Neue Arzneimittel

Tabelecleucel verbessert Prognose für Patienten nach Transplantation

Allogene T-Zell-Immuntherapie verlängert Gesamtüberleben bei Posttransplantationserkrankung

Für Patienten mit Posttransplanta­tions-lymphoproliferativer Erkrankung im Zusammenhang mit einer rezidivierten oder refraktären Epstein-Barr-Virus(EBV)-Infektion steht nun Tabelecleucel (Ebvallo®) zur Verfügung. Das Präparat enthält expandierte T-Zellen eines Spenders, die spezifisch gegen EBV-infizierte Zellen gerichtet sind. Die Zubereitung ist für Patienten vor­gesehen, die mindestens eine vorherige Behandlung gegen die maligne Transplantations-assoziierte ­Erkrankung erhalten haben.

Die potenziell lebensbedrohliche lymphoproliferative Posttransplantationserkrankung (PTLD) tritt bei bis zu 10% aller Patienten nach einer Organ- oder Knochenmarktransplantation auf. Häufiger Auslöser ist eine, infolge der erforderlichen immunsuppressiven Therapie, schwer kontrollierbare Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus. Die Symptome ähneln je nach Ausprägung der Erkrankung denen des Pfeifferschen Drüsenfiebers, eines Morbus Hodgkin oder den verschiedenen Formen eines Non-Hodgkin-Lymphoms. Falls möglich erfolgt die Behandlung zunächst durch eine Dosisanpassung der eingesetzten Immunsuppressiva, eine chirurgische Entfernung solider Tumoren, Chemo- und Strahlentherapien sowie durch Verfahren der Immunstimulation. Wenn diese Therapien fehlgeschlagen sind, überleben die Betroffenen normalerweise nur noch wenige Wochen bis Monate.

EBV-sensibilisierte T-Zellen

Für diese Patienten ist nun mit Tabelecleucel eine spezifische T-Zell-Immuntherapie verfügbar. Für die Herstellung werden gesunden Spendern periphere mononukleäre Blutzellen entnommen und in B- und T-Zellen separiert. Die B-Zellen werden ex vivo mit dem Epstein-Barr-Virus infiziert und als antigenpräsentierende Zellen mit den T-Zellen desselben Spenders kultiviert. Hierdurch kommt es zu einer spezifischen Sensibilisierung der T-Zellen gegen EBV-infizierte Zellen. Im Anschluss werden diese modifizierten allogenen T-Zellen expandiert und bei Transplantationspatienten mit Epstein-Barr-Virus-Infektion infundiert. Der T-Zell-Rezeptor jeder klonalen Population von Tabelecleucel erkennt auf der Oberfläche von infizierten Zielzellen EBV-Peptide im Komplex mit spezifischen Histokompatibilitäts-Antigenen (HLA). Als Folge wird eine zytotoxische Reaktion gegen die virusbefallenen Zellen ausgelöst, die letztlich zur Apoptose führt (s. Abb.). Voraussetzung ist allerdings, dass Spender und Empfänger von Tabelecleucel genetisch ähnlich sind. Die Zerstörung der EBV-infizierten Zellen funktioniert nur, wenn deren zelluläre Oberflächen räumlich zu den übertragenen T-Zellen passen und die Kombination der Histokompatibilitäts-Antigene möglich ist (sog. HLA-Restriktion). Daher wird jede bereits vorgefertigte Charge des Präparats Ebvallo® für den jeweiligen Patienten individuell ausgewählt und vor der Applikation auf Spezifität, T-Zell-HLA-Restriktion und niedrige Alloreaktivität getestet.

