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Filialapotheke
Auf dünnem Eis?
Haftungsrisiken von Filialleitern
Üblicherweise geht das Schuldrecht davon aus, dass Vertragsparteien wechselseitig für Schäden, die anlässlich der Erfüllung eines Vertragsverhältnisses erwachsen, einstehen müssen. Bei der Arbeitnehmerhaftung nimmt die Rechtsprechung andere Gewichtungen vor. Hier gelten Haftungsbegrenzungen zum Schutz des Arbeitnehmers. Ein Arbeitnehmer muss demnach nicht für den vollen Schaden haften, da ihm häufig Arbeitsmaterial von großem Wert zur Verfügung gestellt wird, dessen Beschädigung so hohe Schadensersatzforderungen auslösen kann, dass diese aus dem gewöhnlichen Arbeitslohn nicht beglichen werden können.
Haftung des Filialleiters gegenüber dem Inhaber
Eine Haftung des Filialleiters gegenüber dem Inhaber ist aus vielen unterschiedlichen Gründen denkbar. In den meisten für die Praxis relevanten Fällen geht es um wirtschaftliche Schäden, nämlich Schäden am Vermögen des Inhabers oder an seinem Eigentum. Ob und in welchem Ausmaß ein Filialleiter gegenüber dem Inhaber haften muss, hängt unter anderem davon ab, ob der Schaden bei einer für den Betrieb ausgeführten Beschäftigung entstanden ist und ob den Arbeitnehmer ein Verschulden an der Entstehung des Schadens trifft.
Zur Feststellung, ob die erste Voraussetzung erfüllt ist, genügt es, wenn der Filialleiter tatsächlich seiner vertraglich vereinbarten Beschäftigung nachgeht. Steht er in der Apotheke, kann in der Regel angenommen werden, er verrichtet eine Tätigkeit für seinen Arbeitgeber, sodass die erste Voraussetzung erfüllt wäre. Etwas anderes kann nur angenommen werden, wenn der Filialleiter in der Apotheke Geschäfte oder Tätigkeiten seines Privatlebens abwickelt.
Die Entscheidung, in welchem Maß der Filialleiter seinen Fehler verschuldet, ob er diesen also leicht fahrlässig, mit mittlerer Fahrlässigkeit oder grob fahrlässig (eventuell sogar vorsätzlich) verursacht hat (§ 276 BGB), ist maßgeblich für den Umfang des Schadensausgleichs.
Maß des Verschuldens
Bei leichter Fahrlässigkeit scheidet eine Haftung durch den Filialleiter aus. Unter leichter Fahrlässigkeit wird eine Pflichtverletzung verstanden, die geringfügig und leicht entschuldbar ist, also theoretisch jedem hätte passieren können. Leichte Fahrlässigkeit liegt zum Beispiel vor, wenn einem Mitarbeiter ein Glasgefäß auf den Boden fällt und es kaputt geht.
Bei mittlerer Fahrlässigkeit wird der Schaden zwischen Inhaber und Filialapothekenleiter aufgeteilt, wobei diese Aufteilung nicht mittig, sondern immer zugunsten des Arbeitnehmers erfolgen muss. Mittlere Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet wurde. Aufgrund der Variabilität der Umstände gibt es hierzu eine umfangreiche Rechtsprechung, letztendlich wird im Einzelfall entschieden, wobei der zum Schaden führende Sachverhalt immer in allen Einzelheiten aufgeklärt werden muss. Berücksichtigt werden unter anderem die folgenden Aspekte:
- die Höhe des Schadens
- die Arbeitsbelastung des Arbeitnehmers
- das Vorverhalten des Arbeitnehmers, z. B. ob dem Arbeitnehmer auch früher häufig Fehler passiert sind
- die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb
- die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit
- die Berufserfahrung des Arbeitnehmers
- die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers
- ein Mitverschulden des Arbeitgebers.
Wusste der Inhaber zum Beispiel bereits seit Wochen, dass die Filiale unterbesetzt ist und reagiert überhaupt nicht auf die schriftlichen Forderungen seines Filialapothekenleiters auf Verstärkung, wird eine Verfehlung des Filialapothekenleiters niedriger eingestuft. Ebenso, wenn der Inhaber weiß, dass sein Filialleiter eine schwere Grippe hat und er ihn trotzdem anweist, in die Apotheke zu gehen, bis er einen Approbierten als Ersatz gefunden hat. Auch hier spielt die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers eine erhebliche Rolle. Bei Missständen in der Apotheke, die der Filialleiter selbst nicht beheben kann, ist es deshalb ratsam, den Inhaber schriftlich darüber zu informieren.
