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Interdisziplinäres Projekt Parkinson

Kammern fördern mit zertifizierter Fortbildung die Netzwerkbildung

Olaf Rose | In mehreren Kammer­bezirken wird aktuell eine zertifizierte Fortbildung Parkinson angeboten. Was steckt hinter diesem Projekt, und welchen Nutzen hat es?

Patienten, die unter einem Parkinson-Syndrom leiden, haben besondere Bedürfnisse. Im Krankheitsverlauf kommt es zu zahleichen motorischen und nichtmotorischen Symptomen (z. B. Dyskinesie/Freezing, Hyper­kinesie, Depressionen, Obstipation, Dysphagie, Halluzinationen), die für die Patienten sehr belastend sein können. Besonders das Freezing wird vom Patienten als sehr bedrohlich empfunden und vermittelt ein starkes Gefühl der Hilflosigkeit. Aufgrund der vielen unterschiedlichen Symptome und der Progredienz ist eine ausgeprägte Polymedikation schon nach wenigen Jahren üblich. Ist Levodopa Teil der Medikation, so sind zusätzlich noch die häufigen Nüchtern-Einnahmezeitpunkte eine praktische Herausforderung. Auch die genaue Anpassung der Dosierungen an den Krankheitsverlauf erfordert Fingerspitzengefühl und ein gutes Therapiemonitoring.

Foto: AKWL/Sokolowski
Abb.: Sie freuen sich über die verstärkte Zusammenarbeit zum Wohle der Parkinsonpatienten (v. l.): Dr. Andreas Kiefer (BAK-Präsident), Dr. Andreas Walter (Geschäftsführer AKWL), Gabriele Regina Overwiening (Präsidentin AKWL), Friedrich-Wilhelm Mehrhoff (dPV-Geschäftsführer), Friedemann Schmidt (ABDA-Präsident), Dr. Sabrina Schröder und Dr. Olaf Rose (Projektinitiatoren).

Netzwerkbildung und neue Versorgungsformen

Krankheitsübergreifend gibt es bei schwer behandelbaren Indikationen den Trend, dass neben klinischer Forschung mit verfügbaren Arzneimitteln (neue Kombinationen, neue Dosierungen) auch über eine Netzwerkbildung zusätzlicher Nutzen erzielt werden kann. Therapienetzwerke sind einerseits patientenorientiert ausgerichtet, haben andererseits den Vorteil, dass sich hier besonders interessierte und engagierte Heilberufler zusam- menschließen. Dadurch wird u. a. auch die Leitlinientreue in der Therapie gefördert.

Zudem lernen die verschiedenen Heilberufler die zusätzlichen Optionen kennen, aber auch die Sorgen und ­Nöte der Kollegen. Im Ergebnis soll es dann zu reibungsärmeren Abläufen kommen, wovon der Patient profitieren kann. Bei Parkinson und Herzinsuffizienz – aber auch in anderen Indikationen – konnte der Patientennutzen einer Netzwerkbildung in Studien gezeigt werden [8 – 10].

In solchen Netzwerken werden häufig auch sogenannte „Chronic Disease Nurses“, also spezialisierte Krankenschwestern eingesetzt [1]. Diese können zahlreiche Funktionen der oft raren Fachärzte übernehmen und damit zu deren Entlastung beitragen.

Besonders gute Studiendaten gibt es in dieser Hinsicht in der Behandlung der Herzinsuffizienz [2 – 5] und bei Parkinson [6, 7]. Deutlich konnte durch die Zusammenarbeit mit Disease Nurses die Hospitalisierungsrate gesenkt werden. Begleitet durch zahlreiche Forschungsprojekte kam es in den Pflegeberufen zu einer Aufbruchstimmung ähnlich wie bei Pharmazeuten durch das Medikationsmanagement.

Einbindung von Apothekern

Vor diesem Hintergrund hat auch die Einbindung von Apothekern in die multidisziplinären Teams einen besonders hohen Stellenwert. Denn einerseits gibt es eine mindestens vergleichbar gute Datenlage für den Nutzen pharmazeutischer Interventionen [11 – 13], andererseits lebt ein Netzwerk natürlich vom Zusammenspiel möglichst vieler unterschiedlicher Professionen. Zudem sind seitens der medizinischen Fachgesellschaften auch in Deutschland inzwischen Curricula für die Ausbildung von spezialisierten Krankenschwestern erarbeitet worden, und die Zusammenarbeit ist an einigen großen Zentren fest etabliert. Damit besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass bei mangelnder Präsenz der Apotheker die kognitiven Leistungen in der Medikationsoptimierung von anderen Beteiligten übernommen werden (müssen). Das im Perspektivpapier 2030 definierte Zukunftsfeld für Pharmazeuten ginge mangels Tätigkeit bereits im Vorfeld verloren.

