Die Seite 3

VOASG - die Ungeduld wächst

Foto: DAZ/tmb

Dr. Thomas Müller-Bohn, Redakteur der DAZ

Viele warten noch auf das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG), aber die Geduld schwindet. Bei den Kammerversammlungen in den vorigen Wochen gab es Resolutionen mit Aufrufen zur Beschleunigung und mit mehr oder weniger deutlichen Verweisen auf das Rx-Versandverbot. Doch es gab auch Mahnungen, weiter geduldig auf Gesundheitsminister Spahn und sein VOASG zu warten (siehe Seite 18). Dazwischen steht die Aufforderung, das Rx-Versandverbot wieder aufzugreifen, wenn das VOASG in diesem Jahr nicht umgesetzt wird oder anderweitig scheitert. Letzteres erscheint als moderater Weg, bei dem alle ihr Gesicht wahren könnten. Doch dieses Bild trügt. Ein solcher vermeintlicher Kompromiss könnte das entscheidende Quäntchen zu viel an Geduld bedeuten und in eine ausweglose Lage führen. Der wesentliche Punkt ist der schon so oft erwähnte § 78 Absatz 1 Satz 4 Arzneimittelgesetz, der die deutsche Preisbindung auf das Ausland überträgt. Im derzeitigen VOASG-Entwurf soll dieser Satz gestrichen werden. Falls das VOASG also jemals in Kraft treten sollte, wäre dieser Verweis weg. Falls das GKV-Rx-Boni-Verbot dann aber an was auch immer scheitern sollte, ­gäbe es keinen Weg zurück. Mit der Streichung entfiele die Grundlage für ein neues Verfahren über die ­bisherige deutsche Rechtslage. Es ­gäbe dann keine Hoffnung mehr, dass der Europäische Gerichtshof sein Urteil von 2016 korrigiert. Schlimmstenfalls würde die Streichung auch ein späteres Rx-Versandverbot eher angreifbar machen. Denn das Argument, das deutsche System schützen zu müssen, wirkt weniger überzeugend, wenn das deutsche Recht keinen Anspruch mehr erhebt, eine Preisbindung auch bei ausländischen Versendern durchzusetzen. Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Doch sie werden umso wichtiger, je mehr Zweifel am VOASG aufkommen. Wenn Spahns Plan die EU-Kommission nicht überzeugt, wird ein europarechtlicher Angriff auf das VOASG noch wahrscheinlicher. Umso wich­tiger wird der besagte Satz. Das VOASG mit dieser Streichung ist demnach hochriskant. Ein verändertes VOASG ohne die Streichung wäre zwar weniger gefährlich, aber seine Durchsetzung wäre noch unwahrscheinlicher. Denn die Streichung soll wohl gerade das politische Entgegenkommen sein, das die EU besänftigt. Immerhin ist der besagte Satz Gegenstand eines EU-Vertragsverletzungsverfahrens. Damit bleiben zwei Möglichkeiten, die sich auch verknüpfen lassen: das Rx-Versandverbot und der Versuch, ein neues Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof auf der bisherigen Rechtsgrundlage voranzutreiben. Auch dies ist keine neue Erkenntnis. Doch das lange Warten auf das VOASG und die wachsende Einsicht in die Unverzichtbarkeit eines flächendeckenden Apothekensystems als Erkenntnis aus der Pandemie ­haben die politischen Aussichten für diese Optionen verbessert. Auch in der Politik wächst die Ungeduld über das lang erwartete Gesetz eines Ministers, der sonst gerade mit seiner Arbeitsgeschwindigkeit zu überzeugen weiß. Schon in einem halben Jahr wird die Politik in den Wahlkampfmodus wechseln. Darum ist es gut, wenn die Geduld mit dem VOASG jetzt endet und stattdessen ein Weg gefunden wird, der die Chance auf eine neue Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs wahrt.

Thomas Müller-Bohn

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