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Was hilft wirklich gegen Lieferengpässe?

SMC bittet Holzgrabe, Hoppe-Tichy und Francas um Einschätzung der aktuellen Lage

dm/ks | Mit dem im August in Kraft getretenen Arzneimittel-Liefer­engpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) lassen sich die für den kommenden Herbst und Winter befürchteten Engpässe bei wichtigen Kinderarzneimitteln offensichtlich nicht vermeiden. Das „Science Media Center“ (SMC) hat nun drei Experten um ihre Einschätzung der Situation gebeten – auch sie zeichnen ein eher düsteres Szenario.

Bereits im vergangenen Mai diskutierten Ulrike Holzgrabe, Seniorprofessorin für pharmazeutische und medizinische Chemie, Dr. Torsten Hoppe-Tichy, Leiter der Apotheke des Universitätsklinikums in Heidelberg, und David Francas, Professor für Daten- und Lieferkettenanalyse an der Hochschule Worms, bei einem Presse-Briefing des SMC online darüber, wie eine bessere Versorgung mit Arzneimitteln gelingen kann. Schon damals waren sie sich einig, dass das ALBVVG seine Grenzen hat: Das Lieferengpassproblem lasse sich nicht auf nationaler Ebene lösen.

Drei Wochen nach Inkrafttreten des Gesetzes sorgte nun eine Bitte des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) an den pharmazeutischen Großhandel für Aufsehen: Dieser solle wichtige Kinderarzneimittel – aufgeführt in einer sogenannten Dringlichkeitsliste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte – intensiviert beschaffen und bevorraten. Doch der Großhandelsverband Phagro stellte klar: Wo nichts zu beschaffen ist, kann auch nichts für zwei oder gar vier Wochen bevorratet werden. Schon die aktuelle Situation sei „äußerst prekär“ (s. AZ Nr. 36, 2023, S. 8).

Das SMC bat Holzgrabe, Hoppe-Tichy und Francas nun erneut um ihre Einschätzung: Ist es tatsächlich schon jetzt so schlecht um die Arzneimittelversorgung bestellt?

Wie stark wird die nächste Infektionswelle?

Francas wertet es zwar positiv, dass erstmals ein Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen verabschiedet wurde. Es sei aber absehbar, „dass die Lösung der Lieferengpassproblematik über das Gesetz hinausgehende Anstrengungen wie den Einbezug wei­terer Arzneimittelgruppen und die engere Kooperation mit den europä­ischen Partnern benötigen wird“. Die Versorgungslage im Winter 2023 werde nun auch davon abhängig sein, „inwieweit die Hersteller die Bedarfe an Arzneimitteln treffend prognostiziert haben und ihre Produktion und Lagerhaltung danach ausrichten konnten“. Zur Erinnerung: Im letzten Winter war eine Ursache der Lieferengpässe auch das erhöhte Infektionsgeschehen nach den Corona-Jahren. Zudem warnt Francas vor „inflationierten“ Bestellungen von Arzneimitteln, die über den benötigen Bedarf hinausgehen.

Vorräte am richtigen Ort

Auch Hoppe-Tichy hat grundsätzlich lobende Worte für die kurzfristigen Maßnahmen Lauterbachs übrig, beschreibt die Umsetzung der neuen Regeln aber ebenso als schwierig. So stelle die schiere Menge der nun geforderten Vorräte allein räumlich Herausforderungen für die Krankenhausapotheken dar: „Einige Klinikapotheken haben für diese zusätzlichen Lager­flächen schon externe Räume oder gar Gebäude angemietet“, erklärt er. Es brauche deshalb auch ausreichende Vorräte bei den Herstellern und dem Großhandel. Langfristig geht es laut Hoppe-Tichy nicht ohne eine in der EU ansässige produzierende Pharmaindustrie. „Dabei beachtend, dass es eine Win-Win-Situation gibt und nicht zu einer einseitigen Erhöhung der Umsatzrenditen bei Pharma kommt.“

Ist also die Pharmaindustrie in der Pflicht? Holzgrabe zufolge ist die Arzneimittelproduktion weltweit bereits am Anschlag. Um die geforderte Lagerhaltung zu erfüllen, sei es somit keine Lösung, anderen Ländern die Ware „vor der Nase wegzuschnappen“. Insbesondere die Forderung Lauterbachs an den Großhandel, größere Lagerhaltung aufzubauen, kann Holzgrabe nicht nachvollziehen: Dieser produziere ja nichts und kaufe im Wesentlichen auch nicht im Ausland ein. „Statt mit den Grundversorgern, den Generikaherstellern, wenigstens mal zu sprechen“, versuche Lauterbach den Markt leerzukaufen. Holzgrabe fürchtet einen „Verdrängungswettbewerb“, denn auch im restlichen Europa benötige man die knappen Arzneimittel.

In EU-Produktion investieren statt Importe teuer bezahlen

Sie ist überzeugt: „Zur Gewährung der Versorgungssicherheit müssen langfristig wieder mehr Produktionsstätten aufgebaut werden, und zwar insbesondere in Europa, obgleich eine Produk­tion in Europa durchaus 20 bis 30 Prozent teurer sein wird.“ Wie schnell sich das lohne, zeige ein aktuelles Beispiel: Derzeit werden bei dem indischen Hersteller Puren/Aurobindo Amoxicillin-Präparate gekauft, die für den amerikanischen Markt vorgesehen waren. Das ist an sich schon mit Problemen verbunden, etwa mit Blick auf die Verpackung. Das Schlimmste aber sei, dass Aurobindo ein Vielfaches von dem gezahlt werde, was ein Medikament aus europäischer Produktion kosten würde. „Warum lenken wir dieses Geld nicht in den zügigen Ausbau der europä­ischen Produktion?“ fragt Holzgrabe. Es gebe in der EU zwar bereits Diskussionen zu vielen Lösungsansätzen in diesem Bereich, doch diese stünden erst am Anfang – „schnelleres und besonneneres Handeln wäre notwendig“. |

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