Bei grober Fahrlässigkeit (oder Vorsatz) wird der Arbeitnehmer in die volle Verantwortung für einen Schaden genommen und muss in der Regel voll dafür haften. Steht jedoch das Schadensrisiko der auszuführenden Tätigkeit in einem besonderen Missverhältnis zum Verdienst des Arbeitnehmers, ist eine Schadensteilung oder die Begrenzung auf eine bestimmte Summe die Regel. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt wird, also wenn etwas nicht beachtet wurde, was jedem hätte einleuchten müssen. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn ein Filialleiter während einer schwierigen Beratung ein privates Telefonat entgegen nimmt und infolgedessen das falsche Präparat abgibt. Eine verbindliche Definition des Begriffs „grobe Fahrlässigkeit“ gibt es nicht.
Finanzielle Obergrenzen
In der Rechtsprechung wurden zur Entlastung der Angestellten Grundsätze zur Haftungsbegrenzung für Arbeitnehmer bei Sach- und Vermögensschäden aufgestellt. Die Haftung eines angestellten Arbeitnehmers, also auch eines Filialapothekenleiters, ist demnach nicht unbegrenzt. Bei grober Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer zwar grundsätzlich für den vollen Schaden, es kann jedoch eine Ausnahme von der vollen Haftung gemacht werden, wenn ein besonders hoher Schaden eingetreten ist und der Schadensausgleich eine Existenzgefährdung des Arbeitnehmers bedeutet. Unter diesen Bedingungen wird eine Quotelung des Schadens vorgenommen, das heißt der Schaden wird zwischen dem Filialleiter und dem Inhaber aufgeteilt. Diese Haftungsgrundsätze gelten sowohl für die Haftung, die von Dritten an den Filialleiter herangetragen werden, als auch für die Tatbestände, mit denen Filialleiter direkt den Inhaber schädigen.
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In der Praxis wird meistens von Haftungshöchstgrenzen von einem Monatsgehalt bei mittlerer Fahrlässigkeit und drei Monatsgehältern bei grober Fahrlässigkeit ausgegangen. Dies sind allerdings nur Beispiele aus der Rechtsprechung. Festzuhalten bleibt, dass einem Filialapothekenleiter nicht die Lebensgrundlage entzogen werden darf. Im Zweifel muss ein Schaden mittels monatlicher Ratenzahlung abgetragen werden, wobei diese nie so hoch sein darf, dass die Pfändungsfreigrenze unterschritten wird. Laut aktueller Pfändungstabelle, die sich im Anhang im Bundesgesetzblatt befindet, liegt die Höhe des pfändungsfreien Einkommens seit dem 1. Juli 2021 bei einem Betrag von insgesamt 1252,64 Euro. Bei einem Vollmachts- und Vertrauensmissbrauch haftet der Filialleiter hingegen für den gesamten Schaden und kann auch nicht auf Haftungserleichterungen hoffen. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn der Inhaber dem Filialleiter eine Vollmacht für das Apothekenkonto erteilt hat und dieser die Vollmacht missbräuchlich nutzt, um Geld abzuheben um eigene Wünsche zu finanzieren, sei es auch nur „leihweise“.
Haftung gegenüber Dritten
Wenn der Filialapothekenleiter einem Dritten, beispielsweise einem Kunden oder Patienten, einen Schaden zufügt, so ist er diesem gegenüber zunächst einmal zu voller Schadensersatzleistung verpflichtet. Der Geschädigte kann sich zur Geltendmachung seiner Schadensersatzansprüche sowohl an den betreffenden Filialapothekenleiter als auch an dessen Arbeitgeber, also den Inhaber, wenden, da dieser als sein Vertragspartner anzusehen ist.
