Wirtschaft

Vereint gegen Lieferengpässe

Konferenzen im Herbst / Pro Generika fordert mehr Resilienz in den Lieferketten

cha | Spätestens seit der Corona-Krise ist das Thema Lieferengpässe auch in der Politik angekommen. Bundesgesundheits­minister Jens Spahn will im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsi­dent­schaft die Rück­holung der Produktion von wichtigen Arzneimitteln nach Europa in Angriff nehmen. Die jetzt angekündigten Konferenzen von ABDA, BAH und Pro Generika dürften diesem Vorhaben zusätzlichen Schwung verleihen.

Am 1. Dezember startet der letzte Monat der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, und das hat man offenbar sowohl bei der ABDA als auch beim Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) als guten Termin empfunden, um den Forderungen rund um das Thema Lieferengpässe im Rahmen einer Konferenz nochmals Nachdruck zu verleihen. Die ABDA lädt um 9 Uhr in Brüssel zu einer Veranstaltung mit einem nicht näher benannten „hoch­­karätigen Podium“, zur gleichen Zeit findet in Berlin die BAH-Veranstaltung statt, u. a. mit Vertretern aus dem Bundesgesundheitsministerium, vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und vom GKV-Spitzenverband.

Schon knapp zwei Monate vorher, am 7. Oktober, veranstaltet der Branchenverband Pro Generika eine Digitalkonferenz mit dem Titel „Für ein gesundes Europa. Stärkung der Versorgungssicherheit und Arzneimittelproduktion in Europa“. Eröffnet wird diese von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, teilnehmen werden u. a. Vertreter aus Industrie und Krankenkassen sowie EU-Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton.

Pro Generika: europäische Autarkie nicht realistisch

Pro Generika belässt es aber nicht nur bei Ankündigungen, sondern hat bereits ein Papier mit dem Titel „Arzneimittel-Lieferengpässe: Brauchen wir mehr Produktion in Europa?“ verfasst. Als Ursachen für die Abwanderung der Arzneimittelproduktion nach Asien nennt Pro Generika einerseits den staatlich gelenkten Aufbau von Indus­trieproduktion in China, den steigenden Arzneimittelbedarf auch in Asien, den Preis- und Kostendruck in nationalen Gesundheitssystemen sowie regulatorische Auflagen in Deutschland, z. B. im Bereich Umwelt. Doch kann die Rückverlagerung der Produktion nach Europa die entstandene Abhängigkeit beheben? Pro Generika nennt als Antwort „ja und nein zugleich“. Eine europäische Autarkie bei der Arzneimittel- und Wirkstoffproduktion sei weder realistisch noch erstrebenswert. Vielmehr sei es wichtig, nicht nur die heimische Produktion im Blick zu haben, es müsse auch vor allem um mehr Resilienz in den Lieferketten gehen. Dazu sollte auf drei Ebenen angesetzt werden.

Ebene 1: Ausbau der existierenden Infrastruktur. Die Covid-19-Krise habe gezeigt, dass viele – etwa auf den Intensivstationen benötigte – Arzneimittel in Europa hergestellt werden. Die Arzneimittel- und Wirkstoffproduktion in Europa habe sich in der Krise als insgesamt robust erwiesen. Auf Grundlage einer Studie, die Pro Generika in Kürze vorlegen werde und die erstmals zeige, wo welche Wirkstoffe weltweit produziert werden, könne über den möglichen Ausbau bestehender Wirkstoffherstellungsstätten diskutiert werden. Zudem würden Mechanismen benötigt, welche die Abwanderung und weitere Erosionserscheinungen des Standorts Europa aufhalten.

Ebene 2: Definition versorgungskritischer Wirkstoffe, die hierzulande produziert werden sollen. Die Politik müsse festlegen, bei welchen versorgungskritischen Arzneimitteln und Wirkstoffen Europa ein Stück unabhängiger werden möchte, dann müsse geprüft werden, was davon schon hier produziert werde und was es brauche, um die entsprechenden Standorte zu stärken.

Ebene 3: Etablierung von Maßnahmen, die mehr Diversifizierung ermöglichen. Es gehe nicht um De-Globalisierung, sondern es müsse um De-Risking gehen. Es sei weniger das Problem, dass der überwiegende Anteil von Wirkstoffen und Arzneimitteln im Ausland, sondern vielmehr, dass er fast ausschließlich in wenigen Regionen Indiens und Chinas hergestellt werde. Dadurch entstehe ein Klumpenrisiko, das es nun aufzuweichen gelte.

Nun sei, heißt es weiter, eine sinnvolle Gesamtstrategie gefragt. Dabei dürfe man nicht nur indus­triepolitisch denken; die alleinige finanzielle Unterstützung von Produktion (etwa durch Subven­tionen) greife zu kurz, da sie die Nachfrageseite ignoriere. Für die Nachfrageseite gelte: Solange sich die Krankenkassen auf den niedrigsten Preis fokussieren müssten, würden europäische Produkte nicht wettbewerbsfähiger. Zudem müsse man auf regulatorischer Ebene aktiv werden. Wer seine Lieferkette robuster machen wolle, etwa durch Aufnahme eines zweiten Wirkstofflieferanten, sollte das ohne regulatorische Mehrkosten und großen regulatorischen Aufwand tun können, und auch die Abnehmer müssten den Mehraufwand anerkennen.

Zu lange sei es, kritisiert Pro Generika, in der Gesundheitspolitik nur darum gegangen, an der Grundversorgung zu sparen. Nun werde „eine neue Balance zwischen Effizienz und Resilienz“ gebraucht. Erst wenn der Markt bereit sei, höhere Preise zu zahlen, wären europäische Produktion und resiliente globale Lieferketten auch wettbewerbsfähig. |

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