Kongresse

Die Königsdisziplin

5. OTC-Gipfel des Apothekerverbands Nordrhein

Es ist und bleibt eine Domäne des Apothekers, der Apotheke: die Selbstmedikation. Die Apotheke wird auch weiterhin die zentrale Anlaufstelle für die Selbstmedikation sein, trotz Digitalisierung und Versandhandel. Denn die persönliche Beratung bei Befindlichkeitsstörungen und leichten Erkrankungen, aber auch die Abgabe von rezeptfreien Arzneimitteln durch den Apotheker ist aus Verbrauchersicht nicht zu ersetzen. Das machten die Vorträge und Diskussionen auf dem 5. OTC-Gipfel des Apothekerverbands Nordrhein, der am 12. Oktober 2017 in Düsseldorf stattfand, deutlich. Von Peter Ditzel, Bericht aus Düsseldorf
Foto: AV Nordrhein/Alois Müller
Thomas Preis

Auch die Politik steht hinter der Selbstmedikation, worauf Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, hinwies: Sogar das G20-Treffen befasste sich unlängst mit diesem Thema und beschloss, der Staat solle die Bürger zur Selbstmedikation ermutigen. Das sei auch ein positives Signal in Richtung Apotheke, so Preis. Schon heute ist jede zweite Packung, die die Apotheke verlässt, selbstgekauft. Mit einer Veranstaltung wie dem OTC-Gipfel wolle man die Bedeutung der Selbstmedikation im Gesundheitswesen untermauern, so Preis, und er zitierte Statements aus früheren OTC-Gipfeln, beispielsweise die Aussage, dass OTC keineswegs Arzneimittel zweiter Klasse seien. OTC-Arzneimittel bedürften pharmazeutischen Sachverstand. OTC-Präparate seien auch nicht vergleichbar mit anderen Konsumgütern wie Brötchen. Und der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands, Fritz Becker, nannte die Selbstmedikation und Abgabe von OTCs die Königsdisziplin der Apotheker.

Verbraucher brauchen Apothekenberatung

Foto: AV Nordrhein/Alois Müller
Kai Vogel

Für Kai Vogel von der Verbraucherzentrale Bundesverband sind Apotheker unerlässlich, wenn es um die Selbstbehandlung geht. Die Beratung durch den Apotheker ist dabei unverzichtbar, denn viele Verbraucher haben nicht die Kompetenz, ein für sie geeignetes Arzneimittel im Rahmen der Eigenbehandlung auszusuchen. Aufgabe des Apothekers sei es aber auch abzuraten oder im Zweifelsfall den Patienten zum Arzt zu schicken. Die Apothekenbetriebsordnung stellt sicher, dass Patienten und Kunden hinreichend informiert und beraten werden zur sachgerechten Anwendung der Arzneimittel. Als zweifelhaft sieht es Vogel, wenn die Patienten ins Internet gehen und dort Be­ratung suchen.

Die Beratungsleistungen der Apotheke sollten regelmäßig überprüft werden, beispielsweise durch Pseudo-Customer-Besuche. Hier wäre es von Vorteil, so Vogel, wenn die Apotheker die Ergebnisse der Überprüfungen transparent machten – so könne der Verbraucher sehen, dass auf die Beratung in der Apotheke Verlass sei.

Aus Sicht des Verbraucherverbandes sollte die Politik überprüfen, ob eine Kostenübernahme von OTC-Arzneimitteln, beispielsweise für ältere, multimorbide Patienten oder sozial Benachteiligte sinnvoll wäre. Dies könnte letztlich auch positive Auswirkungen auf das Gesundheitssystem haben.

Die Digitalisierung biete keinen Ersatz für die apothekerliche Beratung, so Vogel. Auch ein Medikationsplan könne nur funktionieren, wenn er die OTC-Arzneimittel enthält und der Apotheker beteiligt ist, denn zentrale Anlaufstelle für die Selbstmedikation sei die Apotheke. Für die Zukunft könne er sich eine stärkere Beratung in Richtung evidenzbasierte Selbstmedikation vorstellen.

Foto: AV Nordrhein/Alois Müller
Sie sind überzeugt, dass die Apotheke für die Selbstmedikation auch in Zukunft unverzichtbar ist (v. l.): Andreas Kaapke, Jörg Wieczorek, Thomas Preis, Kai Vogel und Manfred Schedlowski.

