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Praxis
„Kehl bringt’s“ – dank Apotheken
Warum Apotheken in Kehl einen Lieferdienst machen
Verkehrsstaus, Baustellen, Engpässe – die Stadt Kehl, die „deutsche Seite von Straßburg“, muss sich seit mehreren Monaten damit abfinden. Ein Grund: Straßburg verlängert seine Straßenbahnlinie über den Rhein nach Kehl. Der erste Bauabschnitt der Linie soll noch in diesem Frühjahr eröffnet werden. Und bis Ende nächsten Jahres soll die Tram bis zum Rathaus von Kehl fahren. „Schöne Aussichten“, freut sich Stadt-Apotheker Gerald Albrecht, „aber bis dorthin werden wir in der Innenstadt noch mit vielen Staus und Baustellen zu kämpfen haben.“
Kunden aus dem Internet zurückholen
Baustellen und Verkehrschaos einerseits, Abwanderung andererseits waren auch die Gründe dafür, dass sich der Einzelhandelsverbund von Kehl (CityForum) mit der Stadtmarketing- und Wirtschaftsförderungs-GmbH von Kehl zusammengesetzt und überlegt haben, wie man den Einzelhandel der Stadt beleben könnte. Mehrere große Kehler Einzelhändler suchten in einem zweitägigen Workshop nach Antworten auf die Frage: „Wie können wir die Menschen aus dem Internet zurückholen und dazu bewegen, wieder stärker vor Ort einzukaufen und weniger im Internet zu bestellen“, so Apotheker Albrecht. „Unsere Idee war unter anderem: Warum nicht einen regionalen Lieferservice vor Ort auf die Beine stellen? Der Einzelhändler könnte dem Kunden anbieten, die Ware, die er telefonisch bestellt hat oder die im Geschäft gerade nicht vorrätig ist, nach Hause liefern zu lassen.“ Diese Idee griffen die drei Kehler Apotheken auf, die im CityForum aktiv sind: die Hanauerland-Apotheke, Rohan’s Anker-Apotheke und die Stadt-Apotheke von Gerald Albrecht. „Wir Apotheken haben einen perfekt funktionierenden Lieferservice“, so Albrecht, „warum sollten wir nicht die Waren der übrigen Einzelhändler mit ausliefern, zumal wir auch in den Umkreis von Kehl fahren? Die Idee fand guten Anklang, wir ließen ein Logo und den Slogan ‚Kehl bringt’s‘ entwickeln.“
In der Praxis sieht es dann so aus: Nimmt der Kunde das Angebot des Einzelhändlers an, seine Ware nach Hause liefern zu lassen, bringt das beteiligte Geschäft die verpackte Ware zu einem Elektronikfachmarkt, der als Drehkreuz fungiert und für die Zwischenlagerung Lagerfläche zur Verfügung stellt. Sind die Päckchen bis 12 Uhr dort eingetroffen, werden sie am gleichen Tag von den Botendienstfahrzeugen der beteiligten Apotheken abgeholt und ausgefahren. „Waschmaschinen und große Möbelstücke fahren wir natürlich nicht durch die Gegend“, schränkt Albrecht den Lieferservice ein, „wir haben eine feste Gewichtsobergrenze von 15 kg festgelegt.“ Die Apotheken wechseln sich beim Lieferdienst monatlich ab.
Für den Lieferservice bezahlt der Kunde beim Einzelhändler 2,99 Euro, von denen 1 Euro an den Fachmarkt für das Handling und 1,99 Euro an die beteiligten Apotheken gehen sollte. Damit stand ein erstes Konzept für den Lieferdienst fest.
Und was sagte die Behörde?
„Allerdings war mir wichtig“, gab Albrecht zu bedenken, „dieses Konzept, bei dem Apotheken eine Art Lieferdienst betreiben, von offizieller Seite absegnen zu lassen. Ein Anwalt, der mögliche Probleme mit dem Berufsrecht sah, empfahl mir, beim zuständigen Regierungspräsidium abzuklären, wie dort diese Idee beurteilt wird.“
Albrecht machte in seinem Schreiben an die Behörde klar, dass die beteiligten Apotheken dem Konzept „eine Starthilfe“ geben und das Liefern anfangs als reine Gefälligkeitsarbeit übernehmen wollten. Sollte sich diese Idee gut entwickeln, könnten das die Apotheken später nicht mehr alleine stemmen und man müsste eh einen professionellen Lieferdienst aufbauen. Sollte es von den Kunden dagegen nicht angenommen werden, dann könnte man den Dienst wieder einstellen – ohne große Investitionen getätigt zu haben.
Eine Frage des Präsidiums war auch, ob da etwa ein Liter Frischmilch neben Arzneimitteln lagere. Diese Sorge konnte er allerdings zerstreuen, da von „Lagern“ nicht die Rede sein könne. Worauf das Regierungspräsidium besonderen Wert legte: „Es darf bei diesem Dienst nach außen kein Zusammenhang mit der Apotheke erkennbar sein“, erinnert sich Albrecht, „das bedeutet, der Apothekenfahrer darf sich nicht als Apothekenbote beim Kunden vorstellen. Da unsere Apothekenautos nicht mit dem Apotheken-Logo beklebt sind, sondern nur Magnetschilder haben, können wir die Apothekenschilder gegen die neuen Kehl-bringt’s-Schilder austauschen.“
Warum die Apotheke nicht mit dem Lieferdienst in Verbindung gebracht werden darf: „Weil Apotheken nur apothekenübliche Waren vertreiben dürfen, war die Antwort der Behörde“, so Albrecht. „Unsere Argumente, dass das Apothekenauto doch nur als Lieferfahrzeug fungiert, dass die Ware nicht zur Apotheke angeliefert wird, sondern zu einer Lagerhalle des Elektronikfachmarkts, dass es nur ein fest verschlossenes Päckchen ist, das transportiert wird – es half nichts, diese Argumente liefen ins Leere. Also akzeptierten wir diese Auflagen – und das Regierungspräsidium stimmte zu.“
Und die Kammer?
