Hintergrund

Klare Hinweise, schriftlich festhalten

Empfehlungen für den Umgang mit autistischen Patienten

Bei Kunden, die dadurch auffallen, dass sie kaum Blickkontakte halten können und/oder Schwierigkeiten haben, ihre Wünsche und Bedürfnisse in der Apotheke zu realisieren, ist stets auch an einen möglichen Autismus zu denken. Wie dann vorzugehen ist, erläutert der Diplom-Psychologe Claus Lechmann, Leiter des AutismusTherapieZentrums (ATZ) Köln.
Claus Lechmann, Leiter des AutismusTherapie-Zentrums (ATZ) in Köln

DAZ: Herr Lechmann, zunächst einmal ganz grundsätzlich: Ist Autismus eine Krankheit?

Lechmann: Es handelt sich beim Autismus um eine psychiatrische Diagnose, die eine tiefgreifende Entwicklungs­störung charakterisiert. Der Begriff „Krankheit“ wird dabei im ICD ver­mieden, da er zu sehr auf ein medizinisches Krankheitsverständnis einengt. Hier wird deshalb von Autismus-Spektrum-Störung gesprochen, auch um nicht die Erwartung zu wecken, dass eine singuläre Ursache gegeben und eine medizinische Heilung möglich ist. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass Autismus nicht immer mit Defiziten gleichzusetzen ist. Die Betroffenen können in bestimmten Bereichen, zum Beispiel bei strukturierten Arbeiten, enorme Stärken haben. Insgesamt haben sie ein charakteristisches Muster bei den Stärken und Schwächen. Im sozial-kommunikativen Bereich liegen die Schwierigkeiten. Beim Systematisieren und im Gedächtnisbereich zeigen sich in der Regel Stärken, was den Betroffenen in vielen Berufen – übrigens auch als Apotheker – zugute kommen kann.

DAZ: Wenn es nicht die „eine“ Ursache gibt, wie erklärt man sich dann die Autismus-Spektrum-Störung?

Lechmann: Die Autismus-Spektrum-Störung bildet sich auf dem Boden einer multigenetisch bedingten Prädisposition aus. So liegt die Konkordanz bei eineiigen Zwillingen bei 90%, was ein klarer Hinweis auf eine genetische Prädisposition ist. Dabei sind wahrscheinlich mehrere hundert Gene beteiligt, die zudem miteinander interagieren, sodass eine klare Ursache der Störung derzeit nicht konkret zu fassen ist. Das erklärt zugleich die hohe Variation in der Ausprägung der Störung. Dazu kommen noch weitere prä- und perinatale Risikofaktoren.

DAZ: Welche Risikofaktoren sind bekannt?

Lechmann: Risikofaktoren sind zum Beispiel eine Rötelninfektion der Mutter in der Schwangerschaft, Arzneimittelexposition in der Schwangerschaft (Valproat und andere Antiepileptika, SSRI) sowie ein höheres Lebensalter der Schwangeren. Auch eine Frühgeburtlichkeit scheint die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer Autismus-Spektrum-Störung zu begünstigen.

DAZ: Ein weiteres Gerücht, das sich hartnäckig hält, ist, dass Autismus die Folge von Impfungen sein kann.

Lechmann: Das wird immer wieder behauptet, konnte aber nie belegt werden. Es gab viele Untersuchungen zu dieser Fragestellung, wobei sich in keiner von ihnen eine Assoziation zwischen Impfungen und einem Autismus hat zeigen lassen. Das wurde in Metaanalysen bestätigt und es gibt auch eine Cochrane-Studie, die klar gezeigt hat, dass es keine Korrelation gibt. Dennoch halten sich die Falschbehauptungen über einen angeblichen Zusammenhang hartnäckig.

DAZ: Vor dem Hintergrund des breiten Spektrums der Autismusstörung stellt sich natürlich die Frage, ob es überhaupt erfolgversprechende Behandlungsoptionen gibt. Wie kann Betroffenen geholfen werden?

Lechmann: Wichtig sind eine psychosoziale Frühförderung und intensive verhaltenstherapeutische Maßnahmen, da sozialkommunikative Defizite im Mittelpunkt stehen. Eine gezielte medikamentöse Therapie des Autismus ist nicht möglich. Es gibt aber die Chance, Zielsymptome wie zum Beispiel aggressives sowie zwanghaftes Verhalten oder auch Schlafstörungen, die die Betroffenen wie auch ihre Umwelt zusätzlich belasten, medikamentös zu behandeln. Hierzu werden die üblicherweise bei solchen Störungen indizierten Medikamente genutzt. Das gilt ebenso für das Aufmerksamkeits-­Hyperaktivitäts-Syndrom, also ADHS, das eine hohe Korrelation von etwa 40% mit dem Autismus zeigt.

DAZ: Haben diätetische Maßnahmen, bestimmte Vitamine oder Nahrungsergänzungsmittel Einfluss auf die Störung?

Lechmann: Nein, solche Maßnahmen haben keinen Effekt auf den Autismus. Das gilt auch für die oft propagierte Gluten- und/oder Casein-freie Ernährung.

DAZ: Wie erkennt man einen autistischen Kunden in der Apotheke?

Lechmann: Hellhörig im Hinblick auf einen Autismus sollte man werden, wenn ein Kunde ein etwas auffälliges Verhalten zeigt, wenn er keinen Blickkontakt aufnehmen oder halten kann und wenn er sich erkennbar schwer tut, seine Bedürfnisse zu verbalisieren.

DAZ: Wie sollte man als Apotheker in einer solchen Situation reagieren?

Lechmann: Autistische Menschen sind in ungewohnten Situationen häufig gestresst, auch sensorisch oft schnell überreizt. Deshalb ist es wichtig, ihnen eine ruhige Umgebung zur Beratung bieten zu können, wenn möglich in einem separaten Beratungsraum. Andeutungen und soziale Floskeln werden oft nicht verstanden. Hilfreich sind dagegen bei Abgabe eines Arzneimittels klare Hinweise und eindeutige Dosierungsrichtlinien, die im besten Fall auch schriftlich erläutert und dem Patienten mit nach Hause gegeben werden, wo er sich die Anweisungen in Ruhe durchlesen kann.

DAZ: Herr Lechmann, vielen Dank für das Gespräch! |

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