Gesundheitspolitik

Psychische Probleme?

Verteidiger im Zyto-Prozess: Es fehlt am Vorsatz und am Motiv

ESSEN (hfd) | Hat eine Hirnschädigung den Bottroper Zyto-Apotheker, der sich derzeit wegen mutmaßlich unterdosierter onkologischer Zubereitungen vor dem Landgericht Essen verantworten muss, womöglich zu unbewussten Fehlhandlungen veranlasst? Das jedenfalls brachte am vergangenen Prozesstag die Verteidigung des Angeklagten ins Spiel.

Schon in vorherigen Verhandlungstagen wurde mehrfach eine Kopfverletzung thematisiert, die der Zyto-Apotheker Peter S. im Jahr 2008 erlitten hat. Diese brachte die Verteidigung am 22. Februar nun als Erklärung für mögliche Probleme vor, schreibt die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ (WAZ): Die Anwälte hätten ihren Mandanten als psychisch derart beeinträchtigt bezeichnet, dass ihm etwaige Fehler bei der Herstellung von Chemotherapien gar nicht bewusst gewesen seien. Seit der schweren „Frontalhirnschädigung“ leide er unter „unbewussten Fehlhandlungen“, vor allem unter Stress. „Diese Störung ist für ihn nicht wahrnehmbar“, so ein Verteidiger laut WAZ.

Die Anwälte des Apothekers wollen einen Psychiater als Gutachter laden, da er zur „schweren Hirnschädigung infolge eines Schädel-Hirn-Traumas“ berichten könne, die „gravierende neurologische Auffälligkeiten“ zur Folge habe, wie das Recherchebüro Correctiv berichtet. Der Staatsanwalt und die Nebenkläger lehnten die Ladung jedoch ab: Mehrere Zeugen hatten ausgesagt, dass der Angeklagte keine Persönlichkeitsveränderung gezeigt habe.

Zehn Jahre Haft möglich

Ferner äußerten sich die Anwälte von S. zu einem rechtlichen Hinweis, den das Gericht am vorherigen Prozesstag gegeben hatte. Demnach drohten dem Angeklagten bis zu zehn Jahre Freiheits­strafe – wegen eines Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz in besonders schwerem Fall. Dies wäre möglich, wenn die Richter den Angeklagten schuldig sprechen, die Gesundheit einer großen Zahl von Menschen gefährdet zu haben. Die Verteidiger brachten nun vor, dass der Vorsitzende Richter gesagt habe, S. könne womöglich keine konkrete Unterdosierung nachgewiesen werden, da auch Kollegen Zytostatika hergestellt hätten – doch könne S. prinzipiell wegen „Organisationsverschuldens“ verurteilt werden, da er für die Herstellungen seiner Apotheke verantwortlich sei. „Wesentliche Behauptungen der Anklage sind nicht mehr aufrechtzuerhalten“, erklärte ein Verteidiger laut WAZ hierzu – ein Kollege forderte vom Gericht eine Präzisierung der rechtlichen Hinweise. Die Beweisaufnahme habe keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Unterdosierung ergeben. Und: „Es ist völlig unklar, wer was wann getan hat“. Die Herstellung unter Zeitdruck, von der mehrere Zeugen berichtet hatten, könne statistisch gesehen schnell zu Fehlern führen, erklärte die Verteidigung laut „Correctiv“. Mangelnde Kontrollen würden zudem ermög­lichen, dass eine mögliche „unverschuldete Unterdosierung“ über Jahre unentdeckt bleiben könne.

Die Verteidiger bestritten, dass es überhaupt ein Tatmotiv gebe. In der Woche zuvor war ein Schreiben eines Anwalts von S. aus einem früheren Ermittlungsverfahren verlesen worden, nach der der Apotheker sozial stark engagiert sei und es ihm ein besonderes Bedürfnis sei, schwerkranken Patienten zu helfen. Laut Verteidigung ist S. ein „guter Mensch“ und „Habgier ist ihm wesensfremd“. Auch hätten bei durchgehenden Unterdosierungen Ärzte etwas merken müssen, argumentierte der Verteidiger bei dem später eingestellten Verfahren. Außerdem: Je früher ein Patient sterbe, desto weniger verdiene der Apotheker an ihm. Daher seien Minderdosierungen unwirtschaftlich – und ohnehin menschenverachtend.

Der Prozess wird in der zweiten Märzwoche fortgesetzt. |

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