„Wir freuten uns über das O. K. des Regierungspräsidiums, aber auch die Landesapothekerkammer galt es zu informieren, die ich umgehend anrief und von unserem Lieferdienst-Projekt in Kenntnis setzte“, fügt Albrecht hinzu. „Die Antwort von dort: Das ginge aber nicht so einfach, es könne Probleme mit dem Berufsrecht geben“, berichtet der Stadt-Apotheker über seinen Kontakt zur Kammer, „ich möge doch bitte den Schriftverkehr mit dem Präsidium einreichen. Letztlich half uns die Darstellung, dass wir nur eine Hilfestellung und Starthilfe für diesen Dienst bieten und dass die Apotheken nach außen nicht in Erscheinung treten.“
Was die drei Apotheken zusätzlich anboten: „Wir Apotheken hätten am Monatsende jedem Teilnehmer eine Rechnung über unseren Anteil an der Liefergebühr erstellen müssen“, so Albrecht, „aber dies ist bei der derzeit noch geringen Auslastung mit verhältnismäßig großem Aufwand verbunden. Deswegen haben wir uns dazu entschlossen, die 1,99 Euro in einen großen Topf wandern zu lassen. Und am Jahresende werden die Apotheken das dann medienwirksam einem caritativen Zweck zuführen.“ Im Gesamten war das Projekt dann auch für die Kammer akzeptabel.
Eine Frage des Images
Mittlerweile rufen Apotheken aus anderen Städten in den drei Apotheken an, die sich für dieses Modell interessieren: „Wir haben schon viel positive Resonanz erfahren“, freut sich Albrecht, „aber wir hatten auch schon erste kritische Reaktionen aus der Kollegenschaft: ‚Natürlich, die Apotheken machen’s wieder kostenlos‘.“
Derzeit sind zehn Einzelhändler beteiligt, Albrecht geht allerdings davon aus, dass sich diesem Dienst bald noch mehr Geschäfte anschließen werden: „Die Geschäfte haben unser Logo ‚Kehl bringt’s‘ als Aufkleber im Schaufenster, wir als Apotheken allerdings nicht, da wir ja den Botendienst für Arzneimittel für unsere Kunden als kostenlosen Service anbieten, ohne 2,99 zu verlangen.“ Der Stadt-Apotheker ist überzeugt: „Für uns ist es einfach eine nette Image-Geschichte, hier mitzumachen. Außerdem profitieren wir natürlich stark von einem erfolgreichen Einzelhandel und damit einer wachsenden Belebung der Innenstadt.“
Aber ist nicht aufgrund der behördlichen Auflagen, sich als Apotheke namentlich zurückzuhalten, die Imagewirkung gering? Auf dem liefernden Auto darf sich kein Hinweis befinden, dass der Dienst mit Apothekenunterstützung läuft. „Aber es spricht sich natürlich herum, dass drei teilnehmende Apotheken den Lieferdienst im monatlichen Wechsel ausführen – so können wir unseren Einsatz für das Stadtmarketing zeigen“, ist Albrecht überzeugt.
„Same day delivery“
Nach einigen Tests ist der Lieferdienst offiziell im Februar an den Start gegangen. Albrecht hofft, dass dieser Dienst dem Online-Handel etwas entgegensetzen kann, nämlich die Lieferung am gleichen Tag: „Das, was Amazon und Co. in den meisten Regionen noch nicht schafft, geschweige denn für 2,99 Euro: same day delivery. Wenn jemand bis zwölf Uhr bestellt, wird die Ware schon am gleichen Tag zwischen 16 und 18 Uhr geliefert. Damit sind wir besser als die großen Online-Händler“, betont Albrecht. Ganz wichtig: An der Haustüre findet kein Geldtransfer statt. Der Kunde bezahlt seine Waren und die Gebühr im Geschäft bzw. auf Rechnung: „Unsere Fahrer kassieren nicht an der Haustüre.“
Das Einzugsgebiet für diesen Dienst ist das PLZ-Gebiet Kehl und einige Nachbardörfer im Umkreis von etwa 10 km. Ein weiter entferntes PLZ-Gebiet wird nur einmal in der Woche, freitags, angefahren. „Nach Frankreich wird nicht geliefert, es wäre zu kompliziert und mit zu viel Bürokratie behaftet, wenn man ins Nachbarland liefern würde, auch wenn es nur ein paar Meter entfernt ist“, weiß Albrecht.
Wie ist die Nachfrage nach dem Lieferdienst? „Noch nicht sehr stark, aber das liegt natürlich daran, dass er sich noch nicht herumgesprochen hat.“ Aber Albrecht ist zuversichtlich: „Wenn wir demnächst groß in die Werbung gehen, werden die Kunden den Dienst nachfragen. Die 2,99 Euro Gebühr sind kein Thema für die Kunden, wie die Testläufe gezeigt haben. Sollte der Dienst explodieren, die Nachfrage riesig werden, dann wird es die Stadt Kehl selbst in die Hand nehmen mit eigenen Fahrern und wir ziehen uns zurück.“ |
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