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Beratung

Versorgung in der Nische

Die Substitution Opioid-Abhängiger ist ausbaufähig

Die Substitution ist eine wichtige Säule in der Behandlung Opioid-Abhängiger. Dazu werden im Rahmen eines Therapiekonzeptes den Betroffenen Betäubungsmittel verordnet, die kontrolliert angewendet werden müssen. Doch um eine flächendeckende Infrastruktur zur Versorgung der Substitutionspatienten ist es schlecht bestellt. Da immer mehr Suchtmediziner in Rente gehen, wächst die Bedeutung der Apotheken, die eine kontrollierte Einnahme des Substitutionsmittels ermöglichen. Dieser Sichtbezug als freiwillige Dienstleistung kann kaum als wirtschaftliches Standbein einer Apotheke dienen. Bietet sie trotzdem Potenzial? | Von Marius Penzel

Wer Opioide unkontrolliert und chronisch anwendet, dem drohen physische und psychische Abhängigkeit. Unter einer solchen Opioid-Sucht sollen 2016 in Deutschland rund 166.000 Menschen gelitten haben [1]. Das schätzte das Münchner Institut für Therapieforschung. Vorhergehende Untersuchungen aus dem Jahr 1995 und 2000 kamen auf eine ähnliche Zahl. Zwar sind Opioide bei ordnungsgemäßem Gebrauch wenig toxisch, doch bei Missbrauch drohen Gefahren. Gefürchtet sind Überdosierungen, die zu Atemdepression bis hin zu vollständiger Atemlähmung führen können, wenn die Sauerstoffversorgung nicht wiederhergestellt oder ein Opioid-Antagonist (z. B. Naloxon) verabreicht werden kann [2]. Die Zahl der jährlich durch illegalen Drogengebrauch verstorbenen Menschen stieg während der Pandemie um 13% von 1398 im Jahr 2019 auf 1581 im Folgejahr. Die meisten Todesfälle waren auf Opioide oder eine Kombination mit anderen Drogen zurückzuführen [3].

Substitution als Gegengift zur Kriminalität

In den 1940er-Jahren behandelten erste Ärzte in den USA Opioid-Abhängige mit Methadon. Sie bemerkten, dass sich der Gesundheitszustand der Behandelten besserte und sie weniger kriminelle Delikte verübten. Die nächsten Jahrzehnte stritten sich Mediziner über den Nutzen der Substitution. Wer substituierte, wurde von Skeptikern teilweise bedroht. Deutschland war eines der letzten westeuropäischen Länder, in denen es erlaubt wurde, Opioide zu substituieren: Das erste Modellvorhaben in Deutschland starteten 1988 im Ruhrgebiet [4]. Heute gilt als belegt: Die Substitution mit µ-Opioid-Rezeptoragonisten wie Methadon ist die Therapie, mit der die Mortalität von Opioid-Abhängigen effektiv gesenkt werden kann [5]. Gesetzliche Krankenversicherungen erstatten die Kosten. Die rechtliche Grundlage bildet § 5 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV). Hier wird festgelegt, dass substituierende Ärzte mit ihren Patienten eine Opioid-Abstinenz anstreben sollen. Dies gelingt aber nicht immer. Die BtMVV führt daher weitere wichtige Ziele einer substitutionsgestützten Behandlung auf. Sie soll:

  • das Überleben sichern,
  • den Gesundheitszustand bessern oder stabilisieren,
  • Abstinenz von unerlaubt erlangten Opioiden ermöglichen,
  • die Behandlung von Begleiterkrankungen unterstützen oder
  • die Risiken während einer Schwangerschaft minimieren.
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Dezentrale Versorgung schwächelt

Es zeigte sich, dass durch Methadon-Programme Abhängige besser in den Alltag integriert werden konnten, als mit anderen verfügbaren Therapien. Mitte der 1990er-Jahre strebte die damalige Bundesregierung an, die Substitution dezentral anzubieten. So durften sich auch Apotheken an der Versorgung beteiligen. Die Idee dahinter war der Gedanke, dass Opioid-Abhängigen der Ausstieg aus der Drogenszene und die Integration in den Arbeitsalltag leichter gelingt, wenn sie das Substitut in einer nahegelegenen Apotheke abholen können. Doch in ihrem Bericht vom 25. März 2021 bemerkte die Drogenbeauftragte der damaligen Bundesregierung Daniela Ludwig (CSU): Die Versorgung ist insbesondere im ländlichen Raum „verbesserungsbedürftig“ [3].

