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Allergie

Gezielte Provokation

Die Abklärung von Arzneimittelunverträglichkeiten ist ein Detektivspiel

Nesselsucht, Hautausschlag, Übelkeit: So können Überempfindlichkeitsreaktionen auf Medikamente aussehen. Die Verdächtigen lassen sich in der Offizin manchmal eingrenzen. Dem Patienten von Medikamenten abzuraten, wäre vorschnell – die Einnahme fortzusetzen aber bedenklich. Haut- und Labortests müssen allergische Auslöser identifizieren. Gelingt dies nicht, ist der gezielte Provokationstest der Königsweg. Doch der ist nicht ganz ungefährlich. | Von Ralf Schlenger

Der Löwenanteil der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) ist pharmakologisch-toxischer Art und damit dosisabhängig (UAW Typ A). Darauf fußt die alte Pharmakologenweisheit, wonach unerwünschte Arzneimittelwirkungen von erwünschten nicht zu trennen sind. Bei Überempfindlichkeitsreaktionen (UAW Typ B), die bis zu einem Drittel aller unerwünschten Arzneimittelwirkungen ausmachen, ist das anders: Sie sind unvorhersehbar und stehen in keinem Zusammenhang zur pharmakologischen Wirkung [1]. Überempfindlichkeitsreaktionen treten nur bei speziell prädisponierten Patienten auf. Meist imponieren sie als Hautreaktionen wie Urtikaria oder Exanthem und erhalten schnell den Stempel „Allergie“. Man unterscheidet aber bei Medikamentenüberempfindlichkeit immunologische und nicht-immunologische Ursachen. Eine Allergie beruht auf einem immunologischen Mechanismus, IgE- oder T-Zell-vermittelt, und setzt eine Sensibilisierung voraus. Dies trifft nur auf geschätzte 15 bis 20% aller unerwünschten Arzneimittelwirkungen zu. Bei einer „Intoleranz“ entwickeln sich die normalen pharmakologischen Wirkungen und Nebenwirkungen eines Arzneimittels ohne Sensibilisierung bei ungewöhnlich niedrigen Dosen. Zum Beispiel beruht die ASS-Intoleranz auf einer Stoffwechselstörung, nicht auf einer Allergie. Als „Pseudoallergie“ werden nicht-immunologisch bedingte Symptome bezeichnet, die allergischen Erkrankungen entsprechen. Auch der Begriff „Arzneimittel­idiosynkrasie“ bezeichnet eine Überempfindlichkeitsreaktion ohne Zusammenhang mit der eigentlichen pharmakologischen Wirkung, die (wahrscheinlich) nicht immuno­logisch bedingt ist, wie die Agranulozytose.

Bei den eigentlich immunologisch bedingten Arzneimittelüberempfindlichkeiten (Allergien) unterscheidet man vom Pathomechanismus gesehen die Typen I bis IV nach Coombs und Gell (Tab. 1).

  • Die Sofortreaktion vom Typ I ist meist IgE-vermittelt und führt innerhalb von ein bis sechs Stunden zu Symptomen wie Flush, Rhinitis, Konjunktivitis, Urtikaria, Angioödem, Bronchospasmus, gastrointestinalen Symptomen, in schweren Fällen zum anaphylaktischen Schock mit Kreislaufversagen. Bei bereits sensibilisierten Patienten kann die Symptomatik auch sofort eintreten.
  • Die T-Zell-vermittelte Spätreaktion vom Typ IV tritt in der Regel nach mehr als sechs Stunden, manchmal auch erst Tage nach Medikamenteneinnahme auf. Sie zeigt sich meist an der Haut mit makulopapulösen Exanthemen. Sie kann auch innere Organe in Mitleidenschaft ziehen und eine Hepatitis, Niereninsuffizienz oder Lungenentzündung auslösen.
    Merkmale
    Mechanismus
    Zeitintervall
    Mögliche Symptome
    • dosisabhängig (Typ A, Augmented)
    • Zusammenhang mit der pharmakologischen Wirkung
    • häufig
    • vorhersagbar
    toxische Effekte („Nebenwirkungen“)
    variabel, meist zeitnah
    z. B. Sedierung bei Antihistaminika, Haarausfall bei Zytostatika, Serotonin-Syndrom bei SSRI
    • teils dosisabhängig
    • kein Bezug zur pharmakologischen Wirkung
    • selten
    • nicht vorhersehbar
    nicht-immunologische Reaktionen (Intoleranz, Idiosynkrasie, Pseudo­allergie)
    variabel, unter Umständen sofort
    z. B. Asthma, Urtikaria durch ASS, Angioödeme durch ACE-Hemmer
    • nicht dosisabhängig(Typ B, Bizarre)
    • kein Bezug zur pharmakologischen Wirkung
    • selten
    • nicht vorhersehbar
    • unter Umständen lebens­bedrohlich
    immunologische Reaktionen (Allergie)
    Soforttyp (Typ I, IgE-vermittelt)
    sofort bis 60 Minuten (selten bis zwölf Stunden)
    Flush, Urtikaria, Angioödem, Bronchospasmus, Anaphylaxie
    Spättyp (Typ IV, T-Zell-vermittelt)
    24 bis 72 Stunden (selten Beginn ab sechs Stunden)
    makulopapulöse Exan­theme, Stevens-Johnson-Syndrom (SJS)

