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Beratung

Auch junge Köpfe leiden

Hintergrundwissen zu primären Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter

Kopfschmerzen sind leider auch bei Kindern (unter zwölf Jahren) und Jugendlichen (zwölf bis 17 Jahren) ein großes Thema. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V. gibt bei dieser Gruppe eine Prävalenz von 54,4% für Kopfschmerzen und 9,1% für Migräne an [1]. Darunter leiden nicht nur die Kinder. Für Eltern kann es sehr beunruhigend sein, wenn der Nachwuchs über Kopfschmerzen klagt. Wie kann man ratsuchenden Eltern in der Apotheke helfen? | Von Desiree Aberle

Kopfschmerzen können primär bzw. idiopathisch als eigene Erkrankung auftreten oder sekundär ein Symptom einer anderen Erkrankung darstellen. Bei den primären Formen, die je nach Literatur 90 bis 95% aller Kopfschmerzen ausmachen, entfällt der Großteil auf Kopfschmerzen vom Spannungstyp, Migräne und Mischformen aus beiden [2, 3]. Letztere kommen gehäuft bei jüngeren Kindern vor. Dabei ist es möglich, dass Spannungskopfschmerzen und Migräne ineinander übergehen. Tabelle 1 zeigt eine Gegenüberstellung der Diagnosekriterien für Kopfschmerzen vom Spannungstyp und Migräne ohne Aura. Andere primäre Kopfschmerzarten, wie der Clusterkopfschmerz, kommen bei Kindern sehr selten vor.

Tab 1.: Diagnosekriterien für Kopfschmerzen vom Spannungstyp und Migräne ohne Aura nach der International Headache Society 2018 (nach [6, 9])
Kopfschmerzen vom Spannungstyp
Migräne ohne Aura
Voraussetzung
bisher wenigstens zehn Kopfschmerzepisoden
mindestens fünf Attacken, die die Kriterien unter Dauer, Charakteristika und Begleitsymptome erfüllen
Häufigkeit
episodisch
sporadisch: durchschnittlich < 1 Tag/Monat (< 12 Tage/Jahr)
häufig: durchschnittlich an ≥ 1 bis 14 Tagen/Monat über mindestens drei Monate (≥ 12 und < 180 Tage/Jahr)
chronisch: durchschnittlich an ≥ 15 Tagen/Monat über mindestens drei Monate (> 180 Tage/Jahr)
individuell sehr unterschiedlich
Dauer
episodisch sporadisch oder häufig:
30 Minuten bis sieben Tage, bisher unbehandelt
chronisch:
über Stunden, Tage oder kontinuierlich vorhanden
Kopfschmerz-Attacken, die bei Kindern und Jugendlichen (unbehandelt oder erfolglos behandelt) zwei bis 72 Stunden anhalten
Charakteristika
mindestens zwei der folgenden Punkte:
  • beidseitige Lokalisation
  • drückender oder beengender, nicht pulsierender Schmerzcharakter
  • leichte bis mittlere Schmerzintensität
  • körperliche Routineaktivitäten (z. B. Gehen oder Treppensteigen) verstärken die Kopfschmerzen nicht
mindestens zwei der folgenden Punkte:
  • einseitige Lokalisation
  • pulsierender Charakter
  • mittlere oder starke Schmerzintensität
  • körperliche Routineaktivitäten (z. B. Gehen oder Treppensteigen) verstärken die Kopfschmerzen oder werden aus diesem Grund gemieden
Begleitsymptome
episodisch sporadisch oder häufig:
beide Punkte sind erfüllt:
  • keine Übelkeit oder Erbrechen (Appetitlosigkeit möglich)
  • entweder Licht- oder Geräuschempfindlichkeit
chronisch:
beide Punkte sind erfüllt:
  • entweder leichte Übelkeit oder Lichtempfindlichkeit oder Geräuschempfindlichkeit
  • weder Erbrechen noch mittelstarke bis starke Übelkeit
während des Kopfschmerzes fällt mindestens ein Symptom auf:
  • Übelkeit und/oder Erbrechen
  • Licht- und Geräuschempfindlichkeit
Plausibilität
durch keine andere ICHD-3 Diagnose besser erklärt
durch keine andere ICHD-3 Diagnose besser erklärt

ICHD-3: 3. Auflage der Internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen

Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen

Kinder können ihre Beschwerden ab dem Schulalter meist mitteilen. Bei kleineren Kindern gibt es Verhaltensweisen und Anzeichen, die auf Kopfschmerzen hindeuten können. So kann es ein Hinweis sein, wenn ein Kind

  • sich immer wieder an den Kopf fasst, dazu reizbar und quengelig ist,
  • sich an einen ruhigen Ort zurückzieht,
  • appetitlos ist,
  • licht- und/oder geräuschempfindlich reagiert,
  • keine Lust auf gerne ausgeübte Aktivitäten hat oder diese plötzlich abbricht (z. B. Spielen, Fernsehen),
  • blass aussieht und dunkle Augenringe hat oder
  • sich erbricht [4, 5].