Abb.: Wirkmechanismus Bei viralen Infektionen werden kleine Peptidfragmente der in den Organismus eingedrungenen Viren von Histokompatibilitäts-Antigenen (HLA) erkannt und auf der Oberfläche der infizierten Zellen präsentiert. Zytotoxische T-Lymphozyten identifizieren diese körperfremden Fragmente und stellen über ihren T-Zell-Rezeptor eine Bindung mit den infizierten Zellen her. Im weiteren Verlauf wird deren Zellmembran mithilfe zytolytischer Proteine der T-Zellen perforiert und Apoptose ausgelöst. Dieser wichtige Abwehrmechanismus auf Basis von zytotoxischen T-Zellen funktioniert bei Transplantationspatienten nur sehr eingeschränkt, da das Immunsystem medikamentös supprimiert werden muss, um eine Abstoßung des fremden Gewebes zu verhindern. Das Immuntherapeutikum Tabelecleucel enthält gegen EBV-infizierte Zellen gerichtete T-Zellen eines Spenders, die die Zerstörung der befallenen Zellen übernehmen.

Applikation bereits bei Kindern ab zwei Jahren

Im Anschluss wird Tabelecleucel an den Tagen 1, 8 und 15 mehrerer 35-tägiger Zyklen in einer Dosierung von jeweils 2 × 106 lebensfähigen T-Zellen pro kg Körpergewicht intravenös appliziert. Bereits Kinder ab zwei Jahren können therapiert werden. Falls durch diese Maßnahme keine komplette oder zumindest partielle Remission erzielt wird, ist auf eine Produktcharge mit anderer HLA-Restriktion umzustellen. Tabelecleucel ist mit einer Reihe von Nebenwirkungen wie Blutbildveränderungen, teilweise schweren Hautreaktionen, Infektionserkrankungen sowie Störungen der Atmungs- und Darmfunktion assoziiert. Mehr als die Hälfte der Behandelten berichtete in klinischen Studien schwerwiegende unerwünschte Ereignisse. Insbesondere bei Patienten ab 65 Jahren sollte die Behandlung mit besonderer Vorsicht erfolgen, da bei diesem Personenkreis ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Störungen und psychiatrische Sym­ptome wie Delirium und Desorientierung besteht.

Tumorerkrankung kann kurzfristig aufflackern

Vor allem in den ersten Tagen nach der Applika­tion von Tabelecleucel muss mit dem Aufflackern der Tumorerkrankung gerechnet werden. Es handelt sich um eine akute entzündliche lokale Reaktion, die mit einer plötzlichen und schmerzhaften Größenzunahme des Tumors oder befallener Lymphknoten einhergehen kann. Falls durch die raumfordernde Wirkung Schmerzen oder andere Komplikationen eintreten, können die Gabe von Analgetika oder eine lokale Bestrahlung erwogen werden. Bei hoher Tumorlast besteht zudem ein erhöhtes Risiko für ein Zytokin-Freisetzungs-Syndrom mit Anzeichen wie Pyrexie, Schüttelfrost, Hypotonie und Hypoxie. Nach der Anwendung von Tabelecleucel sollten die Behandelten auf Sym­ptome einer Graft-versus-Host-Erkrankung, wie Haut­ausschlag, Hepatotoxizität oder gastrointestinale Beschwerden überwacht werden. Wahrscheinlich ist auch diese Reaktion auf die Verringerung oder das Absetzen von immunsuppressiven Therapien der Transplantationspatienten zurückzuführen. Im selben Zug wurde ebenfalls über Abstoßungsreaktionen von transplantiertem Knochenmark oder soliden Organen berichtet. Mit Tabelecleucel behandelte Patienten dürfen lebenslang kein Blut oder Gewebe, keine Organe und keine Zellen zur Transplantation spenden. Ebenso ist zu beachten, dass begleitend mit Tabelecleucel eingesetzte immunsuppressive und zytotoxische Therapien wie Chemotherapien, T-Zell-Antikörper-­basierte Therapien die Wirksamkeit des modifizierten T-Zell-Präparats beeinträchtigen können.