Den Verdacht eingrenzen

Im Offizinalltag kann bei derartigen Symptomen ein Zusammenhang mit der Arzneimitteleinnahme vermutet und eingegrenzt, aber kaum sicher geklärt werden. Mögliche Fragen in diesem Zusammenhang sind:

  • Nimmt der Patient Arzneimittel, die für Intoleranzen oder Allergien bekannt sind? (wie Antibiotika, Analgetika, Kontrastmittel ...)
  • Sind solche Überempfindlichkeitsreaktionen bekannt oder schon in einem Allergiepass dokumentiert?
  • Sind ähnliche Reaktionen ohne Arzneimitteleinnahme bekannt, z. B. eine Naturlatex- oder Nahrungsmittelallergie?
  • Hat er prädisponierende chronische Erkrankungen wie Atopie, Asthma bronchiale, Polyposis nasi, Urtikaria, Mastozytose?
  • Bestehen akute Infektionen?
  • War der Patient Kofaktoren allergischer Reaktionen aus­gesetzt wie Stress, Alkohol, starkem UV-Licht?

Dem Patienten von der weiteren Einnahme eines „verdächtigen“ Arzneimittels abzuraten, auch wenn es sich nicht um ein ärztlich verordnetes Medikament handelt, kann vorschnell sein und zu einer ungerechtfertigten Einschränkung der Therapiemöglichkeiten führen. Andererseits: Die Einnahme fortzusetzen, wäre bedenklich, weil weitere, unter Umständen schwerere Reaktionen beim Patienten drohen. Eine ärztliche Abklärung ist beim Verdacht auf eine Arzneimittelunverträglichkeit grundsätzlich zu empfehlen. Der Facharzt kennt das klinische Bild, er kann Differenzialdiagnosen abgrenzen, und wird versuchen, den Ablauf der Symptome im Zusammenhang mit der Arzneimitteleinnahme zu interpretieren.

Diagnostik: Der Facharzt ist gefragt

Nicht umsonst widmeten allergologisch-immunologische Fachgesellschaften der Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel eine eigene allergologische Leitlinie (Abb. 1) [2]. Darin wird betont, dass die Aufklärungsrate höher ist, wenn der Patient zeitnah, bereits in der akuten Phase einer Reaktion, dem Arzt vorgestellt wird. Eine allergologische Klärung soll bis spätestens sechs Monate nach der Reaktion erfolgen, sagt Prof. Dr. Knut Brockow, Allergieexperte am Klinikum rechts der Isar in München und federführender Autor der Leitlinie. „Die Sensibilisierungen an der Haut und im Blut nehmen mit der Zeit ab, und es wird dann schwieriger, die Allergie nachzuweisen.“ Von größter Bedeutung seien die exakte Beschreibung und Einstufung der ursprünglichen Reaktion. Die zeitlichen Intervalle zwischen Arzneimittelanwendung und Symptomen sind ein wichtiger diagnostischer Anhalt, aber nicht allein beweisend. Findet unter einer Therapie eine Neusensibilisierung statt, treten allergische Symptome typischerweise nach einer Latenzzeit von fünf bis zehn Tagen auf. Bereits überempfindliche Patienten können nach erneuter Gabe der auslösenden Substanz Sofortreaktionen zeigen, aber auch verzögerte Reaktionen nach einer Stunde, sogar nach mehreren Wochen. Etwas kompliziert wird es bei Reaktionen unter der Einnahme mehrerer Medikamente; in diesem Fall kann ein Zeitstrahldiagramm weiterhelfen, das die einzelnen Intervalle zwischen Einnahmezeitpunkt und Symptomen veranschaulicht.

