Interpharm 2023

Kindgerecht kann kinderleicht sein

Pädiatrische Arzneimittel in der Apotheke herstellen

jr/dm | Die Herstellung pädiatrischer Rezepturen beziehungsweise deren Plausibilitätsprüfung kann in der Apotheke zu einer äußerst komplexen Aufgabe werden. Apotheker Dr. Andreas S. Ziegler und Apothekerin Nadine Metzger verdeutlichten auf der Interpharm in Göttingen aber nicht nur, welche Fragen dabei aufkommen können – sondern lieferten auch zahlreiche Antworten und einfache Hilfsmittel für den praktischen Apothekenalltag.

Für die Wirkstoff-Eignungsprüfung kann die Internetseite kinderformularium.de genutzt werden. Dort findet man nicht nur die zugelassenen Dosierungsempfehlungen nach Alter, sondern auch Hinweise zu problematischen Hilfsstoffen. Für die neuesten (Sicherheits-)Erkenntnisse empfiehlt Apothekerin Metzger zudem eine „Google-Suche“, um aktuelle Meldungen der Fachmedien im Blick zu behalten. Nicht zu vergessen ist ein Blick in das Standardwerk der „Pädiatrischen Dosistabellen“. Ziegler machte anhand des Wirkstoffs Hydrochlorothiazid allerdings deutlich, dass eine Dosierungsbeurteilung ohne Indikation nicht möglich ist.

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Andreas S. Ziegler sensibilisierte die Zuhörer dafür, bei pädiatrischen Rezepturen auf die Hilfsstoffe zu achten.

Auf das Anwendungs­volumen achten

Bei der Wahl der Darreichungsform geht es nicht nur um „fest oder flüssig?“ und damit verbundene galenische Fragestellungen, sondern auch darum, wie gut Eltern und Kind im Alltag mit dem Arzneimittel zurechtkommen. Während jede Apothekerin und jeder Apotheker weiß, dass Kinder erst ab einem gewissen Alter Tabletten oder Kapseln schlucken können, dürfte weniger präsent sein, dass auch bei flüssigen Darreichungsformen auf die Applizierbarkeit zu achten ist. Denn es gilt allgemein die Faustregel: Für Kinder unter fünf Jahren sollte das Einnahme­volumen maximal 5 ml betragen, bei Kindern über fünf Jahren 10 ml. Die Wirkstoffkonzentration ist also entsprechend anzupassen.

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Nadine Metzger betonte, dass auch psychologische und kulturelle Faktoren bei der Auswahl der Darreichungsform wichtig sind.


Und selbst bei dermalen Zubereitungen ist auf das korrekte Anwendungsvolumen hinzuweisen – nicht nur bei Kindern: In der Basistherapie der Neurodermitis werden laut Ziegler von niedergelassenen Praxen häufig viel zu geringe Mengen verordnet. Als Richtwert bei der Applikation gilt nämlich die sogenannte Fingerspitzeneinheit, was circa 0,5 g einer Basispflege entspricht. Zur Verdeutlichung: Muss der gesamte Oberkörper eines Kindes eingecremt werden (ohne Kopf) würden ganze 405 g pro Monat benötigt, so Ziegler. Metzger betonte, neben Stabilitäts- und Löslichkeitsfragen, auch an die Toxizität des Wirkstoffs zu denken, etwa wenn Eltern zu Hause Kapseln öffnen müssten. Außerdem ist neben den Wirkstoffen insbesondere an kritische oder für Kinder ungeeignete Hilfsstoffe zu denken.

Quellen für die Hilfsstoff-­Eignungsprüfung

Um Hilfsstoffe auf die kindgerechte Eignung zu prüfen, kann die STEP-(Safety and Toxicity of Excipients for Pediatrics)-Datenbank herangezogen werden. Es handelt sich dabei um eine systematische Sammlung von Studien – eine Initiative der „European Pediatric Formulation Initiative” (EuPFI). Aber auch ein Blick in die ABDA-Datenbank kann einem hinsichtlich der Hilfsstoffe viel individuelle Recherchearbeit sparen. Zwar werden die Anwendungshinweise in den Fachinformationen vom Wirkstoff dominiert, dennoch können sie Orientierung bieten. Wer es genauer wissen will, wirft zudem einen Blick in die „Besonderheitenliste“ des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Darüber wird nämlich geregelt, welche Hilfsstoff-Hinweise in die Produktinformationen aufgenommen werden müssen. Wer nun denkt „kinderleicht“ ist all das nicht, für den sei das Buch „Formularium paediatricum“ empfohlen, darin finden sich 70 Monographien zu geprüften Standardrezepturen, bei denen man sich um all die hier aufgeführten Problemstellungen nicht zu sorgen braucht.

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Diese Fragen sollten sich Apotheker vor einer pädiatrischen Rezeptur stellen.

Warum die Osmolalität so wichtig ist

Ein wohl zu wenig berücksichtigter Aspekt bei der Rezeptur-Herstellung für Kinder ist die Osmolalität: Ziegler machte deutlich, dass ein zu hoher osmotischer Druck in oralen Zubereitungen bei Frühgeborenen, Neugeborenen und Kleinkindern zu ernsthaften Konsequenzen führen kann: Krämpfe, Diarrhöen bis hin zu nekrotisierender Enterokolitis. Eine solche Darmnekrose könne zur Sepsis führen und sei der häufigste gastrointestinale Notfall in der Neonatologie. Auch wenn die Angaben in der Literatur variieren, als Optimum gelte eine Osmolalität ≤ 350 mosmol/kg. Für die Praxis bedeutet das, dass auch klassische Suspensionsgrundlagen in der pädiatrischen Rezeptur hinsichtlich ihrer Osmolalität zu hinterfragen sind. „SyrSpend® SF PH4 (NEO)” beispielsweise ist mit einer niedrigen Osmolalität extra für die Neonatologie konzipiert. Ein weiterer Praxis-Tipp: Oft lassen sich hyper­osmolare Rezepturen durch Austausch des Süßungsmittels korrigieren. |

 

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