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Beratung

Bye-bye, PPI

Protonenpumpenhemmer und die Probleme des Deprescribings

Wenn man nach einem Paradebeispiel für ein Deprescribing sucht, also dem achtsamen „Wegstreichen“ oder „Kürzen“ einer unnötigen oder schädlichen Verordnung zum Wohle des Patienten, wird man schnell bei den Protonenpumpenhemmern (PPI) fündig. Durchblättert man Medikationspläne von Patienten, findet man in den meisten Fällen Pantoprazol & Co.. Leider werden sie oft unbegründet eingesetzt oder sie sind nach kurzer Zeit nicht mehr indiziert. Dennoch sind Protonenpumpenhemmer heimlicher „Liebling“ der Patienten, und kaum jemand möchte trotz Polymedika­tion – oder gerade deswegen – auf seine „Magenschutz-Tabletten“ verzichten. Das Absetzen einer potenziell inadäquaten PPI-Medikation ist jedoch leichter gesagt als getan. Es kann zu irritierendem Säurerebound führen, der zum Rückfall in alte Einnahmemuster ermuntert. Warum aber werden PPI unreflektiert eingesetzt? Welche Strategien zum sorgfältigen Absetzen gibt es und welche Hinderungsgründe? | Von Verena Stahl

Wie bei kaum einer anderen Wirkstoffgruppe vollzog das Verordnungsvolumen in den letzten Jahren eine so steile Entwicklung wie bei den Protonenpumpenhemmern. Zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wurden 2015 mehr als dreimal so viele Tagesdosen verordnet wie noch zehn Jahre zuvor (siehe Abbildung 1) [1]. Und auch im Barmer Arzneimittelreport 2017 belegen Pantoprazol und Omeprazol Spitzenplätze unter den am häufigsten verord­neten Wirkstoffen der Hausärzte und hausärztlich tätigen Internisten [2]. Pantoprazol steht dabei mit knapp über einer Million behandelter Versicherter der Barmer auf Rang 1 – noch vor Ibuprofen mit 975.000 behandelten Versicherten. Umgerechnet heißt dies, dass jedem neunten Barmer-­Versicherten 2016 Pantoprazol verordnet wurde – andere Krankenkassen werden Vergleichbares zu berichten wissen.

Abb. 1: Verordnungen von Ulcustherapeutika zulasten der GKV von 2006 bis 2015. Die Zunahme des Verordnungsvolumens der Protonenpumpenhemmer um den Faktor > 3 innerhalb von zehn Jahren kann nicht durch einen entsprechenden Rückgang des Verordnungsvolumens der H2-Antagonisten erklärt werden, adaptiert nach [1].

Prazole als Trendsetter

Woher kommt dieser Trend? Die linear steigenden Verordnungszahlen sind nicht etwa darin begründet, dass eine überproportionale Zunahme der behandlungsbedürftigen Patienten zu verzeichnen ist, dass eine Ausweitung der PPI-Indikationsgebiete in den letzten zehn Jahren stattgefunden hat oder dass die Verordnungen der im gleichen Indikationsgebiet eingesetzten H2-Antagonisten in gleichem Umfang rückläufig sind. Vielmehr ist aus Expertensicht das über die Maßen gesteigerte Verordnungsverhalten darauf zurückzuführen, dass die äußerst effektiven und in der Akuttherapie gut verträglichen Arzneimittel auch zunehmend bei Indikationen eingesetzt werden, für die sie nicht zugelassen sind (Indikationsaufweichung).

