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ApothekenRechtTag online
Wie weit darf die Werbung von EU-Versendern gehen?
Neue Entscheidungen des EuGH machen Mut
Wir erinnern uns: Am 19. Oktober 2016 entschied der Europäische Gerichtshof, dass ein Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit vorliege, wenn sich EU-Arzneimittelversender an die deutsche Arzneimittelpreisverordnung halten müssen. Ganz anders hatten dies zuvor die deutschen Gerichte – genauer gesagt: der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes – gesehen. Die EU-Versender, so argumentierte der EuGH, treffe die Preisbindung stärker als inländische Apotheken. Sie hätten nämlich nur den Preiswettbewerb, um deutsche Kunden zu gewinnen, und könnten nicht etwa damit punkten, bei Tag und Nacht für ihre Kunden und Patienten präsent zu sein. Dieser Eingriff sei auch nicht aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt. Dem EuGH fehlten Nachweise, dass die Preisbindung geeignet und erforderlich sei, die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen – einen eigenen Wertungsspielraum gestand er dem nationalen Gesetzgeber hier nicht zu. Für den EuGH war es auch unerheblich, dass der einheitliche Preis eine mildere Maßnahme ist, als die Niederlassungsfreiheit einzuschränken oder den Rx-Versandhandel zu verbieten – zwei Maßnahmen, an deren europarechtlicher Zulässigkeit Mand keinen Zweifel hat. Die Folge: Während für EU-Versender die Preisbindung fortan nicht mehr galt, hatten deutsche Apotheken im Preiswettbewerb das Nachsehen. Die deutschen Gerichte waren mit dieser Entscheidung ersichtlich nicht einverstanden und übten, für Gerichte außergewöhnlich genug, deutliche Kritik an ihren Luxemburger Kollegen. Der Bundesgerichtshof (BGH) regte in mehreren Entscheidungen an, die Sache in einem weiteren Verfahren noch einmal zum EuGH zu bringen. Und zwar mit den richtigen Belegen, damit der EuGH, so Mand, „endlich einsieht, was für einen Unsinn er judiziert hat“. Doch dann sorgte erst einmal (Ex-)Gesundheitsminister Jens Spahn für eine neue Regelung: Seit Ende 2020 ist die Preisbindung für EU-Arzneimittelversender zwar aus dem Arzneimittelgesetz gestrichen – womit man die Position des EuGH und der EU-Kommission (die in dieser Sache ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hatte) anerkannte. Zugleich wurde die Preisbindung für Apotheken, die GKV-Versicherte gemäß Rahmenvertrag und nach dem Sachleistungsprinzip beliefern, jedoch im Sozialgesetzbuch (Fünftes Buch) (SGB V) verankert. Außen vor bleiben dabei allerdings PKV-Versicherte und Selbstzahler.
Wird die Preisbindung im SGB V Bestand haben?
Nun stellt sich die Frage, ob diese Verschiebung von einem ins andere Gesetz bestandsfest oder doch nur eine Umgehung der fatalen EuGH-Entscheidung von 2016 ist. Die EU-Kommission hat die Neuregelung jedenfalls nicht gerügt, vielmehr hat sie das laufende Vertragsverletzungsverfahren eingestellt. Mand ist dennoch sicher, dass die neue Regelung dem EuGH vorgelegt werden wird. Dem blickt der Jurist jedoch zuversichtlich entgegen. Abgesehen davon, dass er auch schon die alte Regelung für unionsrechtskonform hielt, gebe es zusätzliche Argumente für eine Zulässigkeit im Sozialrecht. Stichwort Zuzahlung: Ihr wird ein Steuerungseffekt zugesprochen, weil sie die Versicherten für Preise sensibilisiere. Dieser entfalle jedoch, wenn die Zuzahlung nicht verlangt oder sogar noch ein Bonus gewährt werde. „Dass so etwas nicht der Wirtschaftlichkeit eines sozialen Sicherungssystems zuträglich ist, dürfte vermutlich auch dem EuGH klarzumachen sein“, so Mand.
