- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 52/2018
- Sehr geehrte Herren
Therapien im Gespräch
Sehr geehrte Herren …
… und natürlich auch Damen: Diese Themen sollten 2018 nicht an Ihnen vorbeigegangen sein
Zwei Jahrzehnte Sildenafil
20 Jahre sind nun schon vergangen, seitdem Viagra® auf den Markt kam und die Therapie der erektilen Dysfunktion revolutionierte. Das Prinzip: Als selektiver Hemmer der Phosphodiesterase vom Typ 5 (PDE-5) vermindert Sildenafil die Abbaurate von cyclischem Guanosinmonophosphat (cGMP), ein Second Messenger für Stickstoffmonoxid (NO), das eine entscheidende Rolle beim Vorgang der Vasodilatation spielt, auch in den penilen Schwellkörpern. Der Wirkmechanismus ist auch für Indikationen abseits von Erektionsstörungen interessant, so ist Sildenafil in Form des Präparats Revatio® bereits seit über zehn Jahren zur Behandlung der pulmonalen Hypertonie (PAH) zugelassen und wird off label bei sekundärem Morbus Raynaud eingesetzt. Tierstudien geben zudem Hoffnung, dass das Potenzmittel einen günstigen Einfluss bei zystischer Fibrose und vaskulärer Demenz haben kann. (DAZ 13, S. 26)
Bei aller Euphorie gab es zum runden Geburtstag auf der anderen Seite auch einen Rote-Hand-Brief (vom 11. Oktober 2018): Bei intrauteriner Wachstumsrestriktion soll Sildenafil zukünftig nicht mehr eingesetzt werden. Grund gab eine unabhängig beauftragte, randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie mit Namen STRIDER (Sildenafil Therapy In Dismal prognosis Early-onset intrauterine growth Restriction), in der schwangeren Frauen dreimal täglich 25 mg Sildenafil verabreicht wurde. Man erhoffte sich von der Behandlung eine verbesserte Durchblutung der Plazenta aufgrund der vasodilatativen Wirkung und folglich eine bessere Sauerstoff- und Nährstoffversorgung des unterentwickelten Fötus. Vorläufige Zwischenergebnisse zeigten im Sildenafil-Arm eine erhöhte Inzidenz von persistierender pulmonalarterieller Hypertonie bei Neugeborenen sowie von neonatalen Todesfällen. Die Studie wurde daraufhin vorzeitig abgebrochen und sorgte mit Schlagzeilen wie „Babys sterben bei Studie mit Viagra-Wirkstoff“ für mediale Aufregung. (DAZ 31, S. 30)
PDE-5-Hemmer nur auf Rezept
In einer deutschlandweiten Umfrage, die der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) in Zusammenarbeit mit der Hochschule Kaiserslautern in diesem Jahr durchgeführt hat, wurden Arzneimittel ausgelotet, die nach Wünschen der Apothekerschaft aus der Rezeptpflicht entlassen werden sollten. Wie bei der „Pille danach“ wäre ein OTC-Switch auch für PDE-5-Hemmer denkbar – nicht zuletzt, um Männern mit Erektionsproblemen einen niederschwelligen Zugang zu ermöglichen und sie vom Kauf minderwertiger und potenziell gefährlicher Ware vom Schwarzmarkt abzuhalten. Doch in der Umfrage stimmten mehr als 65% der Teilnehmer klar dagegen. Die Erfahrungen aus Polen und Neuseeland, wo Sildenafil bereits rezeptfrei erhältlich ist, lassen zwar keine Probleme im Bereich Sicherheit erwarten, reichen aber scheinbar auch nicht aus, die Skepsis hierzulande zu überwinden (DAZ 11, S. 74). Übrigens: Sildenafil hat nach wie vor den größten Marktanteil unter den PDE-5-Hemmern in Deutschland. Im vergangenen Jahr wurde Tadalafil (Cialis®) generisch, vor wenigen Wochen folgte Vardenafil (Levitra®). Einzig Avanafil (Spedra®) steht noch unter Patentschutz.
