Gesundheitspolitik

EuGH: Kein Freibrief für EU-Versender

ks | Die französischen Werbeverbote für Apotheken dürfen auch auf Arzneimittelversender in anderen Mitgliedstaaten angewendet werden – jedenfalls weitgehend.

Auch in Frankreich kämpfen Apotheker gegen die forsche Werbung niederländischer Arzneimittelversender. Am 1. Oktober hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Urteil zur Werbung der Shop Apotheke getroffen, das auch hierzulande mit Spannung erwartet wurde. Inhaltlich sorgt es für eine gewisse Erleichterung. Denn es zeigt, dass der EuGH den Mitgliedstaaten beim Ge­sundheitsschutz nach wie vor eigenen Spielraum zugesteht und Arzneimittel für nicht vergleichbar mit anderen Konsumgütern hält. (Urteil vom 01.10.2020, Rs C-649/18)

Worum ging es?

Die Shop Apotheke bietet in Frankreich über eine französische Webseite rezeptfreie Arzneimittel an. Der Rx-Versand ist in unserem Nachbarland nicht erlaubt. Doch auch die OTC-Werbung des Versenders missfällt den französischen Apothekern. So gab es eine große multimediale Kampagne des EU-Versenders, bei der dieser eigene Werbebroschüren den Paketen anderer Versandunternehmen beilegte, Werbebriefe versendete und auf seiner eigenen Webseite warb. Dabei bot die Shop Apotheke ab einem bestimmten Bestellwert Rabatte an. Zudem nutzt das Unternehmen Suchmaschinen, die seine Sichtbarkeit im Vergleich zu niedergelassenen Apotheken erhöhen – und bezahlt dafür.

Das französische Recht verbietet Apothekern jedoch, in einer Weise zu werben, die als nicht vereinbar mit der Würde des Berufs angesehen wird. Ebenso ist es unzulässig, Patienten zu einem Fehl- oder Mehrgebrauch von Arzneimitteln zu verleiten. Diese Werbeverbote sehen die französischen Apotheker durch den Massenversand von Prospekten und die Rabattangebote der Shop Apotheke verletzt. Ferner sind Apotheken in Frankreich kostenpflichtige Links in Such­maschinen oder Preisvergleichs­portalen verboten. Zudem müssen Patienten vor der ersten elektronischen Bestellung von Arzneimitteln einen Anamnesefragebogen ausfüllen, was die Shop Apotheke ebenfalls nicht beachtet habe.

Eine Klage der französischen Apotheker gegen die niederländische Konkurrenz hatte in erster Instanz Erfolg. Das Berufungsgericht entschied dann, den EuGH anzurufen, ehe es selbst sein Urteil spricht. Dieser sollte die Frage klären, ob die Anwendung der französischen Vorschriften auf die niederländische Online-Apotheke mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Das ist nun geschehen. Anders als im Fall der Deutschen Parkinson Gesellschaft kommt es im franzö­sischen Verfahren nicht auf den freien Warenverkehr an. Vielmehr steht die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr im Mittelpunkt – der Online-Verkauf von OTC-Arzneimitteln wird als Dienstleistung im Sinne dieser Richtlinie gesehen. Nun war die Frage, ob diese Richtlinie, die für einen funktionierenden Binnenmarkt sorgen soll, einer Anwendung der fraglichen französischen Werbeverbote auf eine Apotheke in einem anderen Mitgliedstaat entgegensteht. Der EuGH prüft hier alle vier in Rede stehenden Verbote: Welchem Ziel dient es (dem Schutz der öffentlichen Gesundheit)? Und ist es geeignet und erforderlich, um das Ziel zu erreichen?

Was die Werbeprospekte und die Rabatte betrifft, legen die Richter dar, dass die Verbote, die die Würde des Apothekers schützen und den Arzneimittelmehr- und fehl­gebrauch verhindern sollen, zwar den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft beschränken – aber durchaus gerechtfertigt sein können. Ausdrücklich stellt der EuGH fest, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, zu bestimmen, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen und wie sie dieses erreichen. Hierbei sei ihnen ein Wertungsspielraum zuzuerkennen. Mit Blick auf die Massen-Werbesendungen kommt der EuGH zu dem Schluss, dass die Werbeverbote mit der fraglichen Richtlinie zu verein­baren sind, solange sie nicht dazu führen, dass die Werbung außerhalb der Apotheke gänzlich verboten wird. Das müsse nun aber das französische Gericht prüfen. Hinsichtlich der Rabattwerbung stellt er fest, dass die fragliche Richtlinie dem Verbot, das einen Fehl- und Mehrgebrauch verhindern soll, ebenfalls nicht grundsätzlich entgegensteht. Allerdings müsse ein solches Verbot hinreichend bestimmt sein und dürfe nur für Arzneimittel, nicht aber für apothekenübliche Waren gelten – auch hier muss das vorlegende Gericht den Fall nochmal prüfen.

Dass Patienten vor der Bestätigung der ersten Bestellung einen Online-Anamnesefragebogen ausfüllen müssen, könne sie zwar vor einem Online-Arzneimittel abschrecken, so das Gericht. Allerdings akzeptiert der EuGH das Ziel der französischen Regierung, eine individuelle Beratung der Patienten sicherstellen zu wollen. Eine optionale Beratung sei kein ebenso wirksames Mittel.

Einen Dämpfer gibt es beim Verbot, kostenpflichtige Links in Suchmaschinen oder Preisvergleichsportalen einzusetzen. Mit ihm würden EU-Versender eingeschränkt, sich in Frankreich bekannt zu machen – und hier hat der EuGH mit der Rechtfertigung Probleme: Zwar habe die französische Regierung behauptet, die Maßnahme habe das Ziel, eine ausgewogene Verteilung der Apotheken über das gesamte Staatsgebiet zu gewährleisten. Sie habe aber nicht „den ihr obliegenden Nachweis“ erbracht, dass sie geeignet und erforderlich wäre, das Ziel zu erreichen. Jedoch heißt es im Urteil ausdrücklich: Vor dem französischen Gericht kann dieser Nachweis noch erbracht werden. |

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