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Modellprojekt

Impfen üben

An Hightech-Puppe zu trainieren, verleiht Notfallkompetenz und Sicherheit

Apothekerinnen und Apotheker sind es gewohnt, dass ein Tresen Abstand zwischen ihnen und den Patienten ist. Seit Mai letzten Jahres darf studiertes Apothekenpersonal Grippeschutzimpfungen verabreichen, die nicht nur durch die Patientennähe, sondern auch durch etwaig auftretende Notfallsituationen eine Schulung erfordern. An der Universität Düsseldorf wurde ein besonderes Trainingsprogramm erprobt, um Apothekerinnen und Apotheker für die Impfung fit zu machen. | Von Shahzad Ahmad Sayyed und Stephanie Läer 

Eine Influenzainfektion ist vor allem für ältere Personen ab 60 Jahren gefährlich. Daher empfehlen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Europäische Union (EU) eine Impfung für diese Personengruppe [1]. Im Jahr 2020 starben in Deutschland 1307 Menschen an einer Influenzainfektion, von denen 88% über 60 Jahre alt waren [2]. Da laut Robert Koch-Institut in der Grippesaison 2020/21 die Impfung nur 47% der Personen ab 60 Jahren erreicht hat [3], gibt es viel Bedarf an Aufklärung und Schutzimpfungen. Dabei sollen Apotheker und Apothekerinnen seit 2020 helfen. In einigen Regionen Deutschlands und mit ausgewählten Krankenkassen wurde ein Modellprojekt zur Grippeimpfung in der Vor-Ort-Apotheke durchgeführt. Im Mai 2022 überführte die Bundesregierung die Grippeschutzimpfung in der Apotheke in die Regelversorgung. Ebenso wurden Apothekerinnen und Apotheker in die Impfkampagne zur Bekämpfung der Corona-Pandemie durch die Regierung einbezogen, um den immensen Bedarf an Impfungen in der Bevölkerung schnellstmöglich abzudecken. Dadurch geriet die heilberufliche Aufgabe der Apotheken ins Blickfeld der Bürger und hob die Wichtigkeit der Offizinen im Gesundheitssystem hervor.

International bereits Standard

Im internationalen Vergleich ist das Impfen in der Apotheke keine Neuheit. In den USA beispielsweise wurde schon 1996 in 14 Staaten die Erlaubnis zur Grippeimpfung durch Apotheken erteilt [4]. In Europa führte Großbritannien bereits 2002 die Impfung in der Apotheke ein. Dabei belegen Statistiken, dass durch die Einbeziehung der Apotheker in die Impfung erhöhte Impfraten und eine bessere Aufklärung der Bevölkerung erzielt wurden [5, 6, 7]. Apotheken gelten als die am einfachsten zugänglichen Gesundheitsdienst­leister, wobei besonders solche Personengruppen erreicht werden, die dem herkömmlichen System entgleiten.

Kritik aus der Ärzteschaft

Seit Einführung der Impfung durch Apotheker und Apothekerinnen in Deutschland sind dazu kritische Stimmen vor allem aus der Ärzteschaft laut geworden. Diese belegen ihren Standpunkt damit, dass die Pharmazeuten und Pharmazeutinnen durch ihr Studium nicht ausreichend für die heilberufliche Tätigkeit des Impfens ausgebildet werden. Zurzeit muss daher auch eine ärztlich geführte Schulung absolviert werden, die sowohl die Patienteneignung und -aufklärung als auch praktische Übungen beinhaltet. Im praktischen Teil schnallt sich eine Person eine Attrappe aus einer Plastikstruktur um den Oberarm, die Gewebe simulieren soll (s. Abb. 1). Dieses Standardtraining wird in der Fachsprache auch als Training mit Low-Fidelity-Simulatoren (LFS) bezeichnet. Im Standardtraining darf darüber hinaus einem Schulungsteilnehmer eine einmalige „Impfung“ mit isotonischer Kochsalzlösung nach Einwilligung injiziert werden. Zusätzlich findet ein Notfalltraining statt. Das Problem bei diesen Standardtrainings besteht darin, dass für manche Apotheker und Apothekerinnen eine solche Übung nicht ausreichend ist, um sich an die körperliche Nähe zu einem Impfling zu gewöhnen sowie die invasive Handlung des Impfens durchzuführen oder gar potenzielle Notfallsituationen des Patienten zu erkennen und darauf richtig zu reagieren.

