E-Rezept

E-Rezept: Gamechanger mit Ladehemmung

Der schwierige Weg in die digitale Zukunft

tmb | Obwohl Apotheken und Berufspolitik mit dem laufenden Geschäft und der Pandemie intensiv beschäftigt sind, müssen sie sich mit einem bedeutsamen Zukunftsthema auseinandersetzen. Das E-Rezept gilt als künftiger Gamechanger, der den Apothekenalltag wesentlich beeinflussen wird und das System verändern kann. Die Vorbereitung darauf und die Frage, wann es damit losgeht, waren wichtige Themen im Jahr 2021.

Anfang des Jahres sah der Zeitplan vor, dass das E-Rezept am 1. Juli 2021 als freiwillige Anwendung startet und ab dem 1. Januar 2022 zur Pflicht wird, sofern die Technik in der ausstellenden Praxis funktioniert. Allerdings sollte die App der Gematik für den Umgang der Patienten mit dem E-Rezept erst zur Jahresmitte vorliegen. Im ersten Halbjahr 2021 liefen viele Vorbereitungen, aber nicht innerhalb der Telematikinfrastruktur (TI), zumal die nötigen elektronischen Heilberufeausweise für Apotheker erst ausgegeben wurden. Viele Überlegungen drehten sich um das Problem, dass die weitaus meisten Patienten das E-Rezept nicht von Anfang an komplett ­digital nutzen können werden. Denn dafür benötigen sie ein NFC-fähiges Smartphone und eine NFC-fähige elektronische Gesundheitskarte mit PIN, über die nur ein einstelliger Prozentsatz der Versicherten verfügte. Damit rückte die Alternative, die als Ausnahme für Patienten ohne Smartphone gedacht war, in den Vordergrund. Die Patienten würden anfangs beim Arzt einen ausgedruckten Zugangscode (Token) erhalten. Dieser könnte in der Apotheke gescannt, aber auch fotografiert und mit unsicheren Medien verschickt werden – auch an Versender, die dafür bereits passende Apps unabhängig von der offiziellen Gematik-App anboten. Die Konsequenzen beschäftigten auch den Finanzmarkt, weil die Perspek­tiven börsennotierter ausländischer Arzneimittelversender mit der Entwicklung beim E-Rezept verknüpft werden (DAZ 25, S. 18).

Foto: imago images/epd

Fragen zur Technik und zu Plattformen

Der Umgang mit dem Zugangscode, die Vorgehensweise bei Systemausfällen und die Korrekturmöglichkeiten wurden vielfach diskutiert (AZ 17, S. 3, DAZ 17, S. 51 und DAZ 18, S. 19). ABDA-IT-Experte Sören Friedrich beschrieb im April im DAZ-Interview den damaligen Stand und kündigte für das zweite Halbjahr „eher ein langsames Hochfahren“ an (DAZ 17, S. 56). Daneben gab es laufend Neuigkeiten von den Plattformen, auf denen die Patienten künftig online ihre Apotheke finden sollen. Dabei ging es immer wieder darum, welche Unternehmen bei welcher Plattform zusammenarbeiten und welche Leistungen sie den Apotheken und den Patienten bieten. Es sollte ein Markt verteilt werden, von dem noch niemand weiß, wie er funktionieren wird. Dies ist ein Teil­aspekt der zentralen Frage, wie die Patienten online ihre Apotheke finden, auswählen und erreichen werden. Das E-Rezept könnte dem Versand Auftrieb geben, weil die Hürde zum Versand geringer erscheint. Doch es geht auch um den Wettbewerb zwischen den Vor-Ort-Apotheken. Als Schlüsselbegriff dafür zeichnete sich im Laufe des Jahres die digitale Sichtbarkeit der einzelnen Apotheke ab.

Fokusregion statt freiwilliger Start für alle

Im Mai wurde deutlich, dass das E-Rezept zum 1. Juli nicht bundesweit starten wird, sondern nur in der „Fokus­region“ Berlin/Brandenburg in einzelnen Arztpraxen mit geeigneter Software und nahegelegenen Apotheken. Anfangs war von 50 Praxen und 150 Apotheken die Rede (AZ 18, S. 1 und DAZ 19, S. 9). Anke Rüdinger, Vorsitzende des Berliner Apotheker-Vereins, stellte die Pläne im DAZ-Interview vor. Demnach liege es im Interesse aller Beteiligten, dass das E-Rezept in einer Fokusregion startet. Denn „zu viele Fragen sind noch nicht oder nicht abschließend geklärt“. Außerdem erklärte Rüdinger: „Wir müssen den Menschen klar machen, dass auch die E-Rezepte in die Apo­theke vor Ort gehören und dass wir das schneller und besser können als ausländische Versender“ (DAZ 20, S. 16). Eine im Auftrag der ABDA durchgeführte Umfrage bestätigte, dass vielen Patienten auch mit dem E-Rezept der persönliche Kontakt vor Ort wichtig ist (DAZ 21, S. 10).