Aufweichen der Indikation

Die unreflektierte Verordnung ist besonders bei moderateren säureassoziierten Erkrankungen wie einfachen Refluxbeschwerden, funktioneller Dyspepsie, Reizmagen und zur Prophylaxe NSAR-bedingter Ulcera ohne weitere Risikofaktoren zu beklagen. Hiervon abzugrenzen ist, dass Protonenpumpenhemmer im Rahmen der Selbstmedikation zur Kurzzeitbehandlung von Refluxsymptomen (Sodbrennen, saures Aufstoßen) angewendet werden dürfen. Dies greift auch die Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) auf, die insbeson­dere aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorschreibt, vor der Verordnung verschreibungspflichtiger Protonenpumpenhemmer zu prüfen, ob der Einsatz nicht rezeptpflichtiger Protonenpumpeninhibitoren ausreichend ist. Betrachtet man den stationären Bereich, so wird hier der Einsatz der Protonenpumpenhemmer meist in der Form aufgeweicht, dass viele Patienten eine Stressulcus-Prophylaxe erhalten, die gar keiner bedürfen. Stressulcera und damit assoziierte Blutungen können gehäuft die Patienten entwickeln, die an einer schweren Erkrankung (akutes Atemnotsyndrom, Schock mit Hypotension, Sepsis, Polytrauma, Verbrennungen, Schädelhirntraumata mit neurochirurgischen Eingriffen oder Leber-/Nierenversagen) leiden sowie andauernd mechanisch beatmet werden. Das Auftreten von Stressulcera kann durch die prophylaktische Gabe von Protonenpumpenhemmern reduziert werden – es besteht jedoch keine Evidenz des Nutzens bei Patienten, die nicht zu den genannten Risikogruppen zählen. Krankenhauspatienten erhalten Protonenpumpeninhibitoren ferner als „großzügige“ Begleit­medikation zu einer zeitlich begrenzten Therapie mit nicht-­steroidalen Antirheumatika, in manchen Häusern ist dies leider immer noch ein zu bemängelnder Standard.

Fortführen zeitlich begrenzter Therapien

Man geht davon aus, dass insgesamt 40 bis 60% der PPI-Verordnungen einer strengen Indikationsprüfung nicht standhalten würden. Bei vielen Patienten ist die Verordnung zu Therapiebeginn zwar berechtigt, aber nur zur Kurzzeitbehandlung und nicht auf Dauer. Beispielsweise heilt ein Zwölffingerdarmgeschwür innerhalb von zwei Wochen unter Protonenpumpeninhibitoren ab. Reicht dieser Zeitraum nicht aus, wird eine Abheilung in fast allen Fällen innerhalb weiterer zwei Wochen erreicht. Dennoch wird an vielen PPI-Verordnungen über das eigentliche Therapieende hinaus festgehalten, „weil sie ja nicht schaden“. Zudem bestehen Unsicherheiten, da der genaue Behandlungsgrund nicht immer klar umrissen ist und die Anwendungsdauer nicht begrenzt wurde. Auch fürchten Ärzte wie Patienten potenzielle Risiken des Absetzens. Besonders Krankenhausärzte sollten sich darüber bewusst sein, dass die Aufnahme eines nur kurzfristig eingesetzten bzw. einzusetzenden Protonenpumpenhemmers in den Entlassbrief ohne Angabe einer Therapiedauer oder eines Verordnungsendes meist der erste Schritt in die Dauermedikation ist. Scheinbar viel zu oft wird die Verordnungsempfehlung stationär angesetzter Protonenpumpeninhibitoren vom behandelnden Hausarzt nicht kritisch hinterfragt und die Anwendung ambulant unreflektiert fortgeführt. Bereits 2010 konnten deutsche Wissenschaftler nachweisen, dass 54,5% der Entlassbriefe keine Information enthielten, die eine Fortführung der PPI-Therapie rechtfertigte, bei 12,7% der Entlassempfehlungen war die Indikation für den Protonenpumpeninhibitor unklar und bei nur 32,7% der Empfehlungen konnte eine eindeutige evidenzbasierte Indikation für die PPI-Gabe ausgemacht werden [3]. Informations- und Dokumentationsdefizite sowie Unsicherheiten entstehen aber auch, wenn mehrere niedergelassene Ärzte an der Behandlung eines Patienten beteiligt sind. Problematisch wird es, wenn der Patient selbst den Überblick verliert bzw. nicht informiert ist, schließlich kennen viele oft die genauen Indikationen ihrer Arzneimittel nicht. Leider ist da auch der bundeseinheitliche Medikationsplan nicht hilfreich, dessen Spalte „Behandlungsgrund“ nur optional zu füllen ist, ebenso die Angabe „zeitlich befristet anzuwendende Medikamente“ [4]. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass auch das Fortführen einer nicht mehr indizierten Therapie in erheblichem Ausmaß zum hohen Verordnungsvolumen der Protonenpumpeninhibitoren beiträgt. Ein Abbruch der steigenden Verordnungszahlen ist übrigens nicht in Sicht – trotz entsprechender Warnungen diverser Wissenschaftler und auch mehrerer Kassenärztlicher Vereinigungen zur regelmäßigen Überprüfung der Behandlungsindikation, Dosierung und Therapiedauer von Protonenpumpenhemmern.

