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Praxis
Direktabrechnung – tatsächlich ein Gewinn?
Was hinter dem Vorstoß von Scanacs und CGM Lauer steckt
„Jederzeit selbstständig und ohne Beauftragung eines Apothekenrechenzentrums“ sollen Apotheken, die zum Kundenkreis des Softwareanbieters CGM Lauer zählen, ihre E-Rezepte mit den Krankenkassen zukünftig abrechnen können. Das klingt nach einer idealen Welt in naher Zukunft. Klar: Mit Einführung des E-Rezepts sollen zahlreiche Arbeitsprozesse digitaler und schlanker werden als bisher. Davon ist auch die Abrechnung betroffen. Einige Apotheken haben daher die Hoffnung, dass sie zukünftig direkt mit den Krankenkassen abrechnen können. Spätestens seit September 2020 hat die Diskussion in Foren und Erfa-Gruppen Fahrt aufgenommen. Unmittelbar nachdem die Insolvenz des Apothekenrechenzentrums AvP bekannt wurde, stand die Branche plötzlich vor der Frage, wie mit dem Ausfallrisiko der Finanzdienstleister besser umgegangen werden kann.
Hinter dem Angebot von CGM Lauer steckt eine Kooperation mit dem Dresdner IT-Unternehmen Scanacs, das in den vergangenen Jahren immer wieder für dieses Konzept warb. Die CompuGroup Medical, also der Mutterkonzern von CGM Lauer, ist an Scanacs beteiligt, laut aktuellem Handelsregisterauszug mit 15 Prozent.
Die Idee
Scanacs konnte bereits beweisen, dass Apotheken direkt mit gesetzlichen Krankenkassen vernetzbar sind. Die webbasierte Prüfung des Zuzahlungsstatus von GKV-Versicherten fand bei Apothekerinnen und Apothekern damals große Beachtung. Frank Böhme, Gründer und Geschäftsführer von Scanacs, kann sich viele weitere Serviceleistungen vorstellen, die sich für Apotheken aus der direkten Anbindung an die Kassenwelt ergeben könnten – unter anderem eben auch die Direktabrechnung, ohne Zwischenschaltung von Apothekenrechenzentren. Die Vorteile dieses Konzepts beschreibt CGM Lauer in dem aktuellen Werbeflyer als Maximierung der Liquidität sowie Vermeidung von Retaxationen. Ferner will der Apothekensoftwareanbieter seinen Kunden einen „optimalen Überblick“ über alle eingegangenen, abrechenbaren, stornierten und erledigten E-Rezepte bieten.
Bei einer Direktabrechnung würden die Apotheken ihre Rezepte direkt bei den Krankenkassen einreichen und dann auch direkt von den Krankenkassen bezahlt werden, also ohne ein Rechenzentrum dazwischen. Auf Grundlage dieser Idee dürfte das Geld auf dem Weg zwischen Krankenkassen und Apotheken nicht verloren gehen. Doch was für die einzelne Apotheke und Verordnung in der Theorie noch nachvollziehbar erscheint, ist in der Praxis deutlich schwieriger vorstellbar. Alle Apotheken müssten mit allen Krankenkassen unmittelbar vernetzt sein, bei denen wiederum alle eingehenden Rezepte dann bearbeitet und die entsprechenden Zahlungen freigegeben werden. Ferner ist die Abrechnung von Arzneimitteln nicht trivial. So ist das Beachten der Herstellerabschläge bisher auch Aufgabe der Rechenzentren.
CGM Lauer und Scanacs wollen mit ihrem Vorstoß diese Strukturen nun endgültig infrage stellen und bieten den Apotheken bis Ende September ein gestaffeltes Early-Bird-Angebot an, je nachdem, ob man sich als Einzelabrechner (200 E-Rezepte pro Monat), Allrounder (1000 pro Monat) oder Vielabrechner (4000 pro Monat) sieht. Die Vertragslaufzeit beträgt in allen drei Fällen 24 Monate. Eine solche konkrete Ansage im Hinblick auf die Direktabrechnung scheint eine Premiere zu sein.
