DAZ aktuell

„Es geht einzig um die Aktionäre, nicht um die Patienten“

Nach Beschwerde der EU-Versender bei der Kommission: AKNR rüstet sich mit juristischem Gutachten

ks | Shop Apotheke und DocMorris fühlen sich beim E-Rezept benachteiligt: Seit Juli gibt es den zusätzlichen Einlöseweg über die elektronische Gesundheitskarte (eGK) – eine patientenfreundliche Option, die jedoch erfordert, dass die eGK physisch in ein Kartenlesegerät einer Apotheke gesteckt wird. Das fuchst die Versender aus den Niederlanden so sehr, dass sie bei der EU-Kommission Beschwerde eingereicht und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) aufgefordert haben, „Chancengleichheit für alle Marktteilnehmer“ herzustellen. Für die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) zeigt das Vorgehen vor allem eines: Den beiden Versendern geht es nicht um die Patientinnen und Patienten, sondern allein um das Wohl ihrer Aktionäre.

Wie ist die Beschwerde bei der Euro­päischen Kommission juristisch einzuordnen? Diese Frage hat die AKNR von Rechtsanwältin Dr. Anne Bongers-Gehlert und Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas von der Freiburger Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner in einem Gutachten beleuchten lassen. Die Anwälte kommen zu einem klaren Ergebnis: Die Beschwerde ist unbegründet. Und zwar sowohl mit Blick auf den neuen niederschwelligen Ein­löseweg, der den Patientinnen und Patienten lediglich ergänzend ermöglicht wurde, als auch in Hinsicht auf das mittlerweile im Sozialrecht (§ 129 SGB V) verankerte Boniverbot, das aus Sicht der AKNR und ihren Anwälten mit den Vorgaben des europäischen Arzneimittelrechts im Einklang steht. Die DAZ hat mit Dr. Anne Bongers-Gehlert und AKNR-Justiziarin Dr. Bettina Mecking über die Hintergründe und Ziele dieser Stellungnahme gesprochen.

Die Beschwerde bei der EU-Kommission – was wollen die Versender?

Vor gut zwei Monaten monierten DocMorris und Shop Apotheke in einer Pressemitteilung die neu geschaffene Möglichkeit des E-Rezeptabrufs mittels eGK. Diese Option ist ganz im Sinne der Apotheken vor Ort. Zum einen, weil sie den Versicherten keine Schwierigkeiten bereitet: Sie haben ihre eGK in der Regel griffbereit. Zum anderen, weil sie bei den Versendern nicht unmittelbar funktioniert. Doch das wollen Shop Apotheke und DocMorris nicht auf sich sitzen lassen. Sie haben lange auf das E-Rezept gewartet, sich darauf vorbereitet, endlich auch wesentlich im Rx-Markt mitmischen zu können. Sie haben ihre Aktionäre immer wieder beschworen, mussten sich infolge diverser Termin­verschiebungen wiederholt vertrösten. Durch den neuen einfachen Einlöseweg, der nur vor Ort möglich ist, fühlen sie sich „strukturell benachteiligt“. Denn die volldigitale E-Rezept-Übermittlung über die Gematik-App hat sich bekanntlich nicht wirklich durchgesetzt, auch wenn die App mittlerweile einfacher zu handhaben ist und sogar Rezeptcodes einfach scannen kann. Die EU-Versender setzen auf ihren Webseiten ebenfalls auf den schlichten Scan des Tokens bzw. das Hochladen einer Bilddatei mit dem Code. Doch solange E-Rezepte nur zögerlich verordnet werden, ist auch bei den Einlösezahlen keine Explosion zu erwarten.

Doch DocMorris und Shop-Apotheke fordern nun ganz offensiv einen „diskriminierungsfreien volldigitalen Zugang zum E-Rezept“. In diesem Zuge haben sie Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht – und zwar gegen das seit Ende 2020 im Sozialgesetzbuch V verankerte Bonusverbot bei Rx-Arzneimitteln in Verbindung mit der „verzögerten und diskriminierenden E-Rezept-Einführung“. Auch vom BMG fordern die Versender, „Chancengleichheit für alle Marktteilnehmer“ herzustellen. Olaf Heinrich, seit Kurzem Chef von Redcare-Pharmacy (Shop Apotheke), hat sogar mit einer Klage gedroht. Im BMG sieht man dies allerdings gelassen. Ob sich die EU-Kommission von den Beschwerden beeindrucken lässt, bleibt abzuwarten. Sie analysiert den Sachverhalt erst einmal und wird dann entscheiden, ob sie den Fall weiterverfolgt oder schließt – eine zeitliche Frist muss sie dabei nicht berücksichtigen.