Seit dem 1. Juli 2002 müssen alle Patienten, die Substitutionsmittel verschrieben bekommen, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeldet werden, um Doppelsubstitutionen zu vermeiden. Dazu übermitteln Suchtmediziner laufend codierte Verordnungsdaten zur Substitution [6]. Das Register zeigt, dass in den letzten Jahren die Zahl der Substitutionspatienten kontinuierlich stieg, während die Zahl der Ärzte fortlaufend sank. Denn während immer mehr Ärzte, die die für Substitutionsbehandlung notwendigen Mindestanforderungen an eine suchttherapeutische Qualifikation erfüllen, in den Ruhestand gehen, stoßen nur wenige junge Suchtmediziner hinzu. Weniger Schwerpunktpraxen und -apotheken betreuen daher immer mehr Patienten. So versorgte 2020 ein Substitutionsarzt in Deutschland im Schnitt 32 Patienten. Abhängige laufen Gefahr, aufgrund einer schlechteren Betreuung ehemaligen Bekannten aus der Drogenszene zu begegnen und in alte Muster zu verfallen.

Arbeitshilfen für die Substitutionspraxis

Für die Substitution in der Apotheke stellt die Bundesapothekerkammer (BAK) auf ihrer Homepage eine kommentierte Leitlinie sowie zahlreiche Arbeitshilfen zur Verfügung. Geben Sie den Webcode V7FL7 direkt in die Suchfunktion bei DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de ein und Sie gelangen zur Leitlinie bzw. unter dem Webcode W7LZ4 zum Kommentar und unter U7DW5 zur Arbeitshilfe der Bundesapothekerkammer.

Zusätzlich bietet das Deutsche Apothekenportal auf seiner Website unter der Rubrik „Substitutionstherapie“ eine Übersicht über Hilfstaxen, Sonder-PZN und alles weitere, was man zur Abrechnung von Substitutionsmitteln wissen muss.

Versorgung in der „Nische“

Ist ein Patient erfolgreich durch einen Arzt auf ein Substitutionsmittel eingestellt worden, kann das Substitutionsmittel vom Arzt selbst oder durch von ihm beauftragtes medizinisches, pharmazeutisches oder in staatlich anerkannten Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe tätiges und dafür ausgebildetes Personal zum unmittelbaren Verbrauch vergeben werden. Die Bedeutung der Apotheken für die Durchführung einer erfolgreichen Substitutionstherapie ist gewachsen: Heute wird rund die Hälfte aller Patienten in Deutschland über Apotheken versorgt [7]. Dennoch scheuen manche Apotheker den Umgang mit Abhängigen. Kann es in der Praxis zu angespannten Situationen kommen? Philipp Böhmer ist Apotheker in der Westend Apotheke in Stuttgart, einer der größten Substitutions-Schwerpunktapotheken in Süddeutschland. Seine Antwort auf die Frage: „Wenn die Apothekenmitarbeiter einen respektvollen und vertrauten Umgang pflegen, kommt es nur in den seltensten Fällen zu Schwierigkeiten.“ Er empfiehlt, mit jedem Patienten Hausregeln zu vereinbaren, die er unterschreibt. „Beim Regelverstoß müssen klare Konsequenzen festgelegt und diese gezogen werden. Kommt es häufiger zum Regelverstoß, müssen wir dies dem Arzt mitteilen.“ Der Arzt müsse dann überlegen, ob die Substitutionstherapie in diesem Rahmen wirklich geeignet ist.

