Arzneimittel und Therapie

Octenidin lutschen statt sprühen

Das Antiseptikum gibt es nun auch als Halstabletten

Wenn in der kalten Jahreszeit Patienten mit akuten Halsschmerzen in der Offizin Schlange stehen, fragt sich so manch ein Apothekenmitarbeiter, welche Lutschtabletten man guten Gewissens empfehlen kann. Mit Einführung von Laryngomedin® Octenidin Antisept wird die Qual der Wahl jedoch nicht leichter.

Akute Halsschmerzen (Pharyngitis) dauern im Mittel 3,5 bis 5 Tage, sind meist komplikationslos und heilen in der Regel spontan wieder ab. Fast immer sind sie durch akute Infektionen der oberen Atemwege bedingt. Die milden Verlaufsformen treten oftmals im Rahmen einer Erkältung auf und werden überwiegend durch Rhinoviren und eher harmlose Vertreter der Coronaviren verursacht. Aber auch Viren wie Adenoviren, Influenza- oder Herpes-simplex-Viren können mit Halsschmerzen einhergehen. Bei den bakteriell hervorgerufenen Halsschmerzen (ca. 15 bis 30% aller Fälle) spielen insbesondere ß-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (GAS) bzw. der Gruppen C und G eine Rolle. Meistens ist eine ätiologische Zuordnung nicht möglich und es ist nicht sicher, ob zwischen eventuell diagnostizierten Mikroorganismen und Pharyngitis ein kausaler Zusammenhang besteht [1].

Um die durch die Pharyngitis ver­ursachten Beschwerden zu lindern, werden diverse lokal wirksame Halsschmerzmittel insbesondere im Rahmen der Selbstmedikation unterstützend eingesetzt. Diese enthalten neben Lokalanästhetika wie Benzocain (z. B. Anaesthesin®), Antibiotika wie Tyrothricin (z. B. Dorithricin®) oder Analgetika wie Flurbiprofen (z. B. Dobendan®) überwiegend antiseptisch wirkende Substanzen wie Hexetidin (z. B. Hexoral®), Benzalkoniumchlorid (z. B. Dorithricin®), Cetylpyridiniumchlorid (Dolo-Dobendan®), Chlorhexidin (z. B. Chlorhexamed®) und Cresol (z. B. Neo-Angin®). Zum Teil wirken diese auch lokalanästhetisch, ihre Wirkung auf Schmerzen ist jedoch gering [2]. Seit Kurzem wird die Palette der antiseptischen Halsschmerzmittel nun durch Octenidindihydrochlorid in Form von Lutschtabletten (Laryngomedin® Octenidin Antisept) erweitert.

Foto: Cassella-med GmbH

Die empfohlene Dosierung von Laryngomedin® Octenidin Antisept beträgt alle zwei bis drei Stunden eine Tablette. Die Tagesmaximal­-dosis von sechs Tabletten sollte dabei nicht überschritten werden. Während Schwangerschaft und Stillzeit wird es nicht empfohlen.

Breites Wirkungsspektrum

Octenidindihydrochlorid hat sich als Wund- und Oberflächendesinfektionsmittel bewährt. In Deutschland ist es nun erstmals in Form einer Lutschtablette für Erwachsene und Jugendliche ab zwölf Jahren zur kurzzeitigen unterstützenden Behandlung von Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut zugelassen. Octenidindihydrochlorid wirkt nach Angaben des Herstellers Cassella-med GmbH gegen grampositive und gramnegative bakterielle Erreger, behüllte Viren und Pilze im Mund- und Rachenraum [3]. Das allergene Potenzial ist als gering einzuschätzen [4, 5]. Wirksamkeit und Verträglichkeit der Lutschtabletten sind in einer kontrollierten Doppelblindstudie mit 740 Patienten belegt worden. Dabei wurde sowohl die Überlegenheit gegenüber Placebo als auch die Nichtunterlegenheit gegenüber einem aktiven Vergleichspräparat (Neo-­Angin®) gezeigt. Die Ergebnisse wurden letzten Herbst im Rahmen eines wissenschaftlichen Kongresses in Polen präsentiert [3, 6]. Demnach waren die Ansprechraten in der Octenidin-Gruppe (57%) und der Vergleichsgruppe ähnlich (57% bzw. 54%) und höher als in der Placebogruppe (44%). Rund 5% der Probanden, die Octenidin-Lutschtabletten erhielten, berichteten über Dysgeusie – vermutlich aufgrund des bitteren Eigengeschmacks des Wirkstoffs [6].

Was sagen die Experten?

Trotz des weitverbreiteten Einsatzes von lokalen Halsschmerzmitteln wie Lutschtabletten, Gurgellösungen oder Rachensprays wurde ihre Anwendung in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) nicht empfohlen. Da sie nur oberflächlich wirken, der Herd der Infektionen aber gewöhnlich in tieferen Gewebsschichten liegt, mache eine Therapie mit Lokalantiseptika „nachweislich keinen Sinn“ [1]. Dieser Standpunkt ist auch aktuell von einem der Leitlinien-Autoren, Prof. Dr. Jean-François Chenot vom Institut für Community Medicine, Abteilung Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Greifswald, bestätigt worden. Eine Desinfektion der Mundhöhle ist nach Ansicht des Experten nicht möglich, und es ist unklar, ob eine solche Vorgehensweise sinnvoll ist. Stattdessen empfiehlt Chenot Schmerzmittel (z. B. Paracetamol oder Ibuprofen) oder „einfach nichtmedizinische Bonbons (z. B Salbeibonbons) zu lutschen, was die Speichel- und Schleimproduktion anregt“ [5]. |

Literatur

[1] DEGAM-Leitlinie Nr. 14: Halsschmerzen 2009 (Gültigkeit abgelaufen, derzeit in Überarbeitung). AWMF-Register-Nr. 053/010

[2] Weckmann G et al. Efficacy of AMC/DCBA lozenges for sore throat: A systematic review and meta-analysis. Int J Clin Pract 2017;71(10); doi: 10.1111/ijcp.13002

[3] Antiseptikum Octenidin erstmals als Lutschtablette. Presseinformation der Cassella-med GmbH & Co KG vom 15. Januar 2020

[4] Schülke & Mayr GmbH. Wichtige Information zur Arzneimittelsicherheit von Octenisept®. Rote-Hand-Brief vom 7. Februar 2008; www.akdae.de

[5] Interview mit Prof. Dr. med. Jean-François Chenot vom Institut für Community Medicine, Abteilung Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Greifswald, 21. Januar 2020

[6] Naudts IFK et al. A randomised, multi- centre, parallel group, double-blind, placebo- and active- controlled clinical study to assess the efficacy and safety of octenidine lozenges in the treatment of acute sore throat. VIII Kongres Polskiego Towarzystwa medycyny Rodzinnej (VIII congress of the Polish Society of Family Medicine). Wroclaw 11. bis 13. Oktober 2019

Apothekerin Dr. Daniela Leopoldt

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