Neue EuGH-Urteile machen Mut
Zudem machen neue Entscheidungen des EuGH Mut, die auf eine Rückbesinnung der Rechtsprechung des Gerichts auf die Zeit vor 2016 schließen lassen. So befasste sich der EuGH 2020 mit Werbemaßnahmen der Shop Apotheke in Frankreich, u. a. einer „Huckepack“-Werbung (Werbeprospekte in Paketen anderer Versender) und Rabatten, die an einen bestimmten Bestellwert von OTC gekoppelt waren. Hier stellte der EuGH zunächst fest, dass diese Werbeaktionen unter keine EU-Richtlinie fallen. Die Mitgliedstaaten könnten also nationale Regelungen treffen und hätten dabei einen Wertungsspielraum. So könnten sie Wertreklame verbieten, um die „Würde eines reglementierten Gesundheitsberufs“ zu schützen. Die Gefahr, dass Arzneimittel mit gewöhnlichen Gesundheitsgütern gleichgesetzt würden, liege nämlich auf der Hand. Kurzum: Es ist den Mitgliedstaaten durchaus möglich, sortimentsweite Wertreklame einzuschränken, ohne dass sie hierfür besondere Belege beibringen müssten. Ebenfalls zuversichtlich stimmt Mand die im Sommer 2021 ergangene EuGH-Entscheidung zum DocMorris-E-Bike-Gewinnspiel. Um an diesem teilzunehmen, musste ein Rezept eingesendet werden. Auch hier sagten die Luxemburger Richter, es gehe um eine sortimentsweite Werbung, weshalb der Humanarzneimittelkodex nicht einschlägig sei. Die Warenverkehrsfreiheit sahen sie ebenfalls nicht tangiert – es handele sich um eine bloße Vertriebsmodalität, die deutsche Apotheken genauso treffe. Dies sei kein Widerspruch zur EuGH-Entscheidung von 2016, weil das Verbot von Gewinnspielen wesentlich geringere Auswirkungen habe als das absolute Verbot eines Preiswettbewerbs.
BGH geht von EU-Konformität aus
Nun muss sich zeigen, ob sich aus diesen Entscheidungen ableiten lässt, dass die neue Preisbindung im Sozialrecht (§ 129 Abs. 3 SGB V) wirklich umfassend Bestand hat. Mand ist aber optimistisch. Der BGH, der im Gewinnspiel-Streit den EuGH angerufen hatte und mittlerweile seine Entscheidung getroffen hat, geht jedenfalls im konkreten Fall selbstverständlich davon aus, dass diese neue Preisbindung auch für EU-Versender gilt – selbst wenn er die Frage der unionsrechtlichen Rechtfertigung offen lässt. Folge man der Ansicht des BGH, dass alles, was zuvor wegen der Verstöße gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung unzulässig war, jetzt wegen Verstoßes gegen § 129 Abs. 3 SGB V unzulässig sei, bedeute dies, dass dem EuGH alle Altverfahren vorlegt werden könnten. Vor allem hat der BGH in diesem Fall aber auch das heilmittelwerberechtliche Zuwendungsverbot (§ 7 HWG) herangezogen, das für einige Zeit seine Bedeutung verloren hatte, da sich das Preisrecht als das schärfere Schwert erwiesen hatte. Das Heilmittelwerbegesetz kennt nämlich Ausnahmen vom Zuwendungsverbot, z. B. gewisse Barrabatte (Ausnahme von der Ausnahme: preisgebundene Arzneimittel), Werbegaben von geringem Wert oder Kalender für Apothekenkunden. Der Schutzzweck dieser Regelungen ist ein anderer als der des Preisrechts: Es soll Verbraucher vor einer unsachlichen Beeinflussung schützen. Notwendig sei, so Mand, dass die Werbegabe abstrakt geeignet ist, die Verbraucher in die Irre zu führen. Wichtig: Dabei muss keine arzneimittelbezogene Fehlvorstellung hervorgerufen werden. Dem BGH reichte es, dass ein an eine Rezepteinlösung gekoppeltes Gewinnspiel die Entscheidung beeinflussen könne, ob der Verbraucher seine Verordnung in einer inländischen Apotheke mit umfassender Beratung oder aber in einer EU-Versandapotheke mit nur begrenzter Beratung einlöse. Diese Entscheidung müsse aber nach Bedarf getroffen werden – und dürfe eben nicht durch eine Werbegabe gelenkt werden. Kurzum: Während noch nicht abschließend geklärt ist, ob die neue sozialrechtliche Preisbindung auch für EU-Versender gilt, ist inzwischen klar, dass § 7 HWG auf sie anwendbar ist – jedenfalls sofern kein Ausnahmetatbestand greift. Mand erinnerte an die Rechtsprechung zur Wertgrenze geringwertiger Kleinigkeiten: Bei preisgebundenen Arzneimitteln liegt diese bei einem Euro. Bei nicht preisgebundenen Arzneimitteln könnten es bis zu 5 Euro sein – hier bestehe ein Graubereich. Im Fall des Gewinnspiels ging der BGH davon aus, dass die Chance auf den Gewinn eines E-Bikes, auch wenn diese nicht konkret zu beziffern war, jedenfalls oberhalb der Geringwertigkeitsschwelle anzusiedeln ist. Als Fazit lässt sich festhalten: Die Werbung ausländischer EU-Versender muss sich nicht nur am Preisrecht messen lassen, sondern lässt sich auch über § 7 HWG verbieten – übrigens auch im Bereich der PKV. |
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