Arzneimittel und Therapie

Paradigmenwechsel bei Diabetes

Bei hohem kardiovaskulärem Risiko sind GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT-2-Hemmer erste Wahl

Patienten mit Diabetes haben ein besonders hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dieses zu minimieren, ist ein wichtiges Ziel der Behandlung. Die europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) hat in Zusammenarbeit mit der europäischen Diabetes-Gesellschaft (EASD) die Leitlinie zum Management kardiovaskulärer Erkrankungen bei Patienten mit Diabetes und Prädiabetes auf den neuesten Stand gebracht.

In Europa waren 2017 ca. 60 Millionen Erwachsene an Typ-2-Diabetes erkrankt. Es wird angenommen, dass im Jahr 2045 weltweit mehr als 600 Millionen betroffen sein werden und ebenso viele Menschen einen Prädiabetes entwickeln. Angesichts dieser besorgniserregenden Zahlen wurde die Änderung von Lebensgewohn­heiten als Präventionsmaßnahme neu in die europäische Leitlinie zum Manage­ment kardiovaskulärer Erkrankungen bei Patienten mit Diabetes und Prädiabetes aufgenommen. Ziel ist es, das Fortschreiten eines Prädiabetes – charakterisiert durch abnorme Nüchternglucose-Spiegel oder eine gestörte Glucose-Toleranz – zu einer manifesten Diabeteserkrankung zu verhindern und Langzeit­komplikationen zu minimieren.

Finger weg vom Alkohol

Doch auch bei einer bestehenden Diabeteserkrankung sind Lebensstilmaßnahmen ein wichtiger Teil der Therapie. So sollen alle Patienten mit Diabetes und Bluthochdruck Anleitungen und Hilfestellung zur Änderung ihrer Lebensweise erhalten. Dazu gehören unter anderem Ernährungsumstellung, Verzicht auf Alkohol, körperliche Aktivität (≥ 150 min/Woche), Gewichtsstabilisierung und im Fall von Übergewicht die Gewichtsreduktion durch reduzierte Kalorienaufnahme. Mehrere randomisierte Studien haben gezeigt, dass durch mediterrane Kost mit Olivenöl und/oder Nüssen das Auftreten schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse reduziert werden kann. Für einen möglichen protektiven Effekt geringer Alkoholmengen konnte in einer aktuellen Metaanalyse hingegen kein eindeutiger Schwellenwert ausgemacht werden. Eine Empfehlung für einen moderaten Alko­holkonsum kann daher nicht gegeben werden.

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Eine gute medikamentöse Einstellung schützt Patienten mit Typ-2-Diabetes vor kardiovaskulären Folgekomplikationen. Doch Metformin ist nun nicht mehr in allen Fällen das Mittel der Wahl.

Risikopatienten identifizieren

Zur Einschätzung des kardiovaskulären Risikos bei asymptomatischen Patienten mit Diabetes stehen diverse Methoden zur Ver­fügung. Neben der routinemäßigen Untersuchung auf Mikroalbuminurie zur Identifizierung von Nierenfunktionsstörungen wird bei Diabetespatienten mit Bluthochdruck oder Verdacht auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen nun die Durchführung eines Ruhe-Elektrokardiogramms (EKG) empfohlen. Darüber hinaus gibt es erstmalig Empfehlungen zum Einsatz bildgebender Verfahren wie Ultraschall und Computer­tomografie, um Plaques oder Calcium-Ablagerungen nachzuweisen.