Was ist Deprescribing?

Deprescribing wird als systematischer Prozess der Identifikation und des Absetzens von Arzneimitteln definiert, bei denen aufgetretene oder potenzielle Risiken und Schäden den zu beobachtenden oder zu erwartenden Nutzen übersteigen. Stets sollte das Deprescribing im Kontext der patientenindividuellen Behandlungsziele, des aktuellen Gesundheitszustands, der Lebenserwartung, des individuellen Nutzens und der Vorlieben des Patienten betrachtet werden. Beim gewissenhaften Absetzen handelt es sich um ­einen sehr Patienten-orientierten Vorgang, da es eine ­gemeinsame Entscheidungsfindung, das Einverständnis des Patienten und eine engmaschige Überwachung der potenziellen Absetz-Auswirkungen erfordert.

Patienten üben Druck aus

Nicht zuletzt üben auch Patienten einen Verordnungsdruck auf ihre behandelnden Ärzte aus. Kanadische Wissenschaftler untersuchten die verfügbare Literatur, welche Patientenpräferenzen dem „Klammern“ an einer (unangemessenen) PPI-Therapie zugrunde liegen [5]. Sie werteten zwölf verschiedene Studien aus und zogen den simplen Schluss, dass Patienten an Bewährtem festhalten wollen. Betroffene schätzten besonders die gute Symptomkontrolle und sorgten sich darüber, dass eine Dosisreduktion oder ein Absetzen der PPI-Therapie möglicherweise zum Wiederauftreten der Symp­tome führen könnte. Zum Reduzieren oder Absetzen der Protonenpumpenhemmer werden Patienten dann ermutigt, wenn ärztlicherseits Beratung und Aufklärung angeboten wird. Patienten sollten daher in den Absetzprozess aktiv eingebunden werden. Dabei ist von großer Bedeutung, ihnen die Beweggründe für das Absetzen im Vergleich zum Fortführen der Therapie zu erläutern. Patienten sollten auch darüber aufgeklärt werden, was sie vom sogenannten Deprescribing-Prozess erwarten können und dass es jederzeit möglich ist, zur vorherigen Dosis zurückzukehren, falls dies durch ein Wiederauftreten der Symptome erforderlich erscheint. Die Autoren schlussfolgern, dass unbedingt gemeinsam mit dem Patienten über das Fortführen oder das strukturierte Absetzen der PPI-Therapie entschieden werden sollte, da Veränderungen in der Protonenpumpenhemmer-Therapie unter dem starken Einfluss der Patientenvorlieben stehen.

Protonenpumpenhemmer in der Kritik

Mehrfach wurde bereits darüber berichtet, dass Protonenpumpeninhibitoren bei chronischem Gebrauch teilweise gravierende Nebenwirkungen haben können (siehe Kasten „Unerwünschte Wirkungen“). Vor Kurzem wurde auch ein erhöhtes Mortalitätsrisiko unter PPI-Dauertherapie diskutiert (siehe DAZ 2017, Nr. 30, S. 28 „Gute PPI, schlechte PPI – Hinweise auf erhöhtes Mortalitätsrisiko beflügeln die Diskussion“). Ein Teil der Patienten ist über die potenziellen negativen Auswirkungen einer Langzeittherapie nicht informiert, andere sind wiederum „überinformiert“ und fürchten sich vor gesundheitlichen Schäden. Wichtig ist an dieser Stelle die Unterscheidung, ob es sich um einen berechtigten oder um einen nicht notwendigen PPI-Dauergebrauch handelt (Indikationen des breiten Zulassungsspektrums siehe Kasten „Wann sind Protonenpumpenhemmer indiziert?“). Besteht keine eindeutige Indikation, können die potenziellen Risiken den zu erwartenden Nutzen leicht übersteigen, weshalb ein Absetzen geboten scheint. Anders wird die Bewertung bei unverzichtbarer Indikation ausfallen. Aber auch hier kann eine Dosisüberprüfung mit gegebenenfalls anschließender Dosisreduktion dazu beitragen, potenzielle Risiken zu minimieren, indem die niedrigste wirksame Dosierung gefunden wird. Bei manchen Indikationen können auch noch nicht-pharmakologische Maßnahmen ausgereizt werden (siehe Kasten „Nicht-pharmakologische Maßnahmen gegen Refluxbeschwerden“), durch die eventuell die Dosierung reduziert werden kann (z. B. bei Refluxerkrankungen).

