Interpharm 2023

Problematische Schmerzgele

Auswirkungen und Toxizität von Arzneimitteln auf die Umwelt

rs | Viele auf Stabilität und Wirksamkeit optimierte Arzneistoffe werden zum Großteil unverändert ausgeschieden, gelangen in Flüsse und Seen, Klärschlamm und Böden. Dort können sie die gleichen Wirkungen und Nebenwirkungen auf Tiere, Pflanzen und verschiedenste Organismen haben. Unter den problematischen Stoffen fällt das viel gebrauchte Diclofenac auf, dessen Umwelteintrag sich bei richtiger Indikation und Anwendung des Gels zumindest reduzieren ließe, erklärte Dr. Gerd Maack vom Fachgebiet Arznei­mittel des Umwelt­bundesamtes, Dessau.
Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Gerd Maack


Auswertungen des Umweltbundesamtes (UBA) belegen für heimische Oberflächengewässer seit Jahren hohe Konzentrationen von Röntgenkontrastmitteln, Diclo­fenac, Carbamazepin, Lipidsenkern und Betablockern. Als problematisch für die Umwelt gelten zudem Antibiotika, Antidepressiva und endokrin wirksame Arzneimittel. So zerstören Antibio­tika Bakterien, die in Klär­anlagen gebraucht werden. Estrogenartige Substanzen zur Ver­hütung und Hormonersatztherapie greifen in das Hormonsystem praktisch aller Tiere ein und können sie verweiblichen. Läusemittel töten auch Würmer, Protozoen und Insekten. Schmerzmittel und Antidepressiva aus den Abwässern von Kreuzfahrtschiffen finden sich in arktischen Gewässern, wo sie sich kaum zersetzen.

Unter den in Deutschland gebrauchten Arzneimitteln mit Relevanz für ein Umweltmonitoring gemäß den Krite­rien der Europäischen ArzneimittelAgentur (EMA) dominiert das Anti­diabetikum Metformin mit einem Jahresverbrauch von 1805 Tonnen. Mengenmäßig folgen Analgetika: Ibuprofen (1262 t), Metamizol (846 t), ASS (491 t), Paracetamol (437 t). Die Zahlen aus 2016 zeigen eine weiter steigende Tendenz. Der Rhein trägt jährlich über 13 t unmetabolisiertes Metformin ins Meer.

Umgang mit Diclofenac optimieren

Im Fall von Diclofenac ist die in Oberflächengewässern gemessene Konzentration mit circa 4 µg/l zehnmal höher als die für Tiere und Pflanzen potenziell schädliche Konzentration. Nach oraler Aufnahme wird Diclofenac verstoffwechselt, ein geringer Teil gelangt unverändert über den Urin in die Umwelt. Übliche Kläranlagen filtern es nicht heraus. Bei der topischen Anwendung hingegen werden nur 6% des Wirkstoffs über die Haut aufgenommen, der Rest landet wiederum im Abwasser. Gleiches geschieht mit dem Gel, das nach dem Auftragen von den Händen abgewaschen wird. Eine simple und effektive Maßnahme ist, die Hände nach dem Auftragen des Gels mit einem Papiertuch abzuwischen, das dann in den Restmüll (nicht in die Toilette) gegeben wird. Das Abwischen reduziert den Diclofenac-Gehalt im zum Händewaschen verwendeten Wasser um 66%. Die entsprechende Empfehlung hat Eingang in den Beipackzettel von Voltaren Gel gefunden (nicht aber in die Fachinformation). Auch nicht bestimmungsgemäße Anwendungen von Diclofenac spielen eine Rolle, zum Beispiel wenn zu viel Wirkstoff aufgetragen oder dieser zu früh ab­gewaschen wird. Oder wenn Sportler Diclofenac vorbeugend ohne Indi­kation anwenden, um Schmerzen zu vermeiden.

Verschreibungspflicht für Schmerzgele?

Seit 1. Dezember 2006 müssen Hersteller von Humanarzneimitteln im Rahmen der Zulassung eine Umweltrisikobewertung vornehmen. Ein so­genanntes ERA (Environmental Risk Assessment) wird in Deutschland vom Umweltbundesamt überprüft und bewertet. Ältere Arzneistoffe wie Metformin und viele Analgetika haben dieses Verfahren nicht durchlaufen. Der Umwelteintrag von Diclofenac steigt mit dem zunehmenden Absatz der Schmerzgels: Während der Gesamtverbrauch von 2011 bis 2021 von 89 auf 78 Tonnen jährlich sank, verdoppelte sich der Anteil der topischen Zubereitungen von 26 auf 51 Tonnen. Bei ihnen rät Maack, über eine Verschreibungspflicht nachzudenken oder zumindest, wie in Schweden seit März dieses Jahres, über eine Rücknahme aus der Freiwahl und eine Beratungspflicht. |

 

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