Management

Dafür habe ich keine Zeit!

Selbstwertschätzung hilft gegen Selbstknechtung

Sonntag 15.23 Uhr: Es ist zwar Wochenende, aber eben noch die paar Unterlagen wegsortieren ist ja kein Aufwand. Dann sieht das Büro gleich wieder viel ordentlicher aus. Dabei fällt mir ein kurzer Text in die Hände, den ich mir vor Wochen „gut beiseite“ gelegt hatte. Eine Stelle ist markiert und lautet: „Wer auch immer Ihnen beigebracht hat, dass Sie hart, effektiv und von Ehrgeiz getrieben sein müssen, hat Ihnen nicht den Weg zum Erfolg, sondern zur Selbstknechtung gezeigt. Schluss damit!“ Ich fühle mich ertappt. Nun gut, es heißt auch: „Von nix kommt nix.“ Aber könnte der Weg zum Ziel in vielen Fällen nicht ein bisschen mehr Leichtigkeit vertragen?

Ich lese ein wenig weiter. Es geht um zwei innere Stimmen, die sich streiten. Auf der einen Seite die Künstlernatur, die die Inspiration sucht, sich danach sehnt, den Gedanken Freiraum zu geben und ein Herz für Schönes hat. Auf der anderen Seite der Hüter von Disziplin, Optimierung und Pragmatismus. Sie liegen im permanenten Clinch über Themen wie den Umgang mit Fehlern oder den Wert von vermeintlich „unnützen“ Tätigkeiten, z. B. Hobbys, und über die Art, wie Arbeit zu erledigen ist. Natürlich finden sie keinen Kompromiss.

Wer von beiden bekommt im Alltag den Zuschlag von Ihnen? Ist es der Hüter von Disziplin, Optimierung und Pragmatismus, weil es alle anderen erfolgreichen Menschen um uns herum genauso machen? Bei der Arbeit immer 100 Prozent geben, die Kinder versorgen, den Haushalt im Griff haben und natürlich dürfen soziale Kontakte nicht fehlen. Zeit für uns selbst bleibt da kaum noch. Dabei müssten wir als Apotheker wissen, wie wichtig diese Zeit zum Durchatmen ist. Wie oft erleben wir, dass sich Kunden nach einer schweren Erkrankung, einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt, die Frage stellen: „Was bin ich mir selbst wert?“

Foto: Sonja – stock.adobe.com

Bewusst genießen und ein wenig träumen Sich etwas Gutes zu tun, geht auch mit einer Tasse Schokolade oder Kaffee - vielleicht mit Sahnehäubchen!

Mehr Wohlwollen mit sich selbst

Um sich selbst mehr Wertschätzung entgegenzubringen, gilt es erst einmal, den Begriff „Wertschätzung“ für sich zu definieren. Auch wenn „Wertschätzung“ ein häufig gebrauchter Begriff ist, bedeutet sie für jeden etwas anderes. „Schätze“ ich nur grob den „Wert“ des anderen und damit auch seinen Nutzen für mich? Oder drücke ich aus, von welchem unschätz­baren Wert dieser Mensch ist, der mir gerade gegenübersteht? Eine Definition ist, dass Wertschätzung die positive Bewertung eines anderen Menschen in seiner Gesamtheit, unabhängig von seinen Taten oder Leistungen, ist. Sie ist verbunden mit Respekt, Wohlwollen, Zugewandtheit, Interesse, Aufmerksamkeit und Freundlichkeit.

Jeder von uns hat eine bevorzugte Art, anderen Menschen mit Wertschätzung zu begegnen. Dieses Wissen können wir nutzen, um auch uns selbst mit mehr Leichtigkeit Wertschätzung entgegenzubringen. Wie zeigen Sie den Menschen, die Ihnen wichtig sind, Ihre Wertschätzung? Verbringen Sie Zeit mit ihnen, machen Sie ihnen Geschenke, tun Sie ihnen etwas Gutes, loben Sie sie oder nehmen Sie sie in den Arm?