Die Entwicklung der Zertifikatsfortbildung Parkinson

Vor diesem Hintergrund wurde in Zusammenarbeit der Deutschen Parkinson Vereinigung (dPV) als Patientenvertreter, der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)/Deutschen Parkinson Gesellschaft als medizinischer Fachgesellschaft und der Apothekerkammer Westfalen-Lippe in 2015 ein Curriculum für eine Zertifikatsfortbildung Parkinson erarbeitet. Pharmazeuten sollen hierbei mit den besonderen Bedürfnissen der Patienten vertraut gemacht werden. Ein starker Schwerpunkt liegt auf den medizinischen Aspekten, dem Erkennen von relevanten arzneimittelbezogenen Problemen und dem Medikationsmanagement bei der Leitdiagnose Parkinson.

Nach ersten Kursen wurde das Projekt in einem Spitzentreffen von ABDA und Bundesapothekerkammer gutgeheißen und als Zukunftsmodell für die weitere Zusammenarbeit ausgelobt. Vor dem politisch brisanten Hintergrund, dass die Deutsche Parkinson Vereinigung zuvor mit einer Versandapotheke zusammenarbeitete, waren dieses Treffen und der Beschluss besonders bemerkenswert.

Aktueller Stand

Die zweitägige Fortbildung wird gemeinsam von auf Parkinson spezialisierten Pharmazeuten und Neurologen durchgeführt. Pathophysiologische, pharmakologische und pharmakotherapeutische Hintergründe werden erläutert, und das Erkennen typischer medikationsbedingter Probleme wird geübt. Zahlreiche Patientenfälle werden mit Videosequenzen vorgestellt und bearbeitet, um die besonderen Therapieanforderungen zu verdeutlichen. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen wird erörtert, und Anknüpfungspunkte für die Pharmazeuten werden präsentiert. Ein Vertreter der Selbsthilfegruppe beschreibt, wie Patienten von diesem Wissen profitieren und welche Hilfestellungen von den Pharmazeuten gegeben werden können. Zudem wird auf Wunsch der Kontakt zur örtlichen Selbsthilfegruppe hergestellt. Nach der Fortbildung wenden die Teilnehmer das Erlernte in einem Medikationsmanagement an einem Parkinsonpatienten aus der eigenen Apotheke oder Station an, welches dann zur Erlangung des Zertifikats eingereicht wird.

Zertifikatsfortbildung Parkinson

  • AK Nordrhein: 4./5. Juli 2018 in Düsseldorf
  • LAK Baden-Württemberg: 14./15. September 2018 in Stuttgart

Inzwischen haben über 100 Apothekerinnen und Apotheker die Zertifikatsfortbildung erfolgreich absolviert oder befinden sich derzeit in der Zertifizierungsphase. Die Resonanz auf das Projekt ist außerordentlich positiv. Sowohl die Patientenvertreter als auch die beteiligten Neurologen und Pharmazeuten ziehen ein durchweg positives Fazit. In 2018 und 2019 wird die zertifizierte Fortbildung von zahlreichen Apothekerkammern im gesamten Bundesgebiet angeboten (s. Kasten). |

Literatur

 [1] Specialized nursing practice for chronic disease management in the primary care setting: An evidence-based analysis. Ont Health Technol Assess Ser 2013;13:1-66

 [2] Glogowska M et al. Managing patients with heart failure: A qualitative study of multidisciplinary teams with specialist heart failure nurses. Ann Fam Med 2015;13:466-71

 [3] McAlister FA et al. Multidisciplinary strategies for the management of heart failure patients at high risk for admission: A systematic review of randomized trials. J Am Coll Cardiol 2004;44:810-9

 [4] de la Porte PWFB-A et al. Added value of a physician-and-nurse-directed heart failure clinic: Results from the Deventer-Alkmaar heart failure study. Heart 2007;93:819-25

 [5] Blue L et al. Randomised controlled trial of specialist nurse intervention in heart failure. BMJ 2001;323:715-8

 [6] MacMahon DG. Parkinson‘s disease nurse specialists: An important role in disease management. Neurology 1999;52:S21-5

 [7] Reynolds H et al. Evaluation of the role of the Parkinson‘s disease nurse specialist. Int J Nurs Stud 2000;37:337-49

 [8] Holland R. Systematic review of multi­disciplinary interventions in heart failure. Heart 2005;91:899-906

 [9] Bloem BR et al. ParkinsonNet: A Low-Cost Health Care Innovation With A Systems Approach From The Netherlands. Health Aff (Millwood) 2017;36:1987-96

[10] van der Eijk M et al. Multidisciplinary Collaboration in Professional Networks for PD: A Mixed-Method Analysis. J Parkinsons Dis 2015;5:937-45

[11] Schröder S et al. Impact of community pharmaceutical care on patient health and quality of drug treatment in Parkinson‘s disease. Int J Clin Pharm 2012;34:746-56

[12] Henrichsmann M, Hempel G. Impact of medication therapy management in patients with Parkinson‘s disease. Int J Clin Pharm 2016;38:54-60

[13] Parajuli DR et al. Role of the Pharmacist for Improving Self-care and Outcomes in Heart Failure. Curr Heart Fail Rep 2017;14:78-86



Unsere Stärken zeigen

Ein Gespräch mit dem Initiator der Zertifikatsfortbildung Parkinson

DAZ: Herr Dr. Rose, Sie haben das Projekt zertifizierte Fortbildung Parkinson initiiert. Welchen Nutzen haben die Teilnehmer der zertifizierten Fortbildung?

