Interpharm online 2021

Ketamin und Psilocybin als Hoffnungsträger

Die Behandlung der Major Depression entwickelt sich zu einer personalisierten Therapie

cb | Laut Prof. Dr. med. Malek Bajbouj von der Klinik für Psychi­atrie und Psychotherapie an der Charité Universitätsmedizin Berlin gibt es nach jahrelanger Stagnation Neuigkeiten auf dem Gebiet der medikamentösen Depressionsbehandlung. Große Hoffnung verbinden die Mediziner seit einiger Zeit mit Ketamin und Psilocybin. Beide Wirkstoffe hat Bajbouj bereits im Rahmen von Studien bei Patienten mit Depression eingesetzt.

Man könnte annehmen, dass die zahlreichen zugelassenen Antidepressiva ausreichen würden, um depressive Patienten effektiv zu behandeln. Doch das ist leider nicht der Fall, betonte Bajbouj. Vielmehr schlägt etwa bei etwa einem Drittel der Patienten die medikamentöse Therapie auch nach einer Wirkstoff-Umstellung oder mit Kombinationen nicht an. Außerdem akzeptieren einige Patienten die Medikamente nach einiger Zeit nicht mehr, zum Beispiel wegen unerwünschter Wirkungen. Für sie werden neue Optionen benötigt.

Esketamin bereits zugelassen

Das S-Enantiomer des racemischen Ketamins (Esketamin, Spravato®Nasenspray) ist bereits seit Dezember 2019 zugelassen und mittlerweile auch auf dem Markt. Es ist – in Kombination mit einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder mit einem Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitor (SNRI) – indiziert bei Erwachsenen mit mittelschwerer bis schwerer therapieresistenter Depression, außerdem bei einem psychiatrischen Notfall als Akut­therapie. Allerdings kann Esket­amin derzeit noch nicht über die Apotheke auf Rezept an Patienten abgegeben werden. Der Patient darf das Nasenspray nur unter direkter Aufsicht durch medizinisches Fachpersonal anwenden, wobei auch eine angemessene Nachbeobachtungszeit eingehalten werden muss. Ein Grund ist, dass nach der Anwendung Nebenwirkungen wie erhöhter Blutdruck oder Sedierung auftreten können. Erst wenn der Patient stabil genug scheint, wird er entlassen.

Foto: Screenshot

Prof. Dr. Malek Bajbouj beschrieb den Ist-Zustand der Therapie und wagte den Blick in die Zukunft einer personalisierten Psychiatrie.

Verschiedene Wirkmechanismen

Zum genauen Wirkmechanismus von Esketamin gibt es noch viele offene Fragen. Primär führt die Substanz als nicht-kompetitiver Antagonist des ionotropen N-Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Glutamatrezeptors zum Anstieg der glutamatergen Neurotransmission und über die postsynaptische AMPA-Aktivierung zum Anstieg von Nervenwachstumsfaktoren sowie zur Bildung neuer Synapsen in Hirnregionen, die für die Regulation von Stimmungen und Emotionen zuständig sind. Laut Bajbouj gibt es jedoch aus Studien unter anderem Hinweise auf eine Hemmung extra­synaptischer NMDA-Rezeptoren oder eine Blockade der spontanen NMDA-Rezeptoraktivierung.

Schneller Wirkungseintritt

Bisher musste nach Ansetzen eines neuen Antidepressivums einige Wochen, wenn nicht sogar Monate, bis zum Wirkungseintritt gewartet werden. Die Besonderheit von Esketamin besteht darin, dass Patienten in den ersten Studien – in denen noch das Racemat als Infusion verabreicht worden war – bereits innerhalb von vier, spätestens nach 24 Stunden angesprochen hatten. „Eine derartig schnell einsetzende antidepressive Wirkung konnten wir unseren Patienten bisher nicht anbieten“, sagte Bajbouj.

Macht Esketamin abhängig?

Ein wichtiger Punkt, der bei der Anwendung von Esketamin beachtet werden muss, ist sein potenzielles Abhängigkeitsrisiko. Laut Bajbouj zeigen Beobachtungen in der klinischen Praxis, dass einige Patienten in eine Abhängigkeit gelangen können. Deshalb müssen sie während der Therapie auf die Entwicklung einer Abhängigkeit hin beobachtet werden, und in Studien muss dieses Risiko weiter untersucht werden. Da das Esketamin-Nasenspray nur unter direkter Aufsicht von medizinischem Fachpersonal angewendet werden darf, ist das Risiko für eine Weiterverbreitung zur Einnahme als Rauschmittel minimal.

Inhaltsstoff von „magic mushrooms“ als Antidepressivum?

Auch eine Psilocybin-gestützte Therapie ist ein interessanter neuer Ansatz in der Depressionsbehandlung, zu dem bereits einige Studien vorliegen. In einer kleineren Studie zeigte das Halluzinogen sogar eine vergleichbare Wirksamkeit wie der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Escitalopram. Das Besondere an Psilocybin ist das therapeutische Setting. In einigen bisherigen Studien wurden die Probanden zunächst von ihren Therapeuten in Sitzungen über mehrere Stunden auf die Anwendung vorbereitet. Psilocybin musste auch nicht, wie andere Antidepressiva, ein- oder mehrmals täglich, sondern nur insgesamt ein- bis dreimal angewendet werden. Am jeweiligen Therapietag lag der Proband nach der oralen Einnahme mit einer Augenmaske auf einer Untersuchungsliege und hörte über Kopfhörer Musik, wobei er von Therapeuten überwacht wurde. Die Probanden berichteten in der Auswertung teilweise über sehr intensive Erlebnisse während dieser Sitzungen. Die antidepressive Wirkung von Psilocybin war in diesen Studien deutlich ausgeprägt. Als Nebenwirkungen wurden beispielsweise neurologische Symptome und Herz-Kreislauf-Beschwerden beobachtet, die jedoch mild ausgeprägt waren.

Blick in die Zukunft

Nach Vorstellung von Bajbouj sollte sich die Depressionsbehandlung in Zukunft in Richtung einer personalisierten Therapie entwickeln. Ziel müsse es sein, dass mithilfe verschiedener Voruntersuchungen diejenigen Patienten identifiziert werden, die auf die eine oder andere Therapie besonders gut ansprechen. Die Substanzen Psilocybin und Ketamin haben seiner Ansicht nach eine Chance verdient, in das Portfolio der medikamentösen Optionen aufgenommen zu werden. „Um diese Substanzen gibt es einen großen Hype, es steckt viel Hoffnung darin, und wir verfolgen diesen spannenden Ansatz. Wie ihre Zukunft aussehen wird, ist aber derzeit noch unklar“, so Bajbouj. |

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