Vorsicht Atherosklerose!
Für PDE-5-Nonresponder und Männer, die nach Alternativen suchen, kommen unter anderem die Vakuumbehandlung sowie die intrakavernöse oder intraurethrale Pharmakotherapie (Stichwort: Schwellkörper-Autoinjektionstherapien, SKAT) infrage. Die niedrigenergetische extrakorporale Stoßwellentherapie (LESWT, Low Energy Shock-Wave Therapy) soll die Erektionsfähigkeit sogar dauerhaft ohne Pillen und Geräte verbessern (DAZ 39, S. 46). Zudem werden Nahrungsergänzungsmittel mit L-Arginin und homöopathische Präparate angeboten. Darüber hinaus kann Sport die penile Sauerstoffversorgung verbessern. Geeignet ist Intervalltraining am Liegefahrrad, am Stepper sowie ein Training an der Beinpresse. (DAZ 27, S. 30)
Ein Hinweis sollte im Beratungsgespräch jedoch auf keinen Fall fehlen: Potenzstörungen sind keineswegs eine reine „Alterserscheinung“, vielmehr können sie ein erster Hinweis auf das Vorliegen einer endothelialen Dysfunktion sein. Diese stellt das erste klinisch diagnostizierbare Stadium der Atherosklerose dar und gehört in die Hände eines Arztes.
Das Post-Finasterid-Syndrom
Finasterid wird zur Therapie der androgenetischen Alopezie in der Dosierung von 1 mg pro Tag, zur Therapie einer benignen Prostatahyperplasie mit 5 mg pro Tag eingesetzt. Während oder nach der Behandlung kann es zu Störungen der Sexualfunktion sowie psychischen und kognitiven Veränderungen kommen, die jedoch in der Regel zeitnah nach dem Absetzen verschwinden. Einige Patienten leiden aber dauerhaft unter Nebenwirkungen wie sexuelle Dysfunktionen, Depressionen, Angst, kognitiven Störungen und einer starken Einschränkung der Lebensqualität. Konkrete Angaben zur Häufigkeit eines Post-Finasterid-Syndroms liegen nicht vor (DAZ 16, S. 26). Im April dieses Jahres warnte die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) vor Stimmungsänderungen einschließlich Suizidgedanken unter Finasterid-haltigen Arzneimitteln. Im Juli folgte ein Roter-Hand-Brief, der nochmals auf das Risiko psychischer Symptome und sexueller Dysfunktion aufmerksam macht. Die Beschwerden können demnach auch nach dem Absetzen länger als zehn Jahre fortbestehen. In den USA wurde das Post-Finasterid-Syndrom bereits im Jahr 2015 im U. S. National Institutes of Health in das Informationscenter für genetische und seltene Erkrankungen eingetragen. Fachleute sind sich sicher: Man hat es keineswegs mit einer „eingebildeten Krankheit“ zu tun.
Wie lässt sich das erklären?
Die Wirkung von Finasterid beruht auf der selektiven Hemmung des Enzyms 5α-Reduktase, das die Umwandlung des Sexualhormons Testosteron in Dihydrotestosteron (DHT) katalysiert. DHT greift wahrscheinlich in den Wachstumszyklus der Haare ein, indem es den Übergang von der telogenen in die anagene Phase stört und damit Haarausfall begünstigt. Im Zusammenhang mit der benignen Prostatahyperplasie (BPH) fördert DHT das Wachstum der Epithelzellen und damit das Wachstum der Prostata. Finasterid kann beiden Effekten entgegenwirken.
