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Wirtschaft
Cannabis – ein großes Geschäft?
Hohe Erwartungen können zu Ernüchterungen führen
Neben den komplexen gesundheitlichen, politischen und ethischen Fragen hat die mögliche Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken auch für Apotheken eine wirtschaftliche Dimension. Hinter vorgehaltener Hand ist die Hoffnung zu hören, die Apotheken könnten bei der neuen Aufgabe einen relevanten Ertrag erzielen, der die ausbleibende Erhöhung des Festzuschlags auf Rx-Arzneimittel wenigstens etwas kompensiert. Doch auch viele andere hoffen auf ein großes Geschäft. Dies hat das „Handelsblatt“ am 14. März unter dem Titel „Wie sich die Cannabis-Branche auf das neue Milliardengeschäft vorbereitet“ beschrieben. Maike Telgheder konstatiert dort, dass potenzielle künftige Produzenten die ganze Wertschöpfungskette bedienen möchten – vom Anbau bis zum Einzelhandel in wie auch immer gestalteten Verkaufsstellen. Die Autorin zieht das Fazit: „Die Unternehmen der Cannabis-Wirtschaft werden das Feld aber sicher nicht den Apotheken überlassen.“ Dass der Gesetzgeber die Apotheken als Abgabestelle mit besonderer Beratungskompetenz bevorzugen könnte, spielt bei dieser Betrachtung offenbar keine Rolle.
Zur Abschätzung des Marktvolumens verweist das „Handelsblatt“ auf eine Studie, die Prof. Dr. Justus Haucap vom Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) erstellt und im November 2021 gemeinsam mit dem Deutschen Hanfverband vorgestellt hat. Haucap, der frühere Vorsitzende der Monopolkommission, erwartet bei einer Freigabe aufgrund internationaler Erfahrungen und Schätzungen zum Konsum in Deutschland einen Gesamtbedarf von 380 bis 420 Tonnen Cannabis pro Jahr. Da bei einem legalen Geschäft der Aufpreis für kriminelle Machenschaften entfällt, könnte der Preis niedriger als auf dem Schwarzmarkt sein, aber der Staat sollte keinen zusätzlichen Konsumanreiz schaffen. Darum geht Haucap von einem Preis auf unterem Schwarzmarktniveau aus – etwa 10 Euro pro Gramm. Daraus ermittelt das „Handelsblatt“ ein Marktvolumen, also einen zu erwartenden Gesamtumsatz von etwa 4 Milliarden Euro. Das auf Cannabis spezialisierte britische Marktforschungsunternehmen mit dem dubiosen Namen „Prohibition Partners“ sieht in seinem „Germany Cannabis Report“ bis 2028 für Deutschland sogar ein Marktpotenzial von 7,7 Milliarden Euro. Dies meldete das „Hanf-Magazin“ bereits im November 2019.
Viel Geld für den Staat
In Haucaps Studie geht es jedoch um „Fiskalische Auswirkungen einer Cannabis-Legalisierung in Deutschland“, wie der Titel verdeutlicht. Er erwartet für den Staat finanzielle Vorteile in Höhe von 4,7 Milliarden Euro pro Jahr durch zusätzliche Steuern und Sozialabgaben sowie durch Einsparungen bei der Strafverfolgung. Es würden 27.000 neue legale Arbeitsplätze entstehen. Die größte Position in dieser Rechnung ist die Einnahme von 1,8 Milliarden Euro aus einer neuen Cannabis-Steuer. Hinzu kommen Unternehmens-, Lohn- und Mehrwertsteuer.
Für seine Berechnungen betrachtet Haucap die Bedingungen im US-Bundesstaat Colorado mit einem gesättigten Markt und ausgeprägtem Wettbewerb. Der Verkaufspreis vor Steuern sei dort von 6 US-Dollar pro Gramm im Jahr 2018 auf 4,53 US-Dollar im Jahr 2021 gefallen. Mit einem mittlerweile überholten Wechselkurs folgert Haucap, ein konservativ geschätzter Verkaufspreis vor Steuern in Deutschland könnte 4 Euro pro Gramm betragen. Dann könnten 6 Euro Steuern pro Gramm erhoben werden. Soweit die Rechnung von Haucap – diese Zahlen relativieren jedoch die obigen Erwartungen. Das vom „Handelsblatt“ angenommene Umsatzvolumen von 4 Milliarden Euro würde aus Anbieterperspektive – also ohne Steuer – auf 1,6 Milliarden Euro schrumpfen. Auch andere Umsatzvisionen für den Handel zerplatzen damit. Denn das weitaus größte Geschäft würde der Fiskus machen.
