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„Das können und wollen wir nicht ausschließen“

Gematik-Experte: E-Rezepte auch außerhalb der Fokusregion möglich

eda | Seit dem 1. Juli testet die Gematik zusammen mit Arztpraxen, Apotheken, Softwareanbietern sowie Patienten das E-Rezept in der Fokusregion Berlin/Brandenburg. Ausgehend von der Feurig-Apotheke in Berlin-Schöneberg sowie einer Praxis in unmittelbarer Nachbarschaft sollen es in den nächsten Wochen immer mehr Mitwirkende werden. Hannes Neumann, E-Rezept-Experte der Gematik, erklärt im Interview, unter welchen Umständen auch eine Apotheke beispielsweise in Bayern oder eine Internistin aus Dortmund dabei sein könnte.

Im Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) steht unmissverständlich, dass ab dem 1. Januar 2022 Apotheken verpflichtet sind, verschreibungspflichtige Arzneimittel nur noch bei Vorliegen von digitalen Verordnungen abzugeben. Zum Jahreswechsel sollten die E-Rezepte also möglichst einwandfrei funktionieren. Aktuell hakt es noch bei der Zertifizierung der Praxissoftware durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Doch die meisten Verantwort­lichen zeigen sich zuversichtlich, dass man die Fristen einhalten wird.

Politisch lautete die Devise noch bis vor Kurzem, dass – ein halbes Jahr vor dem verpflichtenden Termin – E-Rezepte auch freiwillig, also auf Patientenwunsch, ausgestellt und in Apotheken übermittelt werden können. Doch die Gesellschafter der Gematik wollen die digitalen Verordnungen zunächst in der Fokusregion Berlin/Brandenburg testen, bevor der große, bundesweite Roll-out geschieht. Dies hatte vor allem unter Apothekern für Irritationen gesorgt, die sich auf die Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI) vorbereitet hatten. Hat das Ministerium oder die Gematik nun den Rest der Republik kurzerhand „offline“ geschaltet? Oder könnten auch Arztpraxen, Telemediziner, Apotheken und Versender außerhalb der Fokusregion mit E-Rezepten in Berührung kommen? Hannes Neumann, E-Rezept-Experte der Gematik, erläutert Einzelheiten.

DAZ: Herr Neumann, wie kam es zu der Entscheidung, dieses große Kapitel im deutschen Gesundheitswesen doch zunächst erst mal im Kleinen zu starten?

Neumann: Überraschend ist dieser Schritt nicht – jedenfalls nicht für diejenigen, die in den letzten Monaten am E-Rezept gearbeitet haben. Spontan war diese Entscheidung auch nicht. Der Gesetzgeber hat mit dem PDSG die Grundlage geschaffen, dass E-Rezepte ab Juli 2021 eingeführt werden. Bei der Gesellschafterversammlung der Gematik im vergangenen ­April wurde beschlossen, praktische Erkenntnisse zunächst in Tests in einer abgesteckten Region zu gewinnen, bevor es zur breiten, bundesweiten Einführung kommt.

 

DAZ: Dennoch herrschte – vor allem bei den Apothekerinnen und Apothekern – bis zuletzt eine andere Erwartungshaltung, weil sich die Ankündigungen auf politischer Ebene anders anhörten. Aber unvernünftig ist es ja keinesfalls, dies alles erst mal fokussiert zu testen. Erklären Sie uns bitte kurz, wie das abläuft.

Neumann: In den ersten beiden Juli­wochen werden wir zusammen mit Herrn Lamboy in seiner Feurig-Apotheke eine Vielzahl von Verordnungen testen. Mit dabei ist ein Arzt aus der unmittelbaren Nachbarschaft, dessen Praxis über eine von der KBV zertifizierte Verordnungssoftware verfügt. Es werden also zunächst simulierte und fiktive Patientenverordnungen erstellt und eingelöst. Nach und nach sollen aber auch „echte“ E-Rezepte in der Apotheke beliefert und abgerechnet werden. Wie angekündigt, beginnt diese Phase Ende Juli / Anfang August.

 

DAZ: Stand 1. Juli wurde von der KBV bislang nur eine Praxisverwaltungssoftware zertifiziert. In den meisten Arztpraxen sind dementsprechend einfach noch nicht die Voraussetzungen für die Anbindung an die TI geschaffen. Das sieht bei den Apotheken anders aus. Wäre es eigentlich technisch möglich, dass auch Apotheken außerhalb der Fokusregion E-Rezepte empfangen und bearbeiten können?