Selbstwertschätzung ist nicht einseitig, sondern vielseitig und lässt sich deswegen sehr wohl und gut in den Alltag integrieren. Das hat nichts mit Egozentrik zu tun, sondern damit, wohlwollender mit sich selbst umzugehen. Als Gedanke am Rande: Wenn wir es selbst nicht schaffen, gut zu uns zu sein, warum sollten uns dann andere Wertschätzung entgegenbringen?

Probieren Sie einfach aus, ob Ihnen ein bisschen mehr Selbstwertschätzung steht. Fangen Sie mit dem an, was Sie auch für andere tun würden, und testen Sie sich durch.

  • Zeit für sich: Wenn bei Ihnen die aktive Regeneration auf der Strecke bleibt, gönnen Sie sich doch jeden Tag einen zwanzig­minütigen Kurzurlaub. So viel Zeit haben Sie nicht und noch einen Termin mehr können Sie auch nicht gebrauchen? Im Endeffekt soll es kein Termin sein, sondern die Sicherung einer Erholungs­pause. Die Untersuchungen von Nathaniel Kleitman oder Anders Ericcson zeigen unter anderem, dass durch Pausen die Leistungsfähigkeit aufrechterhalten wird. Zudem sind Pausen förderlich für das eigene Wohlbefinden.

Bei der Methode „20 Minuten Kurzurlaub“ aus dem „Positive Coaching“ bestimmen Sie selbst, wie Sie Ihre 20 Minuten füllen, dazu braucht es nur eine Kleinigkeit an Vorbereitung: Sie machen eine Liste mit 30 Tätigkeiten, die nicht länger als 20 Minuten dauern und die Sie als erholsam erleben. Schauen Sie in Ihren Kalender, ­suchen Sie in der nächsten Woche jeden Tag nach 20-Minuten-Zeitfenstern und planen Sie Ihre Kurzurlaube für diese Zeiten. (Falls es nur jeden zweiten Tag passt, ist das zumindest ein Anfang.) Sie können jeden Tag den Kurzurlaub aus Ihrer Sammlung auswählen, der Ihnen in diesem Moment den besten Erholungseffekt verspricht.

„Genießen heißt, es sich selbst wert zu sein.“ Nur: Die Dinge zu finden, die einen entspannen und die einfach ein Genuss sind, ist nicht immer einfach. Familie, Freunde, Nachbarn, Kollegen – jedem tut etwas anderes gut. Aber was ist genau „Ihr Ding“? Die Liste mit 30 Tätigkeiten kann als Einladung dienen, etwas Neues für Körper, Geist oder Seele auszuprobieren. Wenn auf Ihrer Liste 28 der Tätigkeiten mit Sport zu tun haben, dürfen es zur Abwechslung ein paar Seiten eines guten Buches sein. Eine Liste mit Ideen finden Sie auf DAZ.online in diesem Beitrag.

Ideenliste: Kurzurlaub in 20 Minuten

 1. In Ruhe Tee oder Kaffee ­trinken

 2. Ein Buch lesen

 3. Ein schönes Motiv fotografieren

 4. Ein Bad nehmen

 5. Eine Folge der Lieblingsserie gucken

 6. Einen Cocktail trinken

 7. Etwas Leckeres essen

 8. Urlaubsfotos anschauen

 9. Tanzen zu lauter Musik

10. Zeitung lesen

11. Lange duschen

12. Spazieren gehen

13. Auf dem Sofa liegen

14. Ein Fußbad nehmen

15. Malen

16. Dem Hobby nachgehen

17. Joggen

18. Handarbeiten

19. Basteln

20. In einem schönen Geschäft stöbern

21. Auf der Parkbank oder im Strandkorb sitzen

22. Gartenarbeit

23. Fahrrad fahren

24. Ein Instrument spielen

25. Musik hören

Wenn Sie mehr Zeit haben:

26. Etwas Schönes kochen oder backen

27. Sauna

28. Massage

29. Eine Stadtrundfahrt

30. Schwimmen gehen

  • Geschenke: Für Ihre beste Freundin oder Ihren besten Freund haben Sie sicher immer ein Geschenk zum Geburtstag parat. Wann haben Sie sich das letzte Mal beschenkt? Es darf ruhig mal über das Notwendige hinausgehen.
  • Sich selbst etwas Gutes tun: Kennen Sie den Spruch: „Ach nein, für mich musst du jetzt nicht extra einen Kaffee aufsetzen.“? (Konsequent bei dieser Einstellung bleibend, würde das bedeuten, dass kein Single morgens in den Genuss eines Kaffees aus der eigenen Kaffeemaschine kommen würde, sofern er keine Gäste hat.) Nur für sich einen Kaffee machen, eine Flasche Wein öffnen oder sich etwas Gesundes kochen, ist Selbstwertschätzung. Es gilt, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie viele Chancen jeder Tag birgt, sich etwas Gutes zu tun (auch wenn wenig Zeit da ist).
  • Gute Worte im Selbstgespräch: Wie reden Sie eigentlich mit sich? Es gibt kaum jemanden, dem wir so viel „um die Ohren hauen“ wie uns selbst. Welchem guten Freund würden Sie schon sagen: „Du Volldepp, das kann auch nur dir passieren.“? Wenn es nicht gerade im Scherz ist, würden Sie wahrscheinlich eine andere Formulierung vorziehen. Aber wenn wir mit uns selbst reden, können die Kommentare schon mal rauer ausfallen. Vielleicht denken Sie das nächste Mal, wenn Sie sich über sich selbst ärgern, daran, ein bisschen gnädiger zu sein. Und Loben nicht vergessen! Wir loben unsere Mitarbeiter, unsere Kinder, den Ehepartner, weil Loben und Komplimente wichtige Rückmeldungen sind. Nur uns loben wir nie, weil Eigenlob stinkt. Ist uns etwas richtig gut gelungen, ist es meistens selbstverständlich oder gerade mal „okay“. Sie müssen nicht lauthals vor allen anderen kundtun, wie klasse Sie sind (obwohl Ihnen das sicher oft zustehen würde). Sie können sich auch ganz im Stillen loben. Die Hauptsache ist, dass Sie es ehrlich mit sich meinen.

Und wofür das Ganze?

Jeden Tag eine kurze Auszeit zu nehmen, gibt die Gelegenheit zu kontrollieren, ob die Ziele, an denen man arbeitet, auch die Ziele sind, an denen man arbeiten möchte. Wer sich selbst etwas wert ist, lässt sich seltener vor den Karren spannen und dem fällt auch ein „Nein“ leichter. Wenn wir das Gespür für unsere Stärken behalten und diese nutzen, wenn wir uns auf die Reise zu uns selbst machen, wird klar, wo wir hingehören oder welches Ziel unserem Leben wirklich Sinn gibt. Sinnorientierte Ziele sind wie Zugpferde. Sie sind inspirierend, wertvoll und nicht nur Mittel zum Zweck. Sie lassen sich durch den Einsatz von eigenen Potenzialen und Stärken verwirklichen, fördern Eigenmotivation und die Arbeit daran verspricht Spaß und Freude. Wenn wir unseren eigenen sinnorientierten Zielen nachgehen, wird aus Selbstwertschätzung sehr wahrscheinlich Fremdwertschätzung. Es gibt eine Korrelation zwischen Wertschätzung und Selbstwert. Menschen mit hohem Selbstwert haben öfter eine wertschätzende Haltung anderen gegenüber und werden öfter von anderen wertgeschätzt. Schon bekommt der Weg zum Ziel mehr Leichtigkeit und die beiden oben genannten Streithähne finden vielleicht doch auf diese Art einen Kompromiss. |

Anja Keck ist Fachapothekerin für Allgemeinpharmazie, Filialleiterin, Master-Coach (DGfC) und Systemische Beraterin, www.anjakeck.de

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