Kopfschmerzen vom Spannungstyp
Bei den Kopfschmerzen vom Spannungstyp steht im Kindes- und Jugendalter die sporadische Form im Vordergrund, die chronische Form tritt dagegen viel seltener auf [6]. Körperliche Aktivität verstärkt die Symptomatik nicht, sondern kann sie sogar verbessern. Dies gilt als wichtiges Unter­scheidungskriterium zur Migräne, die sich durch Bewegung verschlimmern kann.

Migräne
Der Migräne-Kopfschmerz betrifft bei Kindern häufig beide Stirnseiten oder Schläfen, was sich im späten Jugendalter hin zu einem einseitigen Kopfschmerz entwickeln kann. Außerdem ist er im Kindesalter eher selten pulsierend. Auch die Dauer ist im Vergleich zu Erwachsenen in der Regel kürzer – häufig liegt sie unbehandelt unter 24 Stunden, oft auch unter zwei Stunden und bei kleinen Kindern auch bei nur wenigen Minuten. Dennoch können Attacken in manchen Fällen auch bis zu 72 Stunden anhalten.

Vielen Eltern ist gar nicht bewusst, dass auch schon kleine Kinder unter einer Migräne leiden können. Tatsächlich können schon Kinder unter einem Jahr betroffen sein. Bei beginnender Migräne sind Reizabschirmung und Fürsorge sehr wichtig (aber auch keine Überfürsorge!). Manche Kinder sorgen selbst für Ruhe, indem sie plötzlich Beschäftigungen wie Spiele oder Fernsehen abbrechen und sich teilweise zum Schlafen hinlegen. Einer Migräne-Attacke kann Stunden bis Tage zuvor ein Prodromalstadium vorausgehen. Kinder und Jugendliche nannten in diesem Zusammenhang: Fatigue, Reizbarkeit, Angst- oder Stressgefühle, Geräuschempfindlichkeit, Gähnen, Lichtempfindlichkeit oder Übelkeit. Außerdem traten bei vielen Gesichtsblässe oder Ringe unter den Augen auf [7]. Kinder unter sechs Jahren können diese Vorboten meist noch nicht benennen.

Die seltenere Migräne mit Aura (bei 10 bis 15% der Migränepatienten [6]) kann zu vorübergehenden neurologischen Symptomen wie Gesichtsfeldausfällen mit Flimmern oder Blitzen, Taubheitsgefühlen oder Sprachstörungen führen. Diese Aurasymptome sind bei Kindern oft untypisch und kurz.

Als Triggerfaktoren, die mit dem Einsetzen einer Migräne in Verbindung stehen, nannten Kinder und Jugendliche u. a. Stress, zu wenig oder zu langes Schlafen, heißes Wetter, Videospiele und äußere Einflüsse wie Licht, Lärm oder Gerüche. Daneben erwähnten sie auch Veränderungen im Tagesrhythmus, Infektionen, Sport, Fasten und Lebens­mittel wie Schokolade, Softdrinks und Käse [8]. Wenn möglich, sollten Trigger vermieden werden (z. B. auf ausreichenden Schlaf achten) oder es sollte versucht werden, sich an die nicht vermeidbaren Trigger zu gewöhnen bzw. zu lernen mit ihnen umgehen (z. B. Entspannungsübungen in Stress­situationen).

In der Pubertät kommt es bei 30 bis 60% der Kinder mit Migräne zu einer zeitweiligen Verbesserung und bei 40% sogar zu einer vollständigen Remission. Risiken für eine schlechte Prognose sind u. a. ein früher Krankheitsbeginn, häufige und ausgeprägte Attacken, psychische Begleiterkrankungen, erlerntes Fehlverhalten und falscher Medikamentengebrauch [6]. Zu letzterem Punkt kann in der Apotheke durch kompetente Beratung ein positiver Beitrag geleistet werden.

Episodische Syndrome im Kindesalter
Es gibt mehrere sogenannte episodische Syndrome, die mit einer Migräne einhergehen können. Bei diesen haben die Kinder entweder bereits eine Migräne mit oder ohne Aura oder eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, eine zu entwickeln.

