Pandemie Spezial

Schutzfaktor Rauchen?

Auch wenn unter Corona-Patienten wenig Raucher sind – Nicotin ist keine Option

Die Raucherrate liege bei symptomatisch erkrankten COVID-19-Patienten weit unter dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung, war jüngst aus Frankreich zu hören, wo jeder Vierte raucht. Flugs spekulierten die Franzosen über eine Schutz­wirkung von Tabakkonsum – die Nachfrage nach Nicotinpräparaten musste kurzfristig reguliert werden. Eine überzeugende Erklärung für ihre Beobachtungen blieben die Studienautoren schuldig. Vertreter der gegenteiligen Hypothese, wonach Rauchen die Infektion sowohl begünstigt als auch die Prognose verschlechtert, warten mit plausibleren Studien auf.

„Raucher seltener durch Corona krank“ meldete triumphierend das Netzwerk Rauchen, die deutsche „Verbraucherorganisation für Tabakgenießer“. Patientenstudien in China und in den USA hätten übereinstimmend ergeben, dass erstaunlich wenige Raucher an Corona erkranken. Warnungen vor Rauchen als Risikofaktor COVID-19-Infektionen seien nichts als Fake News von „Antiraucherlobbys wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO)“. Folgerichtig fordert der Verein eine baldige Wiederöffnung aller Gaststätten und regt nebenbei gleich an, gesetzliche Rauchverbote für die Gastronomie aufzuheben [1].

Wasser auf die Mühlen der Rauchbefürworter dürfte die am 21. April 2020 auf der Open-Access-Plattform Qeios eingestellte Studie Pariser Forscher sein, die von einer „geringen Inzidenz von täglichem aktiven Tabakrauchen bei (französischen) Patienten mit symptomatischer COVID-19-Erkrankung“ berichtet. Die in China und den USA durchgeführten Untersuchungen zur Prävalenz von Rauchern unter COVID-19-Kranken hätten schon in dieselbe Richtung gewiesen, ohne aber methodisch zu überzeugen, heißt es in der Einleitung. Einflussfaktoren wie Komorbiditäten, Erkrankungsschwere, Alter und Geschlecht und Definition des Rauchens seien zu wenig berücksichtigt worden oder uneinheitlich.

Raucherprävalenz bei COVID-19 nur ein Viertel bis ein Fünftel?

Die Forscher aus dem Umfeld der ­Pariser Sorbonne erheben nun den Anspruch, die Confounder bereinigt zu haben, indem sie zunächst ambulante, leicht erkrankte COVID-19-Patienten mit bestätigter Diagnose von hospitalisierten, schwer erkrankten Patienten unterschieden. Wer allerdings schon auf der Intensivstation lag, wurde nicht eingeschlossen. Die Studie wurde nämlich mit anonymen Fragebogen durchgeführt, der täg­liches, gelegentliches, früheres oder Nie-Rauchen abfragte.

Unter den 343 hospitalisierten COVID-Patienten gaben 15 (4,4%) an, täglich zu rauchen (elf Männer, vier Frauen). Von den 139 ambulanten infizierten Patienten rauchten sieben, entsprechend 5,3%. Als Referenz dienten hinsichtlich Alter und Geschlecht vergleichbare Personen, deren Daten dem 2018 telefonisch durchgeführten französischen Gesundheitssurvey entstammten. Demnach rauchten täglich 25,4% der französischen Gesamtbevölkerung (Männer 28,2%, Frauen 22,9%), also vier- bis fünfmal mehr als unter den COVID-Patienten. Schützt also Rauchen vor COVID-19, wie die Autoren nahelegen?

Limitationen werfen Zweifel auf

Die Studie wurde als Preview ohne den üblichen Peer-Review veröffentlicht. In zahlreichen Kommentaren wird diese Arbeit vorweggenommen: Zunächst waren schwer erkrankte Intensivpatienten in der Studie ausgeschlossen. Ein denkbares Underreporting der Rauchrate (Bias z. B. wegen sozialer und medizinischer Unerwünschtheit des Rauchens) wird nicht diskutiert. Eine Verifizierung des Rauchstatus, z. B. durch Messung des Nicotinmetaboliten Cotinin im Urin, wurde nicht durchgeführt. Viele der Infizierten waren Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes, die weniger rauchen als der Durchschnitt. Der Gebrauch von E-Zigaretten oder Nicotinersatzpräparaten, welche üblicherweise von Ex-Rauchern genutzt werden, wurde nicht untersucht bzw. ausgewertet.

Trotz dieser und weiterer Limitationen, und obgleich das Design der Studie keine kausale Aussage erlaubt, stellen die Forscher – wohl angesichts der erdrückend niedrigen Inzidenz­rate (0,197 ambulant, 0,246 stationär) – die Hypothese eines protektiven ­Effekts von Rauchen auf. Als Ansatz einer Erklärung wird eine Arbeit aus der Vor-Pandemie-Zeit zitiert, wonach Nicotin die Expression des ACE2-­Rezeptors senke, über den sich SARS-CoV-2 Eintritt in die Lungenzellen verschafft [2]. Angiotensin-konvertierendes Enzym 2 (ACE2) ist ein Enzym mit Homologie zum Angiotensin-­konvertierenden Enzym (ACE) und spielt physiologisch eine Rolle in der so genannten konterregulatorischen Achse des RAAS [3].