Unerwünschte Wirkungen

Auswahl einiger Nebenwirkungen, die mit chronischem ­Gebrauch von Protonenpumpenhemmern assoziiert sind: Malabsorption von Vitamin B12 (Cyanocobalamin) mit der Folge eines möglichen Vitamin-B12-Mangels

  • leicht erhöhtes Risiko für bakterielle gastrointestinale Infektionen (z. B. Clostridium difficile, Salmonellen, Campylobacter)
  • Hypomagnesiämie – schleichende Entwicklung möglich! Achtung bei Kombination mit Digoxin oder Diuretika, Laxanzien, Antibiotika (Aminoglykoside, Pentamidin), Antimykotika (Amphotericin B), Immunsuppressiva (Ciclosporin), Zytostatika (Cisplatin, Carboplatin, Cetuximab), Bisphosphonaten (Pamidronat, Alendronat)
  • mäßige Erhöhung des Risikos für Frakturen an Hüfte, Handgelenk und Wirbelsäule, besonders bei Vorliegen von Risikofaktoren: hohe Dosierung, über längere Anwendungszeit (länger als ein Jahr), bei älteren Menschen und bei Vorliegen anderer bekannter Risikofaktoren (z. B. Rauchen)
  • Demenz – Kausalität und zugrundeliegender Mechanismus nicht geklärt, nur statistische Assoziation gezeigt
  • Schädigungen der Nieren – akutes Nierenversagen, interstitielle Nephritis und chronische Nierenerkrankungen wurden in retrospektiven Studien beobachtet

Wann sind Protonenpumpenhemmer indiziert?

Patienten mit folgenden Indikationen sollten eine Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren erhalten.

  • gastroösophageale Refluxkrankheit, GERD (symptomatische Behandlung)
  • Refluxösophagitis (Behandlung und Langzeit­prophylaxe)
  • Ulcera duodeni und Ulcera ventriculi (Behandlung bzw. Rezidivprophylaxe)
  • Helicobacter-pylori-Eradikation (in Kombination mit Antibiotika)
  • NSAR-assoziierte gastroduodenale Ulcera (Behandlung und Prävention bei Risikopatienten, die einer kontinuierlichen Behandlung mit NSAR bedürfen; Risikopatienten sind solche, die unter der NSAR-Dauertherapie ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer gastroduodenalen Ulcusblutung tragen, z. B. aufgrund des Alters [≥ 65 Jahre], Ulcera in der Anamnese [insbesondere mit den Komplikationen Blutung oder Perforationen], schwerem Verlauf einer Allgemeinerkrankung, H.-­pylori-Infektion, Komedikation mit Glucocorticoiden, gerinnungsaktiven Arzneimitteln oder mit SSRI [6])
  • Zollinger-Ellison-Syndrom und andere Erkrankungen, die mit einer pathologischen Hypersekretion von Magensäure einhergehen

Nicht-pharmakologische Maßnahmen gegen Refluxbeschwerden

Mahlzeiten

  • langsam essen, gut kauen
  • kleine Mahlzeiten statt üppiger Mahlzeiten bevorzugen
  • individuelle „Säurelocker“ identifizieren und meiden (z. B. Schokolade, fettiges, frittiertes oder scharfes Essen, säurehaltige Lebensmittel, Zitrusfrüchte und Säfte, Tomaten, kohlensäurehaltige Getränke)
  • Mahlzeiten drei Stunden vor dem Zubettgehen meiden

Genussgifte

  • Rauchen aufgeben
  • Alkohol- und Koffeinkonsum reduzieren

intraabdomineller Druck

  • Gewicht reduzieren (bei Übergewicht)
  • eng anliegende Kleidung oder Gürtel meiden

