Aus der Hochschule

OSCEs im Fach Klinische Pharmazie

Problem- und patientenorientierte Lehre und Prüfung in der Klinischen Pharmazie

Tagtäglich leisten Apotheker als Teil von multiprofessionellen Teams einen wesentlichen Beitrag zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) und zur Therapieoptimierung für die Patienten. Aktuelle Themen wie der Wandel des Berufsbildes im Krankenhaus und in der öffentlichen Apotheke, AMTS, Medikationsmanagement und der vermehrte Einsatz von Stationsapothekern stellen uns vor folgende Fragen: Bilden wir unsere Studierenden hinsichtlich der erweiterten Anforderungen an das Berufsbild noch zeitgemäß aus? Wie kann die Klinische Pharmazie eine angemessene und vor allem patientenorientierte Ausbildung gestalten? Eine Antwort auf diese Herausforderungen in der Lehre im Studiengang Pharmazie sind „OSCEs“.

OSCEs (Objective Structured Clinical Examinations) stellen eine moderne, praxisorientierte Prüfungsform dar, bei der die Studierenden einen Parcours aus zeitbegrenzten Stationen mit verschiedenen klinisch-pharmazeutischen Fragestellungen durch­laufen. In der pharmazeutischen Lehre lassen sich die OSCE-Stationen in praktische und theoretische Stationen aufteilen und werden anhand von strukturierten Checklisten bewertet. Die praktischen Stationen simulieren eine möglichst realistische Situation eines Beratungsgesprächs: Grund und Inhalt des Gesprächs, Gesprächspartner (Patient, Arzt, Pflegepersonal) und die zur Verfügung stehende Zeit werden entsprechend gewählt. Die theoretischen Stationen hingegen überprüfen vor allem das klinisch-pharmazeutische Fachwissen und die Vorgehensweise der angehenden Apotheker bei einer konkreten Pro­blemstellung. Ziel der OSCEs ist die Überprüfung der professionellen Leistung in einer simulierten Umgebung, d. h. eine Evaluation des klinisch-pharmazeutischen Fachwissens, der Fähigkeit zur Problemerkennung und -lösung sowie der Beratungskompetenz und Kommunikationsfähigkeit.

International sind OSCEs bereits als Prüfungsstandard in den Studienfächern Humanmedizin, Krankenpflege und auch in der Pharmazie etabliert. In Deutschland gibt es hingegen nur wenige Beispiele für den Einsatz von OSCEs in der Pharmazie. Um die OSCEs als strukturierte Prüfungsform in der Lehre der Klinischen Pharmazie einzuführen, wurde Anfang 2017 ein Promotionsprojekt an der Philipps-Universität Marburg in Zusammenarbeit mit der Apotheke des Klinikums Fulda initiiert.

Erfahrungen mit OSCEs in der Pharmazie in Marburg

Die Ursprünge dieses Projektes gehen auf das Jahr 2006 zurück, als Dr. Annette Freidank, stellvertretende Leitung der Krankenhausapotheke des Klinikums Fulda, im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Strathclyde-University in Glasgow mit 24 Studierenden erstmals OSCEs an der Philipps-Universität Marburg durchführte. Aufgrund der positiven Resonanz der Studierenden konnte dieser freiwillige Kurs, der für maximal 24 Studierende des achten Semesters aus einem Tag auf Station und einem abschließenden OSCE bestand, über einen Zeitraum von elf Semestern angeboten werden. Aufbauend auf diesen erfolgreichen Vorerfahrungen mit den kleineren Gruppen werden nun in einem Promotionsprojekt die OSCEs als fester Bestandteil der universitären Ausbildung in der Klinischen Pharmazie für Kohorten von bis zu 120 Studierenden eingeführt und evaluiert. Abbildung 1 verdeutlicht den Ablauf des Projektes.