Medizinische Ware nicht vergleichbar
Haucap geht davon aus, dass 4 Euro pro Gramm sämtliche Kosten der Herstellung, des Vertriebs und des Einzelhandels sowie Gewinnzuschläge für alle Beteiligten abdecken. Auf die Höhe der Margen geht er nicht ein. Doch bei dieser Dimension dürfte im Einzelhandel als Rohertrag allenfalls ein mittlerer zweistelliger Centbetrag pro Gramm verbleiben. Das wäre eine viel geringere Größenordnung als bei den derzeitigen Apothekeneinkaufspreisen für medizinisches Cannabis und den Zuschlägen gemäß Arzneimittelpreisverordnung. Gemäß Hilfstaxe können für unverarbeitete Blüten 9,52 Euro pro Gramm und bei Mengen bis 15 Gramm ein Zuschlag in gleicher Höhe abgerechnet werden. Dabei geht es allerdings um einen pharmazeutisch anspruchsvollen Anbau mit kontrollierten Bedingungen und arzneimittelrechtlich vorgeschriebenen Prüfungen. Die Preisbildung für Blüten zu Genusszwecken betrifft dagegen Massenware aus landwirtschaftlich organisiertem Anbau.
Daraus ergeben sich als Zwischenfazit einige Erkenntnisse: Der Staat würde einen erheblichen Teil der Einnahmen aus Cannabis zu Genusszwecken in Form von Steuern abschöpfen. Bei der Festlegung eines staatlich geregelten Preises wären scharf kalkulierte Margen gefragt. Die Preise und Margen für medizinisches Cannabis sind dafür kein Vorbild. Schlimmstenfalls kann es sogar Rückwirkungen auf die Kalkulationen beim medizinischen Cannabis geben oder die Krankenkassen könnten Patienten in den Markt für Genussware lenken. Dann würde den Apotheken sogar eine Einbuße an dieser Stelle drohen. Aus den berauschenden Ideen kann also eine bittere Ernüchterung werden.
Nicht für alle Apothekenstandorte interessant
Soweit das ungünstige Szenario – doch der Staat muss sich die knappe Kalkulation von Haucap nicht zu eigen machen, er kann die Apotheken als bevorzugte flächendeckend verfügbare Abgabestelle fördern und hat bei einer geregelten Preisbildung viel Gestaltungsspielraum, die Einnahmen zu verteilen. Das gilt aber nur, wenn sich Hersteller finden, die qualitativ einwandfreie Ware für einen kleinen einstelligen Eurobetrag pro Gramm anbauen können. Doch dann sind noch die Tücken der summarischen Betrachtung zu bedenken. In großen Städten würden vermutlich einige Apotheken das neue Geschäftsfeld offensiv besetzen. In kleinen Städten, in denen sich der Aufbau spezieller Verkaufsstellen nicht lohnt, könnten einige Apotheken vermutlich auch einen nennenswerten Umsatz erzielen. Verwender auf dem Land würden vermutlich eher in Städten einkaufen als in der Dorfapotheke, in der sie persönlich bekannt sind. Außerdem bleibt daran zu erinnern, dass alle wirtschaftlichen Betrachtungen unter der Prämisse einer politischen Entscheidung für die Freigabe von Cannabis zu Genusszwecken stehen. Die gesundheitliche und ethische Debatte dauert an und auch Kompromissvarianten mit einer eingeschränkten Freigabe sind möglich. Doch sogar bei einer weitgehenden Freigabe hat die Politik viele Optionen für die wirtschaftliche Gestaltung in der Hand. Sie kann den Apotheken vielleicht rund 100 Millionen Euro zusätzlichen Rohertrag pro Jahr zukommen lassen, die aber nicht unbedingt bei den Apotheken ankommen würden, die es besonders nötig haben. Deutlich mehr ist allenfalls denkbar, wenn Genuss-Cannabis apothekenexklusiv wird und der Staat sich bei der Steuer sehr zurückhält - aber wer erwartet das? |
Literaturtipp
Cannabis – von A wie Anbau bis Z wie Zulassung
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