Auf die Frage der Redaktion, was die ABDA von den Beschwerden hält und wie sie diese einschätzt, erklärte ein Sprecher: „Wir sehen keinen Anlass, die Diskussion um die Rx-Preisbindung zu befeuern. Die Beschwerde bei der Kommission – die wir lediglich aus Presseberichten kennen – beinhaltet keine juristisch neuen Argumente.“ Die DAZ hat daher auch bei der Apothekerkammer Nordrhein nachgefragt – der Kammer, die EU-Versender seit Jahren kritisch im Blick behält und keine juristische Auseinandersetzung scheut.

DAZ: Erst einmal vorab: Was halten Sie vom Ruf der EU-Versender nach einem „diskriminierungsfreien volldigitalen Zugang zum E-Rezept“ und deren Beschwerde bei der EU-Kommission?

Bongers-Gehlert: Das Ansinnen ist offensichtlich: Es geht ihnen einzig um ihre Aktionäre, nicht um die Patienten. Sie hatten gehofft, mithilfe des E-Rezepts bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln den Gewinn steigern zu können. Nun gibt es eine weitere, schnelle und einfache Einlösemöglichkeit für die Versicherten, die jedoch den Versendern nicht offensteht. Ihnen bleiben aber weiterhin andere gleichwer­tige Möglichkeiten, sich das E-Rezept übermitteln zu lassen, sie sind also nicht abgeschnitten. Allein die Tatsache, dass es einen zusätz­lichen Weg gibt, kann man gelassen sehen. Es geht schließlich nur darum, dass die Patientinnen und Patienten zu ihren Arzneimitteln kommen – und das möglichst einfach, auch wenn sie über kein Smartphone verfügen oder das Internet nicht nutzen. Schon um seinem verfassungsrechtlichen Auftrag zu genügen, die Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Arzneimitteln zu gewährleisten, ist der Gesetzgeber verpflichtet, dafür Sorge zu tragen. Ein Schuh wird aus der Beschwerde erst, wenn man diese an­gebliche Benachteiligung mit dem Boni-Verbot kombiniert. Denn die Kommission war vor zwei Jahren, als sie das letzte Vertragsverletzungsverfahren wegen dieses Verbots einstellte, davon ausgegangen, dass das E-Rezept den Versendern ganz andere neue Möglichkeiten bieten werde, Kundinnen und Kunden zu gewinnen, so dass sie auf die Gewährung von Boni nicht mehr angewiesen sein würden. Nur in diesem Zusammenhang ergibt die Beschwerde einen gewissen Sinn – der neue Einlöseweg ist also letztlich nur ein Aufhänger, um die Beschwerde über das Boni-Verbot aufzugreifen, das eigentlich schon ausdiskutiert war.

DAZ: Und wie schätzen Sie die Chancen der Beschwerde ein?

Bongers-Gehlert: Die Behauptung einer angeblichen Diskriminierung allein ist wie gesagt nicht stichhaltig. Was das Boni-Verbot betrifft, muss man beachten, dass in den vergangenen zwei Jahren viel passiert ist, vor allem in der Rechtsprechung des EuGH. Als die Kommission das Verfahren zum Boni-Verbot einstellte, stand lediglich das EuGH Urteil „Deutsche Parkinsonvereinigung“ von 2016 im Raum – doch mittlerweile gab es einige Entscheidungen, die dieses relativieren und einschränken (z. B.: Gewinnspielwerbung, EUROAPTIEKA). Darüber kann sich die EU-Kommission auch nicht einfach hinwegsetzen. So haben wir inzwischen gelernt, dass man bei der Beurteilung der einzelnen Werbeformen differenzieren muss. Es gibt einen Unterschied zwischen Boni, die der Kunde für Folgeeinkäufe nutzen kann, und echten Preisreduzierungen, die auf das Arzneimittel als solches gewährt werden, sowie zwischen der tatsächlichen Gewährung von Preisnachlässen und der Werbung hierfür. Den Versendern geht es um Boni – und nicht um die echte Preisreduktion – und die Werbung hierfür. Daher haben die Beschwerden aus unserer Sicht wenig Aussicht auf Erfolg.