Abb. 1: Diagnostischer Algorithmus bei Verdacht auf Arzneimittelüberempfindlichkeit. In Einzelfällen, zum Beispiel beim Analgetika-Asthma-Syndrom, kann die Diagnose auch aufgrund einer eindeutigen Anamnese gestellt werden. Wenn für das verdächtige Arznei­mittel eine zukünftige therapeutische Notwendigkeit eher nicht gegeben ist (z. B. Sulfonamid-Antibiotika), kann auf eine Diagnostik verzichtet werden [2].

Die Apotheke kann den Facharzt mit einer Dokumentation der Arzneimittel unterstützen: Von Relevanz sind Handelsnamen (Chargen-Nr., Asservate vorhanden?), Anwendungsform, Wirk- und Hilfsstoffe, Dosierung, Dauer der Anwendung und die Verträglichkeit bei früherer Anwendung.

Dem Allergologen stehen zur Erfassung einer Sensibilisierung neben der allgemeinen Anamnese Hauttests, Laboruntersuchungen und als letzte Option Provokationstests zur Verfügung. Wichtig bei allen allergologischen Tests: eine ärztlich beaufsichtigte Nachbeobachtungszeit, solange mit schweren Reaktionen wie Anaphylaxie gerechnet werden muss.

Hauttests: Routinediagnose

Bei Hauttests wird die Reaktion auf mögliche allergieauslösende Stoffe geprüft, indem diese auf die Haut aufgebracht (Reibetest, Pricktest, Epikutantest) oder in die Haut eingebracht (Intradermaltest, Scratchtest) werden (Abb. 2). Meist geschieht das auf der Unterseite des Unterarms, manchmal auch am Rücken. Feste Testsubstanzen können in einem geeigneten Vehikel (Wasser, Glycerin oder Alkohol) gelöst oder suspendiert werden [3]. Weil Testsubstanzen konzentrationsabhängig auch bei Gesunden zu Reaktionen führen können, sind nicht-irritative Konzentrationen zu verwenden (vgl. Kasten „Häufig als Allergieauslöser getestete Arzneimittel“). Um falsch negative und falsch positive Testreaktionen auszuschließen, sollen als positive Kontrolle eine 0,1%ige Histamin-Lösung und als negative Kontrolle physiologische Kochsalz-Lösung mitgetestet werden. Meist wird eine bestimmte Test-Reihenfolge eingehalten, die sich an der Stärke der zu erwartenden Reaktion orientiert.

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Abb. 2: Hauttest Werden Allergenextrakte auf die Haut getropft, so kann bei einer Sofortreaktion nach ca. 20 Minuten das Ergebnis abgelesen werden. Eine allergische Reaktion zeigt sich an der markierten Hautstelle durch Rötung und Quaddelbildung.

Reibetest: Wird eine sehr starke allergische Hautreaktion vermutet, kann der verdächtige Stoff in geeigneter Form ohne Anritzen der Haut auf den Unterarm aufgetragen und nur leicht verrieben werden. Meist werden Reibetests aber zur Klärung von Kontaktekzemen, etwa durch Dermatika, eingesetzt.

Beim Pricktest (to prick = piksen, stechen) werden Test­lösungen auf markierte Stellen aufgetropft und die Haut dort anschließend mit einer Lanzette ein wenig eingeritzt. Beim Scratchtest (to scratch = ritzen, kratzen) wird die Haut mit einer Blutlanzette bzw. Scratchnadel leicht strichförmig eingeritzt, ohne eine Blutung hervorzurufen. Die Ablesung erfolgt jeweils nach 15 bis 20 Minuten. Eine allergische Reaktion zeigt sich an den markierten Hautstellen durch Rötung und Quaddelbildung.