Zu den episodischen Syndromen gehören:

  • das zyklische Erbrechen
  • die abdominelle Migräne
  • der gutartige anfallsweise auftretende Schwindel
  • der gutartige anfallsweise auftretende Schiefhals.

Das zyklische Erbrechen ist gekennzeichnet von Attacken, die ungefähr alle drei Wochen episodisch wiederkehren. Die Patienten leiden für mindestens eine Stunde bis zu zehn Tagen an Übelkeit und starkem Erbrechen, das bis zu achtmal pro Stunde auftreten kann. Die seltene Erkrankung ist selbstlimitierend und zwischen den Attacken, die von Blässe und Lethargie begleitet werden können, herrscht völlige Beschwerdefreiheit. Die Erkrankung beginnt häufig schon im fünften Lebensjahr, aber bis die Diagnose gestellt wird, kann es einige Jahre dauern. In über 60% der Fälle sistiert die Erkrankung im Jugendalter [6, 9].

Bei kleinen Kindern kann eine Bauch-Migräne bzw. abdominelle Migräne vorkommen, bei der regelmäßig anfallsartige Bauchschmerzen einsetzen. Diese können mit Übelkeit, Erbrechen, Blässe und/oder Appetitlosigkeit und teilweise Lichtempfindlichkeit einhergehen. Das Schmerzzentrum befindet sich um den Bauchnabel herum und mit der Zeit kann sich das Krankheitsbild hin zu einer (Kopf-)Migräne entwickeln. Die Anfälle treten plötzlich auf und können von einer Stunde bis zu drei Tagen anhalten. Entspannung und Ruhe können die Symptome bessern. Es wird geschätzt, dass bis zu 4% aller Kinder, mit Schwerpunkt im Grundschulalter, betroffen sind. In der Pubertät treten die Attacken meist nicht mehr auf. Mithilfe eines Bauchschmerztagebuchs können mögliche Trigger wie Schlafmangel ausfindig gemacht werden [10].

Der gutartige anfallsweise auftretende Schwindel tritt plötzlich bei ansonsten gesunden Kindern zwischen zwei und zwölf Jahren auf. Die kurzen Schwindelattacken halten für einige Minuten an. Bei kleineren Kindern, die den Schwindel noch nicht beschreiben können, kann Gangunsicherheit ein Anzeichen sein. Andere Erkrankungen wie vestibuläre Störungen, epileptische Anfälle oder Tumoren der hinteren Schädelgrube müssen ausgeschlossen werden [6, 9].

Bei dem gutartigen anfallsweise auftretenden Schiefhals (Tortikollis) handelt es sich um eine meist im Monatsabstand wiederkehrende Erkrankung bei Säuglingen und Klein­kindern. Die Schrägneigung des Kopfes geht dabei nach Minuten bis Tagen spontan zurück. Mögliche Begleit­erscheinungen sind Blässe, Reizbarkeit, Unwohlsein, Erbrechen oder Ataxie [9].

Medikamenten-induzierter Kopfschmerz
Auch Kinder und Jugendliche können an Medikamenten-induziertem Kopfschmerz leiden. Der Dauerkopfschmerz kann sich einstellen, wenn sehr häufig bis täglich Analgetika eingenommen werden. Liegt ein Verdacht auf einen solchen Fall vor, sollte dringend ein Arztbesuch angeraten werden. Eventuell kann sogar ein Entzug notwendig sein.

Unterscheidung: primär oder sekundär?

Bei Kindern und Jugendlichen sollten Kopfschmerzen ärztlich abgeklärt werden, um festzustellen, ob eine primäre oder sekundäre Form vorliegt und um eine entsprechende Behandlung einleiten zu können. Ein Arztbesuch ist immer dann angezeigt, wenn die Kopfschmerzen

  • erstmalig oder neu auftreten,
  • einmalig sehr intensiv und plötzlich einsetzen,
  • nachts zum Aufwachen des Kindes führen,
  • öfter im Monat oder sogar wöchentlich ohne erkenn­baren Grund (z. B. Infekt) vorkommen,
  • möglicherweise auf eine andere Erkrankung zurückzuführen sind oder hindeuten (z. B. Hypertonie, Meningitis, Rückenerkrankung, sehr selten Tumorerkrankung),
  • im Zusammenhang mit einem Ereignis stehen (z. B. Gehirnerschütterung nach Sturz),
  • von weiteren Symptomen wie Fieber und Nackensteifigkeit oder einem Krampfanfall begleitet werden oder
  • bereits abgeklärt waren und sich in ihrer Ausprägung wesentlich verändert haben [3, 5].