Apothekenrechenzentren weisen auf Limitationen hin
Beim Verband Deutscher Apothekenrechenzentren (VDARZ) hat man sich zwar mit innovativen Abrechnungsmodellen schon intensiv beschäftigt, doch über das Angebot aus dem Haus CGM Lauer wundert sich VDARZ-Vorstand Klaus Henkel sehr. Vor allem deshalb, weil es ausschließlich um die (Direkt-)Abrechnung von E-Rezepten gehen soll. In diesem Fall müssten die teilnehmenden Apotheken eine weitere Institutionskennzeichen-Nummer führen, und die Krankenkassen würden die Beträge zukünftig auf mindestens zwei Konten je Apotheke überweisen, meint Henkel, der neben seiner ehrenamtlichen VDARZ-Funktion auch als Geschäftsführer dem ARZ Haan vorsteht. „Ein solches Konstrukt wurde von den Krankenkassen in unseren Gesprächen bisher immer ausgeschlossen“, erklärt er gegenüber der DAZ. Kritisch sieht er auch den Umstand, dass weder CGM Lauer noch Scanacs den Status eines Apothekenrechenzentrums auf Grundlage des Sozialrechts führen. Von daher gebe es auch kein konkretes Finanzierungsangebot seitens CGM Lauer, gegen Gebühr vorab einen Abschlag an die Apotheken zu zahlen, was für die Apothekenrechenzentren wiederum zu ihrem Selbstverständnis gehört.
Zum Weiterlesen
Direkt oder indirekt?
Optionen, Chancen und Risiken bei der Abrechnung von Arzneimitteln und Dienstleistungen
Der jahrzehntelang sehr ruhige Markt der Apothekenrechenzentren wurde durch die AvP-Insolvenz aufgerüttelt und steht mit dem E-Rezept und den abzurechnenden Dienstleistungen vor historischen Herausforderungen. Dies kann, muss aber nicht zu grundlegenden Veränderungen der Struktur führen. Denn technische Verfahren und wirtschaftliche Verknüpfungen bedingen einander in diesem Fall nicht unbedingt. Unseren Schwerpunkt dazu finden Sie in DAZ 2021, Nr. 28, ab Seite 18.
Eine Kann- und keine Muss-Bestimmung
Die Kooperationspartner CGM Lauer und Scanacs sehen in § 300 Abs. 2 Satz 1 SGB V die gesetzliche Grundlage für das Geschäftsmodell der Direktabrechnung.
Darin heißt es:
„Die Apotheken und weitere Anbieter von Leistungen nach § 31 können zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen nach Absatz 1 Rechenzentren in Anspruch nehmen; die Anbieter von Leistungen nach dem vorstehenden Halbsatz haben vereinnahmte Gelder, soweit diese zur Weiterleitung an Dritte bestimmt sind, unverzüglich auf ein offenes Treuhandkonto zugunsten des Dritten einzuzahlen.“
Daraus deutet man, dass es sich um eine Kann- und keineswegs um eine Muss-Bestimmung handelt. Aus Sicht von CGM Lauer und Scanacs sind die Apotheken also gar nicht verpflichtet, Rechenzentren für die Abrechnung zu beauftragen. Scanacs gibt an, so wie die Apothekenrechenzentren ebenfalls „schnelle Zahlungsprozesse“ realisieren zu können. Über die Scanacs-Plattform sei technisch alles denkbar bis zur Echtzeitbezahlung – stets orientiert an den Arzneimittellieferverträgen.
Dabei würden aber weder CGM Lauer noch Scanacs selbst in Vorleistung gehen müssen. Das Geld soll also tatsächlich und direkt aus der GKV in die Apotheke fließen. Im Zuge der E-Rezept-Einführung habe man bereits Direktabrechnungen von mehreren Apotheken realisiert, über den genauen Ablauf und konkrete Zahlen wird aus Wettbewerbsgründen jedoch keine Auskunft gegeben.
Es liegt vor allem am DAV und an den Krankenkassen
Der Deutsche Apothekerverband (DAV) äußerte sich auf DAZ-Anfrage nicht zur aktuellen Entwicklung rund um die Direktabrechnung und zum konkreten Angebot von CGM Lauer und Scanacs. Beim DAV wird man die Entwicklung aber aufmerksam verfolgen. Denn abgesehen von den Bestimmungen im Sozialrecht verhandelt der DAV im Namen der Apotheken auch alle Modalitäten der Abrechnung mit dem GKV-Spitzenverband. Und dieser wird sicher verhindern wollen, dass mit dem E-Rezept und einer neuartigen Abrechnung ein Mehraufwand für die Krankenkassen entsteht.