Der unzureichend standardisierbare Scratchtest wird in der Arzneimittel-Allergiediagnostik nur selten verwendet. Bei negativem oder zweifelhaftem Reibe- und Pricktest kann ein Intrakutantest (syn.: Intradermaltest) diagnostisch weiterführen. Mit einer feinen Kanüle (Insulin-Kanüle) werden dabei an der Unterarmbeugeseite, seltener am Rücken, etwa 0,03 bis 0,05 ml der Testlösung intrakutan injiziert, so dass eine kleine Quaddel entsteht. Ein Intrakutantest erkennt auch schwächere allergische Reaktionen. Andererseits ist er durch das direkte Spritzen unter die Haut schmerzhafter als der Pricktest und wird daher insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern zurückhaltend eingesetzt.

Die genannten Hauttests erkennen IgE-vermittelte Sofort­reaktionen vom Typ I. Bei Verdacht auf allergische Spättypreaktion vom Ekzemtyp kommt diagnostisch der Epikutantest (Patch- oder Pflastertest) zum Einsatz. Die Testsubstanz wird stark verdünnt in eine indifferente Grundlage eingearbeitet, in der Regel Vaseline, und z. B. in Dünnschichtfolien oder Zellstoff auf die gesunde Rückenhaut geklebt. Die Ab­lesung erfolgt nach 48 und nach 72 Stunden, gelegentlich auch nach 96 Stunden.

Häufig richtet sich eine Typ-I-Sensibilisierung (IgE) gegen Metaboliten der getesteten Arzneimittel, wodurch die Tests negativ ausfallen. Dies ist ein Grund, warum Hauttests auf Arzneimittel weniger aussagekräftig sind als etwa bei Pollenallergien. Nach den Erfahrungen von Professor Brockow weisen sie eine Allergie in etwa zehn bis 20% der Fälle nach. „Dieses Ergebnis ist dann sehr zuverlässig. Dagegen sagt ein negatives Testergebnis noch nicht viel aus.“ Am besten funktionieren die Tests bei Penicillin, weiß der Allergologe: Hier würden 70% der Überempfindlichkeitsreaktionen durch den Hauttest bestätigt [4]. Risiken der Hauttests sind u. a. anaphylaktische Reaktionen, außerdem ist eine De-novo-Sensibilisierung möglich. Das Risiko hängt von der getesteten Substanz, der Konzentration und der Test­methode ab. Intradermaltests und Epikutantests sollen daher nur mit dem vermutlich reaktionsauslösenden Arzneistoff oder infrage kommenden Alternativen erfolgen.

Häufig als Allergieauslöser getestete Arzneimittel

Folgende Wirkstoffe sind häufig Auslöser von Allergien, und es gibt für sie Empfehlungen für die optimalen Testkonzentrationen.

  • Antikoagulanzien (Heparine, Heparinoide)
  • Antikonvulsiva
  • β-Laktamantibiotika: Penicilloyl-Poly-L-Lysin, Benzylpenicillin, Amoxicillin, Ampicillin, Cephalosporine)
  • Biologika (Adalimumab, Etanercept, Infliximab, Omalizumab)
  • nichtsteroidale Analgetika (Pyrazolone, Coxibe, andere NSAR)
  • Platinum-Salze (Carboplatin, Oxaliplatin, Cisplatin)
  • Protonenpumpeninhibitoren
  • Chlorhexidindigluconat
  • Lokalanästhetika
  • Röntgenkontrastmittel
  • Gadoliniumchelate (MRT-Kontrastmittel)
  • Patentblau (Lebensmittelfarbstoff, Diagnostikum)
  • Methylenblau (Färbemittel, Antidot, Antiseptikum)
  • Fluorescein (Augendiagnostikum)

Validierte Haut- und/oder Labortests sind nur für wenige Arzneimittelgruppen verfügbar (z. B. β-Laktam­antibiotika, Heparine, Röntgenkontrastmittel, Muskelrelaxanzien und Platin-Verbindungen). Für viele Arzneimittel stehen keine validen Tests zur Verfügung und/oder deren Sensitivität ist gering. Daher müssen Haut- und Labortestergebnisse immer in Zusammenschau mit allen Daten beurteilt werden. Häufig ist ein kontrollierter Provokationstest zur Klärung notwendig.