Bei sekundären Kopfschmerzen gilt es in erster Linie die zugrunde liegende Ursache zu therapieren. Das kann z. B. auch eine Sehschwäche sein, durch die sich ein Schulkind beim Lesen besonders anstrengt, was wiederum Kopfschmerzen begünstigt. Wird eine schwerwiegende Ursache vermutet, kann die Magnetresonanztomografie (MRT) als Mittel der Wahl zur bildgebenden Diagnostik eingesetzt werden. Aber auch bei entsprechend schweren oder chronischen primären Kopfschmerzen ist einmalig eine MRT wichtig, um eine organische Ursache auszuschließen [11].

Therapie primärer Kopfschmerzen

Derzeit wird von der Gesellschaft für Neuropädiatrie unter Beteiligung weiterer Fachgesellschaften an einer neuen S3-Leitlinie zu primären Kopfschmerzerkrankungen im Kindes- und Jugendalter gearbeitet, die Ende 2022 fertiggestellt werden soll. Die aktuelle S2k-Leitlinie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft und der Gesellschaft für Neuropädiatrie stammt aus dem Jahr 2008. Hierin wird erläutert, wie wichtig generell ein Kopfschmerzkalender für gute Therapieempfehlungen ist (s. Kasten „Kopfschmerzkalender“).

Kopfschmerzkalender

Für eine gezielte Therapie der Migräne empfiehlt die S2k-Leitlinie „Therapie idiopathischer Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter“ einen Kopfschmerzkalender bzw. ein Kopfschmerztagebuch zu führen. Darin können Auslöser, Kopfschmerzdauer, Schmerzintensität und -ausprägung, Begleitsymptome und Medikation erfasst werden. Am besten ist es, wenn Kinder bzw. Jugendliche und ihre Eltern unabhängig voneinander und über einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen dokumentieren. Individuelle Triggerfaktoren können dadurch erkannt und gezielt in Angriff genommen werden [12]. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft bietet auf Ihrer Webseite Kopfschmerz­kalender in verschiedenen Sprachen an. Mit dem Webcode A7RT6 gelangen Sie direkt zu der Seite. 

Kopfschmerzen vom Spannungstyp
Bei akuten Kopfschmerzen vom Spannungstyp muss nicht sofort medikamentös behandelt werden – teilweise gelingt es den Patienten sich durch positive Aktivitäten abzulenken. Sollten dennoch Arzneimittel nötig sein, empfiehlt die Leitlinie die Medikamente, die bei der akuten Migräneattacke eingesetzt werden (s. Tab. 2) [6, 12]. Davon ausgenommen sind die Triptane, die nur bei der Migräne eingesetzt werden können. Diese analogen Empfehlungen wurden gegeben, weil es für Kopfschmerzen vom Spannungstyp keine doppelblinden, placebokontrollierten Studien gibt.

Tab 2.: Medikamentöse Therapie des akuten Migräne-Kopfschmerzes im Kindes- und Jugendalter gemäß der aktualisierten Empfehlungen von 2015. Die absoluten Dosisangaben gelten ab sechs Jahren (nach [12-14]). KG: Körpergewicht
Wirkstoff
Darreichungsform
Dosis
Bemerkung
Mittel der ersten Wahl
Ibuprofen (oral)
Saft (z. B. Nurofen®, Ibuflam®)
Tabletten (z. B. Ibuprofen AbZ)
Schmelztabletten (z. B. Nurofen®)
Direktpulver (z. B. Ibuprofen AL direkt)
10 mg/kg KG (maximal 30 mg/kg KG pro Tag)
Wirksamkeit in allen Altersstufen belegt
Mittel der zweiten Wahl
Paracetamol (oral)
Saft (z. B. Paracetamol-ratiopharm® Lösung)
Direktgranulat (z. B. ben-u-ron® direkt)
Tabletten (z. B. Paracetamol Hexal®)
15 mg/kg KG(maximal 60 mg/kg KG pro Tag)
in allen Altersstufen einsetzbar
Sumatriptan (nasal)
Nasenspray (Imigran® Nasal mite)
10 bis 20 mg pro Tag
Zulassung ab zwölf Jahren
Zolmitriptan (nasal)
Nasenspray (AscoTop® Nasal)
5 mg
Zulassung ab zwölf Jahren, in der Leitlinie 2008 nur Mittel der ­dritten Wahl [12]
Mittel der dritten Wahl
Zolmitriptan (oral)
Schmelztablette (z. B. Zolmitriptan-neuraxpharm®)
2,5 mg
keine Zulassung unter 18 Jahren
Rizatriptan (oral)
Schmelztablette (z. B. Maxalt® lingua)
5 bis 10 mg
keine Zulassung unter 18 Jahren
Almotriptan (oral)
Filmtablette (z. B. Dolortriptan® bei Migräne)
12,5 mg
keine Zulassung unter 18 Jahren
Ausweichpräparat (bei schweren Attacken)
Sumatriptan (s. c.)
Injektionslösung
0,05 bis 0,2 mg/kg KG, maximal 6 mg
keine Zulassung unter 18 Jahren, Anwendung nur durch erfahrene Kopfschmerzspezialisten