Zulassungsstudie „ALLELE“

Der Nutzen von Tabelecleucel wurde und wird in der derzeit weiterlaufenden offenen, einarmigen Phase-III­-Studie ALLELE geprüft. Bei den in einer Zwischenanalyse ausgewerteten 43 Teilnehmern war nach einer Transplantation eine EBV-positive lymphoproliferative Posttransplantations­erkrankung aufgetreten – in den meisten Fällen ein diffus großzelliges B-Zell-Lymphom. Mindestens eine vorangegangene Behandlung war fehl­geschlagen. Tabelecleucel erwies sich bei der Erkrankungskontrolle als sehr effektiv. In der Subgruppe der 29 Patienten, die im Vorfeld eine Organtransplantation erhalten hatten, wurde bei 15 ein Ansprechen beobachtet, bei sechs Teilnehmern sogar ein voll­ständiges Ansprechen, entsprechend ­einem völligen Verschwinden der Tumor­zeichen. Bei den 14 Teilnehmern nach Knochenmarktransplantation zeigten sieben Patienten eine Response, sechs davon eine vollständige. Dies entspricht einer Gesamtresponse von 51% auf die Tabelecleucel-Therapie in beiden Behandlungsarmen. Ein dauerhaftes Ansprechen über mehr als sechs Monate wurde bei insgesamt zehn Patienten verzeichnet. Als mediane Gesamtüberlebenszeit wurden 18 Monate ermittelt. Nach einem Jahr ­waren in den beiden Subgruppen noch 56% der Organ- und 70% der Knochenmarktransplantierten am Leben.

Hoffnung auf dauerhafte Heilung

Das neue Zweitlinientherapeutikum Tabelecleucel bedeutet somit für Patienten mit EBV-assoziierter lympho­proliferativer Posttransplantations­erkrankung einen erheblichen therapeutischen Fortschritt. Die Behandelten gewinnen teilweise mehrere Jahre an Lebenszeit. Bei einigen besteht sogar die Hoffnung auf eine dauerhafte Heilung. Obwohl der Wirkmechanismus von Tabelecleucel mit einem Angriff von T-Zellen auf virusbefallene Körperzellen einem physiologischen Vorgang entspricht, ist die Herstellung der gegen EBV-infizierte Zellen gerichteten allogenen T-Zellen völlig innovativ. An dieser Stelle soll noch einmal betont werden, dass es sich im Gegensatz zu einer CAR-T-Zell-Therapie nicht um ein Gentherapeutikum, sondern um modifizierte T-Zellen handelt, die von genetisch unterschiedlichen Spendern vorrätig gehalten werden. Längerfristige Beobachtungen zur potenziellen Ansprechdauer von Tabelecleucel bleiben abzuwarten. Von besonderer Bedeutung ist der mögliche zukünftige Einsatz von allogenen, sensibilisierten T-Zellen bei anderen Infektions- oder Tumorerkrankungen, insbesondere im Hinblick auf die fortschreitende Resistenzentwicklung gegenüber herkömmlichen anti­mikrobiellen Therapien. |

Neue Arzneimittel 2023

In der bisher monatlich erschienenen DAZ-Beilage „Neue Arzneimittel“ stellte Apothekerin Dr. Monika Neubeck neue Wirkstoffe vor und ordnete sie in die bestehenden Therapie­optionen ein. Seit Januar 2023 finden Abonnentinnen und Abonnenten der DAZ die neuen Arzneistoffe auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de/pharmazie/arzneimittel. Dort gibt es auch ein Archiv mit allen seit 2000 eingeführten Wirkstoffen. Für die Offizin bedeutsame Wirkstoffe stellen wir in der Print-Ausgabe der DAZ regelmäßig in der Rubrik „Neue Arzneimittel“ vor.

Literatur

[1] Fachinformation zu Ebvallo®, Stand Februar 2023

[2] Mahadeo KM et al. New and updated results from a multicenter, open-label, global phase 3 study of tabelecleucel (Tab-cel) for epstein-barr virus-positive post-transplant lymphoproliferative disease (EBV+ PTLD) following allogeneic hematopoietic cell (HCT) or solid organ transplant (SOT) after failure of rituximab or rituximab and chemotherapy (ALLELE). Blood 2022;140(Supplement 1):10374–10376, doi.org/10.1182/blood-2022-157766

[3] EPAR summary for the public. Ebvallo®Tabelecleucel. Informationen der Europäischen Arzneimittel-Agentur, EMA/852064/2022

Autorin

Dr. Monika Neubeck hat in Frankfurt am Main Pharmazie studiert und ordnet für die DAZ regelmäßig die neuen Arzneimittel ein.

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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