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„Wir sind viele, wir sind laut ...“
Apothekenprotesttag – Eindrücke vom Protestmarsch in Berlin
Kurz nach elf am Potsdamer Platz in Berlin: Kleine Gruppen von Frauen in weißen Kitteln schlendern herum, einige tragen Schilder mit sich, man kann nicht erkennen, was darauf geschrieben steht. Im ersten Augenblick könnte man meinen, hier wird sehr gesittet Junggesellinnenabschied gefeiert – allerdings in großem Stil. Bald tauchen jedoch auch Männer auf – ebenfalls in weißen Kitteln – und nun ist klar: Hier versammeln sich Apothekenteams aus ganz Deutschland, um am Protestmarsch in der Hauptstadt teilzunehmen.
Alle geschlossen!
Die Apotheken in der Umgebung haben ausnahmslos geschlossen: die Apotheke am Brandenburger Tor, die Apotheke im Regierungsviertel, auch am Potsdamer Platz die Pluspunkt Apotheke. Klagende Kunden stehen keine davor. Sie sind im Vorfeld offenbar ausgiebig über den Protest aufgeklärt worden. In Mitte gibt es nur eine Apotheke, die Notdienst schiebt: die Apotheke am Rosa-Luxemburg-Platz. Ein wenig in Sorge, dass es einen Ansturm geben könnte, seien sie schon, sagten die Mitarbeiterinnen gegen halb zehn. Es werde Verstärkung aus einer der anderen Filialen geben, die geschlossen seien. Vor sich hatten die Mitarbeiterinnen einen Zettel liegen, auf dem die Apotheken aufgeführt waren, die in den anderen Bezirken Notdienst schoben. Für alle Fälle.
Laut Angaben des Berliner Apothekervereins waren am 14. Juni 90 Prozent aller Apotheken in der Hauptstadt dicht. Bundesweit sollen es der ABDA zufolge 86 Prozent gewesen sein. Allein in Düsseldorf waren 7500 Apothekerinnen und Apotheker und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Straße gegangen. Auch in weiteren Städten machten sie auf die gefährdete Arzneimittelversorgung und die verfehlte Gesundheitspolitik der Bundesregierung aufmerksam.
Kreativer Protest
Zurück in Berlin: Der Potsdamer Platz füllt sich. Stephan Torke, Inhaber einer Apotheke im sächsischen Freital, steht auf dem Demowagen und macht Stimmung. Es läuft Musik, zwischendurch gibt es Sprechchöre. Vor dem Wagen liegen stapelweise Schilder. Die brauchen viele Apothekenteams aber überhaupt nicht. Sie haben ihr eigenes Material mitgebracht. Beispielsweise die Teams der Premium Apotheken in Berlin. Sie haben sogar T-Shirts gemacht für die Demo: „Weil wir unseren Beruf lieben“, steht darauf. Es sei ein gutes Gefühl, demonstrieren zu gehen, sagen die Mitarbeiterinnen. Eine Apothekerin aus Gosslar im Harz trägt ein Oktopus-Kostüm. „Naja, ich brauche acht Arme, wir arbeiten uns halbtot“, sagt sie. Erst Corona, man habe sich den Mund fusselig geredet, jetzt die Lieferengpässe: „Das fällt uns auf den Kopf.“
Langsam setzt sich der Demozug in Bewegung. Erste vorsichtige Schätzung: Es sind mehr als 1000 Menschen gekommen. Vor der Mall of Berlin steht ein älteres Pärchen, ungläubig schauen sie den Protestierenden hinterher. „Es ist wohl Klagen auf hohem Niveau“, sagt die Frau, die mit ihrem Mann zu Besuch in der Hauptstadt ist. Aber sie ist „erstaunt“, dass auch der Mittelstand nun schon auf die Straße geht. Sie weiß nicht genau, worum es sich dreht, muss sie zugeben. „Komisch, dass man da nicht richtig informiert ist, dass man darüber vorher nichts gehört hat.“ Er pflichtet bei. „Man müsste genauer wissen, was die Apotheker wollen. Was soll Entbürokratisierung genau heißen?“, fragt er.