Wer die Westend-Apotheke zum ersten Mal betritt, bemerkt nicht, dass sich neben dem linken Tresen noch eine Nische mit einem weiteren HV-Tisch befindet. Hier erscheinen täglich Patienten zu vereinbarten Zeiten und lösen ihre Take-Home-Verordnungen ein oder kommen zum „Abschlucken“, dem Sichtbezug. Hinter der Nische können Patienten das Substitut vertraulich entgegennehmen. Gleichzeitig arbeiten hinter dem HV-Tisch stets Kollegen in nächster Nähe, falls Hilfe gebraucht werden sollte. Das kommt aber so gut wie nie vor, sagt auch Ulrike Strehl, Inhaberin der Westend Apotheke.

Take-Home muss beliefert werden

Wenn ein Patient stabil substituiert ist, kann der Arzt ein Substitutionsmittel zur eigenverantwortlichen Einnahme für einen Zeitraum von bis zu sieben Tagen verordnen (Take-Home-Verschreibung). Dieses Rezept kann der Patient in einer Apotheke seiner Wahl einlösen, und jede Apotheke muss eine Take-Home-Verordnung unverzüglich beliefern. Die Patienten sind in der Regel psychosozial stabilisiert [8]. Die Rezepte sind mit einem „S“ für Überlassung zum unmittelbaren Verbrauch (Sichtbezug) und einem „T“ für Take Home versehen. Wenn die Verordnungshöchstdosis binnen 30 Tagen überschritten wird, muss auf dem Rezept zusätzlich ein „A“ vermerkt sein. Normalerweise wird Take-Home-Bedarf für bis zu sieben Tage verordnet. In begründeten Ausnahmefällen, etwa Urlaubs- oder Dienstreisen, können Ärzte Substitutionsmittel für bis zu 30 Tage verordnen. Die Patienten erhalten die Mittel in der Apotheke einzeldosiert und kindergesichert [9]. Auch für Patienten, die ihr Substitut für gewöhnlich unter Aufsicht einnehmen, ist zur Überbrückung von Wochenenden oder Feiertagen eine eigenverantwortliche Einnahme für bis zu zwei aufeinanderfolgenden Tagen bzw. bis zu fünf Tagen möglich, wenn das Wochenende z. B. an einen Feiertag grenzt. Diese Verordnungen sind mit den Buchstaben „SZ“ versehen. Diese Rezepte können nur einmal pro Woche ausgestellt werden, zudem muss die Reichdauer auf dem Rezept vermerkt sein. Aber was passiert, wenn Patienten einmal nicht rechtzeitig ein neues Rezept erhalten können – insbesondere, wenn sie weite Strecken zurücklegen müssen, um zu ihrem Substitutionsarzt zu kommen? „Ohne Rezept gibt es keine Abgabe, das ist klar“, betont Philipp Böhmer. „Wer Betäubungsmittel ohne Rezept abgibt, riskiert ein strafrechtliches Verfahren.“ Um für solche Fälle vorbereitet zu sein, sollten Apotheker mit dem substituierenden Arzt eine Notfall-Telefonnummer vereinbaren.

Hand in Hand beim Sichtbezug

Beim Sichtbezug nimmt der Patient das Substitut vor den Augen des verantwortlichen pharmazeutischen Personals ein. Es dürfen dabei keine Arzneimittelreste im Mund verbleiben, der Patient sollte Wasser nachtrinken. So soll eine nicht bestimmungsgemäße Anwendung ausgeschlossen werden. Eine Apotheke ist nicht verpflichtet, eine Abgabe unter Sichtbezug zu übernehmen. Dabei handelt es sich um eine freiwillige pharmazeutische Dienstleistung. Voraussetzung ist, dass die Apotheke zunächst eine elektronische oder schriftliche Vereinbarung mit dem substituierenden Arzt getroffen hat. Darin muss eine verantwortliche Person in der Apotheke sowie eine fachliche Einweisung festgelegt werden und klar sein, wie der Arzt den Sichtbezug nachvollziehen kann. Für die Dienstleistung des Sichtbezugs darf die Apotheke einfordern, bezahlt zu werden. Möglich ist die Honorierung durch die gesetzliche Krankenversicherung. Doch einen Vertrag gibt es bisher nur in Baden-Württemberg. Hier können seit 2013 Apotheken über eine Sonder-PZN 3,24 Euro zuzüglich der Mehrwertsteuer abrechnen [10]. Nach der Vorlage gibt die Apotheke das Mittel an die Vergabestelle ab. Ist die Apotheke selbst die Abgabestelle, gehört das Substitut nach der Abgabe nicht mehr zum Bestand der Apotheke. Das Apothekenpersonal lagert die Mittel im Tresor, gekennzeichnet mit dem Namen des Patienten. Die Mittel sind dann als Patientenbestand unter Verantwortung des Arztes zu betrachten [9]. Früher mussten Arztpraxen Rezepte für den Sichtbezug direkt an die Apotheke liefern, heute kann der Patient die Verordnung selbst vorlegen.