Der Start des E-Rezepts am 1. Juli fiel noch bescheidener als erwartet aus. Zunächst ging es nur um simulierte Tests mit einer Arztpraxis und einer Apotheke (DAZ 26, S. 9). Hannes Neumann, E-Rezept-Experte der Gematik, informierte darüber im DAZ-Interview und ließ die Möglichkeit offen, dass einzelne E-Rezepte außerhalb der Fokusregion eingelöst werden könnten (DAZ 27, S. 14). Die Gematik selbst hielt ihren Zeitplan ein, stellte die offizielle App für die Übermittlung der E-Rezept-Zugangscodes bereit und veröffentlichte den Quellcode der App, um Transparenz zu schaffen und die Sicherheit zu erhöhen (AZ 35, S. 5). Im Herbst mehrten sich die Stimmen, dass der geplante verpflichtende Start des E-Rezepts zum Jahresanfang 2022 nicht zu halten sein würde. Am 22. September zeigte ein digitales Experten­gespräch, dass noch viel zu tun war (DAZ 39, S. 22). Die KBV forderte schon im September die Verschiebung (DAZ 38, S. 10). Anfang November stimmte der Deutsche Ärztetag für ein einjähriges Moratorium für die Gematik. Denn die Digitalisierung müsse sicher und für alle nutzbar sein (AZ 45, S. 1).

Abrechnung außerhalb der TI

Während der Tests lief die Diskussion über die vielen Facetten des Themas weiter. Dazu gehörten die Ausstattung der Apotheker – auch der Angestellten – mit elektronischen Heilberufeausweisen (AZ 24, S. 1 und DAZ 36, S. 17) und die Rezeptabrechnung. Diese findet außerhalb der TI statt und gehört nicht zum Regelungsbereich der Gematik. Dazu mussten Absprachen zwischen Apotheken, Krankenkassen, Rechenzentren und Softwareanbietern getroffen werden. Weitere Diskussionen betrafen die Versicherung der E-Rezepte (DAZ 32, S. 14) und die Idee der Direktabrechnung. Durch die Insolvenz des Rechenzentrums AvP wurde das Interesse an einem Abrechnungsweg ohne einen zwischengestalteten Abrechner geweckt. Mit dem E-Rezept schien dies technisch möglich, weil einige Arbeitsschritte wegfallen (DAZ 28, S. 18).

GEDISA und die Plattform der Verbände

Im Herbst ergab sich auch eine neue Entwicklung bei den Plattformen. Dies hing mit dem Ausstellen von Corona-Impfzertifikaten in Apotheken zusammen. Die Apotheken hatten dafür die Plattform des Deutschen Apothekerverbandes genutzt, an die damit fast alle Apotheken angeschlossen waren (DAZ 34, S. 11). Dies gab der Idee einer apothekereigenen Plattform neuen Auftrieb. Allerdings erwies sich eine Plattform im Eigentum des Verbandes für diese aufwendige und wettbewerbsrelevante Aufgabe als ungeeignet. Darum gründeten die Apothekerverbände am 11. November die Gesellschaft für digitale Services der Apotheken (GEDISA) als neue Tochter­gesellschaft. Die Finanzplanung sieht vor, dass jede Apotheke für drei Jahre Kosten von höchstens 50 Euro pro Monat zu tragen hat (AZ 46, S. 8). Bei der Gründung war der Apothekerverband Westfalen-Lippe nicht dabei, weil ein Mitgliedervotum nicht schnell genug einzuholen war.

Immer mehr technische Fragen

Als weitere Frage zeichnete sich ab, wie viele Institutionenkarten (SMC-B) eine Apotheke braucht. Zunächst war eine Karte pro Apotheke vorgesehen. Doch für besondere Aufgaben wie Zytostatikazubereitung, Heimbelieferung oder Versand, die als eigene organisatorische Einheiten adressiert werden sollen, sind mehr Karten nötig (DAZ 40, S. 16). Die Gematik beschloss daraufhin, dass Apothekerkammern bis zu acht Karten pro Apotheke ausstellen müssten. Diese plötzliche Änderung der Regeln, die Beauftragung der Kammern durch die Gematik und die damit inhaltlich verbundene Unterstützung der Versender ließen die BAK mit Befremden reagieren (AZ 48, S. 1). Während die meisten Beteiligten der TI ihre technische Infrastruktur gerade aufbauten, beschloss die Gematik schon das Ende der Konnektoren bis Ende 2025 und den Weg in eine neue Technologie (DAZ 41, S. 12).

