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COVID-19
Welches Vakzin soll es sein?
Boostern mit COVID-19-Impfstoffen – ein Überblick
Mittlerweile ist es schon fast ein Luxusproblem: Es steht außer Frage, dass wir uns impfen/boostern lassen können, aber wir haben die Qual der Wahl! Nicht nur, dass wir zwischen den verschiedenen Impfstofftypen wählen können, ob wir also eine Präferenz für die mRNA-Lipidnanopartikel, die adenoviralen Vektor-Vakzinen oder vielleicht doch eher für adjuvantierte Spike-Protein-Nanopartikel haben. Mittlerweile gibt es auch noch die Möglichkeit, an die neuen Virus-Varianten angepasste Impfstoffe zu nehmen. Was also tun? Schließlich möchte man den bestmöglichen Schutz. Für die Apothekerinnen und Apotheker sowie für Impfärzte und -ärztinnen ist es auch keine einfache Situation – sie stehen vor der Frage, welche Impfstoffe zu bevorraten sind, um nicht unnötig viel Wirkstoff verwerfen zu müssen.
Was ist derzeit bei der EMA zugelassen?
Derzeit (Stand: 19. September 2022) haben sechs COVID-19-Vakzine die europaweite Zulassung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA):
- Comirnaty von Biontech/Pfizer in der Originalversion, zusätzlich die beiden bivalenten Impfstoffe Original/Omikron BA.1 und Original/Omikron BA.4-5 (s. Abb. 1)
- Spikevax (ehemals COVID-19-Vakzin Moderna) von Moderna Biotech und zusätzlich die bivalente Original/Omikron BA.1-Variante
- Vaxzevria (ehemals COVID-19-Vakzin AstraZeneca) von AstraZeneca
- Jcovden (ehemals COVID-19-Vakzin Janssen) von Janssen-Cilag
- Nuvaxovid von Novavax
- COVID-19-Vakzin Valneva (inaktiviert, adjuvantiert) von Valneva
Die beiden mRNA-Impfstoffe Comirnaty und Spikevax sowie die Vektor-Vakzine Vaxzevria und Jcovden wirken wie Lebendimpfstoffe und induzieren sowohl eine zelluläre Immunantwort über spezifische zytotoxische T-Zellen als auch eine humorale Abwehr über Antikörper. Im Gegensatz dazu können Nuvaxovid und COVID-19-Vakzin Valneva nur die Bildung von Antikörpern auslösen. Während Antikörper im Idealfall die Viruspartikel abfangen und so eine Infektion der Zellen verhindern, töten die zytotoxischen T-Zellen infizierte Zellen ab und blockieren die weitere Virusvermehrung. Allein aus dieser Überlegung heraus sollten also Nuvaxovid und COVID-19-Vakzin Valneva einen schlechteren Schutz vor einer Erkrankung bieten als die mRNA- und Vektor-Impfstoffe. Alle sechs Impfstoffe haben allerdings in Studien ihre Wirksamkeit nachgewiesen, sonst hätten sie keine Zulassung von der Food and Drug Administration (FDA) der USA bzw. der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) erhalten. Eine Studie, in der die verschiedenen Wirkstoffe parallel verimpft wurden, um ihre Effektivität direkt zu vergleichen, existiert (natürlich) nicht. Es bleibt also nur, sich die vorhandenen Zulassungsstudien anzuschauen und Schlüsse aus den Ergebnissen zu ziehen – falls möglich.
Wie effizient sind die Impfstoffe?
Ein Review fasste die verfügbaren Daten zur Effizienz der verschiedenen Impfstoffe gegen eine Infektion mit den unterschiedlichen Virus-Varianten zusammen. Je nach Studie variierten die Ergebnisse und zeigten Effizienzen gegenüber Omikron von ca. 11% für Vaxzevria oder 14% für Moderna bis fast 50% für Jcovden, Comirnaty und Spikevax. Allerdings waren hier nur die kompletten Anfangs-Vakzinierungen ohne Booster aufgeführt und die zitierten Studien fanden in unterschiedlichen Ländern statt.
In einer Metaanalyse wurden Daten aus verschiedenen klinischen Studien, Kohortenstudien und Fallkontrollstudien ausgewertet und die Wirksamkeit der unterschiedlichen Impfstoffe gegen die verschiedenen Virusvarianten analysiert. Das Ergebnis war, dass eine vollständige Immunisierung mit den bestehenden Impfstoffen sehr wirksam gegen die Alpha-Variante und moderat effizient gegen die Beta-, Gamma- und Delta-Viren ist. Durch eine Booster-Impfung konnte die Wirksamkeit gegenüber Erkrankungen infolge von Delta- und Omikron-Infektionen gesteigert werden.Insgesamt zeigte sich zudem, dass die mRNA-Impfstoffe einen besseren Immunschutz gegenüber den Virusvarianten bieten als die anderen Vakzine. Der Immunschutz durch die gegen das ursprüngliche Wuhan-Virus entwickelten Impfstoffe gegenüber den neuen Omikron-Varianten ist nicht sehr ausgeprägt, weshalb frühzeitig damit begonnen wurde, an die neuen Varianten angepasste Vakzine zu entwickeln.