Welches Substitut eignet sich für welchen Patienten?

Opioid ist nicht gleich Opioid. Das wissen Suchtmediziner, Apotheker und Substitutionspatienten. Methadon, Buprenorphin und Co. unterscheiden sich merklich sowohl therapeutisch als auch in der praktischen Handhabung. Welches Mittel für den Patienten am besten geeignet ist, entscheiden viele Faktoren – und letztlich der substituierende Arzt. Im „Leitfaden für Ärztinnen und Ärzte zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger“ wird beschrieben, welche Anforderungen ein ideales Substitutionsmittel er­füllen sollte [11]:

  • Entzugserscheinungen und Craving wirksam unter­drücken,
  • die Atmung so wenig wie möglich beeinflussen,
  • eine große therapeutische Breite besitzen,
  • die Steady-State-Dosierung rasch erreichen,
  • eine ausreichend lange Wirkdauer besitzen,
  • ein geringes Nebenwirkungs- und Interaktionsspektrum haben,
  • einfach und sicher handhabbar und kreislaufneutral sein,
  • das Reaktionsverhalten nicht negativ beeinflussen,
  • kostengünstig sein,
  • einfach in Urin und Blut nachweisbar sein,
  • Libido und Potenz so gering wie möglich beeinflussen,
  • kein Suchtpotenzial besitzen und
  • nicht stigmatisierend wirken.

Für die Substitutionstherapie dürfen Ärzte Fertigarzneimittel verschreiben, die für diesen Zweck zugelassen sind und bei denen eine intravenöse Anwendung (parenteraler Missbrauch) ausgeschlossen ist. Möglich sind auch Zubereitungen (z. B. NRF-Rezepturen) von Levomethadon, Methadon oder Buprenorphin. In Ausnahmefällen darf mit Codein, Dihydrocodein und sogar Diamorphin (Heroin) substituiert werden. Letzteres gelangt über einen Sondervertriebsweg zu den Patienten, in der Apotheke kommt man damit nicht in Berührung.

Literaturtipp

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Von Klaus Häußermann und Philipp Böhmer

Betäubungsmittel in der Apothekenpraxis
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3., überarbeitete und aktua­lisierte Auflage, 
XII, 104 S., 35 farb. Abb., 9 farb. Tab., 
21,0 × 29,7 cm, kartoniert, 29,80 Euro

ISBN 978-3-7692-6810-2

Deutscher Apotheker Verlag 2019

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Der Klassiker in Lösung: Methadon
Drei Viertel aller Substituierten in Deutschland erhalten Methadon. 37% aller Substitutionspatienten erhielten 2020 racemisches Methadon (z. B. Methaddict® Tabletten), 37% bekamen das reine Eutomer Levomethadon (L-Polamidon® Tabletten und Lösung, L-Poladdict® Tabletten).

