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Digitalisierung

Was ist eine Blockchain?

Eine digitale Technologie erobert den Gesundheitssektor

Bislang redete man in der Gesundheitsbranche kaum über Blockchain. Meistens wurde diese Technologie vor allem im Zusammenhang mit virtuellem Geld erwähnt. Dass sie aber viel mehr Potenzial hat, zeigt nicht zuletzt der „Ideenwettbewerb Blockchain“ des Bundesgesundheitsministeriums, dessen Abgabefrist im Dezember 2018 endete. Das Bundes­ministerium für Gesundheit (BMG) suchte damit die besten Blockchain-Anwendungskonzepte im deutschen Gesundheitswesen. Wagen wir uns an eine Bewertung der Technologie, an einige Anwendungsfälle und an eine Abwägung von Chancen und Risiken. | Von Florian Giermann

Bekannt wurde Blockchain als Technologie hinter der Krypto­währung Bitcoin. Diese taucht auch immer wieder in den allgemeinen Nachrichten auf, wobei die Meinungen darüber unterschiedlicher nicht sein könnten: Während einige Bitcoin als hochriskanten und ressourcenfressenden Hype ohne großes Potenzial bezeichnen, stellen ihn andere als ­äußerst renditeträchtige Geldanlage dar. Bitcoin selbst ist eine digitale Währung, also ein Zahlungsmittel, das ohne die Regulierung einer Notenbank keinerlei staatlicher Aufsicht unterliegt.

Existieren kann der Bitcoin nur in Verbindung mit einer Art offenem, dezentral verteilten Bankkonto – der Blockchain; sie speichert sämtliche Bitcoin-Transaktionen auf sichere und nachprüfbare Weise, ohne dass ein Dritter als Mittelsmann diese verarbeiten muss.

Im Finanzbereich ist Blockchain so etwas wie ein vollständiger Kontoauszug. Sie enthält die komplette Historie aller getätigten Bitcoin-Transaktionen – ohne dass noch eine „echte“ Bank als vertrauensstiftende Instanz nötig wäre. Vieles, wodurch sich analoge Bankkonten auszeichnen, wurde dabei in die virtuelle Welt übernommen: So können beispielsweise einmal vorgenommene Einträge nicht mehr ohne größeren Aufwand rückgängig gemacht werden. Genau wie früher beim Sparbuch – was da drinstand, galt.

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Blockchains könnten dazu dienen, den BtM-Verkehr sicherer zu machen.

Die Technologie dahinter

Schauen wir kurz auf die zugrunde liegende Technologie: Blockchain ist ein großer, öffentlicher, sicherer und de­zentraler Datenspeicher, der geordnete Datensätze oder Ereignisse enthält, die man auch als Blöcke bezeichnet. Diese Blöcke werden auf einer nahezu beliebigen Anzahl von Rechnern (sog. Knoten oder englisch „nodes“) im Netzwerk identisch und redundant gehalten. Jeder Block wiederum enthält einen sog. „Zeitstempel“ und ist fest mit seinem vorherigen Block verknüpft. Durch diese unlösbare chronolo­gische Verknüpfung entsteht also eine Kette von Blöcken – wörtlich übersetzt „Blockchain.“ Einmal in den Block geschriebene Ereignisse können nur mit Zustimmung der Mehrheit aller Beteiligten des jeweiligen Blocks aktualisiert oder geändert werden. Sie können jedoch nicht wieder gelöscht werden. Dieser Datenspeicher gehört niemandem und wird von den Benutzern kollektiv kontrolliert. Vertrauen wird ausschließlich innerhalb des Blockchain-Protokolls kodiert und alleine durch den Konsens der Benutzergemeinschaft eines jeden Blocks aufrechterhalten. Bestimmte kryptografische Verfahren stellen darüber hinaus sicher, dass nur zulässige Datensätze akzeptiert werden und dass die gespeicherten Versionen der Datenbank auf allen Rechnern im Netz identisch sind.

Diese Eigenschaften geben Blockchain das Potenzial, in Hinblick auf Sicherheit, Authentizität, Privatsphäre und Zugänglichkeit einen revolutionären Fortschritt für viele Unternehmensbereiche und Branchen zu bewirken. Gehen wir also zuerst auf einige Anwendungsbeispiele aus dem Gesundheitsbereich ein.