Heute ist bekannt, dass es mindestens drei Isoformen der 5α-Reduktase gibt, die unterschiedlich lokalisiert und unter anderem wichtig für den Neurosteroid-Metabolismus sind. Typ 1 ist vor allem in der Haut aktiv, Typ 2 in der Prostata, aber auch in Leber, Nieren und Muskel, und Typ 3 in Haut und Gehirn. Finasterid hemmt die zwei Isoformen 2 und 3. Für Professor Dr. Michael Zitzmann, Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Andrologie sowie für Diabetologie und Sexualmedizin am Universitätsklinikum Münster, besteht eine eindeutige Kausalität zwischen dem Wirkmechanismus von Finasterid und den genannten Beschwerden: „Wir wissen, dass es im Gehirn Rezeptoren für DHT gibt, und wir wissen, dass ein erniedrigter DHT-Spiegel mit Angst und Depression einhergehen kann. So könnten sich psychische Nebenwirkungen erklären.“ Warum die Symptome aber auch anhalten können, wenn der DHT-Spiegel längst wieder im Normbereich ist, darüber gibt es nur Spekulationen. Zitzmann vermutet einen Eingriff in den Neurotransmitter-Stoffwechsel, da die 5α-Reduktase auch in den Cortisol- und Neurosteroid-Metabolismus eingreift. So wird zum Beispiel die Reduktion von Progesteron in 5α-Dihydroprogesteron und in der weiteren Folge in 3α,5α-Pregnanolon (Allopregnanolon) unterbunden. „Allopregnanolon ist ein Metabolit, der einen ausgeprägt dämpfenden, anxiolytischen und antidepressiven Effekt hat. Sein Ausfall könnte die psychischen Symptome des Post-Finasterid-Syndroms erklären.“ Aber auch ein Nocebo-Effekt schließt der Androloge nicht vollständig aus: „Auffallend ist, dass es sich bei den betroffenen Patienten um einen besonderen Typus handelt, die sich sehr intensiv mit sich selber beschäftigen, die sehr viel recherchieren und vieles infrage stellen.“ In dieses Bild passt, dass weniger die älteren BPH-Patienten, die Finasterid in einer höheren Dosierung (5 mg/d) bekommen, sondern eher die jungen Patienten, die es wegen Haarausfall (1 mg/d) angewendet haben, über ein Post-Finasterid-Syndrom klagen. „Möglicherweise ist der Neurotransmitter-Stoffwechsel hier vulnerabler als im Alter. Möglicherweise tolerieren die älteren Patienten aber auch die Nebenwirkungen besser“, so Zitzmann.
Was kann man tun?
Es ist bekannt, dass eine Testosteron-Substitution die Symptome eines Post-Finasterid-Syndroms nur unzureichend lindert. Auch Antidepressiva sind mit Vorsicht zu genießen: Sie können zwar gegen die Depression helfen, gleichzeitig aber auch die sexuellen Störungen verstärken. Allgemein gültige Empfehlungen wurden bisher nicht ausgesprochen.
Professor Zitzmann betreut derzeit über 100 Patienten mit den Symptomen eines Post-Finasterid-Syndroms und hat eine Strategie entwickelt. Er erfasst den Hormonstatus auch der Steroide, die für den Neurotransmitter-Stoffwechsel von Bedeutung sind, und führt bei Mangel eine gezielte „Hormonersatz“-Therapie durch. „Es sieht ja so aus, als könne der Neurotransmitter-Stoffwechsel durch Finasterid-induzierte Veränderungen im Neurosteroid-Stoffwechsel aus den Fugen geraten sein. Deshalb setze ich bei nachgewiesenem Mangel entsprechende Vorläuferhormone wie Androstendion, DHEA oder humanes Choriongonadotropin (hCG) ein. Hiermit lassen sich durchaus Erfolge erzielen.“ Um es allerdings gar nicht erst so weit kommen zu lassen, rät Zitzmann jüngeren Patienten, die unter Haarverlust und Glatzenbildung leiden, vor einem Finasterid-Einsatz erst alle anderen Optionen auszuschöpfen. (DAZ 16, S. 29) |
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.