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Abb. 1: Impfen muss man können Low-Fidelity-Simulator (LFS) mit Plastikattrappe am Oberarm, um die Injektion einer Impfung zu üben.

Impftraining an der Heinrich-Heine-Universität

Um zukünftige Apotheker und Apothekerinnen auf die neue Aufgabe des Impfens gut vorzubereiten, hat das Institut für Klinische Pharmazie und Pharmakotherapie an der Heinrich-Heine-Universität einen Trainingskurs entwickelt, welcher alle relevanten Schritte zum Impfprozess beinhaltet und darüber hinaus die oben genannten Probleme in den Blick nimmt und darauf eingeht.

Relevant dafür ist die Zuhilfenahme eines High-Fidelity-Simulators (HFS). Damit soll insbesondere die Reaktion auf mögliche Notfallsituationen trainiert werden [8]. Ein HFS ist eine lebensgroße Puppe, die über eine Software gesteuert wird (s. Abb. 2). Dabei lassen sich verschiedene Vitalparameter wie Blutdruck, Puls oder Atemfrequenz einstellen. Über ein integriertes Mikrofon kann über die Puppe gesprochen werden. Die HFS gilt daher als eine gute Möglichkeit, klinische Fähigkeiten in einer risikoarmen Lernatmosphäre effektiv zu vermitteln. Mehrere Studien belegen, dass durch die Nutzung der HFS in der Medizin signifikant bessere Lernergebnisse erzielt werden [8]. In den USA werden auch in der Ausbildung von Krankenschwestern oder Pharmaziestudierenden für andere klinische Fragestellungen HFS-Systeme erfolgreich eingesetzt [8].

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Abb. 2: Sicheres Training mit Dummy High-Fidelity-Simulator (HFS) mit Software zur Übung einer Impfung für die Trainingsgruppe.

Um wissenschaftlich zu untermauern, dass dieses Training mit dem HFS auch wirksam Notfallsituationen trainiert und subjektiv die Sicherheit im Umgang mit der Impfapplikation verbessert, wurde eine randomisierte Studie mit den zukünftigen jungen Apothekerinnen und Apothekern durchgeführt. Hierbei wurde das Standardtraining mit dem LFS – hier als „LFS-Standardtraining“ bezeichnet – hinsichtlich der Änderung in Leistung, Wissen und Selbsteinschätzung mit dem Simulationstraining unter Zuhilfenahme eines HFS – hier als HFS-Training bezeichnet – verglichen [8]. Allen Studienteilnehmern wurde zunächst ein Lehrvortrag zu dem Thema „Influenza und Impfen in der Apotheke“ gehalten, und die Studierenden wurden über die Studie ausführlich aufgeklärt. Zweiundvierzig Pharmaziestudierende des achten Semesters gaben ihr Einverständnis zur Teil­nahme an der Studie und wurden dann zufällig in die LFS-Standardgruppe oder die HFS-Trainingsgruppe randomisiert. Dabei wurden die praktischen Inhalte in der HFS-Trainingsgruppe mit dem High-Fidelity-Simulator beigebracht, in der LFS-Standardgruppe mit der Plastikattrappe am Oberarm (s. Abb. 1 und 2).

Für einen Vorher-Nachher-Vergleich absolvierten alle Teilnehmer jeweils eine objektive strukturierte klinische Prüfung vor und nach den jeweiligen Trainingssitzungen. Dabei wurden die Aufklärung, die praktische Impfung und die Einleitung von Notfallsituationen mit einer Punkteliste beurteilt, die dann für den statistischen Vergleich zwischen dem LFS-Standardtraining und dem HFS-Training genutzt wurde. Zusätzlich sollten die Teilnehmer ihre Fähigkeiten und ihr Selbstvertrauen im Umgang mit dem Patienten in den Notfallsituationen in einem Fragebogen angeben.