Mecking: Man sollte auch nicht das besondere Verhältnis zwischen Kommission und EuGH vergessen: Die Kommission mischt immer gerne auf – aber sie darf die EuGH-Rechtsprechung eben nicht außer Acht lassen. In Luxemburg hat man aber zuletzt viel differenzierter entschieden und dabei ganz andere Aspekte beachtet – etwa die Würde des Berufs der Apothekerinnen und Apotheker im Umgang mit Patientinnen und Patienten. Wir setzen darauf, dass diese neue Richtung auch in dem Verfahren zum Tragen kommt, das der Bundesgerichtshof jüngst dem EuGH vorgelegt hat und in dem nun ganz konkret verschiedene Werbeaktionen beurteilt werden müssen, wie sie von den Versandapotheken in Deutschland ständig geschaltet werden, so zum Beispiel die Werbung mit Boni, die im Rahmen von Folgeeinkäufen nicht rezeptpflichtiger Arzneimittel eingesetzt werden können und damit den Anreiz erhöhen, weitere Arzneimittel zu kaufen.

Bongers-Gehlert: Wir müssen sehen, wie der EuGH in diesem Verfahren entscheidet. Das jüngste Urteil in diesem Bereich von Ende vergangenen Jahres enthält jedenfalls viele gute Ansätze, von denen wir hoffen, dass der EuGH diese weiterentwickelt. Dann sieht es gut aus.

Foto: Privat

Dr. Bettina Mecking

DAZ: Wie geht es nun weiter mit der Stellungnahme, die die AKNR hat erstellen lassen?

Mecking: Wir haben uns gewundert, dass sich die ABDA nicht zu dem Komplex geäußert hat. Dass dort jemand eine klare Gegenposition aufgebaut hat, ist mir nicht bekannt. Und genau das wollen wir machen. Wir können die Behauptung, DocMorris und Shop Apotheke seien aufgrund der neuen E-Rezept-Einlösemöglichkeit „diskriminiert“, nicht einfach im Raum stehen lassen. Zumal die deutschen Apotheken so lange gegenüber den Versendern diskriminiert wurden, weil sie sich an Verbote halten mussten, die für die Konkurrenz aus der EU nicht galten. Jetzt hat sich das Blatt gewendet . Aus unserer Sicht muss man sich zum Verhalten von Shop Apotheke und DocMorris positionieren – zumindest von unseren Mitgliedern gibt es dazu auch Fragen. Manche fürchten, das Ende 2020 eingeführte neue Rx-Boni-Verbot könne wieder fallen. Daher haben wir die Angelegenheit begutachten lassen. Auch das Signal an das Bundesgesundheitsministerium ist wichtig: Wenn hierzu eine Nachfrage aus Brüssel kommt, können wir Argumentationshilfen bieten. Auch unsere Kammer­angehörigen sollen merken, dass wir ihre Sorgen ernst nehmen und für sie in die Bresche springen.

Bongers-Gehlert: Ich denke auch, dass es als Standesvertretung wichtig ist, Befürchtungen aufzugreifen. Wir haben über die Jahre im Rahmen diverser Rechtsstreitigkeiten bis zum EuGH eine besondere Expertise in diesem speziellen Gebiet erworben – diese Qualifizierung sollte man nutzen. Wir wollen nicht den Versendern die Deutungshoheit überlassen. Zumal es diesen, um es nochmals deutlich zu sagen, an keiner Stelle um das Wohl der Patientinnen und Patienten geht. Deren Ansatz „Es muss für die Patientinnen und Patienten komplizierter sein, damit wir mitspielen dürfen“ darf nicht durchgehen!

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch! |

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