Gesetzesentwurf will Aktivitäten außerhalb der TI beschränken
Doch Scanacs-Geschäftsführer Frank Böhme muss bei seinen unternehmerischen Visionen noch mit weiteren Unwägbarkeiten rechnen. Eine Bedeutende stammt aus dem Bundesgesundheitsministerium, denn Karl Lauterbach plant mit seinem Entwurf für ein „Gesetz zur Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus sowie zur Anpassung weiterer Regelungen im Krankenhauswesen und in der Digitalisierung“ (Krankenhauspflege-Entlastungsgesetz, KHPflEG), Hürden für die Leistungserbringer abzubauen, die derzeit aufgrund von (vertraglichen) Beschränkungen durch Anbieter und Hersteller informationstechnischer Systeme im Rahmen der Telematikinfrastruktur (TI) bestehen. Im Falle des Apothekensoftwareanbieters Pharmatechnik und dem Digitalunternehmen Red Medical könnte dies eine Lösung des langwierigen Rechtsstreits bedeuten, im Hinblick auf die Einbindung des alternativen Konnektorenmodells von Red in das Pharmatechnik-System. Pharmatechnik hatte dies bislang verweigert und konnte diese Strategie auch vor Gericht erfolgreich verteidigen.
Scanacs-Geschäftsführer Böhme sieht sich dagegen diskriminiert, weil er sich mit seinen Softwarelösungen nicht innerhalb der TI befindet. Die Kooperationen mit Primärsystemen in Arztpraxen, Apotheken und Kliniken könnten damit auf der Kippe stehen. Daher wendet sich der Scanacs-Geschäftsführer nun mit einem Brief an die gesundheitspolitischen Entscheider auf Bundesebene. In seinen Augen nutze der vorliegende Gesetzesentwurf nicht alle existierenden Möglichkeiten und mindere damit die Erfolgschancen. Böhmes Scanacs-Software müsse „im Sinne einer sehr guten Nutzerorientierung“ in Apothekensoftwaresysteme integrierbar sein. Dies habe man bereits mit den Softwarepartnern CGM Lauer und Apotechnik erfolgreich umsetzen können.
In den Verhandlungen mit weiteren Anbietern sei aber immer wieder eine Hürde aufgetaucht: Der Umstand, dass Scanacs nicht den Status eines Apothekenrechenzentrums besitzt, würde dazu führen, dass Apothekensoftwareanbieter die Zugänge zu ihren Warenwirtschaftssystemen über die standardisierte APO-TI-Schnittstelle verweigerten. In einem in der vergangenen Woche veröffentlichten Whitepaper erläutert Böhme, dass ihm mit seinem Unternehmen weder der Weg in den VDARZ noch der Beitritt in den Bundesverband Deutscher Apothekensoftware-Häuser (ADAS) offenstehe. Um jedoch gleichberechtigt mit den etablierten Unternehmen agieren und gestalten zu können, sei eine Mitgliedschaft in einem der Verbände notwendig.
Was ist mit der Schnittstelle?
Im Schreiben an die Gesundheitspolitiker mutmaßt er sogar, dass die Apothekensoftwareanbieter gemeinsame Sache mit den Apothekenrechenzentren machen würden und damit ihre eigenen Geschäftsmodelle schützten. Damit würden sie viele Apotheken von der Nutzung der Direktabrechnung abschotten und digitale Innovationen verhindern.
Weil neben der Blockadehaltung der Apothekensoftwareanbieter Scanacs nun auch noch der Ausschluss per Gesetz droht, appelliert Geschäftsführer Böhme eindringlich an die Gesundheitspolitik, den Gesetzesentwurf dahingehend zu öffnen, dass eine diskriminierungsfreie Anbindung nicht nur exklusiv für Anbieter von Lösungen innerhalb der TI sichergestellt ist, sondern auch für Anbieter außerhalb.
Doch ist die APO-TI-Schnittstelle tatsächlich das Zünglein an der Waage? Michael Dörr, Sonderbeauftragter des VDARZ-Vorstands, erklärt, dass man bereits vor der Einführung des E-Rezeptes die bestehenden Kommunikationswege von den Apothekenwarenwirtschaften zu den Apothekenrechenzentren analysiert und den Bedarf für eine einheitliche Lösung gesehen hat. Daraus entstand die standardisierte APO-TI-Schnittstelle. Die Kommunikation zwischen Apotheke und Rechenzentrum über die APO-TI-Schnittstelle laufe dabei komplett außerhalb der TI.
Dagegen habe man beim VDARZ „voll umfängliches Verständnis“, wenn die Anbieter der Warenwirtschaften die Kommunikationswege nur bilateral nach umfangreichen Testphasen mit einzelnen Technologieanbietern öffnen. Der Gesetzgeber sei daher gut beraten, sich weiterhin nur auf die Übertragungswege zu konzentrieren, die von der Gematik nach § 325 Absatz 2 und 3 zugelassen sind und die zur Erfüllung gesetzlicher Pflichten bei der Nutzung von Anwendungen der TI erforderlich sind.
