Pandemie Spezial

Germany! 12 million ...

Deutschland ist einer der wenigen Staaten mit einer (funktionierenden) Corona-Warn-App

Von Lycien Jantos | Seit dem 16. Juni ist die deutsche Corona-Warn-App nun offiziell verfügbar und hat ­innerhalb des ersten Tages knapp acht Millionen Downloads erreicht. Auch international erlangte das deutsche App-Projekt Beachtung. Zeit, für ein erstes Zwischenfazit ...

In einer Debatte des britischen Unterhauses rechtfertigte Premierminister Boris Johnson die Probleme rund um die Entwicklung einer britischen Corona-App damit, dass kein Land dieser Welt über eine funktionierende App zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verfügte. Oppositionsführer Keir Starmer konterte diese Behauptung rhetorisch eindrucksvoll mit: „Germany! App working 15 June, 12 million downloads.“

Die können, wir nicht – im britischen Unterhaus wird die deutsche ­Corona-Warn-App bewundert.

Anlass der Diskussion war, dass der britische Gesundheitsdienst NHS seine bisherigen Pläne verwirft und nun auch auf einen dezentralen Ansatz wechselt, der mit der COVID-19-Schnittstelle von Google und Apple kompatibel ist. Selbst Gesundheitsminister Jens Spahn schien beeindruckt und retweetete einen Videoausschnitt mit besagter Szene aus dem britischen Parlament (s. Bild).

Zahlen, Daten, Fakten

Mit Stichtag 29. Juni haben laut Robert Koch-Institut nunmehr 14 Millionen Benutzer die App auf ihre Smartphones heruntergeladen, was in etwa 15% der deutschen Gesamtbevölkerung entspricht. Wie schon berichtet (DAZ 2020, Nr. 25, S. 27), weist eine Studie aus Oxford in ihren Modellen bereits für ca. 10 bis 15% Verbreitung und Nutzung einer Tracing-App positive Effekte auf die Kontrolle der Infektionsausbreitung nach.

Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass in Deutschland insgesamt ca. 58 Millionen Mobiltelefone genutzt werden und laut Bundesregierung ca. 85% dieser Geräte kompatibel mit der Corona-Warn-App sind. Somit ist die App bereits heute auf über 25% aller geeigneten Smartphones installiert.

Foto: imago images/Jens Schicke

Läuft ... Mehr als 15 Prozent der Deutschen nutzen bereits die Corona-Warn-App - mit diesem Ergebnis kann Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mehr als ­zufrieden sein, denn laut einer Studie lässt sich so schon die Infektion kontrollieren.

Dass die App auf ca. 15% aller Smartphones nicht lauffähig ist, hat verschiedene Gründe. Zum einen ist für die Funktion der App der Funkstandard „Bluetooth LE“ notwendig, der von älteren Geräten in Teilen nicht unterstützt wird, und zum anderen haben die Hersteller Google und Apple die notwendigen Anpassungen nicht für alle ihrer Geräte bereitgestellt (iOS ab dem iPhone 6S/Android ab Version 6). Besonders bei älteren iPhones, die zumeist langlebiger als Android-Ge­räte sind, wurde die Kritik laut, dass diese nicht unterstützt werden. Begründet ist dies in den von Google und Apple unterstützten Versionen ihrer Betriebssysteme. Man könnte vermuten, dass diese Beschränkungen unternehmenspolitisch motiviert sind, um eventuell den Verkauf neuer Ge­räte zu fördern. Es darf dabei aber nicht vergessen werden, dass Google und Apple in nur wenigen Wochen ­gemeinsam eine interoperable Lösung konzipiert und entwickelt haben, die zwischen vielen Betriebssystemgenerationen und Gerätetypen mit verschiedensten Bluetooth-Chipsätzen standardisiert und anonymisiert Kontaktdaten austauscht. Um die Komplexität zu beherrschen und eine fehlerfreie Funktion ohne monatelange Testphase zu gewährleisten, sind einige Kompatibilitätseinschränkungen sicherlich nicht vermeidbar. Nicht zuletzt durch die zeitnahe Bereitstellung der COVID-19-Schnittstelle durch die beiden Hersteller konnte u. a. die deutsche Corona-Warn-App in kurzer Zeit entwickelt werden.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass man bei Android-Geräten der Corona-Warn-App Zugriff auf die Standortermittlung gewähren muss, obwohl die Verwendung von Standortdaten in der App aus Datenschutzgründen ausdrücklich ausgeschlossen ist. Hintergrund ist, dass unter Android die notwendige Funktechnik Bluetooth LE wie auch die GPS-Positionsermittlung dem Systembereich „Standortermittlung“ zugeordnet ist – eine Unschönheit, die nur von Google angepasst werden könnte. Dass die Android-App grundsätzlich keine Standortdaten verwendet, kann anhand des Quellcodes, der vollständig veröffentlicht ist, nachvollzogen werden.