Neue Blutdruck- und LDL-Ziele

Um das kardiovaskuläre Risiko zu minimieren, soll im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzeptes die kombinierte Reduktion mehrerer Risikofaktoren angestrebt werden. So sind in Übereinstimmung mit der aktuellen ESC/ESH-Hypertonie-Leitlinie auch die Blutdruckzielwerte für Menschen mit Diabetes gesenkt worden. Denn eine optimale Blutdruckkontrolle reduziert das Risiko für mikro- und makrovaskuläre Komplikationen. Im Vergleich zu einem zuvor für alle Patienten angestrebten Blutdruckwert von unter 140/85 mmHg werden nun individualisierte Zielwerte empfohlen. Konkret wird für Diabetespatienten ein systolischer Wert von 130 mmHg als sinnvoll erachtet – falls möglich, auch darunter, nicht jedoch unter 120 mmHg. Für Patienten ab einem Alter von 65 Jahren liegen die systolischen Zielwerte zwischen 130 und 139 mmHg. Der diastolische Blutdruck soll unter 80 mmHg, nicht aber unter 70 mmHg liegen.

RAAS-Blocker bei Prädiabetes

Eine medikamentöse Behandlung wird bei Blutdruckwerten über 140/90 mmHg empfohlen. Bevorzugt sollen Inhibitoren des Renin-Angiotensin-Aldosteron Systems (RAAS) eingesetzt werden, zu denen Angiotensin-Converting-Enzyme(ACE)-Hemmer und Angiotensin-Rezeptor-Blocker gehören. Mittel der ersten Wahl ist eine duale Therapie aus RAAS-Blocker und Calcium-Kanalblocker oder Diuretikum. Insbesondere bei Patienten mit einem Prädiabetes soll RAAS-Blockern im Vergleich zu Betablockern oder Diu­retika der Vorzug gegeben werden, um das Risiko für eine Manifestation des Diabetes zu minimieren. Zudem sollten alle Diabetespatienten angehalten werden, ihren Blutdruck in Eigenregie zu Hause zu kontrollieren.

Statin-Therapie ausreizen

Abhängig vom individuellen kardiovaskulären Risiko und in Übereinstimmung mit der neuen ESC/EAS-Leitlinie (s. DAZ 2019, Nr. 42, S. 18) sind auch die Zielwerte für LDL-Cholesterol gesenkt worden. Wie bei Patienten ohne Diabetes sind auch hier die Statine Mittel der ersten Wahl. Lediglich für Frauen im gebärfähigen Alter werden diese nicht empfohlen. Können die LDL-Zielwerte mit einem Statin in der höchsten tolerierbaren Dosis nicht erreicht werden, wird eine Kombinationstherapie mit Ezetimib empfohlen. Falls erforderlich, kann bei sehr hohem kardiovaskulärem Risiko auch ein PCSK9-Inhibitor hinzugenommen werden. Bevor eine Kombinationstherapie angesetzt wird, sollte die Statin-Therapie jedoch so weit wie möglich intensiviert werden.

Schützende Antidiabetika

Um die erhöhten Glucose-Spiegel bei Patienten mit Typ-2-Diabetes zu senken, stehen Arzneimittel verschiedener Wirkstoffgruppen zur Verfügung. Eine gute Blutzuckereinstellung wirkt sich langfristig positiv auf das kardiovaskuläre Risiko aus. Wie bisher wird für das Glykohämoglobin (HbA1c)idealer­weise ein Wert unter 7,0% (53 mmol/mol) angestrebt. Je nach Alter des Patienten, der Dauer der Diabeteserkrankung sowie Komorbiditäten sind auch weniger stringente Ziele möglich. Hypoglykämien sollen auf jeden Fall vermieden werden, da sie Arrhythmien auslösen können.

Sowohl die Inhibitoren des Natrium-Glukose-Cotransporter-2 (SGLT-2) als auch die Glucagon-like-Peptid-1 (GLP-1)-Rezeptoragonisten werden bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen oder mit hohem bzw. sehr hohem Risiko für Herz-Kreislauf-Komplikationen bevorzugt empfohlen. Vertreter beider Wirkstoffgruppen reduzieren nachgewiesenermaßen die Anzahl kardiovaskulärer Ereignisse. Große randomisierte kontrollierte Endpunktstudien, die in letzter Zeit veröffentlicht wurden, konnten den protektiven Effekt überzeugend belegen. Explizit empfohlen werden in der Leitlinie die SGLT-2-Hemmer Empagliflozin (Jardiance®), Dapagliflozin (Forxiga®), Canagliflozin (Invokana®, in Deutschland nicht im Handel) sowie die GLP‑1-Rezeptoragonisten Liraglutid (Victoza®), Dulaglutid (Trulicity®) und Semaglutid (Ozempic®, in Deutschland nicht im Handel). Eine Verringerung der Sterblichkeit konnte jedoch nur für Liraglutid und Empa­gliflozin gezeigt werden.