Dummy besser als Armbinde

Im Ergebnis erzielten die Teilnehmenden des LFS-Standardtrainings und des HFS-Trainings einen guten Leistungs­anstieg im Impfprozess. Vor allem bei der praktischen Impfgabe, also von Hygienemaßnahmen bis hin zur korrekten Injektion der Nadel, waren die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des HFS-Trainings besser. Besonders hervorzuheben ist, dass die Übenden der HFS-Gruppe die Notfallsituationen rechtzeitig erkannt und die notwendigen Maßnahmen eingeleitet haben. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit LFS-Standardtraining hatten hierbei Schwierigkeiten. Bemerkenswert war, dass jeder einzelne Teilnehmende der HFS-Trainingsgruppe sich verbesserte. Jeder hatte etwas dazugelernt. Nach ihrer Selbsteinschätzung gefragt, gaben alle an, dass sie sich in der Lage fühlten, eine Impfung in der Apotheke durchzuführen. Auffällig war jedoch, dass trotz des Trainings der Notsituationen alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen sich noch mehr Training für die Sicherheit in einer Notfallsituation wünschten.

Die wissenschaftliche Untersuchung zeigte, dass durch HFS-Simulationstraining klinische Fähigkeiten wie die Injektion einer Spritze und auch Blutdruckmessung in Not­situationen in einer realitätsnahen und risikoarmen Umgebung besonders gut trainiert werden können. Die Trainingsteilnehmenden fühlten sich gut vorbereitet für den nächsten Schritt am realen Patienten. Ebenso hatten die teilnehmenden Apothekerinnen und Apotheker sichtlich Freude an der Arbeit mit dem High-Fidelity-Simulator. In ersten Schritten können Ängste und Unsicherheiten im Umgang mit Patienten in den Blick genommen und in einer sicheren Umgebung thematisiert werden. Eine pharmazeutische Dienstleistung wie eine Impfung in der Apotheke sollte bereits im Studium trainiert werden, um einen direkten Patientenkontakt ohne Scheu und mit selbstverständlicher, professioneller Haltung von vorneherein zu erlernen. Durch unsere Arbeit mit dem HFS-Simulator mit den Pharmaziestudierenden sind wir zu dem Schluss gekommen, dass High-Fidelity-Simulationen Einzug in die Ausbildung für das Training von körpernahen pharmazeutischen Dienstleistungen halten sollten. |

Literatur

[1] World Health Organisation. Seasonal influenza vaccines: an overview for decision-makers. https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/336951/9789240010154-eng.pdf

[2] Gesundheitsberichtserstattung des Bundes. Todesursachenstatistik: Gestorbene: Deutschland, Jahre, Todesursachen, Geschlecht. 2022, www-genesis.destatis.de/genesis/online?operation=previous&levelindex=1&step=1&titel=Ergebnis&levelid=1682322315289&acceptscookies=false#abreadcrumb

[3] Rieck T et al. Impfquoten bei Erwachsenen in Deutschland – Aktuelles aus der KV-Impfsurveillance und der Onlinebefragung von Krankenhauspersonal OKaPII. Robert Koch-Institut, 2020

[4] Rosado H et al. An overview of current pharmacy impact on immunisation: a global report. International Pharmaceutical Federation, 2016, www.fip.org/files/fip/publications/FIP_report_on_Immunisa­tion.pdf

[5] Isenor JE et al. Impact of pharmacists as immunizers on vaccination rates: A systematic review and meta-analysis. Vaccine 2016,34,5708-5723, doi:10.1016/j.vaccine.2016.08.085

[6] The Pharmaceutical Society of Ireland. Report on the Evaluation of the Seasonal Influenza Vaccination Service in Pharmacy 2014/2015, 2015, www.thepsi.ie/Libraries/Pharmacy_Practice/PSI_2014_15_Report_on_Seasonal_Influenza_Vaccination_Service.sflb.ashx

[7] Czech M et al. Flu Vaccinations in Pharmacies-A Review of Pharmacists Fighting Pandemics and Infectious Diseases. Int J Environ Res Public Health, 2020, doi:10.3390/ijerph17217945

[8] Sayyed SA et al. Development and Assessment of Innovative High-Fidelity Simulation Vaccination Course Integrating Emergency Cases for Pharmacy Undergraduates-A Randomized Controlled Study. Vaccines, 2023, doi:10.3390/vaccines11020324

Autoren

Shahzad Ahmad Sayyed, Apotheker und Doktorand am Institut für Klinische Pharmazie und Pharmakotherapie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Prof. Dr. Stephanie Läer, Leiterin des Instituts für klinische Pharmazie und Pharmakotherapie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

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