Foto: imago images/Jochen Tack

Papierrezept als Ersatz oder neuer dritter Weg?

Die andauernden Diskussionen unter Apothekern betreffen sowohl die technisch-praktischen Fragen als auch die langfristigen Folgen für den Wettbewerb – und beides hängt zusammen. Dies gilt besonders für die Übermittlung des Zugangscodes. Wenn er ohne die Gematik-App übertragen und der Ausdruck kopiert werden kann, droht Missbrauch. Möglicherweise löst ein Unbefugter das Rezept ein und der Patient geht leer aus. Doch es wird sich nicht verbieten lassen, einen Zettel zu fotografieren. Darum schlug Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, vor, den Ausdruck nur im Original und nicht als Kopie gelten zu lassen. Dann könnte der Papierausdruck auch bei technischen Ausfällen die Versorgung sichern und abgerechnet werden (DAZ 44, S. 10). Diese Ideen zielten auf eine monatelang erwartete Ver­ordnung aus dem Bundesgesundheitsministerium zu den letzten technischen Regularien für das E-Rezept. Trotz der laufenden Tests stand diese Verordnung Anfang Dezember aus.

Zugleich zeichnete sich ab November ein neuer dritter Weg für die Übermittlung des Zugangscodes ab. Neben dem Weg über die Gematik-App und der problematischen Variante über den Ausdruck des Zugangscodes soll bei der neu entwickelten Variante die elektronische Gesundheitskarte ohne PIN ausreichen. Wenn sie in das Terminal der Apotheke gesteckt wird, soll die Apotheke alle offenen E-Rezepte des Versicherten abrufen können (DAZ 46, S. 12).

Bundesweite Tests seit Dezember

Im Laufe des Herbstes betonten Berufspolitiker mehrfach, die Apotheken seien „E-Rezept ready“. Damit war das Vorhandensein der technischen Komponenten gemeint. Über die Funktionsfähigkeit im praktischen Umgang konnte mangels Testmöglichkeit nichts gesagt werden. Im November wurde immer deutlicher, dass bei den Tests in der Fokusregion nur sehr wenige E-Rezepte übermittelt wurden, meist nur fingierte Rezepte. Dabei ergaben sich offenbar viele neue Fragen, auch zur Abrechnung außerhalb der TI. Dabei ging es auch um die Gematik-Signatur für die E-Rezept-Quittung der Rechenzentren an die Krankenkassen, die nicht den geltenden EU-Standards entsprechen würde (DAZ 47, S. 18). Die Gematik konstatierte jedoch Ende November, die bisherige Test­phase sei „erfolgreich verlaufen“. Daraufhin startete am 1. Dezember der bundesweite Testbetrieb, zu dem sich ausgewählte „Pilotpraxen und -apotheken der Softwarehersteller“ bei der Gematik anmelden konnten (DAZ 48, S. 17). Doch am 2. Dezember forderten die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Bundesärztekammer und der Deutsche Apothekerverband als Gematik-Gesellschafter den Gesetzgeber auf, das E-Rezept „erst nach einer ausreichenden Testphase und erwiesener Praxistauglichkeit für den Regelbetrieb in den Praxen vor­zusehen“. In den monatelangen Tests hätten nur 42 E-Rezepte den gesamten Prozess durchlaufen. Die Gematik forderte daraufhin, die bundesweite Testphase sollte von möglichst vielen Softwarehäusern und Krankenkassen genutzt werden. Bis dahin hätten nur vier Praxisverwaltungssysteme und zwei Krankenkassen an der Testphase teilgenommen (AZ 49, S. 8). Die Entscheidung über den Zeitplan liegt jedoch beim Gesetzgeber. Am 20. Dezember wurde schließlich ein Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums an die Gesellschafter der Gematik bekannt, in dem angekündigt wird, dass das E-Rezept weiter getestet werden soll. Ein neues Datum für die geplante Einführung wird nicht genannt. Vielmehr soll die Einführung, wenn alles läuft, „nach einem noch festzulegenden Rollout-Verfahren erfolgen“. Die Pflicht greift ohnehin nur, wenn die allermeisten Arztpraxen tatsächlich „E-Rezept ready“ sind (DAZ 51, S. 9). |

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.