Was bringen die an die Virus-Varianten angepassten Impfstoffe?
Bei den Zulassungsstudien der Original-Impfstoffe von Comirnaty und Spikevax wurden einige Zehntausend Probanden mit Verum oder Placebo geimpft und anschließend die Anzahl der Erkrankten verglichen. Daraus ließ sich eine Wirksamkeit der Impfstoffe von ca. 95% errechnen. Diese Art von Studien ist heutzutage nicht mehr durchführbar: Zu viele Menschen haben inzwischen entweder eine Impfung erhalten und/oder eine Infektion durchgemacht. Außerdem ließe sich aus ethischen Gründen auch keine Placebogruppe mehr mitführen.
Die Zulassung für die jeweiligen bivalenten Original/Omikron BA.1-Varianten von Comirnaty und Spikevax wurde auf der Basis von Studien empfohlen, in denen die Immunantwort bei einigen Hundert Erwachsenen nach einer zweiten Booster-Impfung gemessen wurde. Der entscheidende Parameter war die Menge an spezifischen neutralisierenden Antikörpern gegen die Omikron-Varianten vier Wochen nach der Impfung. Verglichen wurde die jeweilige Verumgruppe mit einer Probandengruppe, die erneut den Original-Impfstoff erhielt. Diese Art des Effizienznachweises, also die Messung des Titers der neutralisierenden Antikörper als Marker für die Immunantwort bei einer Studien- und einer Referenzgruppe, wird als Immunobridging bezeichnet. Bei diesen Untersuchungen induzierten die angepassten Impfstoffe eine höhere Menge dieser Antikörper als die Originale – im Durchschnitt das 1,5-Fache. Jedoch: Was bedeutet ein derartiger Unterschied im wirklichen Leben? Bereits im Juli 2021 wurde eine Modellrechnung publiziert, die eine Korrelation zwischen dem Neutralisationstiter, also der Menge an neutralisierenden Antikörpern, und dem Schutz vor COVID-19 ermöglicht. Wird diese Modellrechnung auf die angepassten Impfstoffe angewendet, bietet ein Booster in einer Bevölkerung, bei der die Hälfte der Menschen entweder geimpft ist oder infiziert war, einen Schutz von 90% vor einer Erkrankung. Demgegenüber steht ein „nur“ 86%iger Schutz, wenn der Original-Impfstoff angewendet wird. Betrachtet man schwere COVID-19-Verläufe ist der Unterschied zwischen den Impfstoff-Varianten allerdings kleiner als 1%-Punkt. Übertragen auf die Bevölkerung würde das bedeuten, dass pro 1000 Personen etwa acht Menschen nicht ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen.
Die Zulassungsempfehlung für die bivalente Original/Omikron BA.4-5-Vakzine erfolgte in Analogie zu den vorgelegten Daten für den bereits zugelassenen Original/Omikron BA.1-Impfstoff. Daten aus Laborstudien zeigten neben der gleichen Qualität eine vergleichbare Immunogenität. Ergebnisse aus klinischen Studien liegen (noch) nicht vor.
Geimpfte weisen höhere Antikörpertiter gegen BA.2.75 auf als gegen BA.5
Die Coronavirus-Mutation BA.2.75 tauchte erstmals im Mai 2022 in Indien auf und ist dort derzeit für 30% der Infektionen verantwortlich. In mindestens 35 Ländern konnte diese Variante inzwischen nachgewiesen werden. In Deutschland spielt BA.2.75 bisher keine große Rolle, in der anstehenden Winterwelle kann sich das aber schnell ändern. Eine Studie der Universität Köln und der Berliner Charité hat sich die neutralisierenden Antikörper gegen BA.2.75 bei dreifach Geimpften angeschaut. Alle Impfungen erfolgten mit dem Vakzin Comirnaty von Biontech/Pfizer. Die Neutralisationstests überprüften, inwieweit Antikörper im Blut der Probanden das Spike-Protein binden können und damit ein zelluläres Eindringen verhindern. Die Antikörper der Geimpften wirkten besser gegen BA.2.75 als gegen BA.5. Außerdem wurden monoklonale SARS-CoV-2-Antikörper auf ihre Bindungsfähigkeit untersucht. Gegen die Mutationen BA.2, BA.4/5 und BA.2.12.1 konnten sie nichts anrichten, gegen BA.2.75 zeigten einige der 17 technisch hergestellten Antikörper eine nennenswerte Aktivität. Diese Ergebnisse könnten zu einer Behandlungsoption führen. Ein Forschungsteam am Duke University Medical Center in New York kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Sie analysierten Antikörpertiter nach Auffrischimpfung mit Spikevax von Moderna. Die Neutralisationstests ergaben bei BA.2.75 2,5-fach höhere Antikörpertiter als bei BA.5. Je höher die Titer, desto besser der Schutz. Die speziell an die Omikron-Variante angepassten Vakzine wurden in diesen Studien noch nicht berücksichtigt. Auch Aussagen zu T-Zellen lassen sich aus den Ergebnissen nicht ableiten. Das Immunflucht-Potenzial von BA.2.75 wird anhand der vorliegenden Mutationsstellen zum Wildtyp und der dargestellten Ergebnisse als gering eingestuft.