Abb. 1: Ablauf des Promotionsprojektes

Im Sommersemester 2017 durchliefen 24 Studierende des achten Fachsemesters und 20 Studierende des siebten Fachsemesters freiwillig ein OSCE, das in den Räumlichkeiten des Instituts für Pharmakologie und Klinische Pharmazie stattfand.

Im Wintersemester 2017/18 nahmen neun der „erfahrenen, bereits geprüften“ 20 Studierenden an ihrem zweiten OSCE teil sowie weitere 19 OSCE-„naive“ Studierende des achten Fachsemesters. In diesem Semester wurden die OSCE-Teilnehmer in zwei Gruppen unterteilt, wobei die Interventionsgruppe einen extra-curricularen Kurstag zur Bearbeitung von Anfragen aus der Berufspraxis sowie zur Übung von Beratungsgesprächen und OSCEs in Zweiergruppen erhielt. Nach Auswertung der Studierendenevaluation des Pilotprojektes wurde der zukünf­tige Stellenwert von OSCEs in der phar­mazeutischen Lehre schnell deutlich: Die Studierenden wünschen sich ein modernes Prüfungsformat wie OSCEs, mehrheitlich als verpflichtenden Bestandteil des Curriculums (58%) im Vergleich zu OSCEs als freiwilliger Zusatzqualifikation (42%). Kein Studierender wählte „keinen zukünftigen Stellenwert“ aus.

Im Sommersemester 2018 wurden die OSCEs und der OSCE-Kurstag ein verpflichtender Bestandteil des gesamten achten Fachsemesters im Fach Klinische Pharmazie. Der Kurstag wurde zu einer dreistündigen Übungseinheit ausgebaut und mit einer Kursgröße von circa 30 Studierenden durch­geführt. Das Sommersemester 2018 brachte eine weitere entscheidende Entwicklung: die Zusammenarbeit mit dem MARIS (Marburger Interdisziplinäres Skills Lab) im Dr. Reinfried Pohl-Zentrum für medizinische Lehre, in dem seit dem Wintersemester 2009/10 entsprechende OSCEs des Fachbereiches Medizin stattfinden. Der Einsatz von professionell geschulten Simulationspatienten und die Raumstrukturen des MARIS ermöglichten den Ablauf des zeitlich exakt getakteten OSCE-Parcours für eine Kohorte von fast 100 Studierenden und eine realistischere Umsetzung der Stationen. So konnten im Sommersemester 2018 an zwei Tagen 91 Pharmaziestudierende des achten Fachsemesters durch die OSCEs geschleust werden, im Wintersemester 2018/19 87 Studierende. Im Sommersemester 2019 werden rund 120 Studierende erwartet. Vom Patienten in seinem Krankenbett im Klinikum über die Stammkundin in der öffent­lichen Apotheke bis hin zur telefonischen Rücksprache mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst: thematisch wird auch im kommenden Semester auf Praxisbezug, patientenindividuelle Beratung und interprofessionelle Zusammenarbeit gesetzt.

Foto: Gerlach-Riehl
OSCE-Station: Arzneimittelanamnese am Patientenbett

Welchen Aufwand bedeutet die Durchführung von OSCEs?

Die Durchführung von OSCEs in Semesterstärke bedeutet nicht nur einen besonderen Aufwand für die Gesamtorganisation, sondern auch für die Rekrutierung und Ausbildung von Simulationspatienten und Bewertern sowie für die Betreuung und Koordination der Stationen vor Ort. Für die Vorbereitung eines 10-Stationen-OSCEs für 91 Studierende wurden circa 85 Stunden benötigt. Für fünf praktische Stationen werden fünf Simulationspatienten/Arztrollen und fünf Bewerter, für fünf theoretische Stationen eine Aufsichtsperson eingesetzt, sowie je eine Person für das Zeitmanagement und die Gesamtkoordination. Pro OSCE-Parcours werden somit 13 Mitarbeiter eingeplant. Bei sechs Minuten pro OSCE-Station und zwei Minuten Wechselzeit durchlaufen zehn Studierende ein 10-Stationen-OSCE in circa eineinhalb Stunden. Das MARIS ermöglicht den parallelen Ablauf von zwei OSCE-Parcours, so dass 20 Studierende zeitgleich auf zwei Etagen „geprüft“ werden können. Ein OSCE für maximal 60 Studierende (drei Gruppen à 20 Studierende) inkl. Vor- und Nachbesprechung sowie Mitarbeiterpausen kann in sieben Stunden durchgeführt werden. Die Auswertungszeit pro Studierendem betrug ca. 45 Minuten. Die Praktikabilität eines 10-Stationen-­OSCEs für rund 90 Studierende ist in Tabelle 1 dargestellt.

