Arzneimittel und Therapie

Mit Pflanzenpower gegen die Bläschen

Melissenextrakt als pflanzliche Therapieoption bei Lippenherpes

Sommer, Sonne ... Herpes? Bei der Behandlung der lästigen Bläschen muss es nicht immer gleich die Chemiekeule sein. Auch die Natur bietet mit Melissenextrakt eine wirk­same Therapieoption.

Herpes-simplex-Viren (HSV) gehören zur Gruppe der behüllten DNA-Viren. Die Durchseuchung mit HSV-1, dem dominierenden Auslöser des Lippenherpes (Herpes labialis) liegt in Deutschland bei etwa 90%. Nach einer Erstinfektion persistieren die Viren in den Spinalganglien. Ihre Reaktivierung führt zu unangenehm brennenden und juckenden Lippenbläschen. Die Erkrankung verläuft selbstlimitierend, dennoch ist der Bedarf an symptomlindernden Therapien groß. Aktuell stehen verschiedene Optionen im Bereich der Selbstmedikation zur Verfügung: Cremes mit antiviralen Nukleosid-­Analoga wie Aciclovir oder Penciclovir, Zubereitungen mit Zinksulfat bzw. ­Docosanol oder aus dem Bereich der Phytopharmaka das Lomaherpan®. Lomaherpan® enthält einen wässrigen, nach Angaben des Herstellers chromatographisch aufgereinigten und standardisierten Extrakt [1] aus Melissenblättern (5 g Creme enthalten 0,05 g Trockenextrakt, Droge-Extrakt-Verhältnis 65 – 75:1). Bei der Stammpflanze der Blätter handelt es sich um Melissa officinalis (Zitronenmelisse) aus der Familie der Lippenblütler (Lamiaceae).

Inhaltsstoffe

Der Geruch der Pflanze ist durch den Gehalt an ätherischem Öl bedingt, dessen Hauptkomponenten die acyc­lischen Monoterpene Citral (ein Gemisch aus Geranial und Neral) und R-(+)-Citronellal sind. Insgesamt enthalten die Blätter 0,05 bis 0,8% äthe­risches Öl, Gehalt und Zusammen­setzung können je nach Herkunft, Wachstumsbedingungen und Alter der Blätter stark schwanken. Neben dem Öl sind etwa 0,5% Flavonoide (unter anderem Glykoside des Luteolins und Apigenins) und sieben bis elf Prozent sogenannte Lamiaceen-Gerbstoffe enthalten. Hierbei handelt es sich um Hydroxyzimtsäurederivate, deren dominierende Hauptkomponente die Rosmarinsäure darstellt, in geringerer Konzentration konnten zusätzlich Kaffeesäure, p-Cumarsäure, Chlorogensäure und weitere verwandte Säuren nachgewiesen werden [2].

Foto: nikolaydonetsk – stock.adobe.com

Lamiaceen zeichnen sich durch einen hohen Gehalt an ätherischen Ölen aus und werden daher häufig als Heilpflanzen genutzt.

Die Melisse wird schon seit Jahrhunderten als Heilpflanze verwendet, typische Indikationen sind unter anderem nervöse Einschlafstörungen und funktionelle Magen-Darm-Beschwerden. Allerdings rückte bereits in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts zunehmend auch die antivirale Aktivität der Heilpflanze in den Fokus. In Zellkulturen war ein wässriger Extrakt in der Lage, die Infektion der Zellen mit verschiedenen Virusarten, unter anderem auch Herpes simplex, zu unterbinden.