Was bedeutet eigentlich Impfstoff-Wirksamkeit?
Interessanterweise wird für das deutsche Wort „Wirksamkeit“ der Impfstoffe im Englischen zwischen „efficacy“ und „effectiveness“ unterschieden. Die WHO definiert die „efficacy“ als denjenigen Wert, der in kontrollierten klinischen Studien errechnet wird, wobei die Probanden des einen Studienarms das zu untersuchende Vakzin erhalten, während der andere Arm die Placebogruppe umfasst. Nach einer bestimmten Zeit wird verglichen, wie viele Probanden im jeweiligen Studienarm erkrankten und daraus der „efficacy“-Wert (VE, vaccine efficacy) berechnet.
Demgegenüber steht die „effectiveness“ für den Impferfolg in der normalen Bevölkerung und zeigt an, wie gut der Immunschutz gegenüber Infektionen, Erkrankungen und Hospitalisierung insgesamt ist. Dieser Wert lässt sich jedoch nur durch größer angelegte Beobachtungsstudien nach der Zulassung ermitteln. Die absoluten VE-Werte der in den verschiedenen klinischen Studien getesteten Impfstoffe lassen sich aber nicht unbedingt vergleichen, schließlich beeinflussen etliche Faktoren die Studienergebnisse:
- Studienpopulation: Sind Vorerkrankungen, Geschlecht, Altersgruppen und Virus-Expositionsmöglichkeiten gleich verteilt?
- Definition des Endpunkts: Nehmen die verschiedenen Studien den identischen Endpunkt (z. B. schwere Erkrankung) und ist dieser Endpunkt identisch definiert?
- Behandlungs-/Versorgungsverzerrung: Kann Erkrankten eine Therapie angeboten werden, sodass der Endpunkt „schwere Erkrankung“ nicht erreicht wird?
- Charakteristika des zirkulierenden Virus: Passt das zu testende Vakzin zum in der Studienregion zirkulierenden Virus-Typ?
- Infektionslast: Kommen in einer Studienregion plötzlich besonders viele Ansteckungen vor, die der Ausbildung einer Immunität entgegenlaufen?
- Zeitpunkt der Auswertung: Wurden die Ergebnisse zwei, drei oder vier Wochen nach der Impfung erhoben?
Man muss also schon sehr genau hinschauen, wie die Impfstudien durchgeführt wurden – der VE-Wert sagt nicht unbedingt aus, dass ein Impfstoff besser oder schlechter als der andere ist.
Fazit
Es ist sinnvoll und richtig, Impfstoffe – wo irgend möglich – an neue Virusvarianten anzupassen. Das funktioniert besonders schnell bei den mRNA-Vakzinen. Bisher wurde dieser Vorteil jedoch noch nicht ausgeschöpft. Es ist auch sinnvoll und richtig, sich mit einem angepassten Impfstoff boostern zu lassen, erst recht, wenn man höheren Alters ist oder zu einer anderen Risikogruppe gehört. Allerdings muss auf den entsprechenden zeitlichen Abstand geachtet werden: Derzeit wird empfohlen, sechs Monate zwischen den Booster-Impfungen verstreichen zu lassen. Das „Katz-und-Maus-Spiel“ mit neuen Virusvarianten und angepassten Impfstoffen wird uns wohl noch weiter begleiten. Es schadet aber keinesfalls, sich noch mal mit dem Original-Impfstoff boostern zu lassen. Die in den Studien gezeigten Unterschiede sind gering (s. Abb. 2, 3), und ob sie tatsächlich für den Einzelnen relevant sind, ist fraglich. |
Literatur
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