Wechselwirkungen zwischen Nicotin und dem ACE2-Rezeptor

Neuere Arbeiten gehen indes vom Gegenteil aus: dass die ACE2-Rezeptor-Expression im Lungengewebe von Rauchern im Vergleich zu Nichtrauchern erhöht ist. Da in China wesentlich mehr Männer als Frauen rauchen, könne dies womöglich auch die höhere COVID-19-Prävalenz bei chinesischen Männern im Vergleich zu Frauen erklären [4]. Kanadische Ärzte, die Zellproben aus dem tiefen Lungengewebe von aktiven Rauchern und von Nichtrauchern verglichen, fanden bei Rauchern eine signifikante Überexpression des ACE2-Rezeptors. Bei COPD-Patienten war die Expression im Vergleich zu Gesunden zweieinhalbfach höher, zudem korrelierte sie invers mit der Lungenfunktion (Einsekundenkapazität, FEV1) [5]. Da SARS-CoV-2 über ACE2-Rezeptoren Zellen infiziere, könnten die Ergebnisse teilweise erklären, warum aktive Raucher ein erhöhtes Risiko für virale Infektionen und schwere Verläufe von COVID-19 aufweisen, schreiben die Autoren. Sie empfehlen generell, die Raucherentwöhnung zu forcieren, und aktive Raucher intensiver zu überwachen und früh zu testen. Exraucher ohne COPD und Nichtraucher weisen der Studie zufolge vergleichbare Mengen an ACE2 auf und hätten damit kein ­erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19.

In dieselbe Richtung weist eine aktuelle Arbeit der amerikanischen Autoren Olds und Kabbani. Sie fügten dem Puzzle um die Corona-Infektion einen weiteren Baustein hinzu, indem sie von einer Co-Expression von Nicotin- und ACE2-Rezeptoren in den Lungen­epithelzellen ausgehen. Die Aktivierung des Nicotinrezeptors nach Inhalation von Rauch aktiviere Proteasen und inflammatorische Signalwege, die durch Wechselwirkungen mit dem ACE2-Rezeptor verstärkt würden. Nicotin-induzierte Zellschädigungen bis hin zur Apoptose addierten sich zu den infektiösen Folgeschäden durch den erleichterten Eintritt von SARS-Cov-2- über vermehrte ACE2-Rezeptoren. Aktives Rauchen fördere so nicht nur die Empfänglichkeit für das neue Virus, sondern auch die Schwere der folgenden Erkrankung der Lunge [6].

Pneumologen und RKI: Rauchen schadet!

Die Autoren räumen ein, dass die Interaktionen zwischen Nicotin und dem Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) – zu welchem Angiotensinogen 2 konterregulierende Effekte entfaltet – nicht ganz verstanden sind, sind aber sicher, dass Nicotinkonsum einen spezifischen und nachvollziehbaren Risikofaktor für COVID-19 ­darstellt. Damit sind sie sich mit den meisten Lungenfachärzten einig. Laut der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) spricht vieles dafür, dass Raucher mit einer erhöhten Infektionsgefahr leben. Als Hauptgrund nennt DGP-Präsident Prof. Dr. Michael Pfeifer die durch ­Tabakrauch eingeschränkten Ab­wehrkräfte des Bronchialsystems, vor allem die erlahmte Zilientätigkeit. COPD-Patienten, die noch rauchen, sind doppelt gefährdet, meint Prof. Dr. Norbert Suttorp, Direktor der Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie an der Charité: „Eine COPD ist ein richtig fetter Risikofaktor für einen schweren, unter Umständen lebensbedrohlichen Verlauf von COVID-19. Da trifft das Coronavirus, das sich ja vor allem auf Lungenzellen so verheerend auswirkt, auf eine durch den Zigarettenqualm malträtierte, krankhaft veränderte Lunge.“

Laut zweier aktueller Metaanalysen, die in den Fachportalen „Tobacco in­duced diseases“ und „MedRxiv“ [7] veröffentlicht wurden, haben Raucher ein um den Faktor 1,4 höheres Risiko für einen schwereren Verlauf von COVID-19 und ein 2,4-fach höheres Risiko für Beatmungspflicht [8]. Das Robert Koch-Institut hat auf Basis der bisherigen Studien Raucher in die Risiko­gruppe für einen schweren Verlauf von COVID-19 eingeschlossen. |

Literatur

[1] Raucher seltener durch Corona krank. Netzwerk Rauchen gegen Fake News. Pressemitteilung vom 12. April 2020, https://netzwerk-rauchen.de/wp-content/uploads/2020/04/PM_01_2020_Raucher_seltener_durch_Corona_krank.pdf

[2] Oakes JM, Fuchs RM, Gardner JD, Lazartigues E, Yue X. Nicotine and the renin-angiotensin system. Am J Physiol Regul Integr Comp Physiol 2018;315:R895-R906

[3] McKinney CA et al. Angiotensin-(1-7) and angiotensin-(1-9): function in cardiac and vascular remodelling. In: Clinical science 2014;126(12):815–827, doi:10.1042/CS20130436

[4] Cai G. Tobacco-Use Disparity in Gene ­Expression of ACE2, the Receptor of 2019-nCov. Preprints 2020;2020020051, doi: 10.20944/preprints202002.0051.v1

[5] Leung JM et al. ACE-2 Expression in the Small Airway Epithelia of Smokers and COPD Patients: Implications for COVID-19. European Respiratory Journal 2020, DOI: 10.1183/13993003.00688-2020

[6] Olds JL, Kabbani N. Is nicotine exposure linked to cardiopulmonary vulnerability to COVID-19 in the general population? The FEBS Journal 18. März 2020, https://doi.org/10.1111/febs.15303

[7] Alqahtani JS et al. Prevalence, Severity and Mortality associated with COPD and Smoking in patients with COVID-19: A Rapid Systematic Review and Metaanalysis (PrePrint), doi.org/10.1101/2020.03.-25.20043745

[8] Vardavas CI, Nikitara K. COVID-19 and smoking: A systematic review of the evidence. Tob Induc Dis 2020;18:20, DOI: https://doi.org/10.18332/tid/119324

Apotheker Ralf Schlenger

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