Migräne
Auch bei der Migräne im Kindesalter ist die Studienlage dürftig. Die Empfehlungen basieren daher auf dem Experten­konsens der S2k-Leitlinie, die 2015 in einer Übersichtsarbeit aktualisiert wurden [13]. Zur Therapie medikamentös behandlungsbedürftiger Kopfschmerzen vom Spannungstyp und des Migräne-Kopfschmerzes ist Ibu­profen das Mittel der ersten Wahl. Paracetamol ist ein Mittel der zweiten Wahl. Je nach Alter, Situation und Vorlieben stehen Saft, ­Direktgranulat, Tabletten oder Schmelztabletten zur Ver­fügung. Acetylsalicylsäure ist zwar bei Kindern ab sechs Jahren zugelassen, wird aber nicht empfohlen und nur in Ausnahmefällen verordnet. Im Kleinkindalter ist es aufgrund des sehr seltenen Reye-Syndroms kontraindiziert.

Bei nicht ausreichender Wirksamkeit der Analgetika stehen bei Migräne zusätzlich selektive 5-HT1B/D-Rezeptoragonisten, die Triptane, zur Verfügung. Zunächst sollten sie in nasaler Form (Mittel der zweiten Wahl), dann oral (Mittel der dritten Wahl) und in schweren Fällen subkutan (Ausweichpräparat) angewendet werden. Nasensprays mit Sumatriptan bzw. Zolmitriptan sind ab zwölf Jahren zugelassen. Im Einzelfall kann Sumatriptan (nasal) bei Kindern unter zwölf Jahren aufgrund von Einzelbeobachtungen und einer kleinen doppelblinden placebokontrollierten Studie erwogen werden [15]. Für die Beratung ist es wichtig im Hinterkopf zu behalten, dass es sich bei den Triptan-haltigen Nasensprays um Einzeldosisbehältnisse handelt (s. Kasten: „Anwendung Triptan-haltige Nasensprays“). Die Anwendung sollte so früh wie möglich nach Beginn des Migräne-Kopfschmerzes erfolgen, kann aber auch zu einem späteren Zeitpunkt noch wirksam sein. Bei Sumatriptan-haltigen Nasensprays beträgt die empfohlene Einzeldosis bei Jugendlichen ab zwölf Jahren 10 mg. Wenn sich nach der ersten Dosis die Symptome verbessert haben, aber die Schmerzen wieder auftreten, kann frühestens nach zwei Stunden eine zweite Gabe von 10 mg erfolgen. Die Maximaldosis pro 24 Stunden beträgt 20 mg. Bei Zolmitriptan beträgt die empfohlene Dosis bei Jugendlichen 2,5 mg oder 5 mg. Da das Nasenspray nur mit 5 mg zur Verfügung steht, läge eine zweite Gabe über der vom Hersteller empfohlenen Dosis.

Anwendung Triptan-haltiger Nasensprays

Die Nasensprays mit Sumatriptan (Imigran® Nasal mite 10 mg) bzw. Zolmitriptan (AscoTop® Nasal 5 mg/Dosis) enthalten jeweils eine Einzeldosis. So erklären Sie die richtige Anwendung:

1. Nase reinigen, Schutzkappe des Sprays entfernen.

2. Nasenspray vorsichtig zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger halten, Stempel noch nicht drücken!

3. Ein Nasenloch zuhalten, Spitze des Sprays in das andere Nasenloch einführen. Bei AscoTop® wird der Kopf leicht in den Nacken gelegt, bei Imigran® aufrecht gehalten. Mund schließen, gleichmäßig durch die Nase einatmen und gleichzeitig mit dem Daumen den Stempel in das Nasenspray drücken. Ein leichter Gegendruck wird spürbar und ein Klicken hörbar. Bei AscoTop® wird der Kopf weiterhin nach hinten geneigt, bei Imigran® aufrecht gehalten. Nasenspray aus der Nase entfernen. Bei AscoTop® wird für fünf bis zehn Sekunden gleichmäßig durch den Mund ein- und ausgeatmet, bei Imigran® für zehn bis zwanzig Sekunden. Flüssigkeit kann vorübergehend in der Nase spürbar sein.