Mit „Highway to Hell“ zum Gesundheitsminister
Am Bundesrat vorbei wird vom Demowagen erst einmal gelobt, dass die Länder besser verstanden haben als der Bund, wie schlecht es den Apotheken geht. Als die Aufforderung vom Wagen kommt, vor dem benachbarten Finanzministerium zu stoppen, um Christian Lindner die Meinung zu geigen, geht das aus irgendeinem Grund nicht, die Karawane zieht weiter. Derweil wird weiterhin laut Musik gespielt: die Ärzte zum Beispiel oder AC/DC mit Highway to Hell. Auf der Wilhelmstraße steht ein etwa 40-jähriger Mann und klatscht, als der Zug vorbeikommt. „Meine Freundin ist PTA, ich weiß, was bei denen los ist. Das brauchen sie mir nicht zu erklären. Ich bin voll bei denen hier“, sagt er. Überhaupt säumen viele Menschen den Demoweg. Es sind offensichtlich auch viele Touristen unter ihnen. Verblüfft stehen sie da, nehmen ihr Handy und filmen, kann man zu Hause wieder etwas von der Reise nach Berlin erzählen. So viele Apothekerinnen und Apotheker in weißen Kitteln sieht man schließlich selten – vor allem nicht mit Trillerpfeifen und Trommeln protestieren.
Lauterbach reagiert mit Tweet
Vor dem Bundesgesundheitsministerium dann ein etwas längerer Stopp. Die Vordersten im Zug mit dem Banner wenden sich dem Eingangstor zu. Die Menge skandiert, einige Polizisten schauen sich die Situation an, ihren Angaben zufolge sind es nun 3800 Teilnehmer. Es wird ein wenig Platz gemacht, damit auch die weiter hinten sich vor dem BMG positionieren, Bilder machen können.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach twittert ein Bild von dem Protestzug vor dem Gebäude und schreibt dazu „Großer Apotheker-Streik vor meinem Büro. Sie skandieren ‚… wir sind viele, wir sind laut, weil er uns die Kohle klaut …‘“. Das wirkt, allerdings wohl nicht ganz so, wie Lauterbach sich das vorgestellt hat. Denn unter dem Tweet tummeln sich viele Empörte, mit den Apothekern Sympathisierende. Einige Schlauberger schreiben aber auch, dass sich ihr Apotheker erst vor Kurzem einen Porsche gekauft hat … Die ABDA stellt auf Twitter zu Lauterbachs Tweet klar: „Falsch. ‚… uns die Zukunft klaut!‘ Das rufen wir! Sie sehen also, es geht uns nicht nur ums Geld, sondern um die Patientenversorgung! Wir hoffen, dass Sie das irgendwann verstehen!“
Weiter geht es, der Zug überquert den weitflächig abgesperrten Boulevard „Unter den Linden“. An der Ecke Friedrichstraße ein paar Halbstarke – vielleicht auf Klassenfahrt in der Bundeshauptstadt. Einer zückt sein Handy: „Die armen Apotheker. Müssen die heute nicht arbeiten?“ Die anderen lachen. Auch auf der Friedrichstraße machen die weißen Kittel Eindruck. Als es unter der S-Bahn-Brücke durchgeht, werden die Rufe noch etwas lauter, der Hall verstärkt die Stimmen. Oben auf der Brücke stehen Bauarbeiter in orangenen Westen, rauchen ihre Zigaretten und schauen sich den Trubel an.