Als Verbraucherschützer könne er allerdings einem Rx-Versandverbot wenig abgewinnen, so Vogel in der Diskussion, eine Aussage, die Preis veranlasste, die Argumente der Apotheker für ein Versandverbot darzulegen, Argumente, die letztlich im Sinne der Verbraucher seien, da nur so die flächendeckende Versorgung erhalten bleiben könne. Auch wenn er dies zum Teil anders sehe, seien die Bedenken ihm angekommen, so Vogel, und meinte, so gesehen müsste man dann sogar fordern, den Versandhandel mit OTCs zu verbieten.

Apotheker als Placebo-Verstärker

Foto: AV Nordrhein/Alois Müller
Prof. Dr. Manfred Schedlowski

Über die mitunter starke Wirkung des Placebo-Effektes informierte Prof. Dr. Manfred Schedlowski, geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltens­immunbiologie, Essen. In den letzten Jahren habe es immer mehr Studien zur Placebo-Wirkung gegeben. Sie zeigten, dass die Placebo-Antwort über die Qualität und Quantität der Patienten-Arzt-Beziehung und die Erwartung des Patienten gesteuert werde. Eine gute Kommunikation zwischen Arzt und Patient sowie eine daraus resultierende positive Erwartung des Patienten führten zu einer stärkeren Wirkung von Pharmaka. Habe beispielsweise ein Schmerzpatient, der Analgetika bekomme, eine positive Erwartungshaltung, habe er weniger Schmerzen. Dies könne auch auf die Beziehung zwischen Apotheker und Patient übertragen werden: Die über die Kommunikation gesteuerte Er­wartung von Patienten kann den Effekt einer Arzneimittelgabe beeinflussen, so Schedlowski. Das bedeutet, dass der Apotheker durch eine positive Aufklärung über das Arzneimittel eine bessere Wirkung auf die Therapie haben könne.

Dies gelte allerdings auch für den Nocebo-Effekt: Allein die Befürchtung, dass eine Therapie oder ein Arzneimittel schade, könne die Heilung negativ beeinflussen. Nocebo-Effekte entstünden auch durch Gerüchte, beispielsweise durch Zeitungsberichte, durch negative Informationen über die jeweilige Therapie.

Die Erkenntnisse über Placebo- und Nocebo-Effekte sollten, so Schedlowski, auch ins Pharmaziestudium einfließen, um zu einer besseren Kommunikation mit den Patienten zu kommen. Die Patienten nur über mögliche Nebenwirkungen aufzuklären, trage nicht unbedingt zu einer besseren Therapie bei.

Zukunftschancen für dieSelbstmedikation

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Jörg Wieczorek

Über den Wert der Selbstmedikation und die Zukunftschancen machte sich Jörg Wieczorek, Vorsitzender des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Gedanken. Auch wenn der Umsatz mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln derzeit etwas stärker wachse als der Umsatz mit rezeptfreien Arzneimitteln: Jede zweite Arzneimittelpackung, die die Apotheke verlässt, ist ein OTC-Arzneimittel. Die Selbstmedikation wird auch weiterhin eine große Rolle für die Apotheke und im Gesundheitswesen spielen.

Vor diesem Hintergrund hat der BAH unter der Überschrift „Selbstmedikation 2025“ ein Perspektivpapier erstellt mit fünf Thesen:

  • Die Bevölkerung wird immer älter, chronische Erkrankungen nehmen zu. Deshalb ist die Kompetenz der Bürgerinnen und Bürger zur Selbstmedikation bei leichteren Beschwerden zu stärken, um Ressourcen für die Therapie schwererer Erkrankungen freizusetzen.
  • Die Urbanisierung nimmt zu zulasten ländlicher Gebiete, das heißt, die Menschen auf dem Land müssen längere Wege zu Ärzten, Apotheken und Einkaufsmöglichkeiten in Kauf nehmen. Eine stärkere Selbstmedikation wird Patienten entlasten, da sie Wege nicht antreten müssen oder ihnen Wartezeiten erspart bleiben.
  • Selbstmedikation wird helfen, die Lebensqualität und Gestaltung des Alltags in Familie und Beruf zu verbessern.
  • Die Weiterentwicklung von Systemen zur intelligenten Vernetzung von Informationen, Daten und Akteuren wird gerade bei der Selbstmedikation von zentraler Bedeutung für die Verbesserung der Versorgungsqualität sein.
  • Die Lebenswelten werden sich mehr und mehr individualisieren, kleinere Haushalte nehmen zu. Selbstmedikation kann in der Gesundheitsversorgung dieser Menschen, insbesondere im Zusammenwirken mit den Heilberufen und unter Anwendung der Informations- und Kommunikationstechnologien, eine leicht zugängliche und wirksame Hilfe sein.

