Arzneimittel und Therapie

Botox kein Ersatz für Antidepressiva

Das Nervengift wird schon jetzt als Add-on-Therapeutikum eingesetzt

Ein Piks in die Stirn, und Depressionen gehören der Vergangenheit an. Was sich wie ein Traum für ­Betroffene anhört, könnte in der Zukunft möglicherweise Realität werden. Wird Botulinumtoxin schon jetzt in der Praxis zur Therapie von Depressionen eingesetzt? Und was muss bei der Behandlung beachtet werden? Darüber haben wir mit Priv.-Doz. Dr. Marc Axel Wollmer, einem der Studienautoren und Chefarzt für Gerontopsychiatrie an der Hamburger Asklepios ­Klinik gesprochen.

Priv.-Doz. Dr. Marc Axel Wollmer

DAZ: Macht es Sinn, die Studienergebnisse schon jetzt in die Praxis zu implementieren bzw. machen Sie das bereits?

Wollmer: Auf jeden Fall. Allerdings ist die praktische Anwendung weniger durch die hier besprochene Studie, als vielmehr durch eine Reihe von randomisierten kontrollierten Studien begründet, deren Aussagekraft durch die Beobachtungen in der FAERS-Datenbank unterstützt wird. Tatsächlich setze ich Botulinumtoxin mit guten Erfolgen in der Behandlung von Patientinnen oder Patienten mit Depression ein, die mit etablierten Methoden keine ausreichende Besserung erfahren haben oder die zur Behandlung der Depression eingesetzte Medikamente nicht vertragen oder aus verschiedenen Gründen nicht einnehmen wollen.

DAZ: Was muss beim Einsatz bei Depressionen beachtet werden?

Wollmer: Da Botulinumtoxin zur Behandlung der Depression (noch) nicht zugelassen ist, bewegt man sich bei der Anwendung in dieser Indikation im Off-Label-Bereich. Hier ist allerdings hilfreich, dass eine nahezu identische Behandlung eine Zulassung für die ästhetisch-medizinische Behandlung der Glabellafalte („Zornesfalte“) hat. Die Kosten für die Behandlung werden von den Krankenversicherungen nicht direkt übernommen. Botulinumtoxin sollte nicht als Ersatz für etablierte, gut wirksame Behandlungsmethoden gesehen werden, sondern als zusätzlicher Baustein in einer Behandlung zum Beispiel mit Antidepressiva und Psychotherapie.

 

DAZ: Welche Dosierung und Injektionsregion empfehlen Sie?

Wollmer: Für die Behandlung in Studien oder in der praktischen Anwendung verwende ich je nach Ausprägung der Muskulatur in der Regel Dosen zwischen 29 und 39 Einheiten Onabotulinumtoxin A oder äquivalente Dosen anderer Botulinumtoxine, die ich verteilt auf fünf Punkte im Bereich der Glabella (Region über und zwischen den Augenbrauen) injiziere.

 

DAZ: Erfolgen die Injektionen dann auch in einem Abstand von einigen Monaten wie bei anderen Indikationen? Oder hält der antidepressive Effekt längerfristig an?

Wollmer: Nach unserem bisherigen Verständnis ist der antidepressive an den muskelentspannenden Effekt gekoppelt und geht nach etwa drei bis vier Monaten zurück. Da die Depression eine Störung ist, die episodenhaft verlaufen kann, ist es möglich, dass eine Depression, die gut angesprochen hat, auch nach Abklingen der Wirkung des Botulinumtoxins in Remission bleibt. Bei Patientinnen oder Patienten mit chronischen oder häufiger rezidivierenden Verläufen der Depression kehren deren Symptome zurück oder verstärken sich erneut, wenn die Muskulatur wieder aktiv wird. Dann ist eine Wiederholung der Behandlung sinnvoll.

 

DAZ: In welche Richtung geht die Forschung aktuell?

Wollmer: Bis Botulinumtoxin hoffentlich einmal zur Behandlung der Depression zugelassen wird, bedarf es weiterer größerer randomisierter kontrollierter Studien. Gleichzeitig versuchen wir, zum Beispiel durch Untersuchungen mit funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT), die Mechanismen besser zu verstehen. Auch wenn die Facial-Feedback-Hypothese eine überzeugende Erklärung für die antidepressive Wirkung bietet, ist es nicht bewiesen, dass die Unterbrechung der sich gegenseitig verstärkenden Wechselwirkung von mimischem Ausdruck und psychischem Erleben negativer Emotionen tatsächlich für den Effekt verantwortlich ist. Die Befunde der hier besprochenen Studie beinhalten die Möglichkeit anderer Mechanismen, die, wenn sie denn eine Rolle spielen, unter Umständen eine Änderung der Art und Weise fordern würden, wie wir Botulinumtoxin in der Behandlung der Depression einsetzen.

DAZ: Herr Dr. Wollmer, wir danken Ihnen für das Gespräch!
 

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.