur dazu, die Kosten zu senken.
„Über das E-Health-Gesetz bin ich zutiefst enttäuscht“, bekannte Steffens. Sie hätte es befürwortet, wenn der Patient entscheiden könnte, ob er seinen Medikationsplan vom Arzt oder Apotheker bekomme. In der jetzigen Form sei der Medikationsplan „nur die halbe Wahrheit, weil nicht alle Arzneimittel drauf sind. So ist der für die Tonne“, machte die Ministerin deutlich. Für sie hätte der Apotheker der Lotse sein sollen. Aber: „Nach der Reform ist vor der Reform, wir streiten weiter dafür.“ Und sie fügte hinzu: „Wenn der Apotheker beim Medikationsplan und -management berät, muss das honoriert werden.“ Nicht alles sei schon im heutigen Beratungshonorar enthalten.
Sie sei froh darüber, dass die Freigabe der „Pille danach“ und die Umsetzung in den Apotheken gelungen sei. Und sie dankte den Apotheken auch für deren Einsatz und Hilfe bei der Versorgung der Flüchtlinge.
Treiber Digitalisierung
Der Wandel der Kundenbedürfnisse, der exponentielle Zuwachs des Wissens und die verschwimmende Grenze zwischen Krankheit und Gesundheit werden die Gesundheitsmärkte der Zukunft beeinflussen. Trendforscher Michael Carl von der Denkfabrik „2b ahead Think Tank“, der im Auftrag des Apothekerverbands Nordrhein eine Trendstudie anfertigte, sieht in den Daten eine „Leadfunktion“. Computer seien in wenigen Jahren soweit, sogar menschliche Emotionen zu erfassen und einfache Gedanken zu entwickeln. Schon heute könnten Rechner Diagnosen erstellen.
Für die Zukunft der Apotheken sieht Carl zehn Treiber: die All-Verfügbarkeit der Daten, Krankheit und Gesundheit verschwimmen, der Verlust der Deutungshoheit, der Gesundheitsmarkt wird ein Kundenmarkt, ein neues Bild von Praxis und Apotheke, neue Player auf dem Gesundheitsmarkt, Möglichkeiten der Diagnostik, veränderte Beratungssettings, adaptive Produkte und der demografische Wandel. Der Trendforscher rät den Apotheken, die Zukunft selbst zu gestalten. Seine Empfehlungen an die Apotheker: „Aus Patienten werden Kunden – besetzen Sie die Mitte! Seien Sie digital sichtbar – auf jedem Display des Kunden. Investieren Sie mehr in Ihre IT als in Ihre Verkaufsräume! Machen Sie sich anschlussfähig an die Daten Ihrer Kunden. Bilden Sie Netzwerke und bieten Sie Ihren Kunden damit Mehrwert. Spezialisieren Sie sich in Ihren Netzwerken. Zeigen Sie Kompetenz: Übernehmen Sie eine strukturierende Führungsaufgabe.“
Als Apothekenszenarien der Zukunft sieht Carl nach wie vor die Vollapotheke, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Aber auch die Apotheke, die in Medizinischen Versorgungszentren integriert ist, oder die digitale Apotheke, die spezialisiert ist auf den (Online-)Dialog mit dem Patienten, sind Zukunftsmodelle. Außerdem könnten die Pflege-Apotheke, bei der die Betreuung der Arzneimitteltherapie im Vordergrund steht, oder sogar der Apotheker ohne Apotheke, der als Gesundheitscoach arbeitet, hochqualifiziert und topvernetzt, Zukunftsmodelle sein.
Zukünftige Herausforderungen
Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung versuchte eine Podiumsdiskussion auszuloten. Eine dieser Herausforderungen sei der Fachkräftemangel, so Thomas Preis. Über die Hälfte aller Apothekerinnen und Apotheker in Nordrhein-Westfalen ist über 51 Jahre alt. Und junge Pharmazeuten entschieden sich zunehmend gegen den Arbeitsplatz Apotheke. Wie Gesundheitsexperte Prof. Dr. Gerd Glaeske anmerkte, seien die jungen Apotheker oft enttäuscht von der Apotheke, sie könnten nicht anwenden, was sie gelernt haben. Dr. Peter Potthoff, KV Nordrhein, sieht in der Entscheidung des Nachwuchses gegen die Apotheke eine Folge der Rahmenbedingungen, geprägt durch die Krankenkassen; als Stichworte nannte er Rabattverträge und Nullretax. Nachwuchsprobleme gebe es auch bei den Ärzten, immer weniger wollten Hausarzt werden. Ob die Patienten mit der hausärztlichen Versorgung zufrieden sind, konnte Dirk Meyer, Patientenbeauftragter in NRW, nicht sagen, hier gebe es keine validen Daten. Bei ihm kämen eher Beschwerden über den Bereich der Fachärzte an.
Zu den kommenden Herausforderungen gehören auch Medikationsplan und -management. Aus Sicht des Patientenbeauftragten Meyer hätte dies eine gemeinsame Aufgabe von Arzt und Apotheker sein sollen. Man werde verfolgen, wie es unter den gegebenen gesetzlichen Vorgaben läuft, wenn der Arzt alleine den Medikationsplan ausstellt.