Daraus lässt sich schließen, dass das Problem also gar nicht am Wesen der APO-TI-Schnittstelle liegt, sondern am Umstand, dass Apothekensoftwareanbieter in der Warenwirtschaft nur eine Gegenstelle, nämlich das jeweilige Rechenzentrum der Apotheke eintragen. Damit entfiele für Scanacs die Möglichkeit, als zweiter gleichberechtigter Anbieter neben einem Rechenzentrum E-Rezepte direkt an die Krankenkassen zu leiten.
Rahmenvertrag regelt Abrechnung
Hinzu kommt, dass auf Grundlage des aktuellen Rahmenvertrags zwischen DAV und GKV-Spitzenverband gar nicht vorgesehen ist, dass es mehrere parallele Abrechnungswege zwischen Apotheken und Krankenkassen geben soll. Selbst die Direktabrechnung wird im Vertrag nicht konkret geregelt. Würde das von Scanacs und CGM Lauer dahingehend interpretierte Sozialrecht also tatsächlich greifen, sodass Apotheken nicht verpflichtet sind, für die Abrechnung ihrer Rezeptdaten ein Rechenzentrum zu beauftragen, müssten sich DAV und GKV-Spitzenverband erst noch einigen, unter welchen Voraussetzungen eine Direktabrechnung ermöglicht wird.
Diese wäre aus Sicht von Scanacs-Chef Böhme aber bekanntlich ein großer Vorteil für die Apotheken. Die Kassen könnten früher als innerhalb der Zehn-Tage-Frist zahlen und zwar ohne Umwege direkt auf das Geschäftskonto der Apotheke. Laut eigenen Angaben sei das bei den bisher durchgeführten Abrechnungen zum Teil erheblich schneller erfolgt. In dem Zusammenhang will Böhme den Begriff „Echtzeiterstattung“ prägen. In der Praxis hätten bereits 19 Krankenkassen zwar kein Geld, aber dafür Erstattungshinweise in Echtzeit über die Scanacs-Plattform an die Apotheken gesendet. „Mit der Direktabrechnung erhält die Apotheke die Hoheit über ihre Abrechnungsprozesse zurück“, so Böhme. Mit diesem neuen Verfahren könne die Transparenz für die Apotheke in ihren Abrechnungsabläufen auf ein neues Niveau gehoben werden.
Würden Sie direkt abrechnen?
In der vergangenen Woche fragten wir die Leserinnen und Leser von DAZ.online: „Würden Sie, wenn möglich, direkt mit den Kassen abrechnen, anstatt wie aktuell übers Rechenzentrum?“ Aus 305 Stimmen ergibt sich das folgende Meinungsbild:
- 56,1 Prozent: „Daraus ergeben sich sicher neue Probleme, ich würde beim etablierten Weg bleiben.“
- 28,5 Prozent: „Klingt zwar erst mal gut, aber es gibt mir noch zu viele Unsicherheiten. Ich würde erst mal abwarten.“
- 15,4 Prozent: „Finde ich eine gute Idee. Ich würde das sofort machen.“
Die Umfrage ist nun geschlossen, aber gerne dürfen Sie uns weiterhin Ihre Meinung und Erfahrung mitteilen: Schreiben Sie an daz@deutscher-apotheker-verlag.de
Aus Sicht der Apothekenrechenzentren stellen die Visionen von Scanacs und der konkrete Vorstoß in Kooperation mit CGM Lauer kein Alleinstellungsmerkmal da. Alle Möglichkeiten habe man selbst schon durchdacht und zum Teil versucht zu etablieren, heißt es von Branchenvertretern. Scheitern würden die Ideen am Widerstand der Krankenkassen, an der fehlenden gesetzlichen bzw. vertraglichen Grundlage oder sehr häufig an der Praktikabilität. Das bisherige Geschäftsmodell der Rechenzentren im Zusammenhang mit der Abrechnung seien der Medienbruch (Papierrezepte in digitale Daten übersetzen), das Clearing (Verrechnung von Geldforderungen) sowie das Banking (Bereitstellen von „schnellem Geld“). Davon würden zwei Tätigkeiten in Zukunft an Bedeutung verlieren: Mit der Etablierung der E-Rezepte in den nächsten Jahren würde eine Übersetzung von analogen in digitale Daten entfallen. Auch das Banking wird inzwischen zurückhaltender bewertet, weil die gesetzlichen Anforderungen steigen würden. Übrig bleibe das Clearing, und diese Dienstleistung sei auch im E-Rezept-Zeitalter notwendig, weil die Abrechnung mit den Krankenkassen ein komplexes Verfahren darstellen würde – komplexer als es manche wahrhaben wollten. |
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