Quelle: Gebrauchsinformationen AscoTop® Nasal 5 mg/Dosis, Imigran® Nasal mite 10 mg [16, 17]

Bei den oralen Triptanen ist die Studienlage nicht eindeutig. Ein Grund sind vermutlich die hohen Placebo-Raten in Parallelgruppenstudien, wodurch mit dem Triptan oft keine statistische Signifikanz erreicht wird. Deshalb werden sie nur in Ausnahmefällen als Mittel der dritten Wahl eingesetzt. Auch bei ihnen gilt, dass sie so früh wie möglich nach Einsetzen der Migräne-Kopfschmerzen angewendet werden sollen. In sehr schweren Fällen kann Sumatriptan subkutan eingesetzt werden. Diese Therapie sollte allerdings erfahrenen Spezialisten vorbehalten sein.

Bei Verordnungen von Schmelztabletten (z. B. Triptane oder Ibuprofen) zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung schlägt die Apotheken-Software in vielen Fällen einen Austausch auf Tabletten vor. In diesem Fall sollte vor der Abgabe geklärt werden, ob das Kind Tabletten schlucken kann bzw. ob der Austausch sinnvoll ist (z. B. bei begleitender Übelkeit während der Attacken), anderenfalls können pharma­zeutische Bedenken geltend gemacht werden.

Zur Therapie einer Migräne-begleitenden Übelkeit und zur Resorptionssteigerung der Analgetika liegen für Kinder und Jugendliche keine Studien vor. Trotzdem werden folgende Substanzen bei starker Übelkeit im Off-Label-Use eingesetzt:

  • Dimenhydrinat
  • Domperidon
  • Metoclopramid
  • Ondansetron
  • Granisetron

Bei Kindern und Jugendlichen rufen Domperidon und insbesondere Metoclopramid häufiger extrapyramidale Nebenwirkungen hervor als bei Erwachsenen [13]. Daher sind die Dopamin-Antagonisten nur als Reservemittel zu betrachten.

Mischformen
Patienten mit einer Mischform aus Kopfschmerzen vom Spannungstyp und Migräne sollten lernen, zwischen beiden Formen zu unterscheiden. Nur so können Arzneimittel bedarfsgerecht eingesetzt und ein Übergebrauch vermieden werden. Der sogenannte Hüpftest ist ein ganz praktischer Tipp zur Unterscheidung, da sich die Beschwerden bei einer akuten Migräneattacke verstärken. Dazu hüpft das Kind auf der Stelle oder rennt eine Treppe hoch und runter. Bei einer Migräne hört es sofort damit auf [5, 6].

Zusätzliche Empfehlungen

Bei Kindern über sechs Jahren mit Kopfschmerzen vom Spannungstyp kann es helfen, die Schläfen mit Pfefferminzöl (z. B. Euminz®) einzureiben. Unterstützend kann auch bei Migräne ein kühles Tuch oder eine Kaltkompresse auf die Stirn gelegt werden. Vorbeugend, und bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp auch im Akutfall, empfehlen sich Entspannungstechniken und Bewegung an der frischen Luft. Auch wenn Sport teilweise als Migränetrigger empfunden wird und während einer akuten Attacke Ruhe geboten ist, scheint dennoch eine regelmäßige körperliche Aktivität die Beeinträchtigung durch die Migräne zu reduzieren. Generell sollte auf einen regelmäßigen Tages- und Schlafrhythmus des Kindes geachtet werden [4, 6].

Prophylaktische Maßnahmen

Kopfschmerzen vom Spannungstyp
Bei episodischen Kopfschmerzen vom Spannungstyp wird in der S2k-Leitlinie keine explizite Empfehlung für eine Prophylaxe gegeben, da die Studienlage hier gering ist. Es wird nur erwähnt, dass die tägliche Einnahme von ca. 400 mg Magnesium in einer kleinen offenen Studie die Kopfschmerztage und den Analgetika-Gebrauch vermindern konnte [18]. Allerdings schreiben die Studienautoren selbst, dass noch weitere Studien durchgeführt werden sollten. Die Leitlinie nennt noch die transkutane elektrische Nerven­stimulation (TENS) als mögliche Therapieoption und stuft sie bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp wirksamer ein als bei Migräne. Eine explizite Empfehlung wird allerdings nicht ausgesprochen. Zur Vorbeugung von chronischen Kopfschmerzen weist die Leitlinie in erster Linie auf nicht-medikamentöse Maßnahmen hin. Es gibt Belege für die Wirksamkeit von Entspannungsverfahren und des Elektromyographie(EMG)-gesteuerten Biofeedback-Verfahrens, die auch zur Migräne-Prophylaxe eingesetzt werden. Studien deuten darauf hin, dass kognitiv-verhaltensbezogene Behandlungsansätze mit Strategien zur Schmerzbewältigung effektiv sein könnten. Für die medikamentöse Prophylaxe mit Amitriptylin, Magnesium sowie Topiramat liegen kaum oder teilweise auch widersprüchliche Daten vor [12].