Stress

  • Stressauslöser reduzieren

Schlafposition

  • mit erhöhtem Kopfteil schlafen
  • Linksseitenlage beim Schlafen

Inadäquate Verordnungen identifizieren

Auf nationaler wie internationaler Ebene ist bereits lange bekannt, dass ein inadäquater Dauergebrauch aufgrund von potenziellen Nebenwirkungen bedenklich ist und auch unter gesundheitsökonomischen Aspekten einen hohen und vermeidbaren Kostenfaktor darstellt [7]. Leider finden sich trotz der bekannten Problematik nur wenige Studien zur Identifikation von Absetzstrategien, die am besten geeignet sind, eine nicht gerechtfertigte PPI-Dauertherapie zu beenden oder zu reduzieren. Eine Herausforderung besteht oft darin, die zweckwidrigen unter den gerechtfertigten Therapien herauszufiltern. In einer Studie deutscher Wissenschaftler wurde hierfür das FORTA-Klassifikationssystem (FORTA = fit for the aged) genutzt, um potenziell inadäquate Arzneimittel (hierunter zählen auch Protonenpumpenhemmer) bei Patienten einer Akutgeriatrie zu identifizieren [8]. Patienten der Kontrollgruppe (n = 56) erhielten eine Standardbehandlung durch die behandelnden Geriater. Bei Patienten der Interventionsgruppe (n = 58) wurde ein geriatrisches Assessment und ein Medikationsabgleich (medication reconciliation) vorgenommen, anschließend wurden die FORTA-Kriterien angewendet. Zum Aufnahmezeitpunkt wurden in der Interventionsgruppe neun inadäquate PPI-Verordnungen identifiziert, bei Entlassung nahm kein Patient mehr einen nicht richtig eingesetzten Protonenpumpenhemmer. Im Gegensatz dazu stieg in der Kontrollgruppe die Anzahl inadäquater PPI-Verordnungen während des Krankenhausaufenthaltes: Während zum Aufnahmezeitpunkt 20 Patienten eine inadäquate PPI-Therapie erhielten, waren es bei Entlassung 23 (p = 0,01). Diese interessante Studie zeigt: Werden Maßnahmen zur Identifikation inadäquater PPI-Verordnungen ergriffen, kann ihr Anteil auf ein Mindestmaß reduziert werden (hier sogar 0%), werden keine Maßnahmen ergriffen, steigt ihr Anteil bei älteren Patienten während eines Krankenhausaufenthaltes.

Elektronische Hilfestellung

Um zu erreichen, dass immer mehr potenziell inadäquate Verordnungen von Protonenpumpeninhibitoren überprüft werden, wurde in Kanada ein vielversprechender Ansatz erprobt: Hausärzte erhielten in ihrem elektronischen Patientendatensystem (electronic health record, EHR) eine Erinnerungsmeldung, die Sinnhaftigkeit und Dauer der PPI-Therapie zu überdenken, wenn Patienten acht Wochen lang therapiert wurden. Hilfestellung erhielten die Behandler durch ein ebenfalls elektronisch eingeblendetes Instrument, welches ihnen die Möglichkeiten eines strukturierten Ab­setzens aufzeigte, falls die Protonenpumpenhemmer nicht (mehr) angebracht waren (sogenanntes deprescribing tool) [9]. Erfreulicherweise wurde bei fast allen Patienten die PPI-Therapie durch diese Maßnahme überdacht (93%; 43 der 46 Patienten), mit dem Resultat, dass bei einem Viertel (n = 11, 26%) die Therapie abgesetzt werden konnte.