Glaeske rief die Apotheker dazu auf, proaktiv auf ihr Können aufmerksam zu machen. „Wenn Apotheken diese Beratungsaufgaben wollen, kann man sie eigentlich nicht umgehen.“ Dass man sie nicht berücksichtigt hat, zeige aber, dass hier etwas schiefgelaufen sei. Er wünschte sich mehr Überzeugungsarbeit der Apotheker. Wenn die ABDA sage, man brauche die evidenzbasierte Pharmazie nicht, „dann verstehe ich das nicht“, so Glaeske.
Eine stärkere Kooperation von Arzt und Apotheker befürwortete auch Potthoff, aber sie müsse strukturiert sein. Und der Patientenbeauftragte Meyer schätzt durchaus die Beratung in der Apotheke, ergänzend zum Arzt. Er wünsche sich, dass Apotheken nicht wie Parfümerien aussähen, sondern schon im Erscheinungsbild Kompetenz in Pharmazie widerspiegeln. Preis unterstrich, dass Apotheken in der Beratung eine starke Position haben und weiterhin überlegen, wie sie den Arzt entlasten können. Zum Beispiel beim Check auf Interaktionen, so Glaeske. Die Apotheker müssten vorgeben, was für die Versorgung notwendig sei und damit Druck auf die Politik ausüben.
Licht und Schatten
Zahlen zur wirtschaftlichen Situation der Apotheken stellte Dr. Eckart Bauer, ABDA-Abteilungsleiter Wirtschaft und Soziales, vor. Die Apothekenzahl sinkt weiter, die Zahl der Beschäftigten in der Apotheke jedoch steigt. Die betriebswirtschaftliche Situation der durchschnittlichen Apotheke hat sich kaum verbessert. Aktuelle Trends verheißen jedoch ein Umsatzwachstum durch die Morbiditätsentwicklung (mehr Rx), durch die demografische Entwicklung und durch Konzentration. Die öffentliche Apotheke bleibt die vertrauenswürdige Bezugsquelle von Arzneimitteln und kompetente niederschwellige Anlaufstation für Fragen zur Medikation.
Schatten fallen auf die Arzneimittelpreisverordnung als dem wirtschaftlichen Fundament der Apotheke. Für die politischen Forderungen nach Anpassung des Festzuschlags, der Erhöhung der BtM-Gebühr (auf 2,94 Euro), einem Festzuschlag für Rezepturen (8,35 Euro) und einer Erhöhung des Not- und Nachtdienstzuschlags um 20 Cent sieht es nicht gut aus. Bauer: „In dieser Legislaturperiode gibt es wenig Indizien, dass die BtM-Gebühr und der Rezepturzuschlag noch angefasst werden.“
Alles sicher
Mit dem Securpharm-System setzen Pharmaindustrie, Großhandel und Apotheken in Deutschland die EU-Fälschungsrichtlinie um. Derzeit befindet sich das System, mit dem jede Rx-Arzneimittelpackung in Europa über einen 2D-Datenmatrixcode eindeutig verifiziert werden kann, im Aufbau. Auf der Herstellerseite sind bereits 32 Unternehmen registriert, 190 Produkte tragen den Datenmatrixcode, beim Großhandel ist bisher ein Unternehmen mit 21 Niederlassungen dabei und rund 400 Apotheken sind beim Praxistest beteiligt. Dr. Reinhard Hoferichter, Sprecher des Lenkungsausschusses Securpharm, ist jedoch überzeugt, dass die Zielvorgabe der EU erreicht wird: Am 9. Februar 2019 soll Securpharm startklar sein und alle Akteure (ca. 500 Hersteller, 20.000 Apotheken, 20 Großhändler und 500 Krankenhäuser) an Bord haben. Securpharm soll dann als deutscher Baustein in das europäische Netzwerk zum Schutz vor Arzneimittelfälschungen integriert sein.
Die EU-Kommission bestätigte das Securpharm-Konzept, die delegierte Verordnung zur Umsetzung für Sicherheitsmerkmale auf der Verpackung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wurde am 9. Februar 2016 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.
Hoferichter ist überzeugt, dass es richtig war und ist, eine Fälschungsrichtlinie zu verabschieden. Sie kann zwar nicht das Fälschungsproblem der illegalen Vertriebswege lösen, aber sie kann vor Fälschungen in den legalen Vertriebswegen schützen. Hier haben, so Hoferichter, die Fälschungen in den letzten Jahren deutlich zugenommen.
Für die Apotheken wird die Überprüfung der Arzneimittelpackungen keinen nennenswerten Mehraufwand bedeuten: Die Verifizierung der Packung erfolgt bei der Abgabe durch Scannen des 2D-Datenmatrixcodes, ein Vorgang, der in Sekundenschnelle erfolgt. Hoferichter empfiehlt den Apotheken, die Echtheit der Packungen zusätzlich bereits beim Wareneingang zu verifizieren: „Die doppelte Verifizierung schafft eine entspannte Situation für die Apotheke.“ Da der neue Datenmatrixcode neben der Produktnummer und einer Seriennummer auch die Charge und das Verfalldatum enthält, können über den Code Charge und Verfalldatum in das Warenwirtschaftssystem übernommen werden.
Hoferichter appellierte an Hersteller, Großhändler und Apotheken, die Einrichtung der erforderlichen IT-Infrastruktur nicht zu unterschätzen und schon jetzt damit zu beginnen. Die Hauptkostenlast der Umsetzung tragen die Hersteller. Die Mehrkosten dürften etwa drei bis sechs Cent pro Packung betragen. |
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