Neumann: Noch mal: Der Gesetzgeber hatte mit dem PDSG den Startschuss auf den 1. Juli gesetzt. Die Gematik hat Spielregeln bestimmt, wie die Testphase in den ersten Monaten auszusehen hat. Demnach müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Entweder die Apotheke, die Arztpraxis oder der Patient muss aus der Fokusregion Berlin/Brandenburg stammen. Selbstredend müssen alle technischen Anschlüsse an die Telematikinfrastruktur funktionieren, außerdem müssen der elektronische Heilberufsausweis sowie nötige Updates des Primärsystems zur Bearbeitung des E-Rezeptes vorhanden sein.

 

DAZ: Das bedeutet, dass eine Apotheke in Bayern beispielsweise ein E-Rezept, das in der Fokusregion für einen Ber­liner oder Brandenburger Patient ausgestellt wurde, empfangen und bearbeiten könnte?

Neumann: Aus Sicht der Versorgung vor Ort wäre dies zwar eher unwahrscheinlich, aber technisch möglich – vorausgesetzt die Apotheke verfügt bereits über einen funktionierenden TI-Anschluss, einen Heilberufsausweis und das erforderliche Update des Warenwirtschaftssystems.

 

DAZ: Und es wäre auch denkbar, dass eine Arztpraxis oder ein Telemediziner außerhalb der Fokusregion E-Rezepte ausstellt, die dann innerhalb von beispielsweise Berlin eingelöst werden?

Neumann: Dieser Fall bei einem Praxisbesuch in einer Praxis vor Ort ist unwahrscheinlich. Im Rahmen einer Fernbehandlung eines Versicherten aus Berlin/Brandenburg aber durchaus möglich, sofern diese Praxis dann über eine Verordnungssoftware verfügt, die die KBV bereits zertifiziert hat. Aber ich sehe, dass Sie auf den Noventi-Fall vom 1. Juli anspielen.

 

DAZ: Laut einer Pressemitteilung wurde einem Ber­liner Versicherten nach einer Online-Sprechstunde bei Zava mit einer Internistin aus Dortmund ein E-Rezept ausgestellt, das an eine Apotheke in Berlin-Charlottenburg weitergeleitet wurde. Der Patient wurde dann per Botendienst mit dem verordneten Arzneimittel beliefert. Man habe „im Rahmen der ­E-Rezept-Pilotphase“ das erste E-Rezept „nach dem Gematik-Standard“ ausgestellt und abgewickelt.

Neumann: Ich kenne diese Pressemitteilung und weiß auch, dass im letzten Satz die wichtige Information zu finden ist, dass aufgrund der noch nicht vorliegenden KBV-Zertifizierung der eingesetzten Praxissoftware keine Abrechnung durchgeführt werden kann. Das heißt, auch dieser Vorgang gleicht einem Test. Noventi hat ja auch angekündigt, innerhalb der Fokusregion selbst mit E-Rezepten Testdurchläufe zu machen. Als Softwareanbieter und Abrechner will man die Prozesse ja auch besser kennenlernen.

 

DAZ: Das heißt, dass man neben den offiziellen Gematik-Tests auch mit weiteren Aktivitäten in den nächsten Wochen rechnen darf und E-Rezepte – wenn auch nicht abrechenbar – durchaus mal auf­tauchen könnten?

Neumann: Das können und wollen wir nicht ausschließen. Wenn die jeweiligen Arztpraxen und Apotheken an die TI angebunden sind und über die entsprechende Software verfügen, wird dies auch technisch möglich sein. Wir bieten insbesondere allen interessierten Ärzten und Apothekern in Berlin-Brandenburg die Möglichkeit, an der Testphase teilzunehmen und E-Rezepte seit Anfang Juli auszustellen bzw. entgegenzunehmen. Dafür ist eine Anmeldung über die Gematik-Homepage für die Testphase im dritten Quartal notwendig. Je mehr Teilnehmer die erforderlichen Voraussetzung mitbringen und sich hierüber registrieren, umso besser können wir erkennen, in welche Teile der Fokusregion wir die Testdurchläufe ausrollen können. Denn noch mal: ­Voraussetzung ist vor allem, dass sich in der un­mittelbaren Umgebung der Apotheken Arztpraxen finden, die über eine KBV-zertifizierte Software verfügen. Dann klappt es auch mit der Abrechnung.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch. |

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