Migräne
Die S2k-Leitlinie empfiehlt auch bei den nicht-medikamentösen Maßnahmen zur Vorbeugung der Migräne Entspannungsverfahren, Biofeedback-Verfahren und kognitiv-verhaltenstherapeutische Programme. Dabei sollten auch die Eltern beraten und miteinbezogen werden.

Eine medikamentöse Migräne-Prophylaxe ist nur in sehr seltenen Fällen indiziert, wenn nicht-medikamentöse Maßnahmen nicht ausreichen und die Attacken sehr häufig auftreten (> drei/Monat), die Attacken sehr ausgeprägt oder langanhaltend sind (> 48 Stunden), sehr starke Aura­symptome auftreten oder die Akutbehandlung nicht wirkt.

Die Studienlage ist auch hier uneindeutig und einige der Substanzen haben keine Zulassung für das Kindes- und Jugendalter – sie können nur im Off-Label-Use eingesetzt werden. In der aktualisierten Übersichtsarbeit [13] zur S2k-Leitlinie werden zur Prophylaxe genannt:

  • 1. Wahl: Flunarizin, Topiramat, Propranolol, Metoprolol
  • 2. Wahl: Magnesium, Pestwurz-Extrakt, Acetylsalicylsäure, Amitriptylin
  • 3. Wahl: Valproinsäure

Flunarizin und Topiramat sind in der Migräne-Prophylaxe am besten untersucht und wirksam, aber die erheblichen Nebenwirkungen sind zu bedenken. Bei Flunarizin sind das z. B. Gewichtszunahme, Depression, Müdigkeit und extra­pyramidale Bewegungsstörungen, bei Topiramat u. a. Gewichtsabnahme, Apathie, Schlafstörungen und Lernschwierigkeiten [14].

Die Studienlage zu den Betablockern Propranolol und Metoprolol ist uneindeutig und die Empfehlung als Mittel der Wahl gründet sich auf Erfahrungen aus der Therapie Erwachsener und subjektiver Einschätzung von Experten.

Amitriptylin wird bei einschleichender Dosis als gut verträglich und ähnlich wirksam wie die Betablocker eingestuft.

Magnesium und Pestwurz-Extrakt wurden aufgrund von wenigen Nebenwirkungen als Mittel der zweiten Wahl eingeordnet. Allerdings gibt es Hinweise auf eine mögliche Lebertoxizität von Pestwurz, weshalb ihn z. B. die American Academy of Neurology seit 2015 nicht mehr empfiehlt [19].

Valproinsäure wird für junge Patienten sehr zurückhaltend empfohlen. Es gibt zwar positive Belege für die Wirk­samkeit, aber die Nebenwirkungen (z. B. psychiatrische Störungen) sind zu bedenken [13]. Ein aktueller Review von Studien zwischen 1974 und 2018 zur medikamentösen Migräne-Prophylaxe bei Kindern und Jugendlichen kam auch zu einem ernüchternden Ergebnis: In Studien waren z. B. Propranolol und Topiramat zwar wirksamer als Placebo, aber die Ergebnisse waren nicht signifikant. Untersucht wurden außerdem Flunarizin, Pregabalin, Cinnarizin und weitere Substanzen. Für keine von ihnen konnte überzeugend nachgewiesen werden, dass sie die Frequenz von Migräneattacken langfristig besser senkt als Placebo [20]. |

Auf einen Blick

  • Zu den häufigsten primären Kopfschmerz­erkrankungen im Kindes- und Jugendalter gehören Kopfschmerzen vom Spannungstyp, Migräne und Mischformen aus beiden.
  • Körperliche Aktivität verschlimmert die Symptome bei Migräne, bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp dagegen nicht.
  • Kopfschmerzen vom Spannungstyp sollten zunächst ohne Arzneimittel behandelt werden. Ablenkung, Bewegung an der frischen Luft und Entspannungsübungen können helfen.
  • Bei einer akuten Migräneattacke sind Ruhe und Reizabschirmung wichtig. Zur medikamentösen Therapie stehen Ibuprofen (oral, 1. Wahl), Paracetamol (oral, 2. Wahl) und Triptane (nasal 2. Wahl, oral 3. Wahl, subkutan nur als Ausweichpräparat) zur Verfügung.
  • Vorbeugend sollten primär nicht-medikamentöse, z. B. kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze probiert werden. Die medikamentöse Prophylaxe ist nur in schweren Fällen angezeigt.