Bisher geltende Empfehlungen zu Metformin sind in der neuen Leitlinien eingeschränkt worden. Während der Wirkstoff zuvor bei allen Diabetespatienten als Mittel der ersten Wahl galt, soll die Behandlung mit Metformin nach den neuen Empfehlungen bei übergewichtigen Patienten mit Typ‑2-Diabetes ohne kardiovaskuläre Erkrankungen sowie bei moderatem kardiovaskulärem Risiko erwogen werden. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz kann Metformin als Alternative zu den SGLT-2-Inhibitoren eingesetzt werden. Dagegen werden Thiazolidindione (Glitazone) bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für eine Herzinsuffizienz oder einer Herzinsuffizienz in der Vorgeschichte nicht empfohlen. Saxagliptin soll ebenfalls nicht eingesetzt werden. Unter dem Dipeptidylpeptidase-4(DPP-4)-Inhibitor war in einer klinischen Studie ein erhöhtes Risiko für eine Hospitalisierung aufgrund von Herzinsuffizienz beobachtet worden. Ein solcher Effekt wurde weder unter anderen DPP-4-Inhibitoren noch unter GLP-1-Rezeptoragonisten festgestellt. Ebenso wie Insulin können diese Substanzen daher auch bei Patienten mit Herzinsuffizienz in Betracht gezogen werden. Darüber hinaus sollte Insulin zur Behandlung von Patienten mit akutem Koronar­syndrom und signifikanter Hyperglykämie (> 10 mmol/l oder > 180 mg/dl) erwogen werden.

Bei Patienten mit Vorhofflimmern sollen nun bevorzugt direkte orale Antikoagulanzien wie Dabigatran, Riva­roxaban, Apixaban oder Edoxaban einge­setzt werden. Zuvor waren diese neben den Vitamin-K-Antagonisten empfohlen worden.

ASS für Hochrisikopatienten

Während in der vorherigen Version der Leitlinie von 2013 bereits davon abgeraten wurde, Acetylsalicylsäure (ASS) in der Primärprävention bei Patienten mit geringem kardiovaskulärem Risiko einzusetzen, wurde diese Negativempfehlung nun auch auf Patienten mit moderatem Risiko erweitert. Bei Patienten mit hohem/sehr hohem kardiovaskulärem Risiko kann eine Therapie mit ASS (75 bis 100 mg/Tag) nach wie vor in Erwägung gezogen werden, solange keine klaren Kontraindikationen vorliegen.

Mehr Macht dem Patienten

Ein ganzer Abschnitt der Leitlinie ist auch der patientenorientierten Betreuung gewidmet. Diese umfasst unter anderem ein „Empowerment“ der Patienten, wodurch diese verstärkt selbst zum Management ihrer Erkrankung beitragen. Spezielle gruppenbasierte Schulungsangebote sollen dabei helfen. Ziel ist es, das Wissen der Patienten über ihre Erkrankung zu erhöhen und so den Behandlungserfolg zu verbessern. |

Literatur

European Society of Cardiology (ESC) and European Association for the Study of Diabetes (EASD). 2019 ESC Guidelines on diabetes, pre-diabetes and cardiovascular diseases developed in collaboration with the EASD. Eur Heart J 2019; doi:10.1093/eurheartj/ehz486

Apothekerin Dr. Daniela Leopoldt

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