„Abrissbirne der Gesundheitsversorgung“
Vom Wagen ertönen jetzt wieder „Die Ärzte“: „Junge! Warum hast Du nichts gelernt?“ Einige Meter weiter trägt Herr Rüter ein Plakat, auf dem Lauterbach sich lasziv auf einer Abrissbirne räkelt. Der Text dazu: „Abrissbirne der Gesundheitsversorgung“. Er ist Inhaber der Kaiser-Otto-Apotheke in Magdeburg und zwei weiterer. Seinen Mitarbeitern hat er die Fahrt nach Berlin bezahlt. „Ich bin baff“, sagt er. Mit so vielen Teilnehmern am Protest in Berlin hätte er nicht gerechnet. Aber es sei wichtig, dass die mediale Öffentlichkeit geschaffen wird. Die Bevölkerung müsste endlich Bescheid wissen, dass es eine Lüge ist, dass es kein Geld für Gesundheit gebe – und sie sollen wissen, dass am Ende immer bei den Apotheken gekürzt wird.
An der Charité vorbei geht es nun zum Invalidenpark, hier findet die Schlusskundgebung statt. Der Platz neben dem Wirtschaftsministerium füllt sich. „Einfach irre“, sagt Anke Rüdinger, Vorsitzende des Berliner Apothekervereins und Organisatorin des Protestmarsches. Sie schaut von der Bühne in die Menge. Niemand habe „auch nur im Traum“ daran gedacht, dass so viele Menschen kommen würden. „Wir sind hier, weil die Bundesregierung die Arzneimittelversorgung und unsere berufliche Existenz gefährdet“, sagt Rüdinger. Die Sonne knallt, aber die Menge jubelt.
Vor allem Angestellte dabei
Andreas May, Bundesvorstand der Apotheker-Gewerkschaft Adexa, erklärt, er sei einfach nur „geplättet“. Der Grund: „Weil die meisten, die hier sind, Mitarbeiter sind“. An das Bundesministerium für Gesundheit und das für Wirtschaft gerichtet klagt er: „Sind die 150.000 Mitarbeiter nicht mehr wert als die lächerlichen Danksagungen?“ ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening tritt sichtlich gerührt an das Pult. Sie sei „wirklich überwältigt“. Sie kritisiert unter anderem, dass Lauterbach sein „Faktenblatt“ in Umlauf gebracht – und danach auch noch eine Neid-Debatte vom Stapel gebrochen hat: „Das ist schlechter Stil“, sagt sie und stellt dann klar: „Uns geht es um die sichere Arzneimittelversorgung durch die Apotheken vor Ort.“ In diesem Sinne dankt sie auch noch einmal all den Apotheken, die an diesem Mittwoch den Notdienst gemacht haben.
Kurz bevor die Kundgebung vorbei ist, ruft Apotheker Maximilian Wilke von der Bühne: „Wir haben der Politik gezeigt, dass sie mit uns rechnen muss.“ Wenn der Protest heute ergebnislos bleiben sollte, „dann werden Lauterbach, Lindner und Co. noch weitere solche Tage erleben!“
ABDA: „Ein Zeichen der Geschlossenheit“
ABDA-Sprecher Benjamin Rohrer zeigte sich in einem ersten Statement gegenüber der DAZ sehr zufrieden mit dem Protest. Er sprach bereits von 5000 Menschen, die teilgenommen hätten, und deutschlandweit wären es noch einmal mehrere Tausend gewesen. Er verwies noch einmal darauf, dass 86 Prozent aller Apotheken bundesweit geschlossen hatten. „Es ist ein Zeichen der Geschlossenheit, ein ganz tolles Zeichen, dass wir auch hier in Berlin gesendet haben.“
Auf dem Rückweg noch ein kurzer Besuch in der einzigen Apotheke in Mitte, die Notdienst schiebt. Der Tisch mit den Bestellungen für 17 Uhr ist voll. Insgesamt sei es „friedlich“ geblieben, sagt die Mitarbeiterin am Rosa-Luxemburg-Platz, aber es war schon sehr viel mehr los als sonst. Sie bittet zur Seite zu treten – es kommen wieder neue Kunden in die Apotheke. |
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