Anwendungsbeispiel 1 – BtM-Rezepte

Auf dem ersten Platz beim eingangs erwähnten Ideenwettbewerb des BMG landete ein Projekt aus dem Betäubungsmittelbereich. Die Gewinner haben ein auf Blockchain basiertes Verfahren für die Abwicklung von BtM-Rezepten entworfen. Ausschlaggebend für den Sieg sei laut dem Ministerium die besondere Anfälligkeit von BtM-Rezepten für Manipulation, Missbrauch und Diebstahl gewesen. Hiergegen könne Blockchain effizient schützen.

In der Praxis soll das BtM-Rezept dabei in einer privaten Blockchain durch Arztpraxen, Apotheken und Aufsichts­behörden gemeinsam digital verwaltet werden. Wenn seitens des Arztes oder des Patienten ein neues BtM-Rezept ausgestellt bzw. angefordert wird, erstellt die dazugehörige Software einen neuen Block für die Chain. Dieser wird dann digital von allen am Prozess Beteiligten bestätigt, wodurch die eigentliche Transaktion (Ausstellung des Rezepts) aus­gelöst wird. Zusätzlich werden die Genehmigungen der Beteiligten samt aller dazugehörigen Transaktionen unveränderlich im Block gespeichert.

Durchaus nachvollziehbar also, dass das zur Erhöhung der Betäubungsmittelsicherheit und zur Reduktion des Verwaltungsaufwands beitragen kann. Wie man sich den Aufbau einer Blockchain im BtM-Bereich vorstellen kann, zeigt die Abbildung 1.

Abb. 1: Das Schema der Blockchain-Technologie am Beispiel der BtM-Verordnung und Abgabe.

Anwendungsbeispiel 2 – klinische Studien

Einen weiteren, sehr interessanten Anwendungsfall für die Blockchain habe ich beim Stöbern nach Themen für meinen Blog edikt-von-cupertino.de gefunden. Dafür schaue ich nämlich gerne und regelmäßig auf der Seite von IBM Watson Health nach interessanten Themen. Meistens werden dort neue Forschungsergebnisse zum Thema Künstliche Intelligenz auf leicht verständliche Weise vorgestellt.

Dieses Mal bin ich dabei auf eine Veröffentlichung gestoßen, in der die kanadischen Tochterunternehmen von IBM und Boehringer Ingelheim verkünden, gemeinsam die Blockchain-Technologie für klinische Studien einzusetzen.

Mit zu den größten Herausforderungen bei klinischen Stu­dien gehören laut den Verfassern:

  • die Reproduzierbarkeit von Ergebnissen,
  • der zuverlässige und sichere Austausch von Daten,
  • der Schutz personenbezogener Daten sowie
  • die Auswahl geeigneter Patienten.
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Vereinfachung der Dokumentation sowie mehr Vertrauen und Transparenz bei klinischen Studien - durch Blockchain-Einsatz?

IBM und Boehringer bewegt dabei die folgende Frage­stellung: Können diese Herausforderungen mit Blockchain besser bewältigt werden?

Tatsächlich ist Blockchain durchaus eine bestens geeignete Grundlage, um das Vertrauen und die Transparenz zwischen den Beteiligten im Verlauf einer klinischen Studie zu erhöhen. Greifen wir konkret die Patienteneinwilligungen auf, die allen Beteiligten, die sich u. U. an verschiedenen Orten befinden können, jederzeit vorliegen sollten. Mit Blockchain lässt sich nicht nur die Einwilligung, sondern lassen sich alle für die Studie relevanten Informationen schnell, sicher und dezentral handhaben. Sobald eine Blockchain von allen Beteiligten bestätigt wurde, haben alle berechtigten Interessengruppen Zugriff darauf – einschließlich der Patienten selbst.