Literatur

 [1] Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen. Informationen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V., www.dmkg.de/patienten/kopfschmerzen-bei-kindern-und-jugendlichen

 [2] DMKG Informationen für Apotheker. Informationen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V., www.dmkg.de/therapie-empfehlungen/fuer-apotheker

 [3] Seemann H. Kopfschmerzkinder: Was Eltern, Lehrer und Therapeuten tun können. 4. Druckauflage, Klett-Cotta Verlag Stuttgart 2013

 [4] Schäfer C, Ude C, Ude M. Pädiatrische Pharmazie: Handbuch für die Weiterbildung der PädiaAkademie. 1. Auflage, Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart 2019

 [5] Stadelmann J. Was ist normal, was nicht? Überblick: Kopfschmerzen bei Kindern verstehen und vorbeugen. Nachricht der Münsterschen Zeitung, 14. Februar 2022, www.muensterschezeitung.de/themenwelten/ueberblick-kopfschmerzen-bei-kindern-verstehen-und-vorbeugen-2517774

 [6] Zernikow B, Wager J. Wissenschaftliche Fakten und Hintergrundinformationen zum Animationsfilm: Migräne? Hab ich im Griff! Informationen des Deutschen Kinderschmerzzentrums, März 2016, www.deutsches-kinderschmerzzentrum.de/fileadmin/media/PDF-Dateien/Booklet_Migr%C3%A4ne_20160323_Final_b.pdf

 [7] Cuvellier JC, Mars A, Vallée L. The prevalence of premonitory symptoms in paediatric migraine: a questionnaire study in 103 children and adolescents. Cephalalgia 2009;29:1197-1201

 [8] Neut D, Fily A, Cuvellier JC et al. The prevalence of triggers in paediatric migraine: a questionnaire study in 102 children and adolescents. J Headache Pain 2012;13:61-65

 [9] Die Internationale Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen, 3. Auflage – ICHD-3. Informationen der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft, Stand 2018, ichd-3.org/de/

[10] Bauchmigräne: Individuelle Auslöser durch Bauchschmerztagebuch ermitteln. Pressemeldung des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e. V., Stand Januar 2017, www.kinderaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/bauchmigraene-individuelle-ausloeser-durch-bauchschmerztagebuch-ermitteln/

[11] Berthold D, Hahn G, Mentzel HJ et al. S1-Leitlinie: Kopfschmerzen bei Kindern – Bildgebende Diagnostik. Leitlinie der Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie, Stand April 2020, AWMF-Nr. 064-011

[12] Therapie idiopathischer Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter. S2k-Leitlinie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) und der Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP), letzte Aktualisierung Juni 2009. Nervenheilkunde 2008; 27: 1127-1137

[13] Evers S. Medikamentöse Therapie idiopathischer Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter. Nervenheilkunde 2015;34: 611–619

[14] Lauer-Taxe® Online 4.0 Datenstand: 01.03.2022

[15] Ueberall MA, Wenzel D. Intranasal sumatriptan for the acute treatment of migraine in children. Neurology 1999 22;52:1507-1510

[16] Gebrauchsinformation Ascotop® Nasal 5 mg/Dosis Nasenspray

[17] Gebrauchsinformation Imigran Nasal® mite 10 mg Nasenspray

[18] Grazzi L, Andrasik F, Usai S et al. Magnesium as a preventive treatment for paediatric episodic tension-type headache: results at 1-year follow-up. Neurol Sci 2007 28:148-150

[19] Butterbur. Information des National Center for Complementary and Integrative Health, Stand Juli 2020, www.nccih.nih.gov/health/butterbur

[20] Locher C, Kossowsky J, Koechlin H et al. Efficacy, Safety, and Acceptability of Pharmacologic Treatments for Pediatric Migraine ProphylaxisA Systematic Review and Network Meta-analysis. Jama Pediatr 2020;174:341-349

Autorin

Desiree Aberle hat Pharmazie in Heidel­berg studiert. Nach ihrer Approbation arbeitete sie mehrere Jahre in einer öffentlichen Apotheke. Im Oktober 2021 begann sie ihr Volontariat bei der Deutschen Apotheker Zeitung.

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