Rose: Die Teilnehmer erhalten einen fundierten Einblick in die Pharmakotherapie und Patientenbedürfnisse im Bereich der Parkinson-­Syndrome. Damit – und mit der Unterstützung der Deutschen Parkinson Vereinigung (dPV) – haben sie das Rüstzeug, um anschließend gezielt und kompetent ihre Parkinsonpatienten zu betreuen, sich selbst­bewusst in Netzwerke einzubringen und sich mit dem Krankheitsbild weiter auseinanderzusetzen. In Münster wurde zum Beispiel das „Parkinsonnetz Münsterland+“ von der örtlichen Uniklinik gegründet, und wir freuen uns inzwischen über die rege pharmazeutische Beteiligung.

Dr. Olaf Rose

DAZ: Kritiker sagen, dass man nun gerade dem politischen Gegner im EuGH-Prozess, also der Parkinson Vereinigung, entgegenkommt.

Rose: Zunächst einmal benötigen Parkinsonpatienten eine besondere pharmazeutische Betreuung. Patienten aufgrund berufspolitischer Diskrepanzen zu vernachlässigen, kann nicht im Sinne eines verantwortungsbewussten Pharmazeuten sein.

Erfreulicherweise kann ich ganz klar sagen, dass wir in den bis­herigen Kursen ausnahmslos hochgradig interessierte und motivierte Kolleginnen und Kollegen fortbilden durften, die sich massiv für ihre Patienten mit Parkinson einsetzen wollen und für die die politischen Hintergründe überhaupt keine Rolle spielten. Es wäre für mich auch nur schwer vorstellbar, dass Apotheker ihre eigenen Patienten für standespolitische Kämpfe in Haft nähmen. Abgesehen davon sollte uns der Prozess und sein Hintergrund wachrütteln: Wenn besondere Patientengruppen ihre Bedürfnisse äußern, dann müssen wir uns derer annehmen, sonst sucht man sich andere Partner.

Das Beispiel zertifizierte Parkinson-Fortbildung zeigt sogar ganz klar unsere möglichen Stärken. Wenn wir nur wirklich wollen und uns qualifizieren und einbringen, dann können wir uns tatsächlich auch durch Qualität gegen Preisdumping und eine spezialisierte Beratungshotline durchsetzen. So gesehen kann das Parkinson-Modell durchaus als Musterbeispiel für unseren Berufsstand dienen und aufzeigen, dass – wie in vielen anderen Branchen auch – unser Zukunftsweg in die „Tertiarisierung“, also in die packungslosgelösten Dienstleistungen gehen muss.

DAZ: Wie hat sich die Zusammenarbeit mit der dPV denn entwickelt?

Rose: Wir konnten in vielen Gesprächen – auch schon vor dem EuGH-Urteil – die dPV von der Sinnhaftigkeit einer Zusammenarbeit mit der besonders qualifizierten Apotheke vor Ort überzeugen. Der dPV war dabei ausschließlich an einer verbesserten Versorgung ihrer Mitglieder gelegen. Hierfür haben wir mit dem gemeinsam entwickelten Projekt starke Argumente geliefert.

Historisch hatte man bei der dPV leider sehr schlechte Erfahrungen mit den Standesvertretern der Apothekerschaft gemacht. Die dPV war daher sehr vorsichtig, aber stets gesprächsbereit. Obwohl sie beim EuGH obsiegte, ging sie den aufgezeigten Weg mit uns konsequent weiter und hat dann ja sogar die Unterlassungserklärung abgegeben. Daher kann man sicher nicht davon sprechen, dass der dPV hier Geschenke der Apotheker gemacht wurden, im Gegenteil, wir mussten verloren gegangenes Vertrauen mühsam wiederaufbauen. Das zeugte nach dem gewonnenen Verfahren seitens der dPV und ihrem Geschäftsführer Herrn Mehrhoff schon von einer gewissen menschlichen Größe.

Ich rechne es aber auch den Standesvertretern, allen voran Frau Overwiening, daneben Herrn Schmidt, Herrn Dr. Kiefer und den beteiligten und hierfür offenen Apothekerkammern hoch an, dass sie hier über ihren eigenen Schatten gesprungen sind und das Thema trotz des brisanten Hintergrunds und des Widerstands aus den eigenen Reihen vorantreiben. Es gilt jetzt, Wort zu halten und einen Gesinnungswandel vorzunehmen. Das Projekt hat uns allen eine gewisse Demut beigebracht und uns dabei auch klar unsere wahre Berufung als Apotheker und Heilberufler aufgezeigt.

DAZ: Herr Dr. Rose, vielen Dank für das Gespräch!

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