Methadon wird von den Patienten als stärker wirksam empfunden als Buprenorphin. Als reiner µ-Opioid-Rezeptoragonist vermittelt es ein für die Substituierten spürbares Gefühl der Geborgenheit. Die Autoren des „Leitfadens für Ärztinnen und Ärzte zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger” empfehlen, Methadon bei „abschirmbedürftigen” Patienten einzusetzen. Das Distomer Dextrome­thadon entfaltet keine Wirkung über den µ-Opioidrezeptor, scheint aber NMDA-Rezeptoren, ähnlich wie Ketamin, zu blockieren. Dextromethadon inhibiert den hERG-Kanal, ein in Herzmuskelzellen exprimierter Kaliumionen-Kanal, dessen Veränderung mit dem Long-QT-Syndrom in Verbindung gebracht wird. Deshalb ist beim Einsatz von racemischem Methadon im Vergleich zum Levomethadon das Risiko für QT-Zeit-Verlängerungen und Torsade-de-Pointes-Arrhythmien erhöht. Die Gefahr steigt, wenn Patienten weitere QT-Zeit-verlängernde Arzneimittel einnehmen.

Die ersten substituierenden Ärzte entschieden sich in den 1940er-Jahren für Methadon aufgrund seiner langen Halbwertszeit (20 bis 60 Stunden) und der Möglichkeit, es oral einzunehmen. Durch die lange Halbwertszeit kann Methadon kumulieren. Daher ist insbesondere in den ersten Tagen der Einstellung auf eine Atemdepression zu achten. Lebensbedrohlich kann sie werden, wenn Patienten zeitgleich andere Opioide, Alkohol oder Benzodiazepine konsumieren.

Methadon wird hauptsächlich über CYP3A4 und CYP2C19 metabolisiert. Potente Inhibitoren oder Induktoren der Isoenzyme können die Plasmakonzentration beeinflussen.

Levomethadon-Hersteller liefern das Substitut ausschließlich als Fertiglösungen an Apotheken. Beim racemischen Methadon beziehen Apotheken oft den Feststoff, um individuell Lösungen herstellen zu können. Damit eine intravenöse Gabe unmöglich wird, sollten Herstellende den Lösungen Zusätze beimengen, die die Viskosität erhöhen. Dazu eignen sich zum Beispiel Himbeersirup oder Hydroxymethylcellulose.

Die Einnahme von (Levo-)Methadonlösungen ist beim Sichtbezug leichter zu kontrollieren als die von Buprenorphin-Sublingualtabletten. Weil sich Sublingualtabletten nur langsam lösen, kann es vorkommen, dass Patienten nach dem Sichtbezug die Tabletten wieder ausspucken und ander­weitig verwenden.

Buprenorphin sediert kaum
Buprenorphin (z. B. Buprenaddict® Sublingualtabletten, Subutex® Sublingualtabletten) erhalten rund 23% der Substituierten. Der Wirkstoff bindet mit hoher Affinität an den µ-Opioidrezeptor und verdrängt dort z. B. Heroin. Doch als partieller Agonist entfaltet Buprenorphin nicht die volle Wirkstärke anderer Opioide. Eine euphorische Wirkung tritt kaum auf. Auch die Gefahr der Atemdepression ist geringer. Am ĸ-Opioid-Rezeptor wirkt Buprenorphin antagonistisch, wodurch eine sedierende Wirkung ausbleibt.

Buprenorphin eignet sich für Patienten, die leistungsfähig bleiben wollen und bei denen kein Rückfall droht, wenn das Gefühl der Geborgenheit fehlt, wie es Methadon vermittelt. Aufgrund seiner hohen Lipophilie verbleibt Buprenorphin bis zu 72 Stunden im Körper und kann im Wechsel jeden zweiten oder dritten Tag gegeben werden. Als Fertigarzneimittel sind Sublingualtabletten gebräuchlich, denn bei oraler Einnahme unterliegt Buprenorphin einem hohen First-Pass-­Effekt. Dabei läge die Bioverfügbarkeit bei nur 15%.

In Subuxone® Sublingualtabletten bzw. Sublingualfilm ist Buprenorphin kombiniert mit dem Opioid-Rezeptoragonisten Naloxon. Die Kombination soll die missbräuchliche Anwendung durch einen intravenösen oder nasalen Konsum minimieren. Die Verordnungszahlen des Präparates sind in den letzten Jahren stark zurückgegangen.