Virus kann nicht andocken

Als Wirkprinzip wurde ein bis dato nicht näher charakterisierter Gerbstoff postuliert [3]. Inzwischen existiert eine Reihe weiterer In-vitro-Untersuchungen, mit deren Hilfe es gelang, sowohl den Wirkstoff als auch die Angriffspunkte des Extrakts näher zu bestimmen. So konnte durch Zugabe des Extrakts während verschiedener Phasen des Infektionsverlaufs gezeigt werden, dass die Wirkung offenbar darauf beruht, dass das Virus daran gehindert wird, an die Wirtszelle anzudocken. Wird der Extrakt dagegen erst zugesetzt, wenn sich das Virus bereits in der Zelle befindet, ist keine Wirkung mehr vorhanden. Das heißt, im Unterschied zu den Nukleosid-Analoga greift der Melissenextrakt nicht in der Phase der Replikation des Virus an [4]. Aufgrund des abweichenden Wirkmechanismus wirkt die Melisse daher auch bei Herpesviren, die eine Resistenz gegen Aciclovir entwickelt haben [5]. Als mögliches Target in der Virushülle konnte inzwischen das virale Glykoprotein B identifiziert werden, das für die Interaktion mit Strukturen an der Wirtszelle von Bedeutung ist. Durch Bindung an dieses Glykoprotein können Substanzen aus dem Melissen­extrakt so die Anheftung des Virus blockieren [6]. Für die Wirksamkeit konnte in den untersuchten wässrigen Extrakten mittels HPLC hauptsächlich Rosmarinsäure neben wenig Kaffeesäure und p-Cumarsäure verantwortlich gemacht werden. Isolierte Rosmarinsäure zeigte ebenfalls eine antivirale Aktivität, allerdings geringfügig schwächer als der Gesamt­extrakt, so dass vom Vorhandensein weiterer aktiver Substanzen bzw. einer eventuellen synergistischen ­Aktivität auszugehen ist [7].

Je früher, desto besser

In einer ersten offenen klinischen Untersuchung Anfang der Achtzigerjahre wurden 115 Patienten mit Lomaherpan® behandelt. Bei knapp 60% der Patienten kam es bereits nach vier Tagen zu einer Abheilung der Bläschen, am achten Tag war dies bei 96% der Fall. Außerdem gaben einige Patienten an, dass sich das rezidivfreie Intervall nach Anwendung von Lomaherpan® verlängert habe [8]. 1991 wurde eine randomisierte, Placebo-kontrollierte Doppelblind-Studie publiziert, an der 116 Patienten mit Herpes-simplex-Infektionen verschiedener Lokalisation teilgenommen hatten. 58 Patienten erhielten Lomaherpan®, während die übrigen mit einer wirkstofffreien Cremegrundlage behandelt wurden. Die Creme wurde zwei bis vier Mal täglich aufgetragen. Bei den Leitsymptomen „Rötung“ und „Schwellung“ zeigte sich bei der ersten Nachuntersuchung nach zwei Tagen eine signifikante Überlegenheit des Verums. Insbesondere bei den Pa­tienten, die an Herpes labialis litten, war eine deutlich schnellere Abnahme der Läsionsfläche verglichen mit Placebo festzustellen [9]. Eine nachträgliche Auswertung der Daten in Abhängigkeit vom Behandlungsbeginn zeigte zudem, dass der Effekt der Creme umso deutlicher war, je früher mit der ­Behandlung begonnen wurde [1]. Die Ergebnisse (signifikante Reduktion des Symptomscores an Tag 2 nach Therapiebeginn verglichen mit Placebo) konnten in einer weiteren herstellerfinanzierten Doppelblindstudie bestätigt werden, an der insgesamt 66 Patienten mit wiederkehrenden Herpes-labialis-Episoden teilnahmen [10]. In allen Studien war die Creme gut verträglich.

Nur zur Therapie oder auch vorbeugend?

Eine für Fachpersonal konzipierte Online-Schulung des Herstellers Infectopharm erregte kürzlich den Unmut des Verbands Sozialer Wettbewerb (VSW). Das Material zu dem Präparat Lomaherpan® sei nach Ansicht des Verbandes als irreführende Werbung einzustufen, weil der Eindruck erweckt werde, Herpes-Infektionen könne vorgebeugt werden. In zweiter Instanz gab das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) nun dem Kläger teilweise Recht: Auch wenn sich die Werbung überwiegend an Fachpersonal richtet, müssen trotzdem die Vorgaben des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) eingehalten werden. Die Zulassung für Lomaherpan® bezieht sich lediglich auf die Linderung von durch Herpes simplex ausgelöste Beschwerden. In der Schulung wird jedoch suggeriert, dass durch die Anwendung von Lomaherpan® Viren blockiert und gesunde Zellen geschützt werden. Da diese beiden Aussagen nicht mit der Zulassung vereinbar sind, liegt hier laut den Richtern ein Verstoß gegen das HWG vor. Zwei Angaben von Infectopharm sind dagegen rechtens. So darf die Aussage getätigt werden: „Studien belegen starke Wirksamkeit.“ Der Hersteller habe Publikationen vorgelegt, in denen nachgewiesen die Viruslast reduziert wurde. Nur durch diese sei das Arzneimittel zugelassen worden. Außerdem ist die Aussage „sinnvoll vorbeugen“ im Zusammenhang mit LomaProtect® rechtens. Als Begründung wird hier ­genannt, dass eine sorgfältige Pflege und Schutz der Lippe dem Entstehen von Herpesbläschen vorbeugen kann. Diese Aussage sei richtig und nicht irreführend.