Empfehlung nicht beachtet

Eine einfache schriftliche Erinnerung scheint indes nicht zielführend zu sein. So konnte in einer kleinen neuseeländischen Studie der Hinweis im Entlassbrief, dass die Therapie nach einem bestimmten Zeitraum überprüft werden muss (Angabe des Zeitraums indikationsabhängig und gemäß der neuseeländischen Leitlinien, siehe Tabelle 1), nicht verhindern, dass Protonenpumpeninhibitoren Einzug in die Dauertherapie der Patienten hielten [10]. Drei bei sechs Monate nach Entlassung wurde nur bei sechs der 25 Patienten (24%) der Interventionsgruppe eine Überprüfung der PPI-Therapie dokumentiert und – falls geboten – Dosisreduktionsschritte bzw. Absetzversuche eingeleitet. Im Vergleich dazu fand sich bei fünf von 26 Patienten (19%) der Kontrollgruppe eine entsprechende Dokumentation (deren Ärzte hatten einen normalen Entlassbrief ohne Empfehlung der Therapieüberprüfung erhalten). Die Autoren geben bezüglich der Qualität ihrer Studie zu Bedenken, dass es sich um eine kleine Studienpopulation handelte, dass Therapieüberprüfungen möglicherweise nicht dokumentiert wurden, obwohl sie eventuell stattgefunden haben und dass Ärzte die Empfehlung zur Überprüfung der Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren mangels Übersichtlichkeit des Entlassbriefes schlichtweg übersehen haben könnten. In einer nachfolgenden Umfrage gaben immerhin 66% der Ärzte der Interventionsgruppe an, die Empfehlung nicht gesehen zu haben.

Indikation
Im Entlassbrief angegebene Empfehlung zur Überprüfung der Therapiedauer
Dyspepsie
Behandlung für vier bis zwölf Wochen, dann Überprüfung.
GERD
Behandlung für vier bis acht Wochen, dann Überprüfung und Dosisreduktion/Absetzen innerhalb von ein bis drei Monaten.
Ulcus ventriculi
Behandlung für acht bis zwölf Wochen. Bestätigung der Abheilung mit Ösophago-Gastro-Duodenoskopie und Biopsie.
Ulcus duodeni
Behandlung für vier bis acht Wochen (Hinweis: Im Falle einer erfolgreichen H.-pylori-Eradikation ist eine Säuresuppression nicht essenziell).
Gastroprotektion
Überprüfung des individuellen Patientenrisikos. Anstelle von NSAR sollte die Verordnung sicherer Alterna­tiven in Betracht gezogen werden. Überprüfung des Erfordernisses einer dauerhaften Gastroprotektion.
keine genaue Indikation bekannt
Bitte in der hausärztlichen Versorgung überprüfen.
andere
individuelle Empfehlung

Wie macht man Schluss?

In den meisten Untersuchungen zum Absetzen (Deprescribing) inadäquater PPI-Therapien hat sich gezeigt, dass klare Handlungsempfehlungen und eine dementsprechend strukturierte Vorgehens­weise für einen späteren Erfolg sehr vorteilhaft sind (adaptiert nach [11]):

! Wissen schaffen: Zunächst sollten alle Ärzte eines Krankenhauses bzw. einer Einrichtung in einer vorbereitenden Maßnahme in den genauen Indikationen der Protonenpumpeninhibitoren geschult und ihre Aufmerksamkeit für potenzielle Risiken eines Langzeitgebrauchs geschärft werden.

! Patienten identifizieren: Proaktiv und nicht „nebenher“ sollten die Patienten identifiziert werden, die aktuell einen Protonenpumpenhemmer über einen je nach Indikation vordefinierten Zeitraum hinaus einnehmen. Ärzte sollten sich gezielt die Frage stellen, weshalb der Patient einen Protonenpumpen­inhibitor benötigt.

! Gut dokumentieren: Die Dokumentation sollte bei Patienten mit einer gesicherten Indikation für einen langfristigen PPI-Einsatz verbessert werden, um sie von Patienten mit unklaren Indikationen abzugrenzen.

! Regimetreu bleiben: Bei ungesicherter Langzeitindikation soll der Protonenpumpeninhibitor nach Absprache mit dem Patienten und unter Einhaltung standardisierter Vorgaben in seiner Dosis reduziert bzw. abgesetzt werden. Eine Dosisreduktion kann beispielsweise durch schrittweise Verringerung der Wirkstärke im Wochenabstand oder durch einmal statt zweimal tägliche Gabe erreicht werden. Auch kann das Dosierungsintervall verlängert werden, das heißt Gabe alle zwei Tage, später alle drei Tage statt täglicher Gabe. Auch ein abruptes Absetzen ist nach neuesten Erkenntnissen denkbar.

! Erfolg überprüfen: Nach vier und zwölf Wochen sollte ein Monitoring des Absetzerfolges durchgeführt werden, zum Beispiel sollte der Patient zu epigastrischen Schmerzen und dyspeptischen Beschwerden befragt werden oder ob es zu ungewünschtem Gewichtsverlust gekommen ist.