„Schwierig wurde es, als einzelne Buprenorphin-Rabattpräparate monatelang nicht lieferbar waren. Denn einfach von einem Präparat auf das nächste wechseln, ist für Substitutionspatienten mit einem enormen psychischen Druck verbunden“, erklärt Böhmer. „Da könne es bereits zum Problem werden, wenn der Hersteller eine Tabletten-Prägung ändert.“ Dies sei bei Subutex® aufgetreten und hätte in der Offizin zu Spannungen geführt.

Ein alter Bekannter: Morphin
Morphinsulfat kann in Deutschland eingesetzt werden, seit 2015 Substitol® Hartkapseln (retardiert) zur oralen Substitutionsbehandlung von Erwachsenen mit Opioidabhängigkeit im Rahmen medizinischer und umfassender psychosozialer Maßnahmen zugelassen wurden. 2% der Substitutionspatienten werden damit behandelt. Morphin-haltige Rezepturarzneimittel sind zur Substitutionstherapie nicht zugelassen. Laut Leitfaden zur substitutionsgestützten Behandlung könnten Patienten von Morphin profitieren, die unter Methadon stark schwitzen oder die über Depressionen klagen. Da es bei Substitol® seit Monaten Lieferengpässe gibt, befürwortet das Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stattdessen, auf Einzelimporte des Arzneimittels Compensan® (Morphinhydrochlorid-Trihydrat) aus Österreich zurückzugreifen.

Hustenstiller gegen die Sucht
Nur 0,2% der Substituierten in Deutschland erhalten Codein oder Dihydrocodein. Die Wirkstoffe kommen nur in begründeten Ausnahmefällen in Frage. Dabei werden Codein- oder Dihydrocodein-haltige Fertigarzneimittel außerhalb der Zulassung eingesetzt. Alternativ können in Apotheken Lösungen hergestellt werden. Wegen der kurzen Halbwertzeit muss das Substitut drei- bis viermal täglich (meistens alle sechs bis acht Stunden) angewendet werden. Der Stuttgarter Suchtmediziner Dr. Albrecht Ulmer erforschte die Behandlung Alkoholabhängiger mit Dihydrocodein und konnte mit dieser untypischen Substitution klinische Erfolge erzielen. Gesetzliche Krankenversicherungen erstatten diese Off-­Label-Anwendung nicht. |

Literatur

 [1] Kraus L et al. Schätzung Opioidabhängiger in Deutschland. 1. April 2017 bis 31. Januar 2018, www.bundesgesundheitsministerium.de

 [2] Geisslinger G, Menzel S, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler Arzneimittelwirkungen. Pharmakologie – Klinische Pharmakologie – Toxikologie. 11., völlig neu bearbeitete Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2020

 [3] Zahl der an illegalen Drogen verstorbenen Menschen während der Coronapandemie um 13 Prozent gestiegen. Pressemitteilung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung vom 25. März 2021, www.drogenbeauftragte.de

 [4] Schwab W. 30 Jahre Drogenersatztherapie: 15 Milliliter, jeden Tag. Meldung in der „TAZ“ vom 4. April 2018, https://taz.de/30-Jahre-Drogenersatztherapie/!5492895/

 [5] Sordo L et al. Mortality risk during and after opioid substitution treatment: systematic review and meta-analysis of cohort studies. BMJ 2017;357, doi:https://doi.org/10.1136/bmj.j1550

 [6] Bericht zum Substitutionsregister, Januar 2021. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), www.bfarm.de

 [7] Efferz DA, Friedrich T. Streit um den Sichtbezug - Wie soll die Leistung der Apotheke bezahlt werden? – Ein Schlagabtausch. Deutsche Apotheker Zeitung 2019;23:50

 [8] Herstellung und Abgabe der Betäubungsmittel zur Opioidsubstitution. Leitlinie und Kommentar zur Leitlinie der Bundesapothekerkammer zur Qualitätssicherung. Stand: 29. November 2017

 [9] Schäfer P. Allgemeinpharmazie - Ein Lehrbuch für Praktisches Jahr, Weiterbildung und Apothekenpraxis. 2. Auflage 2021, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

[10] Ziegler J. Extravergütung für Sichtbezug - Apotheken sollen Drogenersatztherapie in Baden-Württemberg stärken. Deutsche Apotheker Zeitung 2013,39:22

[11] Leitfaden für Ärztinnen und Ärzte zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger. Bayerische Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS Unternehmergesellschaft), 5. überarbeitete Auflage, Dezember 2019, www.bas-muenchen.de

Autor

Marius Penzel studierte Pharmazie in Leipzig. Nach praktischen Erfahrungen in der Offizin und der Zentralapotheke der Oberschwabenklinik in Ravensburg absolvierte er ein Volontariat bei der Deutschen Apotheker Zeitung. Heute arbeitet er als freier Journalist.