Tab. 1: Praktikabilität eines 10-Stationen-OSCEs für rund 90 Studierende
Vorbereitung
Durchführung
Auswertung
Zeitbedarf
Stationen
Personalbedarf
Prüfungszeit
Zeitbedarf
~ 85 h
5 theoretische
1 Aufsichts­person
~ 1 ½ h pro Parcours für 10 Studierende
~ 45 Min./Studierenden
5 praktische
5 Simulationspatienten + 5 Bewerber
1 Person für Zeitmanagement1 Person für Gesamtkoordination

Neben der Durchführbarkeit der OSCEs wurde auch die Reliabilität (Verlässlichkeit) der OSCEs mittels Cronbachs Alpha statistisch ausgewertet. Die in der Literatur häufig zitierte Mindest­reliabilität von 0,7 wurde bereits in der Pilotphase des Projektes erreicht. Dank einer repräsentativen Anzahl von circa 90 Studierenden, der Durchführung einer dreistündigen Übungseinheit und dem Einsatz der professionell geschulten Simulationspatienten des MARIS wiesen die OSCEs im Sommersemester 2018 eine Reliabilität von 0,847, im Wintersemester 2018/19 einen Wert von 0,759 auf. Mit diesem Projekt konnte gezeigt werden, dass OSCEs als verlässliche Lehr- und Prüfungsform auch in der Pharmazie in größeren Kohorten etabliert werden können, wenn auch mit hohem Aufwand.

Ist es diesen Aufwand wert? Die Evaluation im direkten Anschluss an die OSCEs verdeutlicht es: Die Studierenden sprechen sich deutlich für mehr praktische Übungen und Beratungs­gespräche in Kleingruppen in eben dieser Übungsumgebung aus, und dies schon zu einem früheren Zeitpunkt im Studium. Problem- und patientenorientierte Lehre und Prüfung sind in der Klinischen Pharmazie zweifellos die Zukunft. OSCEs sind hier ein erster Schritt in diese Richtung. Weitere Entwicklungen hin zur Ausbildung der zukünftigen Apotheker am Patienten – auch am Krankenbett – sollen folgen. |

Danksagung: Ein großer Dank gilt den freiwilligen Helferinnen und Helfern sowie dem gesamten MARIS-Team, das uns mit seiner Expertise ganz neue Möglichkeiten eröffnet hat! Auch den freiwilligen Studierenden der ersten OSCE-Runden möchten wir für ihre Teilnahme und ihren Einsatz danken!

Autoren

Ronja Mathis,  Apothekerin der Apotheke und des Patientenberatungszentrums der Klinikum Fulda gAG und Doktorandin der AG Culmsee des Instituts für Pharmakologie und Klinische Pharmazie der Philipps-Universität Marburg

Prof. Dr. Carsten Culmsee, Professor für Klinische Pharmazie an der Philipps-Universität Marburg

Prof. Dr. Roland Radziwill, Honorarprofessor und Direktor der Krankenhausapotheke der Klinikum Fulda gAG

Dr. Annette Freidank, stellvertretende Leitung der Krankenhausapotheke der Klinikum Fulda gAG

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