! Rezidiv behandeln: Für den Fall, dass Symptome im Sinne eines Säurerebounds wieder auftreten, sollen Antazida oder H2-Rezeptorantagonisten eingesetzt werden. Kommt es darüber hinaus bei GERD-Patienten zu einem Rezidiv, sollte auf Helicobacter pylori getestet und darüber nachgedacht werden, die letzte wirksame PPI-Dosierung kurzfristig wiederaufzugreifen. Eine Einnahme von Protonenpumpeninhibitoren „bei Bedarf“, also einmalig, ist aus pharmakologischer Sicht nicht sinnvoll. Wenn Symptome wieder auftreten, sollte immer über mehrere Tage bis zur Remission behandelt werden (On-demand-Therapie). Nach Remission der Symptome soll ein erneuter Absetzversuch gestartet werden.

Achtung Rebound!

Setzt man einen Protonenpumpenhemmer nach mehrwöchiger Therapie ab, kann es zu einer überschießenden Magensäureproduktion mit refluxartigen Beschwerden kommen (Rebound-Phänomen), die meist milder bis moderater Natur sind [12]. Die pathophysiologischen Hintergründe lassen sich wie folgt erklären: Während der Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren ist die Produktion von Magensäure stark reduziert und der Körper versucht, durch Erhöhung des Gastrin-Spiegels gegenzusteuern. Dies hat wiederum einen trophischen Effekt auf die Histamin-freisetzenden enterochromaffinen Zellen der Magenschleimhaut. Als Reaktion auf erhöhte Histamin-Spiegel bilden die Belegzellen dann vermehrt Magensäure (sogenannte reflektorische Hypersekretion), was nach Wegfall des Protonenpumpenhemmers als Säurerebound wahrgenommen wird. Nicht nur Patienten, die früher unter den Auswirkungen vermehrter Magensäureproduktion geklagt haben, sind von diesem Phänomen betroffen, sondern auch vormals asymptomatische Patienten (zwei Studien fanden bei bis zu 44% der asymptomatischen Patienten einen Säurerebound nach Wegfall der PPI-Therapie) [13]. Bevor ein Protonenpumpeninhibitor abgesetzt wird, sollten Patienten daher darüber aufgeklärt werden, dass es bei manchen Betroffenen zu einer temporären unangenehm überschießenden Magensäureproduktion kommen kann. Diese tritt bereits kurze Zeit nach dem Absetzen (wenige Tage bis zu drei bis vier Wochen) auf und ist meist von begrenzter Dauer (mehrere Tage bis zu vier Wochen) [13]. Es gibt Strategien, wie gegengesteuert werden kann, zum Beispiel können überbrückend H2-Rezeptor­antagonisten oder Antazida eingesetzt werden. Wichtig ist, dass das Rebound-Phänomen nicht als Wiederauftreten früherer Symptome (Sodbrennen, saures Aufstoßen oder Dyspepsie) missinterpretiert wird und zu einer sofortigen Wiederaufnahme der PPI-Therapie verleitet. Um dies zu vermeiden, müssen Absetzversuche bei Protonenpumpenhemmern gut überlegt, geplant und begleitet werden, um nicht ihren eigenen Dauergebrauch zu konditionieren (Stichwort „Abhängigkeit“). Welche Dosierung und welche Einnahmedauer kritisch in Bezug auf die Entstehung einer reflektorischen Hypersekretion ist, ließ sich leider noch nicht abschließend klären. Man geht in den meisten Untersuchungen davon aus, dass Patienten nach Absetzen einer mindestens achtwöchigen PPI-Therapie von dem Rebound-Phänomen betroffen sein können [14].

Abrupt oder ausschleichend?