Austausch mit Medizinern auf ein neues Level bringen

Philipp Böhmer ist Apotheker in einer der größten Substitutions-Schwerpunktapotheken in Süddeutschland. Er begeistert sich für den Sichtbezug – und hat viel Erfahrung auf diesem Gebiet. Im Buch „Betäubungsmittel in der Apothekenpraxis“, das im Deutschen Apotheker Verlag 2019 erschienen ist, steuerte er unter anderem das Kapitel zur Opioid-Substitution bei. Wir haben ihn gefragt, was er an dieser Dienstleistung schätzt.

Philipp Böhmer

DAZ: Herr Böhmer, betreuen Sie den Sichtbezug Ihrer Substitutions­patienten gern?
Böhmer: Ja. Als Offizin-Apotheker ist es unsere Aufgabe, die Bevölkerung wohnortnah mit Arzneimitteln zu versorgen. Das gilt auch für Substitutionspatienten. Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen, sich auf diesem Feld zu engagieren. Es ist eine interessante Betätigung, da wir mit Ärztinnen und Ärzten auf Augenhöhe zusammenarbeiten.

DAZ: Wie meinen Sie das?
Böhmer: Wir werden in die Therapie mit einbezogen und auch um unsere Einschätzung gefragt, zum Beispiel wenn Mediziner einen Präparate- oder Dosierungswechsel erwägen. Was wir uns bei anderen pharmazeutischen Tätigkeiten wünschen, steht hier schon auf der Tagesordnung. Die Arbeit innerhalb der Substitutionstherapie bringt den Austausch mit Medizinern auf ein neues Level.

DAZ: Ist die Substitution in Ihrem Fall eine wirtschaftliche Tätigkeit?
Böhmer: Der Sichtbezug ist keine Dienstleistung, mit der man kostendeckend arbeiten kann. Apotheken müssen sie immer querfinanzieren. Wir in Baden-Württemberg haben Glück, da hier die gesetzlichen Krankenkassen den Sichtbezug in Apotheken honorieren. Es wäre gerecht, wenn dieses Honorar allen Kollegen bundesweit zustehen würde.

DAZ: Was, wenn Apotheker nicht mit Opioid-Abhängigen umgehen möchten?
Böhmer: Auch für die Substitution gilt der Kontrahierungszwang – nur der Sichtbezug ist eine freiwillige Dienstleistung. Jede Take-Home-­Verordnung muss beliefert werden. Bei der Ärzteschaft kommt es überhaupt nicht gut an, wenn Apotheken diese Verordnungen nicht beliefern, obwohl sie es hätten tun müssen.

DAZ: Und wenn gerade niemand für die Rezeptur bereitsteht?
Böhmer: Jede Apotheke kann eine Rezeptur herstellen, das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Darüber hinaus ist mittlerweile fast jedes Substitut auch als Fertigarzneimittel erhältlich, das in der Regel jeder Großhändler an Lager hat.

DAZ: Wie ist das Feedback der Patienten, die eine Substitution bei Ihnen einnehmen?
Böhmer: Viele kommen jeden Tag, manche wöchentlich. Man unterhält sich regelmäßig. Der vorgegebene Rhythmus und die Struktur sind für die Patienten enorm wichtig. Oft wird es zur Herausforderung, wenn Patienten mit neuen Situationen konfrontiert werden, z. B. wenn der substituierende Arzt im Urlaub ist. Wir als Apotheke sind hier eine wichtige Orientierung für die Patienten.

DAZ: Herr Böhmer, vielen Dank für das Gespräch.

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