Gesundheitspolitik

Rezeptpflicht ist keine Lösung

BAH-Diskussionsveranstaltung befasst sich mit EU-Plänen für antimikrobielle Wirkstoffe

ks | Der von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag für die Revision des europäischen Arzneimittelrechts sieht u. a. vor, Arzneimittel mit antimikrobiellen Wirkstoffen künftig der Verschreibungspflicht zu unterstellen. Darunter fallen auch Antimykotika und Virostatika sowie Antiseptika und damit eine Reihe in der Selbstmedikation etablierte Arzneimittel, etwa gegen Lippenherpes oder Nagelpilz. Ist dies wirklich ein Weg, Antibiotikaresistenzen einzudämmen? Oder gäbe es Alternativen? Damit befasste sich eine Veranstaltung des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) anlässlich des Europäischen Antibiotika-Tags.

Niemand wird es leugnen: Antibiotikaresistenzen sind eine Gefahr und müssen bekämpft werden. Der BAH ist jedoch überzeugt: Die Pläne der Kommission schießen über das Ziel hinaus, wenn nun auch langjährig bewährte OTC-Produkte, zumal solche, die topisch anzuwenden sind, rezeptpflichtig werden sollen. Zum Beispiel Canesten, Neo-Angin oder Octenisept würden dann nur nach einem Arztbesuch erhältlich sein. Der BAH mahnte bereits im Frühsommer, dass eine solche Rezeptpflicht nicht nur Mehrarbeit für Ärzte mit sich bringen, sondern auch die Kosten für die Krankenkassen in die Höhe treiben werde.

Damit steht der BAH nicht alleine, wie am vergangenen Donnerstag bei einer Diskussionsrunde zum Thema „Revision der EU-Arzneimittelgesetzgebung – Mittel gegen Lippenherpes und Pilzerkrankungen künftig nur noch auf Rezept?“ deutlich wurde.

Thomas Heil von IQVIA gab zunächst einen Überblick über den Markt antimikrobieller Arzneimittel, zeigte aber auch auf, wie Apotheken diesen sehen: Von 100 befragten Apotheker:innen erklärten 90, sicher in der Beratung zu antimikrobiellen Präparaten zu sein. Sie bezweifeln jedoch, dass es die nötige Aufklärung auch beim Kauf über den Versandhandel gibt. Für Heil ist daher überlegenswert, die Produkte eher aus dem Versandhandel zu verbannen als sie der Rezeptpflicht zu unterstellen. Bislang gibt es nur ein einziges OTC-Präparat, das nicht versendet werden darf: die Pille danach.

PoC-Tests in der Apotheke?

Esther Wohlfarth von der Anti­infectives Intelligence GmbH gab einen Überblick über Resistenzentwicklungen gegen antimikrobielle Wirkstoffe. Dabei trennte sie systemische und topische Arzneimittel und kam zum Fazit: Eine Rezeptpflicht für diese Mittel sei wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen. Vor allem nicht für topisch anzuwendende Präparate. Allerdings müssten Patient:innen sen­sibilisiert und ein regelmäßiges Monitoring durchgeführt werden. Tina Peiter von Reckitt Benckiser berichtete über die Möglichkeiten von Point-of-Care-Tests gegen Streptokokken. Mit ihrer Hilfe ließen sich viele Antibiotikaverordnungen vermeiden – sofern man sich an die Testergebnisse hält. Niederschwellig könnten solche Tests in Apotheken angeboten werden, findet Peiter. In der Pandemie haben diese schließlich Erfahrungen mit PoC-Coronatests gesammelt.

Nach diesem Aufschlag diskutierten ABDA-Vize Matthias Arnold, Ute Leonhardt vom Ersatzkassenverband vdek und Marijke Ehlers von der für Arzneimittel zuständigen Abteilung des Bundesgesundheitsministeriums mit Elmar Kroth, Geschäftsführer Wissenschaft des BAH, und BAH-Hauptgeschäftsführer Hubertus Cranz. Sie waren sich einig: Die EU-Kommission hat sich mit ihrem Vorschlag zur Rezeptpflicht sehr weit vorgewagt. Ehlers drückte sich vorsichtig aus. In dem umfangreichen Kommissions-Paket sei dies eine der Regelungen, die derzeit noch geprüft werde. Vom Tisch sei sie noch nicht, so Ehlers, aber man könne darüber nachdenken, ob man möglicherweise nur systemische Arzneimittel erfassen will – und keine für die topische Anwendung. Cranz erinnerte daran, dass Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, im Juni gesagt hatte, aus seiner Sicht schieße die Regelung über das Ziel hinaus, Antibiotikaresistenzen zu bekämpfen.

Formulierung kein Versehen

Cranz sagte, anfänglich hätten viele gemeint, es handele sich um ein Versehen der Kommission – man habe statt „antibiotischer“ „antimikrobieller“ Wirkstoff geschrieben. Arnold konnte das nur bestätigen: Sowohl bei der ABDA als auch beim europäischen Apothekerverband PGEU sei man zunächst davon ausgegangen, jemand habe sich verschrieben. Doch so ist es nicht. Arnold zeigte sich überzeugt, dass in Apotheken gut und verantwortungsbewusst beraten werde. Resistenzen seien auch nicht erst seit zwei Jahren ein wichtiges Thema in Fortbildungen für Pharmazeut:innen.

Selbst Kassenvertreterin Leonhardt räumte ein, dass die EU-Pläne in dieser Art medizinisch nicht sinnvoll seien. Eine Zwei-Gramm-Tube unter Rezeptpflicht zu stellen, helfe nicht, Resistenzen zu vermeiden. Eine Erstattung von PoC-Tests sei aber auch kein Allheilmittel. Vor allem seien diese nicht so aussagesicher – anders als Labortests, die schon jetzt auf Kassenkosten möglich seien. Arnold erklärte zwar, dass die Apotheken sich sicher nicht wehren würden, PoC-Tests durchzuführen. Allerdings sei ein Schnelltest auf Streptokokken nicht so eindeutig wie etwa ein Coronatest. Es müsse in Leitlinien klargestellt werden, wie Apotheker:innen agieren sollen, wenn es zu einem positiven Testergebnis kommt. |

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