Derzeit besteht keine Evidenz für einen Vorteil eines ausschleichenden Absetzens im Vergleich zu einem abrupten Absetzen [11]. In einer schwedischen Studie gelang es 31% der Patienten, die schrittweise die Dosis bis zum vollständigen Absetzen reduziert hatten, ein Jahr nach dem Absetzen auch PPI-frei zu bleiben – im Vergleich zu 22% der Patienten, deren Protonenpumpenhemmer abrupt abgesetzt wurde (nicht signifikant) [15]. Ein ausschleichender Absetzprozess wird meist häufiger bevorzugt, da Patienten dieses Vorgehen als sicherer empfinden, besonders wenn sie schon mehrere Absetzversuche erfolglos unternommen haben. Zudem kann so die niedrigste wirksame Dosis identifiziert werden, falls ein komplettes Absetzen nicht toleriert wird. Besonders wichtig an der jeweiligen Vorgehensweise ist, dem Patienten die Rationale und den jeweiligen Absetzplan zu erläutern und sein Einverständnis einzuholen. Während und nach dem Absetzprozess sollte auf das Auftreten von Absetzphänomenen geachtet werden. Hierzu sollten dem Patienten Handlungsempfehlungen vorliegen. Für anschließende Betrachtungen und Analysen sollten die Resultate des Deprescribings dokumentiert werden. |

Literatur

 [1] Schwabe U, Paffrath D (Hrsg). Arzneiverordnungs-Report 2016: Aktuelle Daten, Kosten, Trends und Kommentare. Springer-Verlag, Berlin 2016

 [2] Schubert I, Grandt D. Barmer Arzneimittelreport 2017, www.barmer.de/blob/121882/d55553c9f2ee27c1943ce117014511de/data/dl-barmer-arzneimittelreport-2017.pdf, Zugriff 10. August 2017

 [3] Ahrens D et al. Appropriateness of treatment recommendations for PPI in hospital discharge letters. Eur J Clin Pharmacol 2010;66(12):1265-1271

 [4] Spezifikation für einen bundeseinheitlichen Medikationsplan (BMP). Version 2.4; 30. April 2017, www.kbv.de/media/sp/Medikationsplan_Anlage3.pdf (Zugriff 13. August 2017

 [5] Thompson W et al. Patient Values and Preferences Surrounding Proton Pump Inhibitor Use: A Scoping Review. Patient 2017 doi: 10.1007/s40271-017-0258-4, Epub ahead of print

 [6] Fischbach W et al. H. pylori und gastroduodenale Ulkuskrankheit. S2k-Leitlinie 2016. Z Gastroenterol 2016;54:327–363, www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/021-001l_S2k_Helicobacter-pylori-gastroduodenale_Ulkuskrankheit_2016-04_01.pdf, Zugriff 13. August 2017

 [7] Boghossian TA et al. Deprescribing versus continuation of chronic proton pump inhibitor use in adults. Cochrane Database Syst Rev 2017;3:CD011969. doi: 10.1002/14651858.CD011969.pub2

 [8] Michalek C et al. Effects of „Fit for The Aged“ (FORTA) on pharmacotherapy and clinical endpoints – a pilot randomized controlled study. Eur J Clin Pharmacol 2014;70(10):1261-1267

 [9] Walsh K et al. Deprescribing in a Family Health Team: A Study of Chronic Proton Pump Inhibitor Use. J Prim Health Care 2016;8(2):164-171

[10] Lampen-Smith A et al. Blinded randomised controlled study of the effect of a discharge communication template on proton pump inhibitor prescribing. N Z Med J 2012;125(1350):30-36

[11] Farrell B et al. Deprescribing proton pump inhibitors. Canadian ­Family Physician 2017;63(5):354-364

[12] Protonenpumpenhemmer: Beschwerdenrebound nach Absetzen? ­arznei-telegramm 2009;40:90

[13] Lodrup AB et al. Systematic review: symptoms of rebound acid hypersecretion following proton pump inhibitor treatment. Scand J Gastroenterol 2013;48(5):515-522

[14] Reimer C et al. Proton-pump inhibitor therapy induces acid-related symptoms in healthy volunteers after withdrawal of therapy. Gastroenterology 2009;137(1):80-87

[15] Björnsson et al. Discontinuation of proton pump inhibitors in patients on long-term therapy: a double-blind, placebo-controlled trial. ­Alimentary Pharmacology & Therapeutics 2006;24(6):945-954

Autorin

Dr. Verena Stahl ist Apothekerin und wurde an der University of Florida als Semi-Resident im landesweiten Drug Information and Pharmacy Resource Center ausgebildet. Ihre berufsbegleitende Dissertation fertigte sie zu einem Thema der Arzneimitteltherapiesicherheit an.

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