Quelle: Urteil des OLG Frankfurt, ECLI:DE:OLGHE:2019:1212.6U189.18.00

Symptome werden gelindert

In einigen kleineren Studien konnte gezeigt werden, dass Lomaherpan® in der Lage ist, die Symptome eines Herpes labialis, insbesondere Rötung und Schwellung, zu reduzieren. Mit der Anwendung sollte dabei so früh wie möglich nach Einsetzen der Symptome begonnen werden, idealerweise sollte nicht länger als vier bis sechs Stunden gewartet werden, um eine ausreichende Wirksamkeit zu gewährleisten. Dies ist im Hinblick auf den postulierten Wirkmechanismus auch plausibel, gilt aber ebenso für die synthetischen Nukleosid-Analoga, da ältere Bläschen kaum noch vermehrungsfähige Viren enthalten. Das Arzneimittel ist im Allgemeinen gut verträglich und kann bei Schwangeren und Kindern ab einem Jahr angewendet werden. Aufgrund des abweichenden Wirkmechanismus ist die Creme möglicherweise auch bei gegenüber Nukleosid-Analoga resistenten Viren wirksam. Natürlich hat sich seit der Markteinführung von Lomaherpan® vor nahezu 40 Jahren im Bereich der Selbstmedikation des Lippenherpes einiges verändert, preiswerte und nicht verschreibungspflichtige Nukleosid-Analoga gab es damals nicht. Dennoch bleibt die Creme auf Basis der traditionellen Heilpflanze Melisse eine sinnvolle Alternative insbesondere für Patienten, die pflanzliche Präparate bevorzugen. |
 

Literatur

[1] Mohrig A. Melissenextrakt bei Herpes simplex - die Alternative zu Nukleosid-Analoga. DtschApothZtg 1996;136:4575-4580

[2] Miraj S. et al. Melissa officinalis L: A Review Study With an Antioxidant Prospective. Journal of Evidence Based Complementary and Alternative Medicine 2017;22:385–394

[3] Kucera LS. et al. Antiviral activities of extracts of the lemon balm plant. Annals of the New York Academy of Sciences 1965;130:474-482

[4] Nolkemper S. et al. Antiviral effect of aqueous extracts from species of the Lamiaceae family against Herpes simplex virus type 1 and type 2 in vitro. Planta Med. 2006;72:1378-1382

[5] Astani A. et al. Attachment and penetration of acyclovir-resistant herpes simplex virus are inhibited by Melissa officinalis extract. Phytotherapy Research 2014;28:1547-1552

[6] Denzler K.L. et al. Melissa officinalis Extract Inhibits Herpes Simplex Virus-I Glycoprotein B Interaction with Heparin Sulfate. Herbal Medicine: Open access 2016;2, doi: 10.21767/2472-0151.100014

[7] Astani A. et al. Melissa officinalis extract inhibits attachment of herpes simplex virus in vitro. Chemotherapy 2012; 58: 70-77

[8] Wölbling R.H., Milbradt R. Klinik und Therapie des Herpes simplex: Vorstellung eines neuen phytotherapeutischen Wirkstoffes. Therapiewoche 1984;34:1193-1200

[9] Vogt H.J, Tausch I. Wölbling R.H. Melissenextrakt bei Herpes simplex. Der Allgemeinarzt 1991;11:832-842

[10] Koytchev R. et al. Balm mint extract (Lo-701) for topical treatment of recurring herpes labialis. Phytomedicine 1999;6:225-230

Priv.-Doz. Dr. Kristina Jenett-Siems

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