Auf reges Interesse stieß die Corona-Warn-App bei den Smartpohne-Nutzern in Deutschland. Am Tag des Startschusses wurden acht Millionen Downloads gezählt.

Ausblick

Deutschland ist neben der Schweiz, Lettland und Italien eines der wenigen Länder, die durch die Verwendung der COVID-19-Schnittstelle der Smartphone-Betriebssysteme eine plattformübergreifende und funktionierende App bereitstellen, die ihren Nutzern ein hohes Maß an Privatsphäre zusichern und die somit die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung zu haben scheinen. Andere Ansätze, die v. a. auf einen zentralen Ansatz zur Kontaktdatenverwaltung gesetzt haben und somit nicht die COVID-19-Schnittstelle von Google und v. a. Apple nutzen können, stehen vor dem Problem, dass die Verwendung von iPhones nahezu unmöglich ist, da hier sicher­gestellt sein muss, dass die App immer im Vordergrund läuft und das Display immer eingeschaltet ist, um auf die Bluetooth-Schnittstelle zugreifen zu können. Die französische App leidet darüber hinaus an geringen Benutzerzahlen, da auch hier viel Vertrauen durch den gewählten Weg der zentralen Datensammlung in der Bevölkerung verloren gegangen ist. Auch aus datenschutzrechtlichen Gründen musste vor wenigen Tagen die norwegische Corona-App gestoppt werden, da hier umfangreiche personenbezogene Daten gesammelt und zentral gespeichert wurden.

Das RKI hat nun die Corona-Warn-App in den App Stores von zehn europäischen Nachbarstaaten freigegeben. So können z. B. Grenzgänger und Besucher aus dem Ausland die App ebenfalls auf ihren Smartphones installieren und nutzen. Außerdem prüfen die Projektgruppe der deutschen Corona-Warn-App und ihre Schweizer Kollegen der „SwissCOVID-App“ eine Erweiterung der nationalen Systeme, sodass diese miteinander kompatibel werden, um die Kontaktschlüssel positiv getesteter Benutzer austauschen zu können. Somit könnten die nationalen Corona-Apps auch im Ausland genutzt werden und über dort statt­gefundene Risikokontakte warnen.

Vielleicht werden wir in den nächsten Monaten sehen, dass die deutsche ­Corona-Warn-App zu einer techno­logischen Referenz und Vorreiterin für die europäische Vernetzung wird, von der andere Länder direkt profitieren können. Wie erwähnt liegt der Quellcode offen vor und die involvierten Firmen SAP und die Deutsche ­Telekom könnten sicherlich beim ­Aufbau und Anpassung der erforderlichen Infrastruktur in anderen Ländern die notwendige Unterstützung leisten. |

Autor

Lycien Jantos wechselte nach einem anfäng­lichen Medizinstudium in die IT. Er arbeitete mehrere Jahre in Zürich als Leiter E-Business Solutions bei Schweiz Tourismus mit einem Schwerpunkt auf mobilen Anwendungen. Seit 2013 ist er beim Deutschen Apotheker Verlag als Projektleiter Online Solutions und verantwortet u. a. die technische Entwicklung und den Betrieb des digitalen Zeitschriftenangebots.

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