Entsteht der Schaden bei einer für den Betrieb ausgeführten Beschäftigung, verrichtet der Filialleiter die Tätigkeit also für seinen Arbeitgeber, kann er einen sogenannten Freistellungsanspruch gegen den Inhaber geltend machen. In einem solchen Fall springt der Inhaber für einen vom Filialleiter verursachten Schaden ein, hält ihn also von den Ansprüchen Dritter frei. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der Filialleiter ein zu hoch dosiertes Medikament abgibt und der Patient aufgrund der Überdosierung ins Krankenhaus muss. Der Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber ergibt sich aus § 670 BGB i.V.m. § 254 BGB. In der Regel hat jeder Apothekeninhaber eine Haftpflichtversicherung für sich und seine Mitarbeiter abgeschlossen, die üblicherweise die typischen Risiken infolge von Fehlabgaben und Verwechslungen von Arzneimitteln und apothekenüblichen Waren, Beratungsfehlern, Fehlern im Rahmen der Krankenhaus- und Heimversorgung sowie auch Risiken infolge der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten (z. B. die Vernachlässigung der Streupflicht bei Glatteis vor der Apotheke) abdeckt. Jeder Filialleiter sollte sich vor Aufnahme seiner Tätigkeit bei dem Inhaber erkundigen, wie diese Versicherung aussieht und wie hoch die Versicherungssumme ist. Die Versicherungssumme sollte pro Apotheke nicht unter drei Millionen Euro betragen.
Da es ebenfalls Berufshaftpflichtversicherungen gibt, die Angestellte selbst abschließen können, kann auch die Übernahme dieser Kosten durch den Inhaber ein wichtiger Verhandlungspunkt beim Abschluss eines Arbeitsvertrages sein.
Haftung bei Kassenfehlbeständen
Die Haftung für einen Schaden, der dem Arbeitgeber dadurch entsteht, dass der Waren- oder Kassenbestand, der dem Filialapothekenleiter anvertraut ist, eine Fehlmenge oder einen Fehlbetrag aufweist, nennt man Mankohaftung. Natürlich stellt sich vielen die Frage: Muss ein Filialleiter, der am Abend die Abrechnung macht und feststellt, dass zu wenig Geld in der Kasse ist, dieses Manko selbst ausgleichen?
Grundsätzlich unterliegt die Mankohaftung den allgemeinen Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung. Allerdings kann nur derjenige für ein Kassendefizit verantwortlich gemacht werden, der den alleinigen Zugriff auf die Kasse und somit nachweislich den Fehlbestand verschuldet hat. Haben mehrere Mitarbeiter einen Kassenschlüssel und bedienen diesen selbstständig, kann der Inhaber den Schaden weder dem Filialleiter noch den übrigen Angestellten in Rechnung stellen und auch nicht darauf bestehen, dass der Fehlbestand als Gesamtschuld von allen Mitarbeitern der Filialapotheke getragen wird. In einigen Fällen gibt es in Verträgen von Filialapothekenleitern eine spezielle Vereinbarung, dass sie verschuldensunabhängig für das Manko haften sollen – eine sogenannte Mankoabrede. Sie ist nur dann zulässig, wenn der Filialapothekenleiter nur bis zur Höhe einer vereinbarten Zusatzvergütung – des so genannten Mankogeldes – haften soll. Ein Beispiel: Im Arbeitsvertrag des Filialapothekenleiters ist vereinbart, dass dieser jeden Monat zusätzlich eine Erfolgsprämie von 100 Euro dafür erhält, dass der Kassenbestand stimmt. Weist der Kassenbestand ein Minus von 200 Euro auf, dann ist die Mankoabrede nur zulässig, wenn für solche Fälle vorgesehen ist, dass dem Filialapothekenleiter lediglich seine Erfolgsprämie (100 Euro) gekürzt wird.
Nicht erlaubt wäre hingegen, wenn der Filialleiter verschuldensunabhängig für die vollen 200 Euro aufkommen müsste. Vereinfacht gesagt ist die Mankoabrede nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer durch sie allein die Chance einer zusätzlichen Vergütung für die erfolgreiche Verwaltung eines Kassen- oder Warenbestandes bekommt. Das Mankogeld muss also eine Erfolgsprämie für den Fall, dass der Waren- oder Kassenbestand stimmt, darstellen. Wenn die Mankoabrede gegen diese Grundsätze verstößt, ist sie unzulässig und damit unwirksam. |
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