Quelle: nach [2]

Manchmal hilfreich: In-vitro-Tests

Eine erhöhte Konzentration von IgE-Antikörpern im Blut ist kein spezifischer Nachweis einer Allergie; IgE-Antikörper können beispielsweise bei Rauchern oder einer Parasiten-Infektion erhöht sein. Laboruntersuchungen können dennoch bei negativen oder unklaren Hauttests weiterführen. Außerdem im Fall, dass der Hauttest selbst eine mögliche Gefährdung wäre, zum Beispiel bei anaphylaktischen Reaktionen auf β-Laktamantibiotika. Für diese und einige weitere Arzneistoffe sind validierte Tests zum Nachweis spezifischer IgE(sIgE)-Antikörper im Serum verfügbar, so für Chlorhexidin, Rindergelatine, Humaninsulin, Protamin, Morphin und Tetanustoxoid. Ansonsten besteht die Schwierigkeit darin, nach dem richtigen Antikörper zu fahnden. Die allergische Reaktion kann nicht nur durch einen Arzneistoff, sondern auch durch seine Metaboliten ausgelöst worden sein, außerdem in seltenen Fällen durch Hilfsstoffe, Konservierungs-, Farb-, Duft-, Süßstoffe oder Emulgatoren. Bei einer Pseudoallergie fehlen die IgE-Antikörper gänzlich.

Von Bedeutung sind in manchen Fällen Bestimmungen arzneimittelmetabolisierender Enzyme wie jener der CYP P450-Familie. Genvarianten verschiedener Isoenzyme (z. B. CYP2C9, CYP2C19, CYP2D6) sind weit verbreitet. Sie können durch Wechselwirkungen bzw. metabolische Veränderungen zu Arzneimittelunverträglichkeiten führen, die dann aber toxisch, also nicht-immunologisch bedingt sind.

Ultima ratio: Provokationstests

Sie stellen die ultimative Möglichkeit dar, eine echte allergische oder pseudo-allergische Reaktion zu bestätigen oder auszuschließen. Im abgestuften Diagnoseprozess kommen Provokationstests erst infrage, wenn der Auslöser einer Arzneimittelüberempfindlichkeit durch Anamnese, Hauttest und In-vitro-Untersuchungen nicht sicher identifiziert werden kann. Indikationen zur Provokationstestung sind laut Leitlinie:

  • Bestätigung der Diagnose bei verdächtiger Anamnese, wenn vorherige Tests negativ, unklar, nicht überzeugend waren oder wenn eine sonstige allergologische Diagnostik nicht zur Verfügung stand
  • Ausschluss einer Überempfindlichkeit bei unklarer Anamnese
  • Ausschluss einer Kreuzreaktivität bei verwandten Arzneimitteln.

Der Informationsgewinn sollte das Risiko systemischer Reaktionen, das bei Provokationstests gegeben ist, übersteigen. Das heißt: Sie sollten nur bei Arzneimitteln durchgeführt werden, die für den Patienten unentbehrlich oder nicht dauerhaft vermeidbar sind – wie Antibiotika (vor allem Penicilline, Cephalosporine, Clindamycin, Fluorchinolone), Analgetika, Lokalanästhetika und Impfstoffe. Eine weitere Bedingung ist laut Leitlinie die Durchführung unter stationären Bedingungen. Für den Fall anaphylaktischer Reaktionen sollten eine angemessene Nachbeobachtungszeit und eine Notfallversorgung durch erfahrenes ärztliches und pflegerisches Personal mit geeigneter medikamentöser und apparativer Ausrüstung gewährleistet sein. Das gilt besonders für Testungen mit Arzneimitteln, die häufiger mit schweren klinischen Reaktionen assoziiert sind. Dazu zählen Sulfamethoxazol, Dapson, Phenytoin, Carbamazepin, Allopurinol, Metamizol und Virustatika wie Abacavir, Nevirapin und Efavirenz.

Der Allergiepass

Der Allergiepass stellt ein ärztliches Dokument dar. In ihm werden der Reaktionstyp und die nicht vertragenen Substanzen oder Präparate mit Hinweis auf mögliche Kreuzreaktionen genannt. Mögliche (getestete) Ausweichsubstanzen und die höchste vertragene Dosis sollten angeführt werden, zum Beispiel „Paracetamol bis zu einer Einmaldosis von 500 mg (kumulativ 800 mg) bei oraler Provokation vertragen“. Wichtig ist schließlich der Hinweis, dass die zukünftige Verträglichkeit auch von Ausweichpräparaten nicht mit Sicherheit gewährleistet werden kann.

