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Arzneimittel und Therapie
Risiken von Cannabis – wir lernen dazu
Warum Typ-1-Diabetiker besonders gefährdet sind
Mit dem Einsatz von Medizinalcannabis hat man in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren viele Erfahrungen sammeln können. Nun steht die Entkriminalisierung von Cannabis zu Genusszwecken auf dem Plan. Politik und Wissenschaft sind sich einig: Insbesondere Kinder und Jugendliche müssen geschützt werden, da Cannabis-Konsum die Gehirnreifung negativ beeinflussen kann. Die Suchtprävention hat deshalb oberste Priorität. Aber auch andere Gefahren müssen im Blick behalten werden.
Risiko Ketoazidosen
In einer US-amerikanischen Studie [1] wurde labordiagnostisch bestätigt, was sich bereits in Umfragen [2] abgezeichnet hat: Menschen mit Typ-1-Diabetes litten vermehrt unter Ketoazidosen, wenn sie Cannabis konsumierten. Eine Ketoazidose kann sich durch starkes Durstgefühl, Polyurie, Benommenheit, Erbrechen und Aceton-Geruch der Atemluft äußern und erfordert eine sofortige intensivmedizinische Behandlung. Das Risiko ist bei Typ-1-Diabetikern deutlich erhöht, wenn sie unter dem Cannabis-Hyperemesis-Syndrom (CHS) leiden. Das Erbrechen kann zur Ketose und zur Hyperglykämie führen. Hierin besteht ein Unterschied zur diabetischen Ketoazidose, die Folge eines Insulin-Mangels ist. Die Symptome sind zwar gleich, jedoch liegen im Falle einer Cannabis-Beteiligung der venöse pH-Wert (≥ 7,4) und das Serumbicarbonat (> 15 mmol/l) signifikant höher, was differenzialdiagnostisch berücksichtigt werden sollte [1].
Risiko Verkehrsunfälle
Die Erfahrungen aus Kanada werden aufmerksam verfolgt, wenn es um die Legalisierung von Cannabis geht. Hier öffneten im Oktober 2018 die ersten legalen Verkaufsstellen. Ärzte warnten damals vor mehr jugendlichen Abhängigen und Verkehrsunfällen. Während bisherige Studien nicht darauf hindeuten, dass Minderjährige vermehrt Cannabis konsumieren, scheint die Sorge im Straßenverkehr berechtigt zu sein. So hat sich seit der Legalisierung zumindest die Zahl von mittelschwer verletzten motorisierten Verkehrsteilnehmern mit einem Tetrahydrocannabinol(THC)-Wert von mindestens 2 ng/ml Blut, dem gesetzlichen Grenzwert in Kanada, mehr als verdoppelt [3]. Insbesondere männliche Fahrer ab einem Alter von 50 Jahren waren in Unfälle involviert. Die Studie war allerdings nicht darauf ausgelegt, einen kausalen Zusammenhang nachzuweisen.
Risiko Vergiftungen
Ebenfalls aus Kanada stammt eine Studie, die seit der Legalisierung einen deutlichen Anstieg von Drogenvergiftungen bei jüngeren Kindern feststellte [4]. Schuld sollen insbesondere essbare Cannabis-Genusswaren wie Schokolade, Gummibärchen und Bonbons sein. Betroffene Kinder, die die Notaufnahme aufsuchten, waren im Durchschnitt vier Jahre alt. Todesfälle wurden nicht berichtet.
Das fordern deutsche Suchtexperten
Deutschlands suchtmedizinische Fachgesellschaften und die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) haben im Februar 2022 ein gemeinsames Positionspapier [5] mit fünf zentralen Forderungen an die politischen Entscheidungsträger herausgebracht, um die gesundheitlichen und sozialen Folgeschäden zu mindern, die bei einer Ausweitung des Cannabis-Konsums zu befürchten wären. Erstens: Priorisierung und Ausbau des Jugendschutzes (legale Abgabe erst ab 18 Jahren, besser ab dem 21. Lebensjahr). Zweitens: Illegalen Handel konsequent unterbinden. Drittens: Steuersatz sollte nicht allein am Gewicht bemessen werden, sondern sollte eine Komponente des Wirkstoffgehalts beinhalten. Viertens: Umfassende Begleitforschung und Ausbau des Drogen- und Gesundheitsmonitorings. Fünftens: Etablierung einer interdisziplinären Gruppe von Experten, die die Regierung berät.
Apotheken sind noch im Spiel
Im Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung wird von „lizensierten Fachgeschäften“ gesprochen, wenn es um die kontrollierte Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken geht. Apotheken werden in diesem Zusammenhang nicht explizit genannt, jedoch stellte die FDP-Politikerin Kristine Lütke in einem Interview [6] in Aussicht, dass sich auch Apotheken um Lizenzen als Verkaufsstellen bewerben dürfen sollen. Im Berufsstand stieß dies auf gegensätzliche Reaktionen. Lizenzierte Fachgeschäfte sollen sicherstellen, dass die Qualität des in den Umlauf kommenden Cannabis kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet wird. Die Suchtexperten fordern in ihrem Positionspapier zudem begrenzte Öffnungszeiten und Anzahl der Verkaufsstellen sowie einen Mindestabstand zu Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen [5]. Der Verkauf anderer Produkte (vor allem Alkohol und Tabak, Glücksspielangebote) soll darin verboten sein, ebenso der Cannabis-Konsum. Jegliche Maßnahmen der Verkaufsförderung sollen untersagt werden und die Verpackungen werbefrei und mit Hinweisen auf die Risiken versehen sein. |
Literatur
[1] Akturk HK et al. Differentiating Diabetic Ketoacidosis and Hyperglycemic Ketosis Due to Cannabis Hyperemesis Syndrome in Adults With Type 1 Diabetes. Diabetes Care 2022;45(2):481–483
[2] Akturk HK et al. Association Between Cannabis Use and Risk for Diabetic Ketoacidosis in Adults With Type 1 Diabetes. JAMA Intern Med 2018; doi:10.1001/jamainternmed.2018.5142
[3] Brubacher J et al. Cannabis Legalization and Detection of Tetrahydrocannabinol in Injured Drivers. NEJM 2022;386:148-156
[4] Myran DT et al. Unintentional Pediatric Cannabis Exposures After Legalization of Recreational Cannabis in Canada. JAMA Netw Open. 2022;5(1):e2142521
[5] Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht), Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS), Deutsche Gesellschaft für Suchtpsychologie (dgsps), Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Positionspapier zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften. Februar 2022
[6] Müller C, Rall B. Wir wollen keine Edel-Drugstores werden. DAZ 2022, Nr. 11, S. 18
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