Das Fazit aus Sicht des BAH: Selbstmedikation wird zukünftig als zentrale Säule der Gesundheitsversorgung an Stellenwert gewinnen. Und die Apotheke vor Ort wird als niedrigschwellige Beratungs- und Gewährleistungsinstanz größere Bedeutung erhalten. Sie bietet Orientierung in einer immer flexibler werdenden Gesundheitswelt und wird eine Lotsenfunktion übernehmen.

Selbstmedikation, so Wieczorek, schafft auch Freiräume für den Arzt und Kostenentlastung für die GKV, darüber hinaus vermeidet sie Produktionsausfälle infolge Abwesenheit vom Arbeitsplatz.

Als Voraussetzung für mehr Selbstmedikation sieht der BAH-Vorsitzende eine Stärkung der Eigenverantwortung der Menschen, einen besseren Zugang zu qualifizierten Informationen, Vertrauen in die Produkte (die Apothekenpflicht zu erhalten sei eines der wichtigsten Ziele des BAH), den Zugang zu Innovationen im Selbstmedikationsbereich (beispielsweise durch Switches), den Erhalt des niedrigschwelligen Zugangs und vor allem, so Wieczorek, mehr Menschlichkeit, mehr Empathie.

Wieczorek empfahl den Apothekern, selbstbewusst die Rolle als heilberuf­licher Berater einzunehmen, sich zu profilieren durch Beratung zu erklärungsbedürftigen Produkten (beispielsweise Triptane). Apotheker sollten zudem eine noch stärkere Rolle als Schnittstelle zwischen Patient und Arzt einnehmen und zum Lotsen für Patienten im Gesundheitswesen avancieren. Wieczorek: „Denken Sie kaufmännisch und handeln Sie heil­beruflich!“

Keine Angst vor Digitalisierung

Foto: AV Nordrhein/Alois Müller
Prof. Dr. Andreas Kaapke

Über Apothekenmarketing im digitalen Zeitalter machte sich Prof. Dr. Andreas Kaapke, Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Gedanken. Bei der Sortimentspolitik könne die Vor-Ort-Apotheke punkten gegenüber dem Versandhandel. Während der Versandhandel bestellte, aber nicht vorrätige Produkte einfach nicht liefere, könne die Präsenz-Apotheke ihren Kunden deutlich machen, dass sie fehlende Präparate rasch besorge und nachliefere. Vor-Ort-Apotheken könnten zudem hochkompetente Dienstleistungen wie beispielsweise Reiseimpfberatung herausstellen. Und: Preissenkungen bei Arzneimitteln leisteten der Bagatellisierung von Arzneimitteln Vorschub, so Kaapke.

Interessante Aspekte konnte Kaapke aus einer aktuellen Kundenbefragung zum Thema „Marketing in Apotheken im digitalen Zeitalter“, zitieren, die er im Auftrag des Apothekerverbands Nordrhein erstellt hatte. So hatten mitnichten moderne oder digitale Elemente und Angebote einer Apotheke Einfluss darauf, ob ein Kunde eine Apotheke wieder besucht oder nicht: Eine moderne Ladengestaltung, eine Online-Bestellmöglichkeit oder Online-Verfügbarkeitsabfrage oder eine Apotheken-Website machten bei den meisten Apothekenkunden keinen Eindruck. Vielmehr schätzten die meisten (fast 95%) nach wie vor die Kompetenz der Mitarbeiter, den Standort der Apotheke sowie die Freundlichkeit der Mitarbeiter und an vierter Stelle den Heimlieferservice – das sind die bedeutenden Charakteristika einer Apotheke, die Einfluss darauf haben, dass Kunden diese Apotheke wieder besuchen.

Interessant sind auch die Ergebnisse der Umfrage, die sich anschaute, auf welchen Wegen und warum Kunden mit der Apotheke kommunizieren: Werden Arzneimittel bestellt, deren Verfügbarkeit abgefragt oder lässt man sich zu Arzneimitteln beraten, so findet dies in den allermeisten Fällen persönlich statt. Der persönliche Kontakt zur Apotheke ist nach wie vor – trotz Digitalisierung – der zentrale Kommunikationsweg. Wird eine Bestellung aufgegeben, so tun dies rund 94 Prozent aller Apothekenkunden persönlich in der Apotheke. An zweiter Stelle steht der telefonische Kontakt und auf Platz drei und vier die Kontaktaufnahme über die Website oder über E-Mail. Auch die Kontaktaufnahme über Social-Media-Kanäle spielt nur eine sehr untergeordnete Rolle. Kaapkes Fazit: Digitales hat keinen Einfluss auf den Apotheken­besuch. |

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