Viele Firmen stellen Allergiepässe kostenfrei zur Verfügung (z. B. 1A-Pharma, www.1apharma.de, und ratiopharm, www.ratiopharm.de). Sie können unterschiedlich gestaltet sein, entscheidend ist, dass die wichtigsten Informationen auf einen Blick zu erfassen sind. Unter www.allergieausweis.de bietet die medialang GmbH kostenpflichtig einen Allergikerpass in zehn Sprachen an (http://medilang.info/ausweis/?goal=ausweis).

Der Deutscher Allergie- und Asthmabund e. V. bietet sogenannte Restaurantkarten an: „Eine Bitte an den Koch“ fasst die wichtigsten Allergieauslöser zusammen und gibt Tipps für eine sichere Lebensmittelauswahl. So soll die Kommunikation zwischen Gast und Küche erleichtert werden (www.daab.de).

Sanofi hat einen virtuellen Allergiepass entwickelt (www.mein.sanofi.de/themen/mymedico-der-gesundheitspass/der-allergiepass?context=Aerzte), mit dem auf dem Handy übersichtlich immer alle Angaben zur Verfügung stehen.

Das Prinzip ist, Testsubstanzen in der Form zu applizieren, wie sie zur Überempfindlichkeitsreaktion geführt haben. Waren dies ursprünglich der intramuskuläre, intravenöse oder rektale Zufuhrweg, kann mit geeigneten Substanzen auch eine orale Zufuhr versucht werden. Bei einigen Reaktionsformen ist ein örtlicher Test am Reaktionsort im Sinn eines „lokalisierten Provokationstests“ möglich, zum Beispiel bei fixem Arzneimittelexanthem der Epikutantest in loco. Grundsätzlich werden die Arzneimittel bei systemischer Gabe in steigender Dosis appliziert, zum Beispiel 10% – 50% – 100% oder 1% – 3% – 10% – 30% – 100% der üblichen Einzeldosis, gegebenenfalls bis zur Tagesdosis oder anamnestisch angewandten Dosis. Auch die Placebokon­trollen müssen in denselben „Dosierungen“ erfolgen. Das Zeitintervall zwischen den Einzeltests hängt vom vermuteten Reaktionsmechanismus ab und kann 30 Minuten bis zwei Tage betragen. Ein aufwändiges Verfahren also, das aber bei richtiger Durchführung aussagekräftig ist. „Nur bei 10 bis 20% der Patienten bestätigt sich tatsächlich eine Unverträglichkeit. In allen anderen Fällen kann das Medikament als Ursache für die Beschwerden ausgeschlossen werden“, sagt Brockow.

Wenn Provokation gefährlich wird

In Schwangerschaft und Stillzeit und bei nicht sicher medikamentös beherrschbaren Überempfindlichkeitsreaktionen sollte auf einen Provokationstest verzichtet werden. Zum Beispiel, wenn nach einer Medikamentengabe ein unkontrolliertes Asthma, Agranulozytose, Fieber generalisierte Pusteln, Hautblasen und Mundschleimhauterosionen (Verdacht auf Stevens-Johnson-Syndrom, toxische epidermale Nekrolyse), Nephritis, Hepatitis oder schwere anaphylaktische Reaktionen aufgetreten sind. Ist eine Provokation nicht durchführbar, sollte im Allergiepass eine mögliche Arzneimittelüberempfindlichkeit dokumentiert und eine Karenz empfohlen werden. |

Literatur

[1] Gomes ER, Demoly P. Epidemiology of hypersensitivity drug reactions. Curr Opin Allergy Clin Immunol 2005,5:309–316

[2] Allergologische Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel. S2K-Leitlinie, AWMF-Leitlinien-Register-Nummer 061 – 021, Stand 31. Dezember 2014

[3] Scratchtest. www.enzyklopaedie-dermatologie.de/dermatologie/scratchtest-3675

[4] Neubauer K. Medikamentenallergie: Hauttest und Bluttest. Süddeutsche Zeitung, 31. Juli 2014

[5] Provokationstest mit Arzneien: Wann tun, wann lassen? Ärzte Zeitung online, 3. November 2017

Autor

Ralf Schlenger ist Apotheker und arbeitet als freier Autor und Medizinjournalist in München.

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