DAZ aktuell

Das schadet dem Wirtschaftsstandort

Verbände kritisieren jüngste Änderungen bei der Preisbildung für neue Arzneimittel

tmb | Die Verbände der Arzneimittelhersteller kritisieren die Neuregelungen des im November 2022 beschlossenen GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG). Das Gesetz belaste die Versorgungs­sicherheit und schade dem Wirtschaftsstandort. Die Verbände betonen jeweils unterschiedliche Aspekte der Neuregelungen, sind sich aber in ihrer kritischen Haltung einig.

Bis zum 4. September mussten die Verbände ihre Stellungnahmen zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz vorlegen, damit diese in die geplante Evaluation des Gesetzes eingehen können, die das Bundesgesundheitsministerium bis zum Jahresende erstellt. Dabei geht es insbesondere um die veränderten Regeln bei der frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel und der anschließenden Preisbildung (siehe auch AZ Nr. 10, 2023, S. 4). In den Apotheken hat das Gesetz vor allem durch den befristet erhöhten Kassenabschlag für Ärger gesorgt, aber dies ist ein anderer Aspekt.

vfa kritisiert Leitplanken für die Preisbildung

Han Steutel, Präsident des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) betrachtet das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz als „misslungene Gesetzgebung“. Der Gesetzgeber habe „ohne Not die bewährte Systematik der Erstattungsregeln in Deutschland durcheinandergebracht“. „Die Eingriffe in die Nutzenbewertung oder die Rabattierung von Arzneimittelkombinationen erzielen kaum nennenswerte Sparbeträge für die GKV, richten aber gravierende Schäden an“, erklärte Steutel. Das System habe an Planbarkeit verloren, der bürokratische Aufwand steige und die Patienten müssten mit Therapieeinschränkungen leben. Steutel sieht daraufhin die Zeit für eine Reformdebatte im Erstattungsrecht gekommen.

Die Stellungnahme des vfa bezieht sich insbesondere auf die neu eingeführten „Leitplanken“ für die Preisverhandlungen zu neuen Arzneimitteln, denen ein geringer oder nicht quantifizierbarer Zusatznutzen bescheinigt wurde. Dazu verweist der vfa auf eine Simulation des Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Wolfgang Greiner auf der Grundlage der von 2019 bis 2021 bewerteten Arzneimittel. Hätten für diese 106 Wirkstoffe bereits die neuen Regeln gegolten, wären demnach 70 von den „Leitplanken“ betroffen gewesen. Bei 26 Wirkstoffen hätte der Rabatt über 60 Prozent betragen. In diesen Fällen sei die Wahrscheinlichkeit für einen Marktrückzug oder einen Verzicht auf die Einführung groß. Außerdem stützt sich der vfa auf Umfragen unter den Mitgliedsunternehmen. Demnach würden 30 Arzneimittel oder Zulassungen dem Risiko unterliegen, in den folgenden zwei Jahren nicht in die Versorgung zu kommen, 13 Arzneimittel würden deutlich verzögert oder gar nicht in Deutschland verfügbar sein und fünf Zulassungen oder Zulassungserweiterungen würden in der EU verzögert oder gar nicht angestrebt. Schon innerhalb eines halben Jahres seien wegen des Gesetzes einzelne Arzneimittel in Deutschland vom Markt genommen oder verspätet eingeführt worden. Da der Planungshorizont für die Unternehmen langfristig sei, werde das ganze Ausmaß der Folgen erst später zu sehen sein. Der vfa fordert daher, Verhandlungs­lösungen im Preisbildungsverfahren zu stärken und sowohl die „Leitplanken“ für die Preisbildung als auch den Kombinationsabschlag wieder abzuschaffen. Außerdem sollte das Bewertungsverfahren für neue Therapie­ansätze und für die künftige euro­päische Nutzenbewertung weiterentwickelt werden.

BPI: Kumulationseffekt beim Kombiabschlag unbeachtet

Für den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) ist das Kernproblem, dass sich die neuen Zwangsabschläge aufsummieren, „ohne dass die Politik die wirtschaft­lichen Kon­sequenzen bedenkt“. BPI-Haupt­geschäftsführer Dr. Kai Joachimsen erklärt: „Kumulationseffekte der Einsparmaßnahmen wurden nicht geprüft. Das ganze Vorhaben, insbesondere der Kombinationsabschlag, ist ein Bürokratiemonster.“ Außerdem könne das Absenken der Umsatzschwelle für Orphan Drugs die Verfügbarkeit solcher Therapien gefährden. Dies habe negative Folgen für die Versorgungs­sicherheit. Die weitere Kritik des BPI ist grundsätzlicher Natur. Demnach würden die Neuregelungen „leider nicht mehr auf dem Grundverständnis eines fairen Interessenausgleichs zwischen dem GKV-Spitzenverband und den pharmazeutischen Unternehmen“ basieren. Das Verfahren habe sich zu einem GKV-dominierten „Preissetzungsverfahren“ gewandelt. Der BPI gehe davon aus, dass das GKV-FinStG die Verfügbarkeit von Bestandstherapien und innovativen Therapien beeinträchtigen werde. Joachimsen folgert: „In der Summe aller Maßnahmen steht das Gesetz im Widerspruch zu den Zielen der Bundesregierung.“ Statt der proklamierten Förderung des Forschungs- und Produktionsstandortes Deutschland würden sie „eher industrie- und standortfeindlich“ wirken.

BAH möchte zu vorherigen Regeln zurückkehren

Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) befasst sich in seiner Stellungnahme ausführlich mit den verschiedenen Neuregelungen und kritisiert auch die bereits erwähnten Aspekte. Doch der BAH bringt noch weitere Kritik an. Der um fünf Prozent erhöhte Herstellerabschlag belaste neben patentgeschützten auch patentfreie Arzneimittel, darunter „Altoriginale“, die meist therapeutische Nischen betreffen würden, die für bestimmte Patienten sehr relevant sein könnten. Diese würden bereits dem Preismoratorium unterliegen, und es bleibe unverständlich, warum sie zusätzlich belastet würden. Außerdem kritisiert der BAH die Änderung in § 130 Abs. 1a SGB V, die anstelle der vorherigen „Kann“-Regel verpflichtende Vereinbarungen zu Preis-Mengen-Aspekten vorsieht. Dies schränke die Vertragspartner unnötig ein, „entrückt sie von einer nutzen­basierten und versorgungsgerechten Preisbildung“ und führe zu mehr Bürokratie. Damit entferne sich die Preis­bildung von der Nutzenorientierung.

„Kurzfristige Schadensbegrenzung“

Als „kurzfristige Schadensbegrenzung“ möchte der BAH weitgehend zu den Regelungen vor dem GKV-FinStG zurückkehren. Darüber hinaus schlägt der Verband einen umfang­reichen Dialog aller Beteiligten zur Weiterentwicklung des AMNOG-Verfahrens, also der frühen Nutzen­bewertung neuer Arzneimittel und der anschließenden Preisverhandlungen, vor. Mit der langen Liste der zu diskutierenden Inhalte lässt der BAH grundsätzlichen Handlungsbedarf erkennen, der weit über die Korrektur des GKV-FinStG hinausgeht. Was das GKV-FinStG angeht, sind zudem alle beteiligten Verbände darüber einig, dass die vorgesehene Evaluation zu früh stattfindet, um die Folgen angemessen zu erfassen. Denn die Maßnahmen seien langfristig angelegt. Daher sei später eine erneute Evalua­tion nötig. |

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