Richtig eingesetzt können also durch diese Technologie Verwaltungsfehler reduziert, das Vertrauen der Teilnehmer an klinischen Studien und die Transparenz gegenüber den Teilnehmern erhöht werden. Sie birgt enormes Potenzial für den effizienten Austausch von Patienten- bzw. Gesundheitsinformationen. IBM und Boehringer Ingelheim jedenfalls bezeichnen Blockchain bereits als ein neues Betriebssystem für Vertrauen („a new operating system for trust“). Aber wie wäre es denn, wenn man Blockchain nicht nur auf vergleichsweise beschränkte Anwendungsfälle wie BtM-Rezepte oder das Anwerben von Patienten für klinische Studien beschränken würde?

Anwendungsbeispiel 3 – die Patientenakte

Unter einer elektronischen Patientenakte versteht man eine Datenbank, in der die Anamnese, Behandlungsdaten, Medikamente, Allergien und weitere Gesundheitsdaten von Patienten sektoren- und fallübergreifend sowie für das jeweilige Gesundheitssystem einheitlich gespeichert werden.

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Elektronische Patientenakte mit Daten aus Blockchains.

Diese Datenbank gibt es in Deutschland noch nicht. Gesundheits- oder Patientenakten sind heute nicht miteinander verbunden. Häufig existieren diese sogar ausschließlich auf Papier in der jeweiligen Arztpraxis oder dem Krankenhaus. Über die gemeinsame technologische Architektur und die einzuhaltenden Standards wird seit vielen Jahren diskutiert und verhandelt. Erst mit dem E-Health-Gesetz aus dem Jahr 2015 wurden erste verbindliche Rahmenbedingungen geschaffen. Diese sind aber weit davon entfernt, flächen­deckend umgesetzt zu sein, obwohl sogar Anreize wie – als Beispiel – die Vergütung von elektronischen Arztbriefen im Gesetz stehen. Für das generelle Vorhalten von Patienten­daten könnte Blockchain eine technologisch geeignete Basis sein. Durch Medienbrüche, also einer Übertragungskette über verschiedene Medien, und hohe (berechtigte!) Datenschutzanforderungen gibt es zur Zeit sehr viele Restriktionen für die an einem Austausch von Patientendaten beteiligten Leistungserbringer – und Kostenträger. Die Überwindung dieser Restriktionen ist häufig mit hohem Aufwand verbunden. Werden Patientendaten gar nicht unter den Leistungser­bringern ausgetauscht, liegt darin ein hohes Risiko für den Patienten im Hinblick auf Behandlungs- oder Medikationsfehler. Blockchain könnte alle Informationen über den Patienten sämtlichen Leistungserbringern jederzeit in identischer Qualität vorhalten, wodurch die eben beschriebenen Nachteile des aktuellen Status quo reduziert oder gar beseitigt werden könnten.

Werfen wir erneut den Blick nach Nordamerika: Im Dezember 2018 haben mehrere große US-Firmen aus der Gesundheitsbranche eine strategische Allianz verkündet, die den Test von Blockchain zur Verbesserung der Datenqualität ihrer Versicherten und zur Reduktion aller Kosten zum Ziel hat. Man sollte auch in Deutschland ein Auge auf die Ergebnisse dieser Projekte haben, wenn man das E-Health-Gesetz zum Nutzen der Patienten weiterentwickeln möchte.

Risiken und Nachteile von Blockchain

Wie jede neue Technologie, so ist auch Blockchain nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen. Zusammengefasst lauten die Nachteile: Sie ist speicherintensiv, inperformant und verursacht einen hohen Stromverbrauch.

Blockchain ist nämlich eben kein riesiger, dezentraler Computer – sondern besteht aus unzähligen davon. Weil jede Transaktion über eine Signatur verifiziert werden muss und ein komplexes mathematisches Verfahren zur Verschlüsselung verwendet wird, ist entsprechende Rechenleistung notwendig. Alle teilnehmenden Rechner müssen stets dieselben, aktuellen Daten besitzen. Einen solchen Prozess über ein derart großes, verteiltes System zu synchronisieren ist aufwendig. Es muss nämlich ein- und dieselbe Transaktion in der Blockchain von jedem Knoten unabhängig prozessiert werden. Sehr viel Arbeit für dasselbe Ergebnis – ohne Parallelschaltung von Aufgaben, Synergien oder gegensei­tige Unterstützung der Rechner. Daneben gibt es noch ein Restrisiko der Manipulation, nämlich wenn ein Teilnehmer die Kontrolle über 51 Prozent der an der Blockchain beteiligten Knoten erhält. In wenig komplexen Gesundheitsfällen könnte es zum Beispiel ausreichen, wenn sich Hausarzt, Facharzt und Pflegeeinrichtung absprechen und somit gegenüber einer evtl. auch noch beteiligten Apotheke un­wahre Daten in die Kette einbringen: Diese hätten dann natürlich den Anschein der Echtheit, da die Zustimmung der Mehrheit vorliegt.

Vom Blog zum Buch

„Selbst bei all der Werbung für Online-Apotheken in den gängigen Medien denken die Verbraucher trotzdem zuerst an die Apotheke vor Ort. Noch! Apotheken werden in Zukunft besonders erfolgreich sein, wenn sie verstehen, den Kunden das Kauferlebnis bequem und gleichzeitig spannend zu gestalten.

Als absolutem Kenner beider Branchen gelingt es Florian Giermann vorzüglich, die Schnittmenge von Apotheke und Digitalisierung mehr als spannend und real auf den Punkt zu bringen. Man kann sich beim Lesen wunderbar in seine Zukunftsvisionen hineinversetzen.

Machen Sie sich ein Bild von Ihrer eigenen Apotheke der Zukunft und lassen Sie sich von Florian Giermann inspirieren!“

Jan Reuter, Inhaber der Central-Apotheke in Walldürn


Florian Giermann
Das Edikt von Cupertinoapotheke.digitalisierung.blog

1. Auflage 2018
55 Seiten, Kartoniert, 17,0 × 24,0 cm
ISBN 978-3-7692-7210-9 
29,80 Euro
Deutscher Apotheker Verlag



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Dabei müssen die drei von mir exemplarisch genannten „Bösen“ noch nicht einmal wirklich böswillig handeln. Stellen Sie sich nur einmal vor, ein böswillig programmierter Chatbot würde authentisch wirkende -Mails an Hausarzt, Facharzt und Pflegekraft im o. a. Beispiel schicken und diese dadurch zu unwahren Transaktionen bewegen. Die Leistungserbringer wären gutgläubig – das Resultat hingegen fatal.

Fazit

Die Blockchain-Technologie bietet im fragmentierten und sehr sektoral funktionierenden Gesundheitsbereich enormes Potenzial. Insbesondere die jederzeitige Verfügbarkeit valider Patientendaten für alle Leistungserbringer kann die Versorgungsqualität in Deutschland verbessern und vermeidbare Fehler bei Diagnose, Behandlung und Arznei­mittelgabe reduzieren. Darüber bietet sie eine hohe Kostenersparnis bei der Verwaltung und Kommunikation der Leistungserbringer untereinander.

Demgegenüber steht ein gewaltiger Nachteil, was die Per­formance der Technologie betrifft, und ein Risiko bei der Datensicherheit. Letzteres wird sich aber bei über das Internet verteilten Informationen niemals komplett ausschließen lassen. Durch den Einsatz von aktuellen Sicherheitsmechanismen sollte es aber als beherrschbar eingestuft werden können.

Immer wieder erstaunlich finde ich, wie sehr man in anderen Ländern auf die Chancen einer neuen Technologie fokussiert ist. In den von mir genannten Beispielen aus Kanada und den USA haben sich Beteiligte aus allen Sektoren des Gesundheitswesens mit Technologieanbietern zusammengefunden. Dabei scheint es ihnen zu gelingen, ihre berechtigten kommerziellen Interessen zu wahren und dabei gleichzeitig das Informationsbedürfnis, die Rechte und die Sicherheit von Patienten zu respektieren.

Wenn sich also Lösungen für das Performanceproblem und den damit einhergehenden hohen Speicherbedarf finden lassen, wäre es fahrlässig, sich nicht auch hierzulande noch intensiver mit Blockchain im Gesundheitswesen auseinanderzusetzen. |

Autor

Florian Giermann ist Key Account Manager bei der Noventi Health SE, Blogger und Autor von „Das